Europarecht

Aufschiebende Wirkung, Verwaltungsgerichte, Streitwertfestsetzung, Antragsgegner, Prozeßbevollmächtigter, Antragstellers, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Hauptsacheverfahren, Warengattung, Warensortiment, Warenangebot, Ladengeschäft, Bestimmtheitsgebot, Eingegangene Schriftsätze, Beschwerdeentscheidung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Einlegung der Beschwerde, Rechtsschutzbedürfnis, bundesgesetzliche Regelung, Vertretungszwang

Aktenzeichen  B 7 S 21.234

Datum:
4.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7561
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
11. BayIfSMV § 12 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die mündliche Schließungsanordnung des Antragsgegners hinsichtlich des Ladengeschäfts der Antragstellerin in der … in … wird insoweit angeordnet, als mit der Schließungsanordnung der Antragstellerin auch der Verkauf von Lebensmitteln, Tierbedarf, Futtermitteln und Presseartikeln untersagt wurde.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die mündlich erteilte Schließungsanordnung eines Bediensteten des Landratsamts … bezüglich ihrer Filiale in der … in … Die Antragstellerin betreibt eine Kette von Einzelhandelsfilialen, in denen ein Mischsortiment angeboten wird. Im Zuge der weitgehenden Schließung von Einzelhandelsbetrieben aufgrund der Covid-19-Pandemie war auch die Filiale in … geschlossen worden. Aufgrund der zum 01.03.2021 in Kraft getretenen Änderungen der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) durch die Verordnung zur Änderung der 11. BayIfSMV vom 24.02.2021 öffnete die Antragstellerin ihre Filiale ab dem 01.03.2021.
Am 02.03.2021 erschien ein Bediensteter des Landratsamts … in der Filiale der Antragstellerin in der … in … Nach Begehung der Filiale teilte der Bedienstete mit, dass diese unverzüglich zu schließen sei. Auf fernmündliche Nachfrage der Antragstellerin begründete das Landratsamt dies im Wesentlichen mit einer Anordnung des zuständigen Ministeriums sowie damit, dass dem Landratsamt die Sortimentsliste der Antragstellerin vorliege. Das ausgewiesene Baumarktsortiment reiche für eine Öffnung indes nicht aus.
Mit am 03.03.2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenem Schriftsatz ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage gegen die Schließungsanordnung erheben (Az. B 7 K 21.235) und zugleich beantragen,
1.die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die vom Landratsamt … mündlich angeordnete sofortige Schließung der Einzelhandelsfiliale der Antragstellerin unter der Adresse …, …, anzuordnen.
2.Der Antragstellerin auf der Grundlage von § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zu erlauben, die Filiale unter der Adresse …, …, für den Publikumsverkehr zu öffnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragstellerin auf Grundlage von § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV in ihrer seit dem 01.03.2021 geltenden Fassung berechtigt sei, ihre Filialen im Freistaat Bayern und insbesondere auch in … zu öffnen und zu betreiben. Insbesondere sei die Antragstellerin dabei auch berechtigt, das gesamte von ihr vertriebene Sortiment zum Verkauf anzubieten. In § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV würden Bereiche des Einzelhandels genannt, für die keine Schließung angeordnet sei. Bei Ladengeschäften, die wie die Antragstellerin ein Mischsortiment führen würden, sei eine Öffnung ausweislich der „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie nach dem Schwerpunktprinzip zu beurteilen. Sie könnten demnach insgesamt öffnen, wenn der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit (mehr als 50%) im erlaubten Bereich liege. Die in Rede stehende Filiale der Antragstellerin erfülle diese Voraussetzungen. Hierzu werde eine Sortimentsliste vorgelegt, aus der hervorgehe, dass in der Filiale in … 53,9% des vorgehaltenen Sortiments einer erlaubten Warengattung aus § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV zuzuordnen sei. Der Antragsgegner habe im Übrigen keinerlei konkrete Feststellungen zum Warensortiment getroffen oder dessen Zusammensetzung beanstandet.
