Europarecht

Asylantrag, Bescheid, Abschiebung, Abschiebungsanordnung, Anfechtungsklage, Abschiebungshindernis, Dublin, Migration, Mitgliedstaat, Vorabentscheidungsersuchen, Bundesamt, Hinterlegung, Einreise, Verpflichtungsklage, analoge Anwendung, Kosten des Verfahrens, Wiederaufgreifen des Verfahrens

Aktenzeichen  AN 17 K 21.50187

Datum:
24.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46712
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a)
AsylG § 34a
Dublin III-VO Art. 9, 20 Abs. 3, 17 Abs. 2, 3 As. 2 UAbs. 1

 

Leitsatz

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Juli 2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Sprungrevision wird zugelassen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 15. Juli 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten und ist demzufolge aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Über den hilfsweisen, auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots für Rumänien gerichteten Antrag war mangels Bedingungseintritt nicht mehr zu entscheiden.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Anfechtungsklage ist die allein statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids). Die erfolgreiche Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsfeststellung führt in der Folge zur inhaltlichen Prüfung der Asylanträge durch die Beklagte, so dass es eines auf die Durchführung eines Asylverfahrens gerichteten Verpflichtungsantrags nicht zusätzlich bedurfte (vgl. BVerwG, U.v. 1.7.2017 – 1 C 9.17 – NVwZ 2017, 1625; U.v. 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris; OVG Saarlouis, U.v. 25.10.2016 – 2 A 95/16 – juris Rn. 23). Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts über das Asylbegehren im Falle einer erfolgreichen Anfechtung der Unzulässigkeitsentscheidung ist erst recht nicht möglich; eine hierauf gerichtete Verpflichtungsklage wäre bereits unstatthaft (vgl. im Einzelnen VG Ansbach, U.v. 17.3.2020 – AN 17 K 18.50394 – juris; U.v. 18.1.2021 – AN 17 K 18.50780 – juris; U.v. 10.7.2020 – AN 17 K 17.51171 – juris).
Es ist davon auszugehen, dass die Klage innerhalb der in der Rechtsbehelfsbelehrungangegebenen Wochenfrist erhoben worden ist und damit nicht verfristet ist.
2. Die Anfechtungsklage begründet. Der Bescheid ist hinsichtlich all seiner Regelungen rechtswidrig und rechtsverletzend und damit aufzuheben.
a) Das Bundesamt hat den Antrag der Klägerin zu Unrecht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt. Da für die Klägerin lediglich ein Asylantrag vorliegt, scheidet § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als Rechtsgrundlage der Ziffer 1 des Bescheides vom 15. Juli 2021 von vorneherein aus; eine Folgeantragssituation nach § 71 AsylG liegt keinesfalls vor.
Der Antrag ist nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG unzulässig. Dies wäre dann der Fall, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung Nr. 604/2013 (EU) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Rumänien ist für die Behandlung des Asylgesuchs der Klägerin nach der Dublin III-VO nicht zuständig.
aa) Die Zuständigkeit Rumäniens ergibt sich nicht aus Art. 9 Dublin III-VO. Danach ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem die Familienangehörigen in Folge ihrer Zuerkennung von internationalen Schutzes aufenthaltsberechtigt sind, sofern die betreffenden Personen einen entsprechenden Wunsch schriftlich kundgetan haben. Zwar kann – jedenfalls nach der Mitteilung der rumänischen Behörden über DubliNet vom 28. Juni 2021, dass die Aufnahmebereitschaft wie am 14. Januar 2019 mitgeteilt, für die Eltern der Klägerin weiter besteht – davon ausgegangen werden, dass die Eltern (die gemäß Art. 2 Buchst. g) Dublin III-VO Familienangehörige der Klägerin sind) in Rumänien weiter aufenthaltsberechtigt sind, jedoch scheitert die Zuständigkeit Rumäniens für die Klägerin daran, dass die betroffenen Personen, d.h. die Eltern der Klägerin und die Klägerin selbst (vertreten durch ihre Eltern) den Wunsch, in Rumänien zusammengeführt zu werden, nicht geäußert haben. Diese wünschen im Gegenteil den Verbleib der gesamten Familie in Deutschland und haben eine Einverständniserklärung zur Zusammenführung in Rumänien nach Aktenlage – erwartungsgemäß – nicht abgegeben. Über das Erfordernis des schriftlich kundgetanen Wunsches kann nach Ansicht des Gerichts aufgrund des klaren Wortlauts des Art. 9 Dublin III-VO nicht hinweggegangen werden, auch wenn dies in den Fällen eines in einem anderen Staat nachgeborenen Kindes wie hier im Ergebnis dazu führt, dass der Aufenthaltsstaat von den Betroffenen letztlich ausgewählt werden kann (vgl. hierzu auch VGH Mannheim, B.v. 14.3.2018 – A 4 S 544/18 – BeckRS 2018, 3830 Rn. 11). Eine Einschränkung der Vorschrift des Art. 9 Dublin III-VO entgegen ihres ausdrücklichen Wortlautes scheidet nach Ansicht des Gerichts aus (a.A. BeckOK MigR/Thomann, Dublin III-VO Art. 9 Rn. 9 ff. mit Bezug auf VG Düsseldorf, B.v. 30.8.2016 – 13 L 2616/16.A, BeckRS 2016, 5854); die Regelung ist als gesetzgeberische Entscheidung hinzunehmen (ebenso OVG Schleswig, U.v. 7.11.2019 – 1 LB 5/19 – juris Rn. 28).
bb) Die Zuständigkeit von Rumänien ergibt sich für die Klägerin auch nicht aus Art. 20 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Dublin III-VO, wonach die Situation eines nachgeborenen Kindes untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden ist. Die Anwendung bzw. der Umgang mit Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO in der vorliegenden Konstellation eines nachgeborenen Kindes von Eltern mit Schutzstatus in einem anderen Mitgliedsstaat war und ist in der Rechtsprechung umstritten, wobei eine analoge Anwendung von Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO bislang meist angenommen worden ist (VGH Mannheim, B.v. 14.3.2018 – A 4 S 544/18 – BeckRS 2018, 3830; OVG Lüneburg, B.v. 26.2.2019 – 10 LA 218/18; BayVGH, B.v. 22.11.2018 – 21 ZB 18.32867; a.A. OVG Schleswig, U.v. 7.11.2019 – 1 LB 5/19 – jeweils juris). Ob im Falle einer (analogen) Anwendung von Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO der Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG oder Nr. 2 AsylG analog greift, wird ebenfalls unterschiedlich gesehen (vgl. einerseits VGH Mannheim, B.v. 14.3.2018 – A 4 S 544/18 – BeckRS 2018, 3830; OVG Lüneburg, B.v. 26.2.2019 – 10 LA 218/18 – juris; andererseits BayVGH, B.v. 22.11.2018 – 21 ZB 18.32867 – juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat seinem Urteil vom 23. Juni 2020 (1 C 37/19 – juris Rn. 15) festgestellt, dass allenfalls eine analoge Anwendung in Betracht kommen kann, auch insoweit Zweifel aber anklingen lassen und diese Frage offengelassen. Zu dieser Fragestellung ist zwischenzeitlich ein Vorabentscheidungsersuchen beim Europäischen Gerichtshof eingereicht worden (VG Cottbus, 24.12.2020, vgl. EuGH v. 26.5.2021 – C-720/20 – jeweils juris), über das noch nicht entschieden ist. Das erkennende Gericht hält in Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und dessen Ausführungen und die überzeugenden Ausführungen des Oberverwaltungsgericht Schleswig (U.v. 7.11.2019 – 1 LB 5/19 – jeweils juris) eine Anwendung von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO nicht für möglich (vgl. kritisch bereits VG Ansbach, B.v. 30.6.2021 – AN 17 K 20.50000 – juris Rn. 20). Eine analoge Anwendung kommt stets nur in Betracht, wenn eine vergleichbare Interessenslage vorliegt und eine planwidrige Regelungslücke gegeben ist. Von einer solchen planwidrigen Regelungslücke ist angesichts der Regelungen zur Familienzusammenführung in Art. 8 bis 11 Dublin III-VO schwer auszugehen. Die Art. 8 ff. Dublin III-VO greifen jedenfalls dann grundsätzlich ein, wenn ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, wie dies für die Klägerin der Fall ist. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO stellt durch seine systematische Stellung im Gesetz eigentlich eine Verfahrensregelung dar und kann nach Ansicht des Gerichts auch für mitreisende Minderjährige (Satz 1) bzw. das nachgeborene Kind (Satz 2) von Asylantragstellern, also von Referenzpersonen, die noch keinen Schutzstatus in einem anderen Staat haben, nur eingreifen, wenn keine Asylantragstellung für das Kind erfolgt. Sobald es zu einer Antragstellung für das Kind gekommen ist, ist der Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO nicht mehr eröffnet. Es entfällt auch dessen Schutzzweck, da dann jedenfalls über Art. 17 Abs. 1 oder Abs. 2 Dublin III-VO eine Wahrung des Familienverbunds – wo dies notwendig ist, weil sonst eine gegen Art. 8 EMRK, Art. 7 GrCh, Art. 6 GG verstoßende Trennungssituation vorläge – gewährleistet werden kann.
cc) Im vorliegend Fall führt auch Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht zur Zuständigkeit Rumäniens. Auch insofern fehlt es an der schriftlichen Zustimmung der betroffenen Personen. Ein im Rahmen einer Ermessensvorschrift, wie sie Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO darstellt, eher in Betracht kommendes Entgegenhalten einer missbräuchlich nicht erfolgten Zustimmung, scheidet im vorliegenden Fall jedenfalls aus, weil die Schwester der Klägerin, ein Kleinkind im Alter von knapp drei Jahren, ein Aufenthaltsrecht für Deutschland in Folge der Anerkennung subsidiären Schutzes hat und damit ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot für die Eltern und folglich auch für die Klägerin selbst besteht. Die Familienzusammenführung in Rumänien ist damit nicht zwingend vorrangig vor einer solchen in Deutschland.
dd) Mangels Eingreifen eines Unzulässigkeitstatbestandes liegt – trotz rechtzeitig gestelltem Aufnahmegesuchs nach Art. 21 Dublin III-VO und trotz der Zustimmung Rumäniens nach Art. 22 Dublin III-VO – keine Zuständigkeit von Rumänien vor. Es ergibt sich in dieser Situation eine Zuständigkeit Deutschlands nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO als dem Staat, in dem der Asylantrag der Klägerin gestellt worden ist.
b) In dieser Situation ist auch die Feststellung unter Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, rechtswidrig, da diese Feststellung verfrüht ergangen ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 8.3.2019 – 10 B 18.50031 – juris Rn. 21). Hinsichtlich Rumänien kommt eine Rückführung nach Aufhebung der Ziffer 1 des Bescheides nicht mehr in Betracht; hinsichtlich des Herkunftsstaates bzw. Staates der Staatsangehörigkeit der Klägerin (Syrien) hat eine Prüfung im nationalen Verfahren durch das Bundesamt erst zu erfolgen und kann die Feststellung in Bezug auf Syrien deshalb nicht aufrechterhalten werden.
c) Ebenso hat in dieser Situation die nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangene Abschiebungsanordnung keinen rechtlichen Bestand. Aufgrund der Zuständigkeit Deutschlands steht eine Durchführung der Abschiebung gerade nicht fest i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, sondern verbietet sich. Auf die Ausführungen unter 2a) wird insoweit verwiesen.
Selbst wenn von der Zuständigkeit Rumäniens – entgegen der hier vertretenen Rechtsansicht – auszugehen wäre, wäre die Abschiebungsanordnung hier aufzuheben, weil für die Klägerin ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vorliegt, das der Abschiebungsordnung entgegensteht (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris Rn. 4; BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris Rn. 9 m.w.N.). Auf die Ausführungen im ergangenen Beschluss vom 11. August 2021 (AN 17 S 21.50186) wird insoweit verwiesen. Dort wurde ausgeführt:
„Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich insbesondere aus einer aufgrund von Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK rechtlich unzulässigen Trennung von Familienangehörigen ergeben. Dies ist für die Antragstellerin, die erst rund zehn Monate alt und als Säugling auf die ständige Anwesenheit ihrer Eltern essentiell angewiesen ist, der Fall; eine Trennung von Eltern und Kind kommt rechtlich nicht in Betracht, sondern wäre mit Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK unvereinbar. Da die Eltern der Antragstellerin derzeit nicht nach Rumänien abgeschoben werden können, sondern für diese ein Abschiebungshindernis vorliegt, ergibt sich ein solches in der Folge auch für die Antragstellerin und steht der gegen sie ergangenen Abschiebungsanordnung entgegen.
Die Eltern der Antragstellerin sind zwar vollziehbar ausreisepflichtig; der Bescheid des Bundesamtes vom 10. Januar 2018 ist nach den gerichtlichen Entscheidungen vom 26. Januar 2018 und 26. März 2018 (AN 17 S 18.50054, AN 17 K 18.50055) vollziehbar und bestandskräftig und eine Abschiebung hieraus ist grundsätzlich weiter möglich. Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtswirkung auch nicht etwa durch Erledigung verloren. Sie wurde insbesondere noch nicht vollzogen und ist damit nicht verbraucht. Die Eltern und Brüder der Antragstellerin sind seit ihrer Ersteinreise nach Deutschland im November 2017 auch nicht freiwillig ausgereist, sondern haben sich seitdem ununterbrochen hier aufgehalten. Dies haben sie selbst angegeben; aus den beigezogenen Behördenakten ergeben sich auch keine gegenteiligen Anhaltspunkte.

Die Eltern der Antragstellerin können derzeit jedoch deshalb nicht nach Rumänien abgeschoben werden, weil für ihr weiteres Kind … …, geb. … 2019 in Deutschland, eine Rückführung nach Rumänien – gegen deren Willen – nicht möglich ist. Ein nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts notwendiges Übernahmeverfahren nach der Dublin III-VO (vgl. BVerwG, U.v. 23.6.2020 – 1 C 37/19 – juris) wurde nicht durchgeführt mit der Folge, dass zwischenzeitlich die Überstellungsfrist des § 29 Abs. 2 Dublin III-VO abgelaufen ist und … … deshalb nicht mehr (zwangsweise) nach Rumänien zurückgeführt werden kann. Ihr Asylantrag wird derzeit – nach Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 2019 – im nationalen Verfahren geprüft. Auch … … darf als Kleinkind mit erst zwei Jahren nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK rechtlich nicht von ihren Eltern getrennt werden. Zwar stellt die fehlende Ausreisepflicht eines Kindes für die Eltern nur ein inlandsbezogenes und nicht ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot dar und stehen inlandsbezogene Abschiebungshindernisse der Abschiebungsandrohung der Eltern – wie oben dargestellt – nicht entgegen, so dass sich für die asylrechtlichen Verfahren der Eltern der Antragstellerin hieraus kein Erfolg ergeben kann, der Umstand vielmehr erst in der Folge von der zuständigen Ausländerbehörde zu berücksichtigen ist. Für die Antragstellerin, für die keine Abschiebungsandrohung, sondern eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ergangen ist, sind jedoch zielstaatswie inlandsbezogene Abschiebungsverbote relevant. Das (offensichtlich) bestehende inländische Abschiebungsverbot ihrer Eltern im Verhältnis zu ihrer Schwester, wirkt sich damit – mittelbar – als (inlandsbezogenes) Abschiebungsverbot für die Antragstellerin aus. Die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 15. Juli 2021 ist damit aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten und wird im Rahmen der Anfechtungsklage voraussichtlich aufzuheben sein. …“
d) Aufzuheben ist schließlich auch die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes mit Befristung auf neun Monate ab der Abschiebung gem. §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Durch die Aufhebung der Abschiebungsanordnung ist das daran anknüpfende Einreiseverbot gegenstandslos geworden und, da ein unzutreffender Rechtsschein von der Anordnung ausgeht, mit aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung der erfolgreichen Klage beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11 ZPO, 711 ZPO.
4. Die Sprungrevision gegen dieses Urteil wird gemäß § 78 Abs. 6 AsylG, § 134 VwGO zugelassen. Die Rechtssache hat gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insofern grundsätzliche Bedeutung, als in Fällen nachgeborener Kinder von anerkannt Schutzberechtigten durch das Bundesverwaltungsgericht nicht abschließend geklärt ist, ob Art. 9 Dublin III-VO einschränkend dahin gehend auszulegen ist, dass es eines schriftlichen Wunsches zur Zusammenführung der Familie im Staat der Anerkennung der Eltern in der vorliegenden Konstellation nicht bedarf oder in dieser Situation auf Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO analog zurückgegriffen werden muss (offengelassen im U.v. 23.6.2020 – 1 C 37/19) oder – wie hier vertreten – eine Zuständigkeit des ersuchten Staates sowohl nach Art. 9 Dublin III-VO als auch nach Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO ausscheidet. Diese Frage hat fallübergreifende Bedeutung für alle Konstellationen von in einem Mitgliedsstaat international anerkannte Eltern (ersuchter Staat) mit in einem anderen Mitgliedstaat (ersuchender Staat) nachgeborenem Kind, für das ein Übernahmeverfahren nach Art. 21 Dublin III-VO vom Bundesamt fristgerecht durchgeführt worden ist.


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