Europarecht

Bescheid, Versorgung, Bundesnetzagentur, Kommission, Befreiung, Auslegung, Netzbetreiber, Netzentgelte, Netzkosten, Neubescheidung, Netzentgelt, Voraussetzungen, Beihilfe, StromNEV, Kosten des Beschwerdeverfahrens, staatliche Beihilfe, Sinn und Zweck

Aktenzeichen  Kart 13/18

Datum:
14.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 51996
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Bescheide der Landesregulierungsbehörde vom 24.09.2018, Az. GR-5939a/17/1 betreffend die Umspannebene Mittelspannung / Niederspannung und betreffend die Umspannebene Hochspannung / Mittelspannung wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendigen Kosten der Beschwerdegegnerin zu tragen.

Gründe

I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen den Umfang der aufgrund einer Entscheidung der Europäischen Kommission erfolgten teilweisen Rücknahme von Bescheiden über die Befreiung von Netzentgelten.
Die Beschwerdeführerin ist Herstellerin von PVC-Rohstoffen und betreibt mehrere Produktionsstandorte. Am Produktionsstandort im Chemiepark G. sie an das Stromnetz der I. G. Netze GmbH angeschlossen, welches zuvor von der I. GmbH und Co. G. KG betrieben wurde. Die drei Stromentnahmepunkte der Beschwerdeführerin verteilen sich auf die Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung, die Mittelspannungsebene und die Umspannebene Mittelspannung/ Niederspannung.
Die Regierung von Oberbayern als damalige Landesregulierungsbehörde genehmigte auf Antrag der Beschwerdeführerin mit drei Bescheiden vom 08.08.2012 auf der Grundlage von § 19 Abs. 2 Sätze 2, 3 StromNEV 2011 (Anlagenkonvolut BF 5) die Befreiung von den Netzentgelten für die „Abnahmestellen“ – Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung, mit Wirkung ab 04.08.2011 – Mittelspannung, mit Wirkung ab 01.01.2012 – Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung, mit Wirkung ab 04.08.2011 Die Netzentgeltbefreiungen standen unter dem Vorbehalt, dass die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 in den einzelnen Kalenderjahren tatsächlich eintreten. Soweit die Voraussetzungen nicht eintreten, hatte die Abrechnung der Netznutzung nach den für das Stromverteilernetz des Netzbetreibers allgemein gültigen Netzentgelten zu erfolgen.
In den Jahren 2012 und 2013 zahlte die Beschwerdeführerin trotz der erteilten Netzentgeltbefreiungsbescheide zunächst für alle drei „Abnahmestellen“ weiter das allgemeine Netzentgelt.
An den „Abnahmestellen“ Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung und Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung lagen die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 in den Kalenderjahren 2012 und 2013 vor. Am 27.12.2013 erstattete der Netzbetreiber der Beschwerdeführerin für diese beiden „Abnahmestellen“ die in den Kalenderjahren 2012 und 2013 gezahlten Netzentgelte in Höhe von 2.140.271,45 € für die Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung und 1.987.661,23 € für die Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung, insgesamt somit 4.127.932,68 €. Für die „Abnahmestelle“ Mittelspannung waren die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 in den Kalenderjahren 2012 und 2013 nicht erfüllt. Die insoweit geleisteten Netzentgelte in Höhe von 581.182,03 € behielt der Netzbetreiber ein.
Mit Beschluss vom 06.10.2015 (EnVR 32/13) entschied der Bundesgerichtshof, dass § 19 Abs. 2 StromNEV in der ab dem 04.08.2011 geltenden Fassung (StromNEV 2011) nichtig sei. Unabhängig davon gelangte die Europäische Kommission im Rahmen eines Beihilfeüberprüfungsverfahrens nach Art. 108 AEUV zu dem Ergebnis, dass die in Deutschland in den Jahren 2012 und 2013 rechtswidrig gewährte vollständige Befreiung der Bandlastverbraucher von den Netzentgelten insofern eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, als die Bandlastverbraucher von Netzentgelten, die den von ihnen verursachten Netzkosten entsprachen, oder, wenn die Netzkosten unter dem Mindestentgelt von 20% des veröffentlichten Netzentgelts lagen, von diesem Mindestentgelt befreit wurden (vgl. Art. 1 des Kommissionsbeschlusses vom 28.05.2018, Anlage BF 10). Nach Art. 3 Abs. 1, Art. 4 des Kommissionsbeschlusses sind die Beihilfen zurückzufordern.
