Europarecht

“Diesel-Abgasskandal”: Anforderungen an den Klägervortrag

Aktenzeichen  21 U 3241/19

Datum:
14.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 26529
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EG VO 715/07 Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10
ZPO § 522 Abs. 2 Nr. 1, § 529, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BGB § 823

 

Leitsatz

1. Der klägerische Vortrag ist nicht hinreichend schlüssig, soweit der Kläger lediglich vermutet, dass in seinem Fahrzeug unzulässige Abschaltvorrichtungen eingebaut seien (was die Beklagte ausdrücklich und durchgängig bestreitet), ohne dass es für diesen Verdacht eine hinreichende Grundlage gibt.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein der Umstand, dass andere von der Beklagten produzierte Fahrzeugmodelle (mit einem Motor OM 642 oder einem anderen Motor) von einem Rückruf wegen Abschaltvorrichtungen betroffen sind, ist nicht ausreichend für die Annahme, dass „in allen (!) Fahrzeugmotoren mit der Typenbezeichnung“ unzulässige Abschaltvorrichtungen verbaut sind, wie der Kläger meint. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

62 O 1305/18 2019-05-08 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.05.2019, Az. 62 O 1305/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16.09.2019.

Gründe

Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor.
I.
Offensichtliche Aussichtslosigkeit der Berufung, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Die Berufung hat nach Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
1. Urteil des Landgerichts
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem so genannten „Diesel-Abgasskandal“.
Der Kläger ist Eigentümer eines Pkw Mercedes Benz GLK 350 CDI, Baujahr 2009. Der Kläger erwarb diesen als Gebrauchtfahrzeug am 9.10.2017 zu einem Preis von 17.250 €. Die Beklagte ist Herstellerin des Wagens.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrags, die Feststellung, dass diese zum Schadensersatz verpflichtet ist für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeuges resultieren, sowie Freistellung hinsichtlich der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 €.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 22.05.2019 die Klage als unbegründet abgewiesen.
Vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte stünden dem Kläger nicht zu. Denn dieser habe den Pkw nicht von der Beklagten, sondern von einem Dritten erworben ausweislich der als Anlage K1 vorgelegten Kopie der Rechnung über den Erwerb des Fahrzeugs.
Auch deliktsrechtliche Ansprüche stünden dem Kläger nicht zu. Der Kläger habe nicht hinreichend substantiiert vorgetragen zum Vorliegen einer deliktischen Handlung seitens der Beklagten. Der Kläger habe lediglich pauschal behauptet, die Beklagte habe eine spezielle Software, welche die Abgasrückführung je nach Betriebsmodus – Straßenverkehr / Prüfstand – steuere, sowie ein illegales Thermofenster verbaut. Er habe hierzu auf eine Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) Bezug genommen und ergänzend die Erholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Der Rückruf des KBA beziehe sich jedoch nur auf bestimmte Motortypen im Zusammenhang mit bestimmten Fahrzeugtypen aus bestimmten Produktionszeiträumen, denen das Fahrzeug des Klägers nicht unterfalle. Auch bezüglich der weiteren Behauptung des Klägers, der Kraftstoffverbrauch und die Abgaswerte des Motors lägen über den Prospektangaben, fehle es an hinreichend substantiierten Vortrag für eine gerichtliche Beweisaufnahme. Insgesamt handele es sich daher um Behauptungen ins Blaue hinein, weshalb die Erholung des beantragten Sachverständigengutachtens einem unzulässigen Ausforschungsbeweis gleich kommen würde.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
2. Berufung
Mit der Berufung begehrt der Kläger unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils eine Entscheidung im Sinne der erstinstanzlich gestellten Anträge, wobei der Zahlungsantrag um 970 € divergiert, ohne dass dies näher erläutert wird. Bezüglich des Vortrags im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 22.07.2019 (Bl. 89 ff. d.A.) Bezug genommen. Er rügt im Wesentlichen, das Landgericht habe den klägerischen Vortrag zu Unrecht als nicht ausreichend und ins Blaue hinein qualifiziert. Es hätte ein Sachverständigengutachten erholt werden müssen.
Das Fahrzeug sei „mit mindestens einer illegalen Abschalteinrichtung“ ausgestattet. Es seien eine Software verbaut, die die Abgaswerte steuere, je nachdem, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im Straßenverkehr verwendet werde sowie ein sogenanntes Thermofenster. Dies ergebe sich aus dem Vergleich des CO₂-Ausstoßes laut Herstellerangaben mit den tatsächlichen Abgaswerten, die 50% über den Herstellerangaben lägen. Es sei auch in Zukunft mit weiteren Rückrufen durch das KBA in Bezug auf von der Beklagten hergestellte Kfz zu rechnen, da die Beklagte über die Technik von illegalen Abschalteinrichtungen verfüge und diese auch bereits eingesetzt habe; hierzu nimmt der Kläger Bezug auf Pressemitteilungen zu Rückrufaktionen von Dieselfahrzeugen aus der Herstellung der Beklagten. Es sei dem Kläger nicht zuzumuten, zur Substantiierung vorab ein Gutachten, das Kosten zwischen 40.000,00 € und 80.000,00 € verursache, einzuholen. Er könne keine Spionage in den Vorstand der Beklagen betreiben, so dass er den Vorwurf auch nicht bis ins letzte Detail ausforschen könne, bevor er eine Klage erhebe. Ohne Nennung der Bezeichnung des Fahrzeugmotors in der Berufungsbegründung behauptet der Kläger, dieser Fahrzeugmotor sei vom KBA zurückgerufen worden. Er zitiert eine Liste von Fahrzeugtypen jeweils mit Motorbezeichnung und Produktionszeitraum, die von einem Rückruf betroffen seien, zum Beleg der Behauptung, auch das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine verbotene Abschalteinrichtung und behauptet, die Software, die die Abgaswerte steuere je nachdem, ob das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im Straßenverkehr verwendet werde, sei „in allen (!) Fahrzeugmotoren mit der Typenbezeichnung verwendet“. Außerdem sei in seinem Wagen eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters verbaut worden. Dieses sei unzulässig i.S.v. Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 EG VO 715/07, da es nahezu ununterbrochen arbeite und daher nicht notwendig sei im Sinne der europarechtlichen Vorgaben zum Schutz des Motors. Insoweit verkenne das Landgericht die eingetretene Beweislastumkehr. Wie in erster Instanz bietet der Kläger jeweils die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis an. Schließlich zitiert der Kläger den Beschluss des BGH vom 08.01.2019, Az. VIII ZR 225/17 zum Beleg der Behauptung, dass im vorliegenden Fall ein Sachmangel gegeben sei.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung (Bl. 87 d.A.).
3. Auffassung des Senats
Die Berufung hat nach Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Erstgerichts ist richtig. Das Ersturteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, keine andere Entscheidung. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die sorgfältigen und in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts Bezug. Die Berufungsbegründung vom 22.07.2019 (Bl. 89 ff. d. Akten) vermag dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen. Dies aus folgenden Gründen:
a) Dass vertragliche Ansprüche nicht in Betracht kommen, steht außer Streit.
b) Zutreffend hat das Landgericht die Klage auch unter dem Gesichtspunkt der deliktischen Haftung in Bezug auf den klägerischen Vortrag zur Tathandlung aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückgewiesen, nachdem es einen entