Baurecht

Zulässigkeit einer Veränderungssperre

Aktenzeichen  2 NE 17.2189

Datum:
23.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10024
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, § 14 Abs. 1
GO Art. 47 Abs. 2, Art. 52 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Es stellt keine Verhinderungsplanung dar, wenn eine Gemeinde auf Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans reagiert, der diesen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. Liegt ein positives Planungskonzept vor, so begründet auch das inhaltliche Abweichen der Planung von einem früheren Bebauungsplanvorschlag keine Verhinderungsplanung. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ist unbegründet.
1. Der Antragsteller ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Es besteht die Möglichkeit, dass er durch die von der Antragsgegnerin erlassene Satzung über die Veränderungssperre in eigenen Rechten verletzt wird. Die Veränderungssperre bewirkt, dass in ihrem Geltungsbereich – und damit auch auf dem Grundstück des Antragstellers – grundsätzlich Vorhaben im Sinn des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen. Damit schränkt sie die aus dem Eigentumsrecht folgenden Nutzungsmöglichkeiten ein und berührt die aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Rechtsposition. Dem Antragsteller fehlt auch nicht das erforderliche Rechtschutzbedürfnis. Dieses würde nur dann fehlen, wenn sich die Inanspruchnahme des Gerichts als für den Rechtschutzsuchenden nutzlos oder als rechtsmissbräuchlich erweist. Dies ist hier nicht der Fall, weil einem Vorhaben des Antragstellers bei einem Erfolg seines Eilantrags nicht schon die Veränderungssperre entgegengehalten werden kann. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes sei für ihn von vornherein nutzlos. Der Zulässigkeit des Antrags steht hier ferner nicht entgegen, dass der Antragsteller auch Rechtschutz etwa gegen die Ablehnung einer Baugenehmigung bzw. eines Vorbescheids verfolgen kann und dabei auch die planungsrechtlichen Grundlagen Gegenstand gerichtlicher Prüfung werden können.
2. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO setzt voraus, dass dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, welche die Aussetzung des Vollzugs von Rechtsvorschriften hat, ist dabei in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG, B.v. 5.7.1995 – 1 BvR 2226.94 – BVerfGE 93, 181; BayVGH, B.v. 18.2.2004 – 2 NE 03.2479). Eine einstweilige Anordnung darf nur ergehen, wenn die dafür sprechenden Gründe so schwerwiegend sind, dass sie unabweisbar ist (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 47 Rn. 106 m.w.N.). Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens können für die Entscheidung nach § 47 Abs. 6 VwGO dabei von Bedeutung sein, wenn sie sich im Eilverfahren bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit überschauen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.1999 – 2 NE 99.1535 – juris; B.v. 7.8.2008 – 2 NE 08.1700 – juris) und sich die angegriffene Norm bereits im Eilverfahren als offensichtlich gültig oder ungültig erweist (vgl. Schmidt in Eyermann a.a.O., § 47 Rn. 106 m.w.N.). Bei offenem Verfahrensausgang sind die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Dabei sind alle in Frage kommenden Belange und widerstreitenden Interessen zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen.
a) Bei der summarischen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass die angegriffene Veränderungssperre offenkundig ungültig wäre.
aa) Der Antragsteller rügt einen formellen Mangel der erlassenen Veränderungssperre, weil in der bekannt gemachten Ladung zur Gemeinderatssitzung vom 14. September 2017 das Grundstück des Antragstellers FlNr. … nicht genannt worden sei.
(1) Sofern er damit einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen rügen möchte, liegt dieser nicht vor. Nach Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GO sind Zeitpunkt und Ort der Sitzungen des Gemeinderats unter Angabe der Tagesordnung, spätestens am dritten Tag vor der Sitzung, ortsüblich bekannt zu machen. Ob diese Anforderungen von der Antragsgegnerin im Einzelnen eingehalten worden sind, braucht indes nicht aufgeklärt zu werden. Denn ein etwaiger Verstoß dadurch, dass keine oder keine ordnungsgemäße ortsübliche Bekanntmachung erfolgt ist, würde nicht zur Ungültigkeit des in der Sitzung am 14. September 2017 gefassten Beschlusses führen. Die fehlende oder fehlerhafte Bekanntmachung würde „nur“ eine Behinderung der Teilnahme der Öffentlichkeit, aber keinen Ausschluss der Öffentlichkeit selbst darstellen (vgl. BayVGH, U.v. 3.3.2006 – 26 N 01.593 – juris m.w.N.). Im Übrigen war durch die Angabe „Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans H… Nr. …“ eindeutig und klar erkennbar, dass hier sämtliche im Planungsgriff liegenden Grundstücke, also auch für das Grundstück FlNr. …, eine Veränderungssperre erlassen werden sollte.