Zur Ermittlung der Rückforderungsbeträge sind unter Mitwirkung der Beschwerdeführerin die von ihr verursachten Netzkosten nach der Methode des physikalischen Pfades ermittelt worden. Die Beschwerdegegnerin hat die Rückforderungsbeträge für die Spannungsebenen, für die die Voraussetzungen für die Befreiung vorlagen, separat berechnet und mit Beschluss vom 24.09.2018 für die Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung die Netzentgeltbefreiung vom 08.08.2012 teilweise zurückgenommen und einen Rückforderungsbetrag von 1.720.541,75 € festgesetzt (Anlage BF 1) und mit weiterem Beschluss vom 24.09.2018 für die Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung die Netzentgeltbefreiung vom 08.08.2012 ebenfalls teilweise zurückgenommen und den Rückforderungsbetrag auf 1.252.638,67 € (Anlage BF 2) festgesetzt.
Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass die Rückforderungsbeträge unzutreffend berechnet worden seien. Die Rückforderung sei auf diejenigen individuellen Netzentgelte zu beschränken, die ohne die Befreiung zu entrichten gewesen seien. Der Begriff der Abnahmestelle im dann maßgeblichen § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 sei dahingehend zu verstehen, dass Entnahmepunkte an einem Standort eines Letztverbrauchers, die in verschiedenen Netzebenen des Netzes eines einzigen Netzbetreibers liegen, zu einer Abnahmestelle zusammenzufassen seien. Dies ergebe sich aus der Historie und der Systematik der Verordnung sowie aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Die Bestandskraft der Netzentgeltbefreiungsbescheide stehe dem nicht entgegen und die Europäische Kommission habe in dem Beschluss vom 28.05.2018 nur hinsichtlich der individuellen Netzentgelte auf die Methode des physikalischen Pfads entsprechend dem „Leitfaden zur Genehmigung individueller Netzentgeltvereinbarungen“ nach § 19 Abs. 2 S. 1 und 2 StromNEV vom 26.10.2010 verwiesen, nicht aber hinsichtlich des Begriffs der „Abnahmestelle“ zur Feststellung der Mindestvoraussetzungen für die individuellen Netzentgelte.
Ausgehend von einer einheitlichen Abnahmestelle habe die Beschwerdeführerin die Mindestvoraussetzungen für die Kalenderjahre 2012 und 2013 gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 erfüllt. Die Kosten des physikalischen Pfads wurden für das Kalenderjahr 2012 mit 1.073.284,89 € und für das Kalenderjahr 2013 mit 1.106.882,79 € berechnet. Für das Kalenderjahr 2012 habe das individuelle Netzentgelt 24,5% des allgemeinen Netzentgeltes betragen, somit 1.073.284,89 €, für das Kalenderjahr 2013 hätten die Kosten des physikalischen Pfades nur 17,7% des allgemeinen Netzentgeltes betragen, sodass sich das individuelle Entgelt auf 20% des allgemeinen Netzentgeltes, also auf 1.249.472,73 € belaufe.
Da bei dem Rückforderungsbetrag noch zu berücksichtigen sei, dass die Beschwerdeführerin Netzentgelte für die Mittelspannungsebene in Höhe von 581.182,03 € bereits gezahlt habe, sei der Rückforderungsbetrag insgesamt um 1.231.604,83 € überhöht.
Beim Beschwerdeantrag 1. sei der bereits gezahlte Betrag von 582.182,03 € bei der Kürzung der Rückforderungsbeträge jeweils anteilig berücksichtigt worden.
Sofern das Gericht der Auffassung sei, dass nur der Beschwerdegegnerin die Entscheidung darüber zustehe, wie die Rückforderungsbeträge zwischen den Teilrücknahmebescheiden aufzuteilen seien, sei nach dem Antrag 2. zu entscheiden.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
1.1 Der Bescheid der Landesregulierungsbehörde vom 24.09.2018, Az. GR-5939a/17/1 (betreffend die Umspannung Mittelspannung / Niederspannung) wird aufgehoben, soweit er den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 08.08.2012, Az. 22-3163.3-126-24-12-M (betreffend die Umspannung Mittelspannung / Niederspannung) in einem Betrag von mehr als EUR 1.007.827,68 zzgl. Zinsen gemäß Kapitel V der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 zurücknimmt.
1.2 Der Bescheid der Landesregulierungsbehörde vom 24.09.2018, Az. GR-5939a/17/1 (betreffend die Umspannung Hochspannung / Mittelspannung) wird aufgehoben, soweit er den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 08.08.2012, Az. 22-3163.3-126-24-12-M (betreffend die Umspannung Hochspannung / Mittelspannung) in einem Betrag von mehr als EUR 733.747,91 zzgl. Zinsen gemäß Kapitel V der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 zurücknimmt.
2. Hilfsweise zum Antrag 1: Die Landesregulierungsbehörde wird unter Aufhebung der Ziffer 2 Satz 1 des Tenors des Bescheids der Landesregulierungsbehörde vom 24.09.2018, Az. GR-5939a/17/1 (betreffend die Umspannung Mittelspannung / Niederspannung) sowie unter Aufhebung der Ziffer 2 Satz 1 des Tenors des Bescheids der Landesregulierungsbehörde von 24.09.2018, Az. GR-5939a/17/1 (betreffend die Umspannung Hochspannung / Mittelspannung) verpflichtet, die Höhe der Rückforderungsbeträge, die in Summe nicht mehr als EUR 1.741.575,59 betragen dürfen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen.
3. Hilfsweise zum Antrag 2: Der Bescheid der Landesregulierungsbehörde vom 24.09.2018, Az. GR-5939a/17/1 (betreffend die Umspannung Mittelspannung / Niederspannung) und der Bescheid der Landesregulierungsbehörde vom 24.09.2018, Az. GR-5939a/17/1 (betreffend die Umspannung Hochspannung / Mittelspannung) werden aufgehoben. Bei einer Neubescheidung der Beschwerdeführerin hat die Landesregulierungsbehörde die Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, dass die spannungsebenenscharfe Bestimmung der Abnahmestellen schon durch die drei bestandskräftigen Befreiungsbescheide bindend vorgegeben sei. Weiter sei die spannungsebenenscharfe Bestimmung der Abnahmestellen auch durch den Beschluss der Europäischen Kommission vom 28.05.2018 bindend vorgegeben. Eine spannungsebenenübergreifende Betrachtung würde zudem zu einer willkürlichen Aufteilung des Rückforderungsbetrags führen und das unionsrechtliche Rückforderungsgebot würde unterlaufen, da es sogar zu einer Gutschrift des stromintensiven Letztverbrauchers führen könnte.
Ergänzend wird auf die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Verfahrensakte der Beschwerdegegnerin sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.05.2020 Bezug genommen.
II.
Gemäß § 79 Abs. 2 EnWG wurde im Streitfall die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahn – entsprechend der Beteiligung des Bundeskartellamts gemäß § 67 Abs. 2 GWB im Kartellbeschwerdeverfahren – beteiligt (vgl. BGH, Beschluss vom 13.11.2007 – KVR 23/07, juris, Tz. 5 ff. – Beteiligung der Bundesnetzagentur).
III.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin ist zulässig, aber nicht begründet. Nach dem Beschluss der Europäischen Kommission vom 28.05.2018 (Anlage BF 10) sind die gewährten staatlichen Beihilfen zurückzufordern. Die Beschwerdeführerin hat in dem Umfang staatliche Beihilfen erhalten, in dem die Befreiung über die nach § 19 Abs. 2 StromNEV 2009 zu zahlenden Netzentgelte hinausging. Der Begriff der „Abnahmestelle“ war in § 19 Abs. 2 StromNEV 2009 nicht spannungsebenenübergreifend zu verstehen, sondern die Entnahmepunkte eines Letztverbrauchers an einem Standort in jeweils einer Spannungsebene stellen eine „Abnahmestelle“ iSv § 19 Abs. 2 StromNEV 2009 dar, so dass die Rückforderungsbeträge von der Beschwerdegegnerin zutreffend berechnet wurden.
1. a) Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin, mit der diese die Teilaufhebung der Rücknahmebescheide als sie belastende Verwaltungsakte begehrt, ist als Anfechtungsbeschwerde gemäß § 75 Abs. 1 EnWG zulässig.
b) Der Hauptantrag der Beschwerdeführerin ist allerdings nicht begründet, da die Rücknahme der Befreiungsbescheide in dem erfolgten Umfang rechtmäßig war.
aa) Da die Europäische Kommission mit Beschluss vom 28.05.2018 (Abl. EU 16.01.2019, Vorveröffentlichung Anlage BF 10, im Folgenden: Unvereinbarkeitsbeschluss) entschieden hat, dass die auf der Grundlage des § 19 Abs. 2 StromNEV in der ab 04.08.2011 geltenden Fassung (im Folgenden: § 19 Abs. 2 StromNEV 2011) für die Jahre 2012 und 2013 gewährte vollständige Befreiung der Bandlastverbraucher mit einem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 10 GWh und mindestens 7000 Benutzungsstunden eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstellt, war diese seitens der Beschwerdegegnerin von der Beschwerdeführerin als Begünstigter zurückzufordern.
Zum Umfang der gewährten staatlichen Beihilfen hat die Europäische Kommission im Erwägungsgrund (231) des Unvereinbarkeitsbeschlusses folgendes ausgeführt:
Die staatlichen Beihilfen entsprechen den von den befreiten Bandlastverbrauchern in den Jahren 2012 und 2013 verursachten Netzkosten oder, wenn die Netzkosten unter dem Mindestentgelt von 20% der veröffentlichen Netzentgelte lagen, diesem Mindestentgelt. In diesem Umfang weicht die nach Paragraf 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 gewährte vollständig Befreiung vom damaligen Bezugssystem ab. Die staatlichen Beihilfen belaufen sich somit auf den Wert der individuellen Netzentgelte, die von den Bandlastverbrauchern im Zeitraum 2012-2013 nicht entrichtet wurden, und entspricht mindestens 20% der in den betreffenden Jahren veröffentlichten Netzentgelte.
Die Europäische Kommission bemisst den Umfang der nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 gewährten Beihilfen somit nach der Abweichung vom damaligen Bezugssystem. Maßgeblich für die Rückforderung ist daher, welche Netzentgelte die Beschwerdeführerin nach § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 der StromNEV in der bis zum 03.08.2011 geltenden Fassung (im Folgenden: StromNEV 2009) zu zahlen gehabt hätte. Dies wird auch seitens der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt, sondern entspricht auch ihrer Rechtsauffassung.
Die Berechnung der individuellen Netzentgelte hat nach Erwägungsgrund (227) des Unvereinbarkeitsbeschlusses nach der Methode des physikalischen Pfades, wie von der Bundesnetzagentur in ihrem „Leitfaden zur Genehmigung individueller Netzentgeltvereinbarungen nach § 19 Abs. 2 S. 1 und 2 StromNEV“ vom 26. Oktober 2010 dargelegt (Anlage BF 11), zu erfolgen.
bb) Die Beschwerdegegnerin hat zu Recht auf Art. 48 BayVwVfG als Ermächtigungsgrundlage für die Rückforderung abgestellt und zutreffend angenommen, dass ein Ermessen im Hinblick auf den Umfang der Rückforderung aufgrund des Kommissionsbeschlusses und Art. 16 VO (EU) Nr. 1589/2015 nicht besteht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.11.2019, Az. VI-3 Kart 868/18, juris, dort Rn. 38, 39).
cc) Die Beschwerdegegnerin hat die Befreiungsbescheide für die Umspannebene Mittelspannung/Niederspannung und die Umspannebene Hochspannung/Mittelspannung in dem Umfang zurückgenommen, in dem die Beschwerdeführerin bei Anwendung von § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 StromNEV 2009 Netzentgelte zu zahlen gehabt hätte.
Auch die Beschwerdeführerin stellt nicht in Frage, dass die Rückforderungsbeträge bei Zugrundelegung eines spannungsebenenscharfen Abnahmestellenbegriffs zutreffend berechnet wurden. Sie hält die Rücknahmebescheide nur deshalb für zu weitgehend, die Rückforderungsbeträge somit für zu hoch, weil sie der Auffassung ist, dass der Begriff der „Abnahmestelle“ in § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 dahin auszulegen ist, dass alle Entnahmepunkte an einem Standort eines Letztverbrauchers, auch wenn sie in verschiedenen Netzebenen liegen, zu einer Abnahmestelle zusammenzufassen seien, vorliegend somit die Entnahmepunkte der Beschwerdeführerin in den Umspannebenen Mittelspannung/Niederspannung und Hochspannung/Mittelspannung und auch in der Netzebene Mittelspannung eine „Abnahmestelle“ bilden.
Die Beschwerdegegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Begriff der „Abnahmestelle“ in § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 dahin auszulegen ist, dass Entnahmepunkte in verschiedenen Spannungsebenen verschiedene „Abnahmestellen“ darstellen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift. Sinn und Zweck der Vorschrift und die Normhistorie stehen der Auslegung nicht entgegen.
(i) In § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV 2009, der die Möglichkeit individueller Netzentgelte für atypische Netznutzer regelt, wird ausdrücklich auf die Entnahmen aus „dieser Netz- oder Umspannebene“ abgestellt. § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 nimmt auf die in Satz 1 getroffene Regelung Bezug („Ein individuelles Entgelt ist außerdem auch anzubieten,…“).
In § 19 Abs. 2 Satz 3 StromNEV 2009 ist von den Netzkosten „dieser und aller vorgelagerten Netz- und Umspannebenen“ und in § 19 Abs. 2 Satz 8 StromNEV 2009 von den Netzentgelten „dieser und aller nachgelagerter Netz- und Umspannebenen“ die Rede. Könnte eine Abnahmestelle nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 Entnahmepunkte auf unterschiedlichen Netzebenen umfassen, wären diese Formulierungen grammatikalisch unkorrekt.
Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 4 StromNEV 2009 darf ein individuelles Entgelt nicht weniger als 20% des veröffentlichten Entgelts betragen. Da das Netzentgelt für jede Spannungsebene gesondert festgesetzt wird, wäre diese Regelung sprachlich und inhaltlich ungenau, wenn eine Abnahmestelle sich aus Entnahmepunkten aus verschiedenen Netzebenen zusammensetzen könnte.
(ii) Dass diese sich aus dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift ergebene Auslegung auch dem Willen des Verordnungsgeber entspricht, folgt aus der Begründung der mit Wirkung ab 22.08.2013 in Kraft getretenen Änderung der StromNEV (im Folgenden: StromNEV 2013). In § 2 Nr. 1 StromNEV 2013 ist der Begriff der „Abnahmestelle“ definiert worden und zwar dahingehend, dass unter Abnahmestelle die Summe aller räumlich und physikalisch zusammenhängenden elektrischen Einrichtungen eines Letztverbrauchers, die sich auf einem in sich abgeschlossenen Betriebsgelände befinden und über einen oder mehrere Entnahmepunkte mit dem Netz des Netzbetreibers verbunden sind, zu verstehen ist. In der Begründung zu dieser Verordnungsänderung ist diesbezüglich ausgeführt (BR-Drs. 447/13, Seite 14), dass damit eine Angleichung des auch im Erneuerbare-Energien-Gesetzes verwendeten Begriffes der Abnahmestelle im Rahmen der Besonderen Ausgleichsregelung erfolgt, so dass dadurch auch eine einheitliche Verwaltungspraxis zwischen den verschiedenen Sonderregelungen für energieintensive Unternehmen ermöglicht wird. Aus dieser Begründung des Verordnungsgebers wird somit deutlich, dass dieser nach seinem Verständnis mit der neu aufgenommenen Definition der „Abnahmestelle“ in der StromNEV 2013 eine Änderung der Rechtslage vorgenommen hat. Die Definition erfolgte nicht zur Klarstellung, sondern mit dieser erfolgte eine Angleichung an die Definition im EEG und damit wurde eine einheitliche Verwaltungspraxis ermöglicht.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ergibt sich auch aus der Normhistorie nichts anderes. Zwar ist der Begriff der Abnahmestelle bereits vor Erlass der Stromnetzentgeltverordnung vom 25. Juli 2005 (StromNEV 2005), die auch bereits in § 19 eine ähnliche Regelung wie die StromNEV 2009 für Bandlastkunden und in diesem Zusammenhang den Begriff der Abnahmestelle enthalten hat, in § 16 Abs. 2 Satz 4 EEG 2004 legaldefiniert worden und zwar dahingehend, dass unter einer Abnahmestelle „alle räumlich zusammenhängenden elektrischen Einrichtungen des Unternehmens auf einem Betriebsgelände, das über einen oder mehrere Entnahmepunkte mit dem Netz des Netzbetreibers verbunden ist“ zu verstehen sind. Der Gesetzgeber wollte dabei nicht auf die einzelne Kuppelstelle zwischen Netz und Betrieb abstellen, sondern eine wertende Zusammenfassung aller an einem Betriebsgrundstück vorhandenen Verbindungsstellen als maßgeblich ansehen, um technischen Zwängen Rechnung zu tragen (BGH NVwZ-RR 2013, 839 Rn. 21). Auf ein außerhalb dieses Gesetzes bereits in bestimmter Weise bestehendes Begriffsverständnis hat der Gesetzgeber bei der für das EEG vorgenommenen Legaldefinition nicht verwiesen (vgl. BGH NVwZ-RR 2013, 839 Rn. 17). Im Rahmen des EEG kommt es für die Vergütung nur auf die eingespeiste Strommenge an, unabhängig von der für den Transport genutzten Spannungsebene, während für die für den entnommenen Strom zu zahlenden Netznutzungsentgelte die genutzte Spannungsebene entscheidend ist. Dass der Verordnungsgeber in § 19 StromNEV 2005 und § 19 StromNEV 2009 den Begriff der „Abnahmestelle“ entgegen der grammatikalischen und der systematischen Auslegung im Sinne der Legaldefinition in § 16 EEG 2004 verstanden wissen wollte, ist nicht ersichtlich.
(iii) Die teleologische Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV soll zum einen die Großverbraucher im Hinblick auf ihren Beitrag zur Netzstabilität belohnen. Zum anderen soll sie aber auch einen nachhaltigen Beitrag der Großverbraucher zu den Netzentgelten gewährleisten. Dieses Ziel wird nur dadurch erreicht, dass Großverbraucher am Netz der allgemeinen Versorgung angeschlossen sind und bleiben und etwa auf die Herstellung einer Direktleitung zu einer höheren Netzebene oder zu dem dortigen Umspannwerk verzichten, weil letzteres für sie – wegen der Möglichkeit der Vereinbarung eines (niedrigeren) individuellen Netzentgeltes nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV – wirtschaftlich nicht sinnvoll ist (BGH NVwZ-RR 2017, 412 Rn. 21). Der dem Modell des physikalischen Pfades zugrundeliegende Gedanke, die Kosten des fiktiven Baus einer Direktleitung mit den allgemeinen Netzentgelten abzugleichen, spricht für einen spannungsebenenscharfen Abnahmestellenbegriff.
(iv) Der spannungsebenenscharfe Abnahmestellenbegriff, der sich aus der grammatikalischen und systematischen Auslegung ergibt, entspricht nicht nur dem Begriffsverständnis der Bundesnetzagentur, wie von ihr im Leitfaden zur Genehmigung individueller Netzentgeltvereinbarungen nach § 19 Abs. 2 S. 1 und 2 StromNEV (Stand 26.10.2010) ausgeführt (vgl. S. 7 des Leitfadens, Anlage BF 11) und auf den die Europäische Kommission in dem Unvereinbarkeitsbeschluss hinsichtlich der Berechnung der individuellen Netzentgelte ausdrücklich Bezug nimmt (vgl. Erwägungsgrund (227) des Unvereinbarkeitsbeschlusses, Anlage BF 10). Er entspricht zudem auch dem Begriffsverständnis der Beschwerdeführerin bei Beantragung der Befreiung von den Netzentgelten. Die Beschwerdeführerin hat die Befreiung nicht für eine die Entnahmepunkte in allen drei Spannungsebenen umfassende „Abnahmestelle“ beantragt, sondern für die drei in den verschiedenen Spannungsebenen liegenden „Abnahmestellen“ gesondert (vgl. Anlage BF 3). Da es auch im Hinblick auf die vollständige Befreiung von den Netzentgelten nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 im Hinblick auf das Vorliegen der Mindestvoraussetzungen für die Befreiung von entscheidender Bedeutung war, ob die Entnahmepunkte in den verschiedenen Spannungsebenen zu einer Abnahmestelle zusammenzufassen sind, ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin – wenn sie bereits bei Antragstellung der Auffassung gewesen wäre, dass der Begriff der Abnahmestelle spannungsebenenübergreifend auszulegen sei – sie auch einen entsprechenden auf eine umfassende Abnahmestelle gerichteten Befreiungsbescheid beantragt hätte. Das Begriffsverständnis der Beschwerdeführerin hat sich erst geändert, nachdem die Befreiung teilweise zurückgenommen wurde, obwohl sich seit der Antragstellung insoweit keine neuen Erkenntnisse ergeben haben. Da das von der Beschwerdeführerin bei Beantragung der Befreiungsbescheide zum Ausdruck gekommene mit dem der Beschwerdegegnerin und dem der Bundesnetzagentur übereinstimmende Verständnis des Begriffs der Abnahmestelle iSv § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 und 2011 zutreffend ist, gehen die angegriffenen Teilrücknahmebescheide nicht über die aufgrund des Unvereinbarkeitsbeschlusses zwingend vorzunehmende Rückforderung hinaus.
c) Da die Teilrücknahmebescheide sich somit auf die rechtswidrig gewährten staatlichen Beihilfen beschränken, kann dahinstehen, ob die Bestandskraft der Befreiungsbescheide einer Berechnung der zu zahlenden individuellen Entgelte auf der Grundlage einer von den Befreiungsbescheiden abweichenden Bestimmung der Abnahmestelle(n) entgegenstehen würde. Ebenso kann dahinstehen, ob durch eine spannungsübergreifende Bestimmung der Abnahmestelle(n) das unionsrechtliche Rückforderungsgebot unterlaufen würde, da sich dann statt einer Rückforderung auch eine Ermäßigung des bisher zu zahlenden Entgelts ergeben könnte.
2. Die von der Beschwerdeführerin gestellten Hilfsanträge sind zulässig, aber nicht begründet.
Die Verpflichtungsanträge sind entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin gemäß § 75 Abs. 3 EnWG zulässig, denn die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, dass ihr aus § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2009 ein Anspruch auf Neufestsetzung des zu zahlenden Netzentgelts zustehe. Auch die Hilfsanträge sind jedoch aufgrund der Rechtmäßigkeit der Teilrücknahmebescheide nicht begründet.
IV.
1. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 90 Abs. 1 EnWG. Der Senat erachtet es als billig, der Beschwerdeführerin die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten, die der Landesregulierungsbehörde im Beschwerdeverfahren entstanden sind, aufzuerlegen.
2. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 86 Abs. 2 EnWG liegen nicht vor. Es liegt kein Fall der Divergenz (§ 86 Abs. 2 Nr. 2 EnWG) vor und auch eine grundsätzliche Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 EnWG) ist nicht erkennbar, und zwar auch nicht für den Fall, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss der Kommission ganz oder teilweise für nichtig erklärt werden sollte. Für diesen Fall enthalten die angegriffenen Bescheide ohnehin einen Änderungsvorbehalt.
V.


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