Europarecht

Abgas: Individualklage nach zuvor erfolgter An- und Abmeldung zur Musterfeststellungsklage hemmt die Verjährung und ist nicht rechtsmissbräuchlich

Aktenzeichen  11 O 148/19

Datum:
6.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31956
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Weiden
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 204 Abs. 1 S. 2, § 826, § 831 Abs. 1 S. 1
ZPO § 608 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die ursprünglich im EA 189 Motor verbaute Software stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 vom 20. Juni 2007 dar und fällt nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (Rn. 23) (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik stellt eine der Beklagten zurechenbare konkludente Täuschung des Kläufers dar. Diese Täuschungshandlung der Beklagten ist auch als sittenwidrig im Sinn des § 826 BGB zu qualifizieren.  (Rn. 27 und 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Kläger muss sich die gezogenen Nutzungen nicht anrechnen lassen. Dies widerspräche dem Gedanken des vollständigen Schadensersatzes nach sittenwidriger Schädigung und dem Gedanken des Verbraucherschutzes.  (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Meldet sich ein Verbraucher zunächst zur Musterfeststellungklage an und dann ab und erhebt er danach Individualklage, ist dies nicht rechtsmissbräuchlich. (Rn. 45 – 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger … € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit … zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW …, Fahrzeugidentifizierungsnummer: ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem … mit der Rücknahme des in Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von … € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig.
Der Kläger hat im letzten Schriftsatz ausgeführt, dass er sich zwar der Musterfeststellungsklage angeschlossen hatte, die Anmeldung zum Klageregister jedoch am … wieder zurückgenommen wurde. Dies blieb unbestritten.
Die streitgegenständliche Klage war bei Eingang des Klageschriftsatzes am … somit zulässig.
II.
Die zulässige Klage ist zum überwiegenden Teil begründet. Der Kläger kann von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags verlangen.
1. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte ergibt sich aus § 826 BGB.
a) In das streitgegenständliche Fahrzeug ist unstreitig der von der Beklagten hergestellte Motor EA 189 eingebaut worden, der zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrags eine gesetzlich unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 vom 20. Juni 2007 aufwies. Der von der Beklagten verwendete Mechanismus zur aktiven Unterdrückung der tatsächlichen Schadstoffemissionen im für die Betriebsgenehmigung des Fahrzeugs relevanten Prüfmodus stellt nach Auffassung der Kammer eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 vom 20. Juni 2007 dar. Nach der betreffenden Norm ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wobei die Regelung getragen wird von dem im Unionsrecht für die Auslegung maßgeblichen Sinn und Zweck, eine bessere Luftqualität durch eine tatsächliche Reduktion der Abgasemissionen von Kraftfahrzeugen zu erreichen (vgl. die Erwägungsgründe 6 ff. der EU-Verordnung 715/2007 vom 20. Juni 2007). Zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte hielt es die Kommission insbesondere für erforderlich, eine erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen zu erreichen (vgl. Erwägungsgrund 6 der EU-Verordnung 715/2007). Für die Kammer ist es selbstverständlich, dass der europäische Gesetzgeber im Rahmen der Festsetzung der Emissionsgrenzwerte nach Euro 5 und Euro 6 davon ausging, dass diese Grenzwerte auch im normalen Fahrbetrieb und gerade nicht nur auf dem Prüfstand eingehalten werden. Dies wird auch untermauert dadurch, dass in den Erwägungsgründen aufgeführt wird, dass weitere Anstrengungen unternommen werden sollen, um sicherzustellen, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen und dass Überprüfungen erforderlich sein können, um zu gewährleisten, dass die bei der Typengenehmigungsprüfung gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen (vgl. Erwägungsgründe 12 und 15 der EU-Verordnung 715/2007).
Demzufolge wären diese Erwägungen überflüssig, ginge der Gesetzgeber davon aus, dass sein Emissions-Regelwerk lediglich im Prüfstandmodus im Rahmen der Typengenehmigung eingehalten werden müsse. Ausnahmen von dem strikten Handlungsverbot in Gestalt des Verbots der Verwendung von Abschalteinrichtungen können sich demnach allein aus der Norm selbst ergeben (vgl. Landgericht Krefeld, Urteil vom 12.07.2017, Az.: 7 O 159/16, RdNr. 50, zitiert nach juris).
Die von der Beklagten verwendete Abschalteinrichtung fällt nach Auffassung der Kammer nicht unter den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007. Nach dieser Vorschrift sind Abschalteinrichtungen ausnahmsweise zulässig, wenn die Abschalteinrichtung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Diese grundsätzlich eng auszulegenden Ausnahmen sind vorliegend jedoch nicht einschlägig. Die auf den Schutz des Motors abzielende Privilegierung kann keine Grundlage dafür sein, eine Abschalteinrichtung regelmäßig auch bei solchen Betriebsbedingungen, die beim normalen, bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Personenkraftwagens typischerweise eintreten, anzuwenden (vgl. Landgericht Krefeld, Urteil vom 12.07.2017, Az.: 7 O 159/16, RdNr. 52 mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris). Die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung waren deshalb nicht gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019, Az.: VIII ZR 225/17, Rn. 5 ff., zitiert nach juris).
b) Den Umstand, dass in dem von ihr verwendeten Motor eine Abschalteinrichtung verbaut war, welche im Normalbetrieb des Fahrzeugs die auf dem Prüfstand erhöhte Verbrennung von Stickoxiden abschaltete, hat die Beklagte bis zu dem Zeitpunkt 23.09.2015, zu dem ihr damaliger Vorstandsvorsitzender öffentlich Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren eingestand, verschwiegen oder unterdrückt.
Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik stellt eine der Beklagten zurechenbare konkludente Täuschung des Klägers dar, de die Beklagte als Herstellerin damit die Erklärung abgibt, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist. Mit der unzulässigen Abschalteinrichtung hätte das Fahrzeug eine EU-Typengenehmigung jedoch nicht erhalten bzw. es drohte deren Widerruf.
Der Käufer eines Kraftfahrzeugs kann auch davon ausgehen, dass keine nachträgliche Rücknahme oder Änderung der notwendigen EG-Typgenehmigung droht, weil die materiellen Voraussetzungen bereits bei der Erteilung nicht vorgelegen haben. Entsprechend dieser selbstverständlichen Käufererwartung ist der Inverkehrgabe des Fahrzeugs deshalb der Erklärungswert beizumessen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung vorlagen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, Az.: 13 U 142/18, Rn. 13 m.w.N.)
c) Durch die Täuschung der Beklagten ist dem Kläger ein Schaden entstanden.
Schaden i.S. des § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage des Geschädigten, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2004, Az. II 402/02, Rn. 41; Urteil vom 28.10.2014, Az.: VI ZR 15/14, jeweils zitiert nach juris).
Hier liegt der Schaden des Klägers in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit. Allein maßgebend ist, dass der abgeschlossene Vertrag in Bezug auf die Eigenschaften des Kaufgegenstandes nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014, Az.: VI ZR 15/14, Rn. 16 ff., zitiert nach juris).
Beim Kauf im … war die Situation gegeben, dass die Softwaresteuerung des Motors des Fahrzeugs eine Überarbeitung benötigt hätte, um damit die unzulässige Abschalteinrichtung zu beseitigen. Deshalb drohte zu diesem Zeitpunkt die Untersagung der Nutzung des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen (§ 5 Abs. 1 FZV). Zwar war es zu diesem Zeitpunkt aufgrund der erteilten Typengenehmigung zugelassen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV). Es war jedoch nicht der Fortbestand der erteilten Typengenehmigung und damit die weitere Zulassung des Fahrzeugs gewährleistet. Dies ergibt sich zum einen aus dem Verhalten der zuständigen Genehmigungsbehörde und zum anderen aus den mittlerweile in einer Vielzahl von Fällen hinaus gegebenen Mitteilungen der Herstellerin des Fahrzeugs an die Käufer der betroffenen Fahrzeuge, dass, falls sie die Überarbeitung ihres Fahrzeugs nicht vornehmen ließen, ihre Halter- und Fahrzeugdaten an die für sie zuständige örtliche Zulassungsbehörde übermittelt würden und diese daraufhin die Einleitung von Maßnahmen, insbesondere die Untersagung des weiteren Betriebs des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen gem. § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) in eigener Zuständigkeit veranlassen könnten.
Demzufolge hätte ein Käufer, dem diese Problematik des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Kaufzeitpunkt in vollem Umfang bekannt gewesen wäre, das Fahrzeug nicht gekauft, da er bei konsequentem Handeln der zuständigen Behörden mit dessen unmittelbarer oder zumindest in absehbarer Zeit erfolgender Stilllegung aufgrund der darin verbauten Abschalteinrichtung hätte rechnen müssen. Gerade der Hauptzweck eines Kraftfahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu können, war damit bereits vor der (drohenden) tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet. Wird die EG-Typgenehmigung entzogen, droht die Stilllegung des Fahrzeugs, werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig, was bedeutet, dass im Auslieferungszustand ebenfalls ohne eine entsprechende Nachrüstung die Stilllegung des Fahrzeugs droht. Maßgeblich für die Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, ist allein der Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses. Das später von der Beklagten zur Erfüllung der vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelte Software-Update ist nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot der Schadenswiedergutmachung zu bewerten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, Az.: 13 U 142/18, Rn. 20, zitiert nach juris).
d) Die Täuschung durch die Beklagte war vorliegend auch kausal für den Vertragsschluss. Nach allgemeiner Erfahrung wird ein Fahrzeug in Kenntnis einer gegen gesetzliche Vorschriften verstoßenden Einrichtung, die die auf dem Prüfstand erzielte Verbrennung von Stickoxiden bei normalem Betrieb auf öffentlichen Straßen abschaltet und die eine Untersagung der Nutzung des Fahrzeugs befürchten lässt, von einem Kaufinteressenten nicht erworben. Diese auf dem üblichen Verhalten eines objektiven Käufers beruhende Annahme gilt vorliegend auch für den Kläger. Der Zweck eines Autokaufs ist grundsätzlich der Erwerb zur Fortbewegung im öffentlichen Straßenverkehr. Dass dies vorliegend beim Kläger nicht der Fall gewesen sein sollte, trägt die Beklagte nicht vor und ist auch mit den vom Kläger mit dem Fahrzeug bislang gefahrenen Kilometern nicht in Einklang zu bringen.
e) Die Täuschungshandlung der Beklagten ist auch als sittenwidrig im Sinn des § 826 BGB zu qualifizieren.
Objektiv sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung und den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15, Rn. 16, zitiert nach juris).
Das bewusste Inverkehrbringen einer mangelhaften Sache ist vorliegend als sittenwidrig zu werten. Zwar ist allein ein Handeln mit Gewinnstreben nicht als verwerflich zu beurteilen. Im vorliegenden Fall ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten jedoch aus folgenden zusätzlichen Umständen: Zum einen wurde die unzulässige Abschalteinrichtung in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns der Beklagten verbaut, so dass das Ausmaß der Täuschung und die Anzahl der getäuschten Personen in die Millionen geht. Auch die Art und Weise der Täuschung ist als verwerflich zu charakterisieren, da sich die Beklagte durch die dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge vorangegangene Täuschung der Typgenehmigungsbehörde das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch in die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, Az.: 13 U 142/18, Rn. 34, zitiert nach juris). Weitere Umstände für die Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten resultieren aus den den Käufern drohenden Schäden sowie der Inkaufnahme von erheblichen Umweltbeeinträchtigungen durch den Einbau der Abschalteinrichtung, da die Emissionen im Normalbetrieb der damit versehenen Fahrzeuge die zugelassenen Emissionen deutlich überstiegen. Überdies liegt nach Auffassung der Kammer eine vorsätzliche Täuschung seitens der Beklagten vor, mit dem Ziel, unter Ausnutzung der Fehlvorstellung der Kunden hohe Absatzzahlen zu erreichen.
f) Die Beklagte hat auch mit Schädigungsvorsatz und in Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, gehandelt.
Anders als vorsätzlich ist eine entsprechende Manipulation an der Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht denkbar. Zu beachten ist, dass es sich bei der Manipulation nicht um einen Einzelfall handelt, sondern um eine millionenfach von der Beklagten verbaute Software. Aus dem Verschweigen einer solchen, gegen die Typengenehmigung verstoßenden Einrichtung gegonüber jedem Käufer folgt, dass dessen Täuschung, Irrtum, Schaden und Entreicherung gewollt und der Beklagten auch bewusst gewesen ist.
Die pauschale Behauptung der Beklagten, Vorstandsmitglieder hätten von der millionenfachen Manipulation nichts gewusst, genügt nicht als substanziiertes Bestreiten der Kenntnis der Organe der Beklagten von der Manipulation bereits ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung der Programmierung im Jahr 2007. Nach Auffassung der Kammer obliegt der Beklagten vorliegend eine sekundäre Darlegungslast. Angesichts der in einem Konzern wie dem der Beklagten notwendigen Organisationsstrukturen und angesichts der grundsätzlich weitreichenden Entscheidung, ob und wenn ja, in welchem Umfang eine Abschalteinrichtung in Millionen von Fahrzeugen eingebaut wird, ist die pauschale Behauptung der Beklagten, Vorstandsmitglieder hätten von der Manipulation nichts gewusst, für ein wirksames Bestreiten der subjektiven Betrugsmerkmale nicht ausreichend. Die Beklagte beruft sich seit nunmehr fast drei Jahren allein darauf, dass innerbetrieblich eine Aufklärung der Verantwortlichkeit stattfinde, ohne konkret darzulegen, wer wann und in welchem Umfang von den Manipulationen gewusst hat und wer nicht. Allein die Beklagte kennt ihre inneren Strukturen und Abläufe. Daher ist anzunehmen, dass sie die nicht zu ihrer Vertretung berufenen Personen benennen kann, die für die Entwicklung und Einbau der Abschalteinrichtung verantwortlich gewesen sein sollen. Ebenso kann nur die Beklagte die Umstände erklären, aufgrund derer gerade den im Vorstand der Beklagten für die Entwicklung verantwortlichen Personen diese Programmierung unbekannt geblieben sein soll. Weiter ist dabei auch zu berücksichtigen und zu werten, dass die Beklagte – jedenfalls nach ihrem Sachvortrag – weiter der Auffassung zu sein scheint, das grundsätzliche Abschalten bzw. Zurückfahren der auf dem Prüfstand erhöhten Verbrennung von Stickoxiden während des normalen Betriebs der Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen verstoße gegen keine gesetzlichen Vorschriften. Diesem von der Beklagten behaupteten ehrlichen Verhalten widerspricht aber, dass sie nach wie vor von sich aus keine Auskünfte zu den Personen erteilt, die über die Verwendung der Programmierung entschieden haben. Nach Auffassung der Kammer gilt deshalb – mangels substanziiertem Bestreitens – die Kenntnis der Vorstandsmitglieder der Beklagten von den streitgegenständlichen Manipulationen als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Eine Haftung der Beklagten nach den §§ 826, 31 BGB für „verfassungsmäßig berufene Vertreter“ ist deshalb nach Auffassung der Kammer gegeben. Dabei ist der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ weit auszulegen, so dass danach auch Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, zu verstehen sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, Az.: 13 U 142/18, Rn. 48 m.w.N., zitiert nach juris).
g) Selbst wenn man nicht von einer Haftung der Beklagten gem. den §§ 826, 31 BGB ausgehen würde, stünde dem Kläger gegen die Beklagte ein gleichartiger Schadensersatzanspruch nach den §§ 831 Abs. 1 S. 1, 826 BGB zu. Unstreitig ist die Entscheidung für den Einsatz der Software in den für die Serienproduktion vorgesehenen Motoren von einem Arbeitnehmer der Beklagten erfolgt. Sollte dies nicht auf Veranlassung oder zumindest mit Kenntnis und Billigung eines Vorstandsmitglieds oder eines Repräsentanten i.S. des § 31 BGB erfolgt sein – wofür die Beklagte nach den §§ 826, 31 BGB haften würde -, wäre die Haftung für den Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 BGB gegeben. Dabei stehen selbst vorsätzliche unerlaubte Handlungen des Verrichtungsgehilfen noch in unmittelbarem Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen, wenn sie gerade die übertragene Hauptpflicht verletzen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, Az.: 13 U 142/18, Rn. 103 m.w.N., zitiert nach juris). Den nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zulässigen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht angetreten.
h) Die Beklagte haftet deshalb dem Kläger für den Ersatz seiner Schäden dergestalt, als ob der aufgrund der vorsätzlichen sittenwidrigen Täuschung erfolgte Kauf des Fahrzeugs und die Begleichung des Kaufpreises sowie die Übergabe unterblieben wären (§ 249 Abs. 1 BGB).
i) Dieser Anspruch ist nicht verjährt.
Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch.
Unbestritten vorgetragen wurde, dass der Kläger sich vor dem … der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte angeschlossen, bzw. sich zum Klageregister angemeldet hat und die Abmeldung am … erfolgte.
Gemäß § 608 Abs. 3 ZPO hat der Gesetzgeber gerade ein derartiges Vorgehen eines Verbrauchers gesetzlich vorgesehen, so dass, wenn ein Verbraucher von dieser ihm eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, dies nach Auffassung der Kammer – ungeachtet der Motive, weshalb sich der Verbraucher zunächst der Musterfeststellungsklage angeschlossen hat – nicht rechtsmissbräuchlich sein kann.
Konsequenz der Rücknahme der Anmeldung ist allerdings, dass die verjährungshemmende Wirkung der Anmeldung entfällt. § 204 Abs. 2 S. 1 BGB ordnet für diesen Fall an, dass die Hemmung sechs Monate nach der Rücknahme der Anmeldung endet. Da die streitgegenständliche Klage bereits unmittelbar nach der Rücknahme der Anmeldung erhoben wurde, ist keine Verjährung eingetreten.
j) Der Kläger muss sich die gezogenen Nutzungen nicht anrechnen lassen. Dies widerspräche dem Gedanken des vollständigen Schadensersatzes nach sittenwidriger Schädigung und dem Gedanken des Verbraucherschutzes (vgl. EuGH, Urteil vom 17.04.2008, Az.: C-404/06, zitiert nach juris).
Der europarechtliche Effektivitätsgrundsatz besagt, dass das innerstaatliche Recht die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschweren darf. Für den Fall von Verstößen gegen europäisches Typgenehmigungsrecht – wie vorliegend gegeben – haben die Mitgliedsstaaten Sanktionen festzulegen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen (vgl. Artikel 46 der Richtlinie 2007/46/EG bzw. Artikel 13 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
Der Effektivitätsgrundsatz gebietet nach Auffassung der Kammer deshalb auch die Ergänzung dieser öffentlich-rechtlichen Sanktionen durch die individuelle Rechtsdurchsetzung vor den Zivilgerichten (vgl. Dazu EuGH, Urteil vom 17.09.2002, LMRR 2002, 63, Rn. 63).
Gegen diese Grundsätze wurde verstoßen, wenn man vorliegend eine Pflicht zum Nutzungsersatz bejahen würde, da ein Nutzungsersatz den Schadensersatzanspruch des Klägers im wesentlichen Umfang „aufzehren“ würde. Verstöße gegen das EG-Typgenehmigungsrecht blieben damit zivilrechtlich fast folgenlos.
Im Hinblick auf die Wechselwirkung zwischen Effektivitätsgrundsatz und Nutzungsersatz hat der EuGH auch in anderer Konstellation im Hinblick auf das Ziel eines wirksamen Verbraucherschutzes die Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen verneint (vgl. EuGH, Urteil vom 17.04.2008, Az.: C-404/06, NJW 2008, 1433 ff).
Zum anderen würde ein Nutzungsersatz auch dem Zweck des Schadensersatzes widersprechen. Eine Vorteilsausgleichung steht unter dem Vorbehalt der Billigkeit. Eine Vorteilsausgleichung findet deshalb nicht statt, wenn sie den Schädiger unbillig entlasten würde. Objektiv unzumutbare Nutzungen dürfen deshalb im Rahmen der Vorteilsausgleichung grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 31.03.2006, Az.: V ZR 51/05).
Vorliegend stehen solche objektiv unzumutbaren Nutzungen im Raum, da die Benutzung eines Fahrzeugs ohne die Typgenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Ob die Typgenehmigung durch die illegale Abschalteinrichtung bereits erloschen war, wird zwar von der Beklagten bestritten und ist für den Anspruch nach § 826 BGB nicht entscheidend. Die Kammer tendiert jedoch zu dieser Rechtsauffassung und zu der Annahme, dass in der Inbetriebnahme eines Fahrzeugs ohne gültige Typgenehmigung ein gravierender Rechtsverstoß liegt, der mit der Inbetriebnahme verkehrsunsicherer Fahrzeuge vergleichbar ist
k) Der von der Beklagten, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, zu erstattende Kaufpreis in Höhe von … € ist ab dem … mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen, da sich die Beklagte ab diesem Zeitpunkt aufgrund ihres Schreibens (Anlage K3) vom … seit diesem Tag mit der Zahlung in Verzug befand, §§ 286, 288 BGB.
2. Aufgrund ihres Schreibens vom … (Anlage K 3) nach Ablauf der vom Kläger gesetzten Frist befindet sich die Beklagte auch seit … in Annahmeverzug, was demzufolge ebenfalls festzustellen war.
3. Die Beklagte ist aus den Gründen des § 826 BGB auch verpflichtet, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten entstandenen, nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Die Kammer geht von dem berechtigten Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr aus. Bezogen auf den geltend gemachten – berechtigten – Gegenstandswert ergeben sich vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von … €.
Dass insoweit Verzug eingetreten ist, wurde von Klägerseite nicht dargelegt. Hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs war die Klage deshalb abzuweisen.
Soweit höhere außergerichtliche Rechtsanwaltskosten auf der Basis einer 1,8 Gebühr geltend gemacht wurden, war die Klage ebenfalls abzuweisen. Der Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer über die Angemessenheit der Vergütung bedarf es hier nicht, weil es sich nicht um einen Streit zwischen Mandant und Anwalt handelt (vgl. OLG Köln, Urteil vom 20.02.2013, Az.: I-13 U 162/09, Rn. 36 m.w.N.; zitiert nach juris)
4. Nicht zuzusprechen waren die von dem Kläger für den Zeitraum ab 21.03.2014 geltend gemachten Zinsen gemäß § 849 BGB. Der Kaufpreis wurde dem Kläger nicht „entzogen“ im Sinne dieser Vorschrift, da der Kläger im Gegenzug ein – zwar mangelhaftes (siehe oben), jedoch uneingeschränki nutzbares – Fahrzeug erhielt. Hätte der Kläger den Kaufpreis in Kenntnis der streitgegenständlichen Manipulation nicht für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges eingesetzt, so hätte er ein anderes Fahrzeug zum täglichen Gebrauch erwerben müssen. Der Betrag des Kaufpreises hätte somit nicht zur gewinnbringenden Anlage zur Verfügung gestanden, weshalb vorliegend ein Zinsanspruch ausscheidet. Ein solcher Zinsanspruch würde gegen den Grundsatz verstoßen, dass sich ein Geschädigter am Schadensfall nicht über den Schaden hinaus bereichern können soll.
Insoweit war die Klage deshalb ebenfalls abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus den Vorschriften der §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich für den Kläger aus der Vorschrift des § 709 ZPO.


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