Der Eilantrag sei statthaft, da die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das auf § 12 der 11. BayIfSMV gestützte Verbot kraft bundesgesetzlicher Regelung entfalle. Die in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung falle zugunsten der Antragstellerin aus. Die Schließungsanordnung des Antragsgegners sei rechtswidrig, da die Filiale der Antragstellerin die Voraussetzungen einer uneingeschränkten Ladenöffnung nach § 12 Abs. 1 Satz 2 der  11. BayIfSMV erfülle. Der Anteil der erlaubten Waren am Gesamtsortiment belaufe sich auf 53,8%. Der Antragsgegner habe zu keiner Zeit die Filiale der Antragstellerin in Augenschein genommen. Die Schließungsverfügung sei bereits vor Ort nach einer wenige Minuten andauernden Begehung der Verkaufsstelle erfolgt.
Auch der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung sei begründet. Mit der Anordnung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO werde ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch verwirklicht, der schon deshalb bestehe, weil die Antragstellerin kraft Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs nicht zur Hinnahme der aus dem Vollzug des Verwaltungsakts folgenden Beeinträchtigung ihrer Rechte verpflichtet sei.
Mit ergänzender Stellungnahme vom 04.03.2021 trägt der Bevollmächtigte weiter vor, dass die Stückzahlen in der Sortimentsübersicht sich nicht auf einzelne Gegenstände, sondern die Anzahl der Packungen beziehe. Es gebe vor Ort kein Lager, sondern alle gelisteten Artikel würden sich tatsächlich in der Filiale im Kundenraum befinden. Die inmitten stehenden Auslegungsfragen hätten ihren Ursprung letztlich darin, dass der Antragsgegner im Kontext der 11. BayIfSMV erhebliche Unklarheiten bezüglich der verordnungsrechtlichen Anordnungen hinterlasse. Letztlich habe der Antragsgegner das Vorliegen der Voraussetzungen für einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Antragstellerin darzutun. Es könne nicht überzeugen, der Antragstellerin das Risiko aufzubürden, ob sie sich durch die Ausübung ihrer unternehmerischen Tätigkeit der Gefahr einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgung aussetze.
Im Anhang zum Eilantrag findet sich eine mit „Sortimentsübersicht 4581 … – …“ übertitelte Tabelle. Diese beinhaltet insbesondere eine Spalte mit Produktkategorien (z.B. Accessoires, Baumarkt, Bürobedarf, Drogerie etc.), eine Spalte „Gesamtbestand Stk“ mit entsprechenden Zahlen, eine Spalte „Anteil Gesamtbestand Stk“ mit Prozentangaben sowie eine Spalte „Anteil relevante Stk“. Die Spalte „Anteil relevante Stk“ führt auf, dass sich die Stückzahlen der Kategorien Baumarkt (20,9%), Drogerie (19,1%), Gartenmarkt (6,2%), Lebensmittelhandel (5,9%) und Tierbedarf (1,8%) auf insgesamt 53,9% des Gesamtsortiments summieren würden.
Mit am 04.03.2021 eingegangenem Schriftsatz beantragte das Landratsamt …für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt es aus, bei der Begehung der Filiale in der … durch den Sachbearbeiter des Landratsamts … sei durch die Marktleitung ein Sortimentsbericht vorgelegt worden, aus dem hervorgehe, dass von einem Gesamtbestand von 93.247 Einzelartikeln unter anderem 19.482 Artikel Baumarktartikel sein sollten. Dies erscheine aufgrund der Ortseinsicht deutlich zu hoch gegriffen. Klassische Baumarktartikel, wie sie vorwiegend in Baumärkten zu finden seien, wie Fliesen, Bodenbeläge, Sanitärartikel etc., seien nicht vorhanden gewesen. Dagegen hätten sich vorwiegend Dekorationsartikel für den Innen- und Außenbereich gefunden, wie übergroße Plastikfiguren oder Blumentöpfe. Das angegebene Mischsortiment mit den in der Übersicht angegebenen zugelassenen Kategorien sei auch nicht von dem Sortiment, Haushaltswaren etc., so abgegrenzt, dass diese Waren in einer eigenen Abteilung angeboten werden konnten bzw. könnten. Vom Sachbearbeiter habe aufgrund eines Rundgangs durch das Ladengeschäft optisch vom Gesamteindruck her nicht festgestellt werden können, dass vom erlaubten Sortiment der überwiegende Anteil Baumarktartikel sein sollten. Daher sei die mündliche Anordnung ergangen. Dies sei rechtmäßig erfolgt. Da der Schwerpunkt des angebotenen Mischsortiments nicht unter den erlaubten Bereich falle, gelte für die Filiale der Antragstellerin, dass sie zwar öffnen dürfe, aber nur das erlaubte Sortiment verkaufen.
Dabei könne bei der Beurteilung des Warensortiments nicht auf Stückzahlen abgestellt werden. Ein Artikel der gleichen Art könne nur ein Mal (nicht bspw. neunzig Mal) gezählt werden. Der Gesamteindruck deute darauf hin, dass überwiegend nicht erlaubtes Sortiment verkauft werde. Das Unternehmen werbe im Internet damit, „alles für Dekoration, Party, Schreiben und vieles mehr“ zu verkaufen. Es erscheine daher fragwürdig, dass diese drei explizit beworbenen Produktgruppen nur einen geringen Teil des Sortiments ausmachen würde, wohingegen der Anteil für Baumarkartikel für ein Unternehmen, das einen Schwerpunkt auf Deko-, Party- und Schreibwarenartikeln habe, hochgegriffen erscheine. Auch der Anteil von Lebensmitteln erscheine hoch angesichts der Tatsache, dass im Online-Shop Lebensmittel gar nicht als Kategorie geführt würden. Diese Einschätzung habe sich bei der Ortseinsicht bestätigt.
Mit der Schließung habe auch nicht abgewartet werden können. Die Schließung der Filiale führe zu einer Vermeidung zahlreicher zufälliger Kontakte und trage dazu bei, die Infektionsdynamik einzugrenzen. Die Ladenöffnung bei nicht zugelassenem Sortiment erfülle einen Bußgeldtatbestand. Neben der Belehrung über die Ordnungswidrigkeit sei aus den genannten Gründen auch die Schließungsverfügung erforderlich und insoweit verhältnismäßig gewesen, als dass die im Ladengeschäft anwesenden Kunden noch abkassiert hätten werden können.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Ihm ist daher teilweise stattzugeben.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung – hier § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG – zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes und dem Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse der Antragstellerin regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Bei summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die Klage der Antragstellerin gegen die mündliche Schließungsanordnung vom 02.03.2021 teilweise Erfolg haben wird.
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage war die Schließungsanordnung vom 02.03.2021 insoweit voraussichtlich rechtswidrig, als der Antragstellerin mit der Anordnung, das Ladengeschäft insgesamt zu schließen, auch der Handel mit Lebens- und Futtermitteln sowie Tierbedarf untersagt wurde. Diesbezüglich ist die Antragstellerin in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV untersagt grundsätzlich jede Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr für Handels-, Dienstleistungs- und Handwerksbetriebe. Ausgenommen sind nach Satz 2 hiervon jedoch der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Pfandleihhäuser, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, Blumenfachgeschäfte, Gartenmärkte, Gärtnereien, Baumschulen, Baumärkte, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel.
Dem Wortlaut nach sind von Satz 2 in erster Linie die Verkaufsstellen bestimmter Einzelhandelskategorien erfasst, die sich durch ein typisches Warenangebot und eine typische Struktur voneinander unterscheiden. So lassen sich Ladengeschäfte in der Regel eindeutig in den Kategorien z.B. „Apotheke“, „Drogerie“, „Gärtnerei“ oder „Baumarkt“ einordnen. Die aufgeführten Verkaufsstellen weisen neben ihrem spezialisierten Produktangebot häufig auch bauliche Eigenheiten auf, die der Verordnungsgeber zum Teil ausdrücklich bei der Entscheidung über ihren Einbezug in die Ausnahmevorschrift berücksichtig hat. So wurde die Öffnung von Baumärkten ausweislich der Begründung der Verordnung zur Änderung der  11. BayIfSMV vom 24.02.2021 ausdrücklich auch deshalb für infektiologisch vertretbar gehalten, weil Baumärkte regelmäßig großflächig angelegt seien, außerhalb der Innenstädte liegen und zudem über einen Außenbereich verfügen würden. Dem Wortlaut nach stellt § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV somit explizit auf die einzelnen Einzelhandelskategorien ab und gerade nicht (nur) auf die dort verkauften Waren.
Offener ist der Wortlaut nur, was den „Lebensmittelhandel“, den „Verkauf von Presseartikeln“, „Tierbedarf“ und „Futtermittel“ angeht. Insoweit knüpft die 11. BayIfSMV nicht an eine Einzelhandelskategorie mit bestimmten Eigenarten an, sondern unmittelbar an „privilegierte Produkte“, denen der Verordnungsgeber damit für den täglichen Bedarf der Bevölkerung einen besonderen Stellenwert zuordnet, und für deren Verkauf grundsätzlich jedes Ladengeschäft öffnen darf, unabhängig davon, welcher Kategorie es zugehört. Das heißt im Umkehrschluss, dass Ladengeschäfte, die keiner der ausdrücklich genannten Einzelhandelskategorien zuzuordnen sind, ausschließlich Produkte der genannten Art verkaufen dürfen – im Übrigen unterfallen sie der Schließungsanordnung nach Satz 1. Der 11. BayIfSMV ist hingegen nicht entnehmbar, dass Produkte einer zulässigerweise geöffneten Einzelhandelskategorie (z.B. Heimwerkerbedarf als Baumarktware) auch in einem Ladengeschäft verkauft werden dürften, das nicht der entsprechenden Kategorie zugehörig ist.
Demgemäß kann ein Ladengeschäft nur dann unter Satz 2 gefasst werden, wenn es seinem Gesamtgepräge nach einer der dort genannten Einzelhandelskategorien zuzuordnen ist (vgl. auch VG Bremen, B.v. 2.4.2020 – 5 V 596/20 – juris Rn. 34), oder soweit es ausschließlich Presseartikel, Tierbedarf, Futter- oder Lebensmittel verkauft.
b) Daran gemessen unterfällt die Filiale der Antragstellerin in … nicht der Ausnahmevorschrift des § 12 Abs. 1 Nr. 2 der 11. BayIfSMV. Der übersandten Warenliste und der Sortimentsübersicht nach lässt sich die Filiale keiner der Kategorien nach § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV eindeutig zuordnen, auch wenn sich das Warenangebot zum Teil mit demjenigen einer Drogerie, eines Bau- oder Gartenmarktes überschneidet. Die Filiale ist erkennbar keine jener typischen Verkaufsstellen, sondern als Mischbetrieb zu klassifizieren. Dort werden ebenso z.B. Haushaltswaren, Dekorationsartikel und Textilien vertrieben. Damit liegt auch ersichtlich kein „sonstiges für die tägliche Versorgung unverzichtbares“ Ladengeschäft i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV vor.
Da Mischbetriebe in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV gerade nicht aufgeführt sind, unterfällt das Ladengeschäft als Ganzes zunächst dem Öffnungsverbot nach Satz 1. Jedoch ist die Öffnung zulässig, soweit die Antragstellerin ausschließlich Lebensmittel, Futter, Tierbedarf und Presseartikel verkaufen möchte. Insoweit unterfällt sie – wie jedes Ladengeschäft – der Ausnahmevorschrift nach Satz 2 hinsichtlich der dort privilegierten Produktgruppen. Diese hätten von der Schließungsanordnung ausgenommen werden müssen.
c) Eine weitergehende Auslegung des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV dergestalt, dass bei Mischbetrieben nach dem Anteil „erlaubter Waren“ differenziert werden müsste, verbietet sich aus verschiedenen Gründen. Zum einen verdeutlicht § 12 Abs. 1 Satz 3 der 11. BayIfSMV, wonach der Verkauf von Waren, die über das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts hinausgehen, untersagt ist, dass die ausnahmsweise Öffnung nach Satz 2 eng auf den Kernbereich der jeweiligen Einzelhandelskategorie bzw. die privilegierten Produkte begrenzt ist. Im Übrigen zeichnet sich ein Mischbetrieb gerade dadurch aus, dass er kein „übliches Sortiment“ besitzt, sondern ein wechselndes Warenangebot ganz unterschiedlicher Art führt. Auch insofern wird deutlich, dass Mischbetriebe der Systematik des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV in ihrer derzeitigen Gestalt nicht entsprechen. Würde man hingegen gerade die Vielzahl an unterschiedlichsten Produkten als „übliches Sortiment“ eines Mischbetriebs sehen, würde dies zu einer Überprivilegierung des Mischbetriebs gegenüber den ausdrücklich in Satz 2 genannten, in ihrem Warenangebot spezialisierten Einzelhandelsbetrieben führen.
Zum anderen ist die Vorschrift auch bereits deshalb eng zu sehen, weil sie eine Ausnahme von der allgemeinen Schließungsanordnung aus Satz 1 vorsieht. Das Öffnungsverbot erfolgte im Interesse der Bekämpfung einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite und besitzt auch aus diesem Blickwinkel heraus ein Gewicht, das es gebietet, Ausnahmen hiervon (die weitere Ansteckungen mit SARS-CoV-2 ermöglichen) restriktiv zu handhaben.
Vor allem jedoch würde eine über die Wortlautgrenze hinausreichende Auslegung des Satz 2 dazu führen, dass die Norm dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot nicht mehr genügen würde.
Die von den Beteiligten mit Verweis auf die „FAQ Corona und Wirtschaft“ vorgebrachte „50%-Grenze“ für Mischbetriebe findet in der 11. BayIfSMV keine Stütze. Dem Wortlaut der 11. BayIfSMV ist der oben ausgeführte Inhalt klar zu entnehmen; eine an „erlaubte Produkte“ anknüpfende Regelung zu Mischbetrieben jedoch gerade nicht. An dieser Stelle wird durch die FAQ eine Sonderregelung geschaffen, die über den klaren Wortlaut von § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV hinausgeht und für die der Wortlaut keinen Anhaltspunkt bildet (vgl. VG Augsburg, B.v. 25.1.2021 – Au 9 S 21.115 – juris Rn. 40). Die „FAQ“ entfalten keinerlei rechtliche Bindungswirkung und sind insoweit eine behördeninterne Auslegungshilfe mit allenfalls informativem Aussagewert (vgl. VG Augsburg, B.v. 28.1.2021 – Au 9 E 21.129 – juris LS 4 und Rn. 37). Die dort ausgeführte und offenbar von den Beteiligten aufgenommene Lesart des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV würde zudem eine Vielzahl offener Fragen aufwerfen: so wäre völlig offen, an welchem von vielen möglichen Kriterien die 50%-Grenze zu bemessen wäre – der absoluten Warenmenge, der Anzahl von Waren einer unterschiedlichen Kategorie, der in Anspruch genommenen Regalmenge, dem Wert der Waren, dem Anteil am Umsatz, den optischen Eindruck der Präsentation der Waren im Ladengeschäft usw. Weiter wäre unklar, welche zeitliche Dimension der Betrachtung zugrunde liegen müsste, ob z.B. nur auf das Warenangebot im Zeitpunkt einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung abzustellen wäre, auf das durchschnittliche Warenangebot o.Ä. Gerade bei (saisonal oder nachfragebedingt) schwankendem Produktangebot könnten unterschiedliche Anknüpfungspunkte in dieser Hinsicht zu sehr unterschiedlichen Bewertungen führen.