(2) Soweit der Antragsteller mit seinem Vortrag einen Fehler bei der Ladung rügen möchte, dringt er damit nicht durch. Die Anforderungen gem. Art. 47 Abs. 2 GO sowie der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin an eine ordnungsgemäße Ladung sind vorliegend eingehalten. § 23 Abs. 1 Satz 1 Geschäftsordnung sieht vor, dass die Gemeinderatsmitglieder schriftlich unter Beibringung der Tagesordnung zu den Sitzungen eingeladen werden. Zwar fehlte auch hier das Grundstück des Antragstellers in der Bezeichnung des 3. Tagesordnungspunkts. Jedoch wird dem Normzweck, dass sich die Gemeinderatsmitglieder hinreichend auf die Behandlung der Beratungsgegenstände vorbereiten können, ausreichend Rechnung getragen. Denn die Tagesordnung führt unter TOP 3 den Erlass einer Veränderungssperre auf, wobei ausdrücklich auf den „Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans H… Nr. …“ Bezug genommen wird. Damit konnten sich die Gemeinderatsmitglieder ausreichend auf die Sitzung vorbereiten.
bb) Auch in materieller Hinsicht begegnet die Veränderungssperre im Eilverfahren keinen Bedenken. Nach § 14 Abs. 1 BauGB darf eine Veränderungssperre nur erlassen werden, wenn die Gemeinde mit einem gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB bekannt gemachten und damit bauplanungsrechtlich beachtlichen Aufstellungsbeschluss ein Bebauungsplanverfahren eingeleitet hat. Außerdem muss die Planung beim Erlass der Veränderungssperre soweit konkretisiert sein, dass die Erforderlichkeit einer Sicherung gemäß § 14 BauGB beurteilt werden kann. Denn nur dann ist die Veränderungssperre „zur Sicherung der Planung“ erlassen worden.
Eine Veränderungssperre ist unzulässig, wenn sich der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise absehen lässt (vgl. BVerwG, B.v. 9.8.1991 – 4 B 135.91 – juris; BVerwG, B.v. 15.8.2000 – 4 BN 35.00 – juris), wenn die Gemeinde lediglich beschließt zu planen oder wenn die Gemeinde nur das städtebaulich Unerwünschte feststellt). Denn die nachteiligen Wirkungen einer Veränderungssperre sind nicht erträglich, wenn die Sperre zur Sicherung einer Planung dienen soll, die sich ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 13.03 – NVwZ 2004, 984). Umgekehrt ist nicht erforderlich, dass die Planung bereits einen Stand erreicht hat, der nahezu den Abschluss des Verfahrens ermöglicht. Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist nicht zu fordern. Auch das Abwägungsmaterial muss noch nicht vollständig vorliegen. Den Mindestanforderungen ist beispielsweise genügt, wenn die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre bereits einen bestimmten Baugebietstyp ins Auge gefasst hat. Die Art der baulichen Nutzung gehört zu den für die Bauleitplanung wichtigen Festsetzungselementen (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2000 a.a.O.). Es ist nicht erforderlich, dass der Planaufstellungsbeschluss bereits Aussagen über den sonstigen Inhalt der beabsichtigten Planung macht. Jedoch muss erkennbar sein, in welche Richtung die Planung geht.
Eine solche Planung liegt hier vor. Vorliegend lässt die Planung mehr als ein Mindestmaß an inhaltlichen Aussagen des künftigen Bebauungsplans H… Nr. … erkennen. Aus den Planunterlagen lässt sich ersehen, was Inhalt des zukünftigen Bebauungsplans sein soll. Durch die gegenständliche Planung sollen die gesamten bisher unbebauten Flächen zwischen der vorhandenen Wohnbebauung im Norden, Osten und Westen sowie der durch Bauleitplanung zugelassenen Wohnbebauung im Süden einer baulichen Nutzung als allgemeines Wohngebiet gemäß § 8 BauNVO zugeführt werden. Ausweislich der Unterlagen ist es das planerische Ziel der Antragsgegnerin, eine maßvolle Bebauung des Plangebiets im Sinn einer geordneten und nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung in Anlehnung an die in der Umgebung vorhandene städtebauliche Struktur zu steuern. Hierdurch soll dem Bedarf an dringend erforderlichem Wohnraum Rechnung und zugleich den übergeordneten Vorgaben der Raumordnung und Landesplanung bezüglich der vorrangig gebotenen innerstädtischen Nachverdichtung und des Grundsatzes zum Flächensparen entsprochen werden.
Die Veränderungssperre ist zur Erreichung des mit ihr verfolgten Sicherungszwecks auch erforderlich. Die durch die Veränderungssperre gesicherte Planung stellt entgegen der Ansicht des Antragstellers keine gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB verstoßende und daher unzulässige Verhinderungs- oder Negativplanung dar. Hierunter wird eine Planung verstanden, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, ohne dass die nach den Darstellungen bzw. Festsetzungen zulässigen Nutzungen in Wirklichkeit gewollt sind, sondern nur vorgeschoben werden, um andere Nutzungen zu verhindern (vgl. BayVGH, U.v. 19.11.2007 – 1 N 05.2521 – juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit jeder Regelung in einem Bauleitplan neben der zulassenden (positiven) Wirkung grundsätzlich auch eine ausschließende (negative) Wirkung verbunden ist. Eine Regelung kann selbst dann unbedenklich sein, wenn ihr Hauptzweck in der Verhinderung bestimmter städtebaulich relevanter Nutzungen besteht (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1990 – 4 NB 8.90 – DVBl. 1991, 445). Im Übrigen können positive Planungsziele auch durch negative Festsetzungen erreicht werden (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.1999 – 4 B 129.98 – BayVBl 1999, 410).
Der Gemeinde ist es nicht verwehrt, auf Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, der diesen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. Angesichts des soeben dargestellten positiven Planungskonzepts der Antragsgegnerin kann die Erforderlichkeit der Veränderungssperre nicht in Abrede gestellt werden. Der vom Antragsteller dargestellte Zeitablauf seit den Gesprächen zwischen den Parteien in der Vergangenheit sowie das inhaltliche Abweichen der gegenständlichen Planung von einem früheren Bebauungsplanvorschlag begründet keine Verhinderungsplanung der Antragsgegnerin. Denn gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB besteht kein Anspruch auf die Aufstellung von Bauleitplänen. Ein solcher Anspruch kann auch nicht durch Vertrag, wie z.B. den Notarvertrag vom 11. August 2006, begründet werden. Erst recht gibt es keinen Anspruch auf eine Bauleitplanung mit einem bestimmten Inhalt.
Der Antragsteller trägt vor, dass die Antragsgegnerin ihr gemeindliches Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 BauGB zum Vorbescheidsantrag seiner Tochter in der Bauausschusssitzung vom 25. Juni 2015 zu Unrecht verweigert habe. Für die Wirksamkeit der hier streitgegenständlichen Veränderungssperre ist dies jedoch irrelevant. Gleiches gilt für die Bezugnahme auf Fragen der faktischen Zurückstellung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138).
b) Nach alledem lässt der Vollzug der Veränderungssperre keine Auswirkungen auf den Antragsteller erwarten, die es rechtfertigen würden, die Veränderungssperre vorläufig außer Vollzug zu setzen. Der Antragsteller hat keine Gründe dargetan, die darauf schließen lassen, dass seine Rechte oder rechtlich geschützten Interessen ohne die vorläufige Außervollzugsetzung der Veränderungssperre in ganz besonderem Maße beeinträchtigt oder ihm selbst außergewöhnliche Opfer abverlangt würden. Er trägt zwar vor, dass das Landratsamt M* … bis heute einen gestellten Vorbescheidsantrag noch nicht verbeschieden habe. Er laufe Gefahr, dass bis zu einer Entscheidung im Normenkontrollverfahren durch den Bebauungsplan mit den beabsichtigten Festsetzungen vollendete Tatsachen zum Nachteil seines Grundstücks geschaffen werden. Durch die Verzögerung der Realisierung seines Vorhabens werden jedoch keine irreparablen Schäden begründet. Im Übrigen sind die sich aus der Versagung einer Baugenehmigung bzw. eines Vorbescheids und der unvermeidlichen Dauer eines anschließenden Rechtsstreits durch mehrere Instanzen ergebenden Verzögerungen eines Vorhabens und damit möglicherweise verbundene finanzielle Einbußen nicht ungewöhnlich, sondern treffen in gleicher Weise eine Vielzahl von Personen, die ihr jeweiliges Vorhaben entgegen einer Norm im Sinn von § 47 Abs. 1 VwGO verwirklichen wollen und denen regelmäßig ein längerer Rechtsstreit nicht erspart bleibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.


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