Baurecht

Verletzung von Nachbarrechten bei einer nicht hinreichend bestimmten Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 1 SN 15.4734

Datum:
10.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 123314
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 212a Abs. 1, § 214 Abs. 4
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Ergibt sich für einen metallverarbeitenden Betrieb weder aus der Betriebsbeschreibung noch aus der Lärmprognose die Art und der Umfang der Arbeiten und fehlen auch notwendige Unterlagen aus denen sich die Lärmprognose nachvollziehen lässt, ist die erteile Baugenehmigung zu unbestimmt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 11. Juni 2015 (M 1 K 15.2408) gegen die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung vom 12. Mai 2015 wird angeordnet.
II.
Der Antragsgegner und die Beigeladene zu 2) tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte. Die Beigeladene zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 6.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Produktionshalle mit Brauerei.
Sie ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 913/6 Gemarkung … (… Straße …), das südlich an die Kreisstraße grenzt. Die Bebauung entlang der Kreisstraße, zu der das Grundstück der Antragstellerin gehört, ragt spornartig in den Außenbereich hinein. Nordwestlich vom Anwesen der Antragstellerin und jenseits der Kreisstraße befinden sich die Grundstücke u.a. FlNr. 621, 627 und 628, die im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Gewerbegebiet … III“ liegen. Westlich hiervon schließen sich die Geltungsbereiche der Bebauungspläne „Gewerbegebiet … II“ und „Gewerbegebiet …“ an. Der Bebauungsplan „Gewerbegebiet … III“ wurde am 20. Januar 2014 als Satzung beschlossen und am 17. April 2014 ortsüblich bekanntgemacht. Unter dem 10. November 2014 beschloss die Beigeladene zu 2) die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 Baugesetzbuch (BauGB) zur Aufstellung des Bebauungsplans „Gewerbegebiet … III“ unter gleichzeitiger Änderung des Bebauungsplans „Gewerbegeiet … II“. Der Bebauungsplan wurde in seiner geänderten Form am 19. Januar 2015 als Satzung beschlossen. Er setzt die Gewerbegebiete „GE 1“, „GE 2.1“ und „GE 2.2“ fest und vergibt für diese unterschiedliche Emissionskontingente. Beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist diesbezüglich ein Normenkontrollverfahren anhängig (1 N 15.840).
Unter dem … April 2015 beantragte die Beigeladene zu 1) auf den Grundstücken FlNr. 621, 627 und 628 eine Baugenehmigung für den „Neubau einer Produktionshalle mit Brauerei und deren zugehörige Logistikhalle, Büros, Bewirtungsraum und einem Getränkeladen (…)“. Nach den eingereichten Plänen ist die Errichtung einer etwa 40 m x 75 m großen Halle mit Stellplätzen geplant. Die Halle ist in drei Abschnitte gegliedert: Im südöstlichen, der Antragstellerin zugewandten Teil befindet sich der Fertigungsbereich der Firma B* … GmbH, in dem mittels Metallbearbeitungsmaschinen Brauereianlagen hergestellt werden sollen. Im nordwestlichen und im mittleren Teil soll durch die Firma C* … … GmbH eine kleine Brauerei mit Flaschenabfüllanlage und Bewirtungsraum sowie ein kleiner Getränkeladen betrieben werden, an der Nordost-Fassade sind im Wesentlichen Kühlräume und Büros angeordnet. Dem Antrag liegen u.a. eine Betriebsbeschreibung vom 30. April 2015 sowie eine Lärmprognose des Büros S … (S…) vom 22. April 2015 zu Grunde.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2015 erteilte das Landratsamt Traunstein die beantragte Baugenehmigung. Bauplanungsrechtliche Grundlage für die Genehmigung sei § 33 Abs. 1 BauGB i.V.m. der planreifen Bebauungsplanänderung „Gewerbegebiet … III“ mit Planstand vom 19. Januar 2015. Als immissionsschutzrechtliche Nebenbestimmungen wurden u.a. bezüglich des der Antragstellerin benachbarten Immissionsortes … Straße … ein Immissionskontingent von tags 49,9 dB(A) und bezüglich des Immissionsortes … Straße … ein Immissionskontingent von tags 48,6 dB(A) festgesetzt, die nicht überschritten werden dürfen.
Gegen den Bescheid vom 12. Mai 2015 hat die Antragstellerin am … Juni 2015 Klage (M 1 K 15.2408) erheben lassen und am … Oktober 2015 beantragt,
1.die Vollziehung der Baugenehmigung auszusetzen, hilfsweise die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen,
2.dem Antragsgegner aufzugeben, die von der Beigeladenen zu 1) begonnenen Arbeiten mit einer für sofort vollziehbar erklärten Verfügung stillzulegen.
Mit Schriftsatz vom selben Tag stellte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin klar, dass ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5, § 80a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt worden sei.
Die Antragstellerin sei unzumutbaren Lärm- und Geruchsimmissionen ausgesetzt. Ihr Grundstück sei fehlerhaft als Mischgebiet statt als reines Wohngebiet eingestuft worden. Die Immissionsrichtwerte könnten aufgrund fehlerhafter Lärmbewertungen wahrscheinlich schon für ein Mischgebiet nicht eingehalten werden, bei der Einstufung als allgemeines bzw. reines Wohngebiet seien diese deutlich überschritten. Das Wohnhaus der Antragstellerin (… Straße …) sei bei den immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen des Bescheids nicht aufgelistet. Die dem Bescheid zu Grunde liegende Immissionsprognose vom 22. April 2015 sei fehlerhaft, weil sie die vom Baugrundstück ausgehenden Emissionen deutlich unterschätze, Geräuschquellen unberücksichtigt lasse und eine deutlich kürzere als die im Bescheid genehmigte Betriebszeit bewerte, die Lärmvorbelastung durch benachbarte Baugebiete unzureichend berücksichtige und abweichend zur Betriebsbeschreibung eine deutlich geringere Anzahl an Lkw-Fahrbewegungen betrachte sowie die durch das Bauvorhaben ausgelöste erhebliche Erhöhung der Verkehrsgeräusche auf öffentlichen Verkehrsflächen unterschlage. Es wird eine immissionsschutzrechtliche Stellungnahme des Büros M … (M…) vom 23. September 2015 vorgelegt, die sich mit der Immissionsprognose von S** vom 22. April 2015 kritisch auseinandersetzt.
Zusätzlich seien die Lärmschutzauflagen im angegriffenen Bescheid zu unbestimmt und nicht vollziehbar.
Die Antragstellerin werde außerdem durch unzumutbare Geruchsbelästigungen beeinträchtigt. Die durch das Brauereivorhaben typischerweise ausgelösten Geruchsimmissionen seien nicht geprüft worden. Das Wohnhaus der Antragstellerin befinde sich in der Hauptwindrichtung zum Bauvorhaben.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er legt eine weitere Stellungnahme von S vom 12. November 2015 vor, die sich wiederum mit der Stellungnahme des Büros M vom 23. September 2015 auseinandersetzt.
Die Beigeladene zu 1) schließt sich der Stellungnahme des Antragsgegners an und stellt keinen eigenen Antrag.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist gemäß § 88 VwGO dahin auszulegen, dass die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage begehrt. Dies ergibt sich aus dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom … Oktober 2015, in dem er eindeutig erklärt, dass der Antrag auf § 80 Abs. 5, § 80a VwGO, nicht auf § 123 VwGO gestützt werden soll.
2. Der Antrag ist zulässig und begründet, da das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse der Beigeladenen zu 1) überwiegt.
Nach § 212a Abs. 1 BauGB i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag im Wege einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Interesse der Beigeladenen zu 1), von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.). Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch nur mögliche summarische Überprüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Stellen sich die Erfolgsaussichten als offen dar, ist eine weitere Interessensabwägung vorzunehmen.
Die Antragstellerin hat als Nachbarin des streitgegenständlichen Vorhabens nicht schon bei objektiver Rechtswidrigkeit des Bescheids einen Rechtsanspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung i.R.d. Hauptsacheverfahrens. Sie muss vielmehr durch die Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, sie also drittschützende Wirkung hat (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2013 – 14 ZB 13.1193 – juris Rn. 11).
Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt auch dann vor, wenn die Baugenehmigung nicht hinreichend bestimmt ist und die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Nach Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) muss eine Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen. Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18).