Nach dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gründenden Bestimmtheitsgebot müssen normative Regelungen wie z.B. Rechtsverordnungen so gefasst sein, dass der Betroffene seine Normunterworfenheit und die Rechtslage so konkret erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag (BVerfG, B.v. 9.4.2003 – 1 BvL 1/01 – BVerfGE 108, 52). Die Anforderungen an die Normenklarheit sind dann erhöht, wenn die Unsicherheit bei der Beurteilung der Gesetzeslage die Betätigung von Grundrechten erschwert. Sieht eine Rechtsverordnung – wie hier § 28 Nr. 11 der 11. BayIfSMV – die Ahndung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit vor, gilt hier ein strenger Maßstab. Unter dem Gesichtspunkt der Normenklarheit hinreichend bestimmt i.S.d Art. 103 Abs. 2 GG ist eine Norm, wenn jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten verboten ist (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 20 NE 21.162 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Bereits die oben nur beispielhaft aufgezeigten Fragen verdeutlichen, dass eine Erweiterung des § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV auf Mischbetriebe einer ausdrücklichen Regelung des Normgebers bedürfte, damit der in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG Betroffene absehen könnte, ob er mit der Öffnung seines Ladengeschäfts gegen das – immerhin bußgeldbewehrte – Öffnungsverbot nach § 12 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV verstieße oder nicht. Das Gericht ist auch weder gehalten, noch ist es befugt, dieses weitergehende Regelungsbedürfnis zu befriedigen, indem es die Norm über die Wortlautgrenze hinaus auslegt. Es ist vielmehr alleinige Aufgabe des Normgebers, auf die Unstimmigkeiten, die sich aus dem Wortlaut der Norm bei konsequenter Anwendung ergeben mögen, zu reagieren und Fälle wie denjenigen der Antragstellerin zum Anlass zu nehmen, ggf. Öffnungskriterien auch für Mischbetriebe festzulegen, oder den Ausnahmetatbestand des Satz 2 nicht an Einzelhandelskategorien, sondern den dort typischerweise vertriebenen Produkten festzumachen („Drogeriebedarf“ statt „Drogerie“). Nachdem dies bislang nicht erfolgt, ist, obwohl anzunehmen sein dürfte, dass dem Verordnungsgeber die Situation von Mischbetrieben bewusst ist, ist auch nicht vom Vorliegen einer (planwidrigen) Regelungslücke auszugehen, sondern von einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung, über die sich das Gericht nicht hinwegsetzen kann. Die Entscheidung des Normgebers, nur spezielle Einzelhandelskategorien sowie einzelne besonders versorgungsrelevante Produktgruppen von den weitgehenden Schließungen des Einzelhandels auszunehmen, stellt eine umfassende Regelung dar, die gerade auch hinsichtlich der Mischwaren eine eindeutige Zuordnung ermöglicht (s.o.).
d) Nach alledem war die Schließungsanordnung des Landratsamts … voraussichtlich nur insoweit rechtswidrig, als mit der Schließung des Ladengeschäfts der Antragstellerin auch der Verkauf von Lebensmitteln, Futter, Tierbedarf und Presseartikeln untersagt wurde. Insoweit überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Im Übrigen bleibt der Eilantrag erfolglos.
2. Soweit die Antragstellerin darüber hinaus Vollzugsfolgenbeseitigung begehrt, ist der Antrag bereits unzulässig, weil ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür nicht ersichtlich ist.
3. Da die Beteiligten jeweils zum Teil obsiegen und unterliegen, werden die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben (§ 155 Abs. 1 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben