Europarecht

Die Verwendung der Kennzeichnung „Ökovital“ auf Fruchtgummis stellt unter Betrachtung der Gesamtaufmachung der Produkte keine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO dar.

Aktenzeichen  RN 5 K 19.129

Datum:
28.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8550
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Health-Claims-VO Art. 2 Abs. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, der Klägerin zu untersagen, die Kennzeichnung „Ökovital“ im Rahmen der Produktbezeichnung, der Etikettierung und auf der Produktverpackung der unter der Bezeichnung „Ökovital-Bär“ und „Ökovital-Bär ohne Gelatine“ vertriebenen Fruchtgummiprodukte und im Rahmen der Werbung für diese Produkte zu verwenden.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, der Klägerin zu untersagen, die Unionsmarke Nr. 12462222 im Rahmen der Produktbezeichnung, der Etikettierung und auf der Produktverpackung der unter der Bezeichnung „Ökovital-Bär“ und „Öko-Bär ohne Gelatine“ vertriebenen Fruchtgummiprodukte und im Rahmen der Werbung für diese Produkte zu verwenden.
III. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten über die Streitsache ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
II.
Die von der Klägerin nach § 43 Abs. 1 VwGO erhobene Feststellungsklage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig. Die Feststellungsklage ist nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.
a) Gem. § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Als Rechtsverhältnis in diesem Sinne werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 8 C 19.09 – juris Rn. 24; Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 12). Rechtliche Beziehungen eines Beteiligten zu einem andern haben sich mithin erst dann zu einem bestimmten konkretisierten Rechtsverhältnis verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits überschaubaren Sachverhalt streitig ist (BVerwG, U.v. 23.1.1992 – 3 C 50/89 – juris Rn. 29).
Unabhängig von der Frage der Verdichtung oder Konkretisierung eines Rechtsverhältnisses setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis voraus, dass zwischen den Beteiligten dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können. Es müssen sich also aus dieser Rechtsbeziehung heraus bestimmte Rechtsfolgen ergeben können, was wiederum die Anwendung von bestimmten Normen auf den konkreten Sachverhalt voraussetzt (BVerwG, U.v. 23.1.1992 – 3 C 50/89 – juris Rn. 31).
Gemessen hieran besteht zwischen der Klägerin und der Beklagten ein hinreichend konkretisiertes feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Die Klägerin will festgestellt wissen, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, der Klägerin zu untersagen, die Kennzeichnung „Ökovital“ (Antrag zu 1)) und die Unionsmarke Nr. 12462222 (Antrag zu 2)) im Rahmen der Produktbezeichnung, der Etikettierung und auf der Produktverpackung der unter der Bezeichnung „Ökovital-Bär“ und „Ökovital-Bär ohne Gelatine“ vertriebenen Fruchtgummiprodukte und im Rahmen der Werbung für diese Produkte zu verwenden. Sie begehrt damit die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Die erforderliche Konkretisierung des Rechtsverhältnisses ist gegeben, da die Beklagte eine bestimmte Etikettierung und Produktverpackung der Klägerin sowie deren Bewerbung, nämlich die Bezeichnung der vorgenannten Fruchtgummiprodukte als „Ökovital“ als eine vermeintlich unzulässige, gesundheitsbezogene Angabe beanstandet, während die Klägerin diese Bezeichnung als zutreffend und damit als zulässig erachtet.
b) Die Klägerin besitzt auch das für eine vorbeugende Feststellungsklage nötige qualifizierte Feststellungsinteresse.
Das Rechtsschutzbedürfnis für eine vorbeugende Feststellungsklage ist nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn der Betroffene nicht in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Ein entsprechender Verweis kann im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) insbesondere dann nicht erfolgen, wenn der Betroffene damit auf die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe in einem Straf- oder Bußgeldverfahren verwiesen würde. Es ist ihm nicht zuzumuten, die Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen gewissermaßen „von der Anklagebank herab“ zu führen. Der Betroffene hat vielmehr ein schutzwürdig anzuerkennendes Interesse daran, den Verwaltungsrechtsweg als „fachspezifischerer“ Rechtsschutzform einzuschlagen, insbesondere wenn dem Betroffenen ein Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren droht (BVerfG, B.v. 7.4.2003 – 1 BvR 2129/02 – juris Rn. 14 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG, U.v. 13.1.1969 – I C 86.64 – juris und U.v. 17.1.1972 – I C 33.68 – juris; VGH BW, U.v. 11.2.2010 – 9 S 1130/08 – juris Rn. 16; OVG NW, U.v. 19.5.2016 – 13 A 592/07 – juris Rn. 32; OVG RP, U.v. 13.3.2019 – 8 A 11522/18 – juris Rn. 33, vgl. zur Fallgruppe der sog. „Damokles-Rechtsprechung“ auch Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 33). Ein Feststellungsinteresse bejaht hat die obergerichtliche Rechtsprechung dementsprechend für den Fall der Mitteilung, dass der Vorgang zur weiteren Entscheidung der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurde (VGH BW, U.v. 11.2.2010 – 9 S 1130/08 – juris Rn. 3, 18) oder auch der Drohung mit einer Strafanzeige (BVerwG, U.v. 13.1.1969 – I C 86.64 – juris Rn. 19). Entsprechendes gilt für die Drohung mit einem Bußgeldbescheid (OVG NW, U.v. 31.1.1996 – 13 A 6644/95 – juris Rn. 6). Eine abstrakte Rechtsbelehrung des Klägers über die Straf- oder Ordnungswidrigkeit eines Verhaltens durch den Beklagten reicht hingegen nicht (BVerwG, U.v. 9.12.1999 – 6 B 35/99 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben besteht im vorliegenden Fall ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der von ihr begehrten Feststellung. Es bedarf vorliegend einer eigenen fachgerichtlichen Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ordnungswidrigkeitsverfahren zu Lasten der Klägerin stehen. Die Beklagte leitete aufgrund der Ergebnisse des Gutachtens des LUA vom 27.7.2018 ein Ordnungswidrigkeits-Bußgeldverfahren ein. Die Klägerin kann mit Blick auf den effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht auf den nachträglichen Rechtsweg verwiesen werden (vgl. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, Vorb. zu § 40 Rn. 33), da sie sich sonst in die Gefahr begibt, eine Ordnungswidrigkeit nach‚ §§ 59 ff. LFGB zu verwirklichen.
2. Die Feststellungsklage ist in beiden Anträgen begründet.
Die Verwendung der Kennzeichnung „Ökovital“ sowie der Unionsmarke Nr. 12462222 im Rahmen der Produktbezeichnungen „Ökovital-Bär“ und „Ökovitalbär ohne Gelatine“ sind in der durch die Klägerin verwendeten Form keine allgemeinen gesundheitsbezogenen Angaben i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO.
a) Der Anwendungsbereich der Health-Claims-VO nach Art 1 Abs. 2 dieser Verordnung ist nicht eröffnet, da im Rahmen der Gesamtaufmachung der streitgegenständlichen Produkte keine gesundheitsbezogenen Angaben bei der Kennzeichnung gemacht werden.
(1) Nach Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 1 Health-Claims-VO gilt die Verordnung für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die in kommerziellen Mitteilungen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von oder bei der Werbung für Lebensmittel gemacht werden, die als solche an den Endverbraucher abgegeben werden sollen.
Bei den Produkten „Ökovital-Bär“ und „Ökovital-Bär ohne Gelatine“ handelt es sich zunächst um Lebensmittel i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) Health-Claims-VO i.V.m. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.1.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABI. L 31 S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung (EU) 2019/1381 vom 20.6.2019 (ABl. L 231 S. 1).
Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ ist in Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 Health-Claims-VO definiert. Eine gesundheitsbezogene Angabe i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO kann nur vorliegen, wenn bereits die Voraussetzungen der Angabe i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 Health-Claims-VO gegeben sind.
Gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 Health-Claims-VO bezeichnet der Ausdruck „Angabe“ für die Zwecke dieser Verordnung jede Aussage oder Darstellung, die nach dem Gemeinschaftsrecht oder den nationalen Vorschriften nicht obligatorisch ist, einschließlich Darstellungen durch Bilder, grafische Elemente oder Symbole in jeder Form, und mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt. Zu den Angaben zählen danach alle in der Etikettierung oder Bewerbung von Lebensmitteln in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebrachten – nicht obligatorischen – Aussagen oder Darstellungen, die bei einem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher den Eindruck hervorrufen können, ein bestimmtes Lebensmittel besitze besondere Eigenschaften (vgl. BGH, U.v. 10.12.2015 – I ZR 222/13 – „Lernstark“ – juris Rn. 17; U.v. 24. 7.2014 – I ZR 221/12 – „Original Bach-Blüten“ – juris Rn. 22; U.v. 9.10.2014 – I ZR 162/13 – „Combiotik“ – juris Rn. 19).
Eine „gesundheitsbezogene Angabe“ ist gem. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Aus dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO geht hervor, dass eine „gesundheitsbezogene Angabe“ im Sinne dieser Verordnung ausgehend von dem Zusammenhang definiert wird, der zwischen einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits bestehen muss. Diese Definition enthält weder genauere Angaben dazu, ob es sich um einen unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang handeln muss, noch zu dessen Intensität oder Dauer. Unter diesen Umständen ist der Begriff „Zusammenhang“ weit zu verstehen (EUGH, U.v. 6.9.2012 – C-544/10 – „Deutsches Weintor“ – juris Rn. 34; U.v. 18. 7.2013 – C-299/12 – „Green-Swan Pharmaceuticals“ – juris Rn. 22). Der Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe erfasst daher jeden Zusammenhang, der impliziert, dass sich der Gesundheitszustand dank des Verzehrs des Lebensmittels verbessert oder dass für die Gesundheit negative oder schädliche Auswirkungen, die in anderen Fällen mit einem solchen Verzehr einhergehen oder sich ihm anschließen, fehlen oder geringer ausfallen (EuGH, U.v. 6.9.2012 – C-544/10 – „Deutsches Weintor“ – juris Rn. 35; BGH, U.v. 09.10.2014 – I ZR 162/13 – „Combiotik“ – juris Rn. 33; BGH, U.v. 24.7. 2014 – I ZR 221/12 – „Original Bach-Blüten“ – juris Rn. 23; U.v. 5.12.2012 – I ZR 36/11 – „Monsterbacke II“ – juris Rn. 33; OVG ST, B.v. 8.10.2018 – 3 L 358/17 – „Glenk-Tabletten Plus“ – juris Rn. 51). Es sind sowohl die vorübergehenden und flüchtigen Auswirkungen als auch die kumulativen Auswirkungen des wiederholten und längerfristigen Verzehrs eines bestimmten Lebensmittels auf den körperlichen Zustand zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 6.9.2012 – C 544/10 – „Deutsches Weintor“ – juris Rn. 35, 38; BGH, U.v. 26.2.2014 – I ZR 178/12 – „Praebiotik“ – juris Rn. 16; OVG ST, B.v. 8.10.2018 – 3 L 358/17 – „Glenk-Tabletten Plus“ – juris Rn. 51).
Dabei reicht es aus, dass durch die Angabe indirekt ein Zusammenhang zwischen Lebensmittel und Gesundheit hergestellt wird. Dies ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal „auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht“. Mittelbar sind Erklärungen, die erst durch bewusste – gedankliche – oder zunächst unbewusste Assoziationen einen Bezug auf die Eigenschaft des Lebensmittels ergeben (OVG ST, B.v. 8.10.2018 – 3 L 358/17 – „Glenk-Tabletten Plus“ – juris Rn. 53). Die Frage, ob eine Aussage auf das gesundheitliche Wohlbefinden abzielt, ist anhand der in Art. 13 Abs. 1 und 14 Abs. 1 Health-Claims-VO aufgeführten Fallgruppen zu beurteilen (LG München I, U.v. 27.11.2020 – 1 HK O 3899/20 – „Beauty Bears“ – juris Rn. 44). Dabei beschreiben oder verweisen diese Angaben auf a) die Bedeutung eines Nährstoffes oder einer anderen Substanz für Wachstum, Entwicklung und Körperfunktionen oder b) die psychischen Funktionen oder Verhaltensfunktionen oder c) die schlank machenden oder gewichtskontrollierenden Eigenschaften des Lebensmittels oder die Verringerung des Hungergefühls oder ein verstärktes Sättigungsgefühl oder eine verringerte Energieaufnahme durch den Verzehr des Lebensmittels, Art. 13 Abs. 1 Buchst. a), b), c) Health-Claims-VO.
Nicht erforderlich ist die ausdrückliche Behauptung einer Auswirkung auf den Gesundheitszustand – es reicht bereits aus, dass eine Angabe bei dem angesprochenen Verkehr einen solchen Eindruck hervorrufen kann (EuGH, U.v. 18. 7.2013 – C- 299/12 – Green-Swan Pharmaceuticals – juris Rn. 24). Irrelevant für die Beurteilung als gesundheitsbezogene Angabe ist zudem, ob es sich bei der streitgegenständlichen Angabe um einen Fantasiebegriff handelt (vgl. Rathke/Hahn in: Zipfel/Rathke, 174. EL Juli 2019, Health-Claims-VO, Art. 2 Rn. 67).
Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Aussage in diesem Sinne einen Gesundheitsbezug aufweist, ist – Erwägungsgrund Nr. 16 zur Health-Claims-VO folgend – auf das Verständnis eines fiktiven typischen Verbrauchers abzustellen. Den Maßstab bildet demnach der normal informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren. Dabei zielt die Verordnung auch darauf ab, die Ausnutzung von Verbrauchern zu vermeiden, die aufgrund bestimmter Charakteristika besonders anfällig für irreführende Angaben sind. Eine gesundheitsbezogene Angabe liegt demnach vor, wenn nach dem Verständnis eines solchen Durchschnittsverbrauchers, das naturgemäß auch durch Vorerwartungen und Kenntnisse geprägt wird, der Eindruck eines Zusammenhangs zwischen dem Bestandteil eines Lebensmittels und dem Gesundheitszustand des Konsumenten hervorgerufen wird (vgl. EuGH, U.v. 18. 7.2013 – C-299/12 – „Green-Swan Pharmaceuticals“ – juris Rn. 24; BGH, U.v. 26.2.2014- I ZR 178/12 – „Praebiotik“ – juris Rn. 17). Dabei sind die nationalen Gerichte gehalten, bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher Angaben über Lebensmittel versteht, von ihrer eigenen Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen.
Es gilt kein statistischer, sondern ein normativer Maßstab, nach dem die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden gehalten sind, von ihrer eigenen Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen (BGH, U.v. 26.2.2014 – I ZR 178/12 – „Praebiotik – juris Rn. 17; U.v. 24.7.2014 – I ZR 221/12 – „Original Bach-Blüten“ – juris Rn. 24; siehe auch Erwägungsgrund 16 Satz 5 Health-Claims-VO). Die Vorkenntnisse und Erwartungen des Durchschnittsverbrauchers sind ebenso zu berücksichtigen (BGH, U.v. 26.2.2014 – I ZR 178/12 – „Praebiotik“ – juris Rn. 17; U.v. 10.12.2015 – I ZR 222/13 – „Lernstark“ – juris Rn. 44). Hinsichtlich der Erwartungen des Durchschnittskäufers ist entscheidend, worüber sich der Durchschnittsverbraucher weitere Gedanken macht, worauf der Käufer bei dem konkreten Produkt seinen Fokus legt und als was für einen Hinweis der Käufer die Angabe bei dem konkreten Produkt versteht (VG Regensburg, U.v. 14.6.2018 – RN 5 K 17.832 – juris Rn. 43).
(2) Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze stellt die Kennzeichnung „Ökovital“ weder im Rahmen der Produktbezeichnungen „Ökovital-Bär“ und „Ökovitalbär ohne Gelatine“ noch im Rahmen der Unionsmarke Nr. 12462222 eine gesundheitsbezogene Angabe i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO dar. Durch die Gesamtaufmachung der streitgegenständlichen Produkte, in die der Begriff „Ökovital“ plakativ eingebettet ist, wird dem Verbraucher kein Bezug zur Gesundheit suggeriert. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Bei der Ermittlung ihres Sinngehalts dürfen einzelne Aussagen oder Wörter nicht für sich genommen betrachtet werden, sondern müssen im konkreten Zusammenhang ihrer Verwendung beurteilt werden (BGH, U.v. 17.5.2018 – I ZR 252/16 – „Bekömmliches Bier“ – juris Rn. 53), wobei die Gesamtaufmachung des Produkts sowie typische Vorkenntnisse und Erwartungen des Verbrauchers zu berücksichtigen sein können (BGH, U.v. 10.12.2015 – I ZR 222/13 – „Lernstark“ – juris Rn. 44 m.w.N.). Entscheidend ist, wie der angesprochene Verkehr die Angabe im konkreten Verwendungszusammenhang versteht. Dabei werden sowohl die Umstände auf dem Produkt selbst (Gesamtaufmachung des Produkts) als auch die Umstände außerhalb des Produkts herangezogen. Zu der Gesamtaufmachung des Produkts gehören das Zutatenverzeichnis, bildliche Darstellungen und sämtliche Wortangaben (vgl. BGH, U.v. 9.10.2014 – I ZR 162/13 – „Combiotik“ – juris; VG München, U.v. 1.3.2017 – M 18 K 16.68 – „Figur-Fit“ – juris Rn. 30 ff.). Auch bei der Ermittlung der Bedeutung einer aus mehreren Wörtern zusammengesetzte Angabe, darf keine isolierte Betrachtung eines einzigen Teils der Angabe vorgenommen werden (VG München, U.v. 1.3.2017 – M 18 K 16.68 – juris Rn. 30). Die Bedeutung der streitgegenständlichen Angabe muss unter Beachtung der in einem engen räumlichen Zusammenhang mit der Angabe stehenden Bezeichnungen ermittelt werden (OLG Hamm, U.v. 20.5.2014 – 4 U 19/14 – „vitalisierend“ – juris Rn. 41). Bei der Ermittlung des Bedeutungsgehalts eines Wortes, dass in einem engen Zusammenhang mit einem weiteren Wort steht, kann auch die Reihenfolge, in der diese beiden Bestandteile jeweils stehen, und damit die innere logische Struktur ihrer Kombination berücksichtigt werden (EUGH, U.v. 25.10.2012 – T-552/10 – juris Rn. 59). So sind etwa voran- und nachgestellte Wörter zu berücksichtigen, auch unter dem Gesichtspunkt, welche Funktion und welchen Erklärungswert solche voran- und nachgestellten Wörter in Bezug auf die streitgegenständliche Angabe haben (VG München, U.v. 1.3.2017 – M 18 K 16.68 – „Figur-Fit“ – juris Rn. 32). Bei der Verwendung mehrerer Wörter ist zu prüfen, ob jedem der Wörter eine über die Bedeutung der anderen Wörter hinausgehende Bedeutung zukommt. Aus Sicht der angesprochenen Verbraucher ergibt es keinen Sinn, die einzelnen Wörter gesondert aufzuführen, wenn mit ihnen dasselbe zum Ausdruck gebracht werden soll (OLG Hamm, U.v. 20.5.2014 – 4 U 19/14 – „vitalisierend“ – juris Rn. 43).
Ausgehend hiervon kommt dem Wort „vital“ gegenüber dem Wort „öko“ nach Ansicht der Kammer keine eigene Bedeutung zu. „Ökovital“ ist ein Adjektiv, dass aus den zwei Adjektiven „öko“ (als Abkürzung für ökologisch, vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/oeko, Stand 28.2.2022) und „vital“ zusammengesetzt ist.
Der Beklagten ist zwar insoweit zuzustimmen, als dass der Wortbestandteil „vital“ isoliert betrachtet, d.h. ohne Berücksichtigung der konkreten Verwendung des Wortes und der Gesamtaufmachung des Produktes, grundsätzlich eine gesundheitsbezogene Angabe i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO darstellen kann. Dafür spricht der Wortsinn des Ausdrucks. Das Adjektiv „vital“ ist vom lateinischen Wort „vita“ (Leben) abgeleitet. „Vital“ bedeutet voller Lebenskraft, im Besitz der vollen Leistungskraft, Sportlichkeit (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/vital, Stand 28.2.2022). Zudem nähert sich das Wort „vital“, ein vom Substantiv „Vitalität“ abgeleitetes Adjektiv, in seiner Konnotation der Bedeutung des Wortes „fit“ insoweit an, als es ebenfalls „Lebenskraft“, „Frische“ und „Sportlichkeit“ bezeichnet (vgl. EUGH, U.v. 25.10.2012 – T-552/10 – „Vital & Fit“ – juris Rn. 59). Aus der Sicht der angesprochenen Verbraucher hängt der Ausdruck „vital“ isoliert betrachtet auch unmittelbar zusammen mit „Vitalität“ bzw. „Vitalsein“ und beschreibt damit verschiedene Facetten einer guten und gesunden körperlichen Verfassung. Mit dem Wort „vital“ werden etwa folgende Eigenschaften und Assoziationen verknüpft: „gesundheitsfördernd“, „gut fürs Leben“, „gesund und voller Ballaststoffe“, „gesundes Lebensmittel“, „sportlich“, „belebend“, „kraftvoll“ und „aktiv“. Diese Eigenschaften und Assoziationen werden typischerweise mit gesunden Menschen in Verbindung gebracht (vgl. zum Wortsinn „vitalisierend“: OLG Hamm, U.v. 20.5.2014 – 4 U 19/14 – juris Rn. 38).
Dennoch ist der abstrakte, aus zwei Adjektiven zusammengesetzte Begriff „Ökovital“ für Fruchtgummis nicht in jedem Zusammenhang geeignet, einen Bezug zur Gesundheit i.S.d. Art 2 Abs. 2 Nr. 5 Health-Claims-VO herzustellen. Unabhängig davon, ob der in der Bezeichnung der Produkte „Ökovital-Bären“ und „Ökovital-Bären ohne Gelatine“ enthaltene Wortbestandteil „vital“ eine Angabe i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Nr. 1 Health-Claims-VO darstellt, die auf eine besondere Eigenschaft der Produkte hinweist, darf eine isolierte Betrachtung eines einzigen Teils der Angabe bei der Ermittlung der Bedeutung einer aus mehreren Wörtern zusammengesetzte Angabe gerade nicht vorgenommen werden.
Dieses Ergebnis wird auch durch das Verständnis des hier angesprochenen Verbraucherkreises bestärkt. Zielgruppe der vorgenannten Fruchtgummiprodukte sind nicht nur Kinder, sondern Menschen jeder Altersgruppe. Dies ergibt sich aus dem Internetauftritt der Klägerin, der sich aufgrund des hohen Informationsgrades, der verwendeten Sprache und der Darbietung an ein erwachsenes Publikum richtet. Daher können insoweit höhere Erwartungen an einen Durchschnittsverbraucher gestellt werden. Es kann verlangt werden, dass dieser sich kritischer mit der Bezeichnung „vital“ auf der Verpackung von Fruchtgummis auseinandersetzt als das bei einem intuitiv handelnden Kind in der Regel der Fall wäre. Zwar steht hier die Natur des Produkts – Süßwaren – nicht per se der Erwartung einer positiven gesundheitlichen Wirkung entgegen. Bei den streitgegenständlichen Produkten besteht die Besonderheit, dass es sich nicht um konventionelle Süßigkeiten, sondern um ökologisch produzierte Süßigkeiten handelt. Die Erwartungen eines Verbrauchers, der ökologisch produzierte Lebensmittel kauft, unterscheidet sich in der Regel von den Erwartungen eines Verbrauchers, der konventionelle Süßigkeiten kauft. Der Verbraucher, der ökologische Produkte kauft, seien es auch Süßigkeiten, geht davon aus, dass die Süßwaren ökologisch erzeugt bzw. aus ökologisch produzierten Rohprodukten hergestellt werden. Die implizite Auslobung von Eigenschaften, die „vital“ machen, ist bei Gummibärchen als Süßwarenprodukt jedoch so unüblich, dass bei einem normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher nicht der Eindruck hervorgerufen wird, die „Ökovital-Bären“ hätten im Vergleich zu anderen Gummibärchen eine positive ernährungsbezogene bzw. physiologische Wirkung, d.h. im Ergebnis eine Verbesserung des Gesundheitszustands zur Folge.
Zudem spricht die Gesamtaufmachung der Produkte gegen einen Gesundheitsbezug. Der Begriff Aufmachung schließt auch optische – bildliche – Mitteilungen ein, insbesondere das gesamte Erscheinungsbild der Verpackung, aber auch das Aussehen, also die Erscheinung des Lebensmittels selbst, z. B. seine Form oder Farbe (Rathke/Hahn in: Zipfel/Rathke LebensmittelR, 179. EL März 2021, Health-Claims-VO, Art. 1 Rn. 8).
Konkret befinden sich auf der Produktverpackung neben der Kennzeichnung „Ökovital“ und der Unionsmarke Nr. 12462222 die Abbildung eines blauen Himmels mit weißen Wolken in der oberen Verpackungshälfte, die Abbildung saftigen grünen Grases in der unteren Verpackungshälfte, die Abbildung von tropischen Früchten in der Mitte der Verpackung, der produktbeschreibende Hinweis „Fruchtgummi mit Fruchtsaftgehalt durch Fruchtsaftkonzentrat gluten- und laktosefrei“ und – für das gelatinefreie Produkt – eine Kennzeichnung als „vegan“ sowie das sog. EU-Bio-Logo mit der weiteren Beschreibung der Herkunft und dem Code der Kontrollstelle „DE-ÖKO-013“.
Angesichts der Abbildung von tropischen Früchten auf der Vorderseite der Produktverpackung geht der Verbraucher davon aus, dass die Fruchtgummis einen fruchtigen Geschmack aufweisen. Der Eindruck, dass durch den Verzehr der Fruchtgummis der Tagesbedarf an Obst gedeckt wird, wird dem Verbraucher hingegen nicht suggeriert. Diese Wahrnehmung wird durch das vorgenannte Wortelement „Fruchtgummi mit Fruchtsaftgehalt durch Fruchtsaftkonzentrat“ bestärkt. Ein Bezug zur körperlichen Fitness, beispielsweise durch das Abbilden Sporttreibender, wird weder durch die Schau- noch durch die Rückseite der Produkte hergestellt. Die Aufmachung der Ökovital-Bären vermittelt dem Verbraucher daher keine Unterstützung der sportlichen Leistungsfähigkeit im Sinne des isolierten Verständnisses des Begriffs „vital“.
Die Unionsmarke Nr. 12462222 mit dem Wortbestandteil „Ökovital“ steht in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang mit der Produktbezeichnung „Ökovital-Bär“ bzw. „Ökovitalbär ohne Gelatine“. Es liegt daher nahe, dass der Verbraucher erkennt, dass in der Kennzeichnung „Ökovital“ bzw. mit der Unionsmarke vornehmlich ein Bezug zur klägerischen Dachmarke hergestellt wird.
Bei der Gesamtaufmachung können auch Umstände herangezogen werden, die außerhalb des Produkts liegen, wie etwa andere Produkte aus dem Sortiment (vgl. VG München – U.v. 1.3.2017 – M 18 K 16.68 – „Figur-Fit“ – juris Rn. 32). Allein der Umstand, dass die im Sortiment der Klägerin „Fruchtgummis“ vorhandenen anderen Produkte (z.B. „Bio-Veggie-Beeren-Mix sauer“, „Bio Jo-Frutti“, „Bio-Fruit Frites“, „Bio-Frutti-Worms“, „Bio-Fruttini Mix“, „Bio-Fruttini-Bär“, „Bio-Ingwer Sticks“, „Bio-Veggie Hearts“, „Bio-Veggie Mix“, „Bio Stärke Cola-Bottles“, „Bio-Veggie Vine Gums“, „Bio-Vitamino Frutti“, „Bio-Cola Bottles“, „Bio-Exotik Mix“, „Bio-Frutti Jungle“, „Pfefferminzschokolinsen“, vgl. https://www.oekovital.de/produkt-kategorie/bio-fruchtgummi) in ihrer Produktkennzeichnung nicht den Zusatz „vital“ beinhalten, ist nicht geeignet, einen Gesundheitsbezug herzustellen. Nachvollziehbar führte die Klägerin aus, dass die Produktkennzeichnung „Ökovital-Bär“ insoweit ein Hinweis auf die besondere Stellung der Fruchtgummibärchen „Ökovital-Bär“ im Fruchtgummi-Sortiment der Klägerin sei. Der „Ökovital-Bär“ sei gleichermaßen Ursprung wie „Flaggschiff“ des klägerischen Sortiments (vgl. Schriftsatz vom 13.8.2019, Bl. 247 d. Gerichtsakte).
Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die konkrete Gesamtaufmachung der Produkte – gerade unter Berücksichtigung der gleichnamigen Dachmarke und der abgebildeten Unionsmarke – keinen Bezug zur Gesundheit der Verbraucher, sondern viel eher zu einer ökologisch nachhaltigen Lebensweise suggeriert. Es ist davon auszugehen, dass der Verbraucher den Fokus bei der Kaufentscheidung der streitgegenständlichen Fruchtgummis – auch aufgrund des räumlichen Zusammenhangs zu dem EU-Bio-Logo – auf den Begriff „Öko“, d.h. auf die Verwendung ökologischer/biologischer Erzeugnisse legt. Der Verbraucher kauft Produkte, die aus ökologisch/biologisch produzierten Erzeugnissen hergestellt werden im Bewusstsein, etwas für die Umwelt zu tun. Der möglicherweise zusätzlich entstehende Eindruck, etwas für Gesundheit zu tun bzw. dieser nicht zu schaden, wird nicht durch den Wortbestandteil „vital“ ausgelöst, sondert ist grundsätzlich an eine ökologische und nachhaltige Lebensweise geknüpft.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 i.V.m. § 711 ff. ZPO.


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