Baurecht

Vorbescheid, Verpflichtungsklage, Abgrenzung Innenbereich vom Außenbereich, Bauverbot nach Wasserschutzgebietsverordnung, Ablehnungsgrund

Aktenzeichen  9 ZB 21.2885

Datum:
27.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10674
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34, § 35
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2.

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 3 K 20.932 2021-09-20 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten, einer kreisfreien Stadt, die Erteilung eines Vorbescheids zur Errichtung eines Doppelhauses auf dem westlichen Teil des in seinem Eigentum stehenden Grundstücks FlNr. … der Gemarkung D …
Das Vorhabengrundstück erstreckt sich in Ost-West-Richtung auf etwa 130 m Länge und weist eine Breite von rund 25 bis 30 m auf. Es ist im östlichen Teil mit einem Wochenendhaus bebaut. Im Westen grenzt das Baugrundstück unmittelbar an die Zi … Straße sowie im Norden und Osten an Grundstücke (FlNr. … bzw. …), auf denen sich jeweils ein Einfamilienhaus befindet. Die südlich gelegenen Grundstücke sind vereinzelt mit Gartenhütten oder Nebengebäuden, im Südosten auch mit Einfamilienhäusern bebaut. Ein Bebauungsplan existiert nicht.
Die nach Ablehnung des beantragten Vorbescheids (mit Bescheid vom 17.4.2020) erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. September 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorhaben im Außenbereich liege und nach § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig sei, weil es öffentliche Belange beeinträchtige. Darüber hinaus habe die Bauaufsichtsbehörde den Vorbescheid auch zu Recht gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO versagt, weil ein Verstoß gegen das in der Wasserschutzgebietsverordnung R …tal geregelte Bauverbot gegeben sei. Eine Ausnahmeerteilung komme nicht in Betracht.
Mit seinem Zulassungsantrag verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Beklagte verteidigt das Urteil.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1521/17 – juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 8). Das ist nicht der Fall.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier jedenfalls nicht. Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids zu Recht sowohl aus bauplanungsrechtlichen Gründen als auch aufgrund der Verordnung der Stadt F … über das Wasserschutzgebiet R …tal der infra f … für die öffentliche Wasserversorgung der Stadt F … vom 6. Dezember 1999 (Wasserschutzgebietsverordnung R …tal infra – VWSR), nach der auf dem Vorhabengrundstück bauliche Anlagen nicht errichtet werden dürfen, verneint. Es hat auch keine im Ermessen der Beklagten stehenden Ausnahme- oder Befreiungsregelungen gesehen, die die Ablehnungsgründe beheben könnten, weshalb auch der auf Neuverbescheidung gerichtete Hilfsantrag unbegründet war.
1.1 Soweit sich der Kläger gegen die – vom Verwaltungsgericht zutreffend vorgenommene – Zuordnung des Baugrundstücks zum Außenbereich (§ 35 BauGB) wendet, dringt er mit seinem Zulassungsvorbringen nicht durch.
Maßgeblich ist insofern, ob ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils verwirklicht werden soll (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – juris Rn. 5 m.w.N.) ist ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs im Sinn dieser Vorschrift, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. „Bebauung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist dabei nicht jede beliebige bauliche Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 = juris Rn. 15). Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind, wobei es maßgeblich darauf ankommt, ob diese besonderen topografischen oder geografischen Umstände den Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zugehörigkeit einer Fläche zum Bebauungszusammenhang vermitteln. Wie weit der Bebauungszusammenhang im Einzelfall reicht, kann stets nur das Ergebnis einer Bewertung des konkreten Sachverhalts sein. Bei dieser Einzelfallbetrachtung ist zu fragen, ob sich tragfähige Argumente dafür finden lassen, mit denen sich die Anwendbarkeit der Vorschriften über den unbeplanten Innenbereich rechtfertigen lässt; fehlt es hieran, so liegt aus diesem Grund Außenbereich vor (BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – a.a.O. Rn. 6 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat diese Maßstäbe zugrunde gelegt und das klägerische Grundstück im Wege einer Gesamtbetrachtung plausibel als Außenbereichsgrundstück eingeordnet. Es hat unter Verweis auf die örtlichen Gegebenheiten, wie sie beim Augenschein festgestellt wurden und vom Senat auch anhand der in den Akten befindlichen Lagepläne bzw. Fotos nachvollzogen werden können, dargelegt, dass der Bebauungszusammenhang auf dem nördlich gelegenen Grundstück FlNr. … sowie im Osten auf dem Nachbargrundstück FlNr. … endet. Eine „Verklammerung“ im Sinn eines „übersprungenen Bebauungszusammenhangs“ hat es verneint und dabei im Wesentlichen auf die optische Wahrnehmbarkeit sowie das fehlende Gewicht der jeweiligen Bauwerke abgestellt. Zudem hat es die Bebauung im Süden (auf FlNr. … und …) sowie im Nordosten und Osten (auf FlNr. … und …) aufgrund der Grundstücksgrößen sowie des Gesamteindrucks als nicht in Beziehung zueinander stehende, regellose Einzelobjekte charakterisiert und daher mangels organischer Siedlungsstruktur als Teil einer Splittersiedlung – im Gegensatz zu einem Ortsteil i.S. des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB – bewertet (vgl. dazu BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 31.66 – BVerwGE 31,22 = juris Rn. 23; Bracher, in Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Aufl. 2022, Rn. 19.15 ff. m.w.N.).
Die Einwendungen des Klägers im Zulassungsverfahren, wonach das Baugrundstück dem Innenbereich zuzuordnen sei, führen nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils. Er macht insofern im Wesentlichen geltend, das Bestandsgebäude im östlichen Grundstücksbereich entfalte eine „verklammernde“ Wirkung mit der Bebauung entlang des halbringförmig verlaufenden V … Wegs, bei der es sich auch um keine Splittersiedlung, sondern um einen Bereich mit übergroßen, parkähnlichen Grundstücken und villenartiger Bebauung handle.
Soweit er sich auf eine verklammernde Wirkung des Wochenendhaues im östlichen Teil des Vorhabengrundstücks stützen will, überzeugt dies nicht. Das Verwaltungsgericht hat eine solche zu Recht abgelehnt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gehören dem Bebauungszusammenhang grundsätzlich nur Gebäude an, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden, wie etwa Garten- oder Wochenendhäuser, sind dagegen in aller Regel schon keine Bauten, die für sich genommen als ein die Siedlungsstruktur prägendes Element zu Buche schlagen (BVerwG, B.v. 7.6.2016 – 4 B 47.14 – juris Rn. 9; Bracher in Bracher/Reidt/Schiller, a.a.O., Rn. 19.5, jew. m.w.N.). Warum hier eine Ausnahme gelten soll, nachdem das Verwaltungsgericht das Bestandsgebäude als eher bedeutungslos und nicht ohne Weiteres wahrnehmbar charakterisiert hat, legt die Zulassungsbegründung nicht dar. Aus der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – juris) ergibt sich nichts Anderes. Die dort behandelte Frage, dass ein bebautes Grundstück auch dann zum Bebauungszusammenhang eines Ortsteils gehören kann, wenn die Bebauung nicht zur maßstabsbildenden näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks zählt, zwingt nicht zu dem vom Kläger gezogenen Schluss, dass das Bestandsgebäude hier einen Bebauungszusammenhang begründet. Das Verwaltungsgericht hat nicht allein auf die Unterschiedlichkeit der Bebauung abgestellt, sondern im Wesentlichen auch darauf, dass das Wochenendhaus kein hinreichendes Gewicht aufweist und optisch nicht in ausreichender Weise wahrnehmbar erscheint, was aber für die Herstellung eines Bebauungszusammenhangs erforderlich wäre.
Ebenso wenig überzeugen die Einwände gegen die Charakterisierung der unmittelbar angrenzenden Bebauung im Osten und Süden als Teil einer Splittersiedlung. Es fehlt bereits an der Auseinandersetzung mit den jeweiligen baulichen Anlagen (insb. auf FlNr. … … … und …). Die pauschale Behauptung, es handle sich in diesen Bereichen um eine relevante Bebauung auf übergroßen, parkähnlichen Grundstücken überzeugt bereits deshalb nicht, weil es sich nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts (vgl. Protokoll des Augenscheins) bei den dort vorhandenen Baulichkeiten teilweise um Gartenhäuser (etwa auf FlNr. … …) bzw. um Nebengebäude (FlNr. … …) handelt. Der Kläger setzt letztlich nur seine Einschätzung an die Stelle der überzeugenden Darlegungen in den Urteilsgründen, ohne diese dadurch zu erschüttern. Im Übrigen hätte selbst bei Annahme einer organischen Siedlungsstruktur begründet werden müssen, warum der Bebauungszusammenhang ausnahmsweise nicht am jeweils letzten Baukörper endet.
1.2 Der Einwand, die Baugenehmigung stelle keinen „Schlusspunkt“ der öffentlich-rechtlichen Zulässigkeitsprüfung eines Bauvorhabens dar, weshalb die Erteilung der Baugenehmigung nicht von einer wasserrechtlichen Ausnahmebewilligung abhängig gemacht werden könne, überzeugt ebenfalls nicht. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die Versagung des Vorbescheids auch auf Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO gestützt werden durfte. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde einen Bauantrag ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige, im Einzelfall nicht zum Prüfungsumfang gehörende, öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, was hier in Bezug auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6.1 VWSR der Fall ist. Dass diese nicht Gegenstand des vorliegenden vereinfachten Genehmigungsverfahrens (vgl. Art. 59 Satz 1 BayBO) sind, spielt keine Rolle (vgl. BayVGH, U.v. 11.11.2014 – 15 B 12.2765 – juris Rn. 18). Dem steht auch die im Zulassungsverfahren zitierte Entscheidung des Senats (U.v. 14.9.2018 – 9 B 15.1278 – juris) nicht entgegen. Vielmehr wird dort ausdrücklich klargestellt, dass der eingeschränkte Prüfumfang des Art. 59 Satz 1 BayBO die Befugnis der Baugenehmigungsbehörde unberührt lässt, über einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung ablehnend zu entscheiden, wenn der Bauantrag aus anderen Gründen keinen Erfolg haben kann (BayVGH, U.v. 14.9.2018 – 9 B 15.1278 – juris Rn. 43). Im Übrigen hatte die Baugenehmigungsbehörde im dortigen Verfahren von der Möglichkeit des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO keinen Gebrauch gemacht, so dass es auch aus diesem Grund an der Vergleichbarkeit fehlt.
Das Verwaltungsgericht hat auch die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 4 Abs. 1 VWSR geprüft und zutreffend verneint. Dabei hat es den klägerischen Vortrag, die Beklagte habe für andere Bauvorhaben Ausnahmen erteilt, ausführlich behandelt. Mit seinem Zulassungsvorbringen setzt der Kläger dem nichts Durchgreifendes entgegen. Er wiederholt im Ergebnis nur das erstinstanzliche Vorbringen zu vermeintlichen Bezugsfällen, ohne dadurch die Funktionslosigkeit der Verordnung oder das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausnahmeerteilung in Bezug auf das beantragte Vorhaben darzulegen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.1.2 und 9.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO)


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