Nach summarischer Prüfung dürfte der angegriffene Bescheid aufgrund mangelnder Bestimmtheit i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG rechtswidrig sein, so dass kein Interesse an seiner sofortiger Vollziehung besteht. Da in Ermangelung einer ausreichenden Beschreibung des Betriebsumfangs und -ablaufs nicht beurteilt werden kann, ob die von dem genehmigten Gesamtbetrieb ausgehenden Geräusche die zum Nachbarschutz festgesetzten Immissionskontingente von tagsüber 48,6 dB(A) und 49,9 dB(A) einhalten können, erweist sich das Vorhaben der Antragstellerin gegenüber als rücksichtslos mit der Folge, dass sie durch die rechtswidrige Baugenehmigung in ihren Rechten verletzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2015 – 1 CS 15.1876 – juris Rn. 3).
Der Baugenehmigung liegen u.a. die Betriebsbeschreibung vom 30. April 2015 sowie die Lärmprognose von S vom 22. April 2015 zu Grunde. Hiernach umfasst das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) u.a. eine „Metallfertigung zur Herstellung der Brauereien“. Es ergeben sich jedoch weder aus der Betriebsbeschreibung noch aus der Lärmprognose die Art und der Umfang der Arbeiten, die dort durchgeführt werden sollen. In der Betriebsbeschreibung ist lediglich von „20 Metallbearbeitungsmaschinen“ die Rede, ohne dass deutlich wird, um welche Maschinen es sich handelt. Auch aus der Lärmprognose ergibt sich keine genauere Beschreibung. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass die maßgeblichen Geräuschquellen innerhalb des Gebäudes im Fertigungsbereich Metallbearbeitungsmaschinen seien. Die Angaben des Büros B … Ltd. & Co. KG zum Betriebsablauf vom 7. Januar 2015, 22. Januar 2015, 16. Februar 2015 und 16. April 2015, die der Lärmprognose zu Grunde liegen, finden sich weder in der Akte noch sind sie Bestandteil des Bescheids, so dass sich auch hieraus nichts Konkreteres ergibt. Hinzu kommt, dass auch die von der Beigeladenen zu 1) eingereichten Pläne weder Größe noch Art oder Aufstellungsort der Maschinen zur Metallfertigung erkennen lassen.
Auf dieser nicht näher definierten Grundlage wird in der Lärmprognose für „die Produktionshalle“ ein Halleninnenpegel von 85 dB(A) angesetzt, ohne dass erkennbar wäre, welche Betriebsteile der Gutachter in seine Betrachtung einbezogen hat. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf einen derart unbestimmten Nutzungsumfang nicht nachvollziehbar. Es bleibt im Ungewissen, welche ggf. sehr lärmintensiven Arbeiten in welchem Umfang anfallen. Ohne konkretere Beschreibung, welche Arbeiten an welchen Metallbearbeitungsmaschinen durchgeführt werden sollen, erschließt sich nicht, wie es zu dem Halleninnenpegel von 85 dB(A) kommt und ob dieser realistischer Weise angesetzt ist.
Darüber hinaus verpflichtet der Bescheid die Beigeladene zu 1) in Nr. 3.b) der immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen zur Einhaltung von Immissionskontingenten bzw. reduzierten Immissionsrichtwerten, die durch den Betrieb „der Produktionshalle“ verursacht werden. Es ist unklar, ob hiermit der Gesamtbetrieb des Vorhabens der Beigeladenen zu 1) gemeint sein soll und damit für einen ausreichenden Lärmschutz der Antragstellerin gesorgt ist.
Die auf dieser unbestimmten Grundlage erteilte Genehmigung genügt damit nicht den Anforderungen des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Es ist für die Antragstellerin nicht ersichtlich, mit welchen Lärmimmissionen sie zu rechnen hat. Da im Rahmen der Anfechtungsklage der entscheidungserhebliche Zeitpunkt derjenige der letzten Behördenentscheidung ist, also der 12. Mai 2015, und die gravierenden Bestimmtheitsmängel nicht durch eine erläuternde Klarstellung der Beigeladenen zu 1) in der mündlichen Verhandlung behoben werden könnten (vgl. BayVGH, B.v. 8.10.2015 – 1 CS 15.1876 – juris Rn. 4), kann nicht von offenen Erfolgsaussichten ausgegangen werden, sondern der angegriffene Bescheid erweist sich bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, so dass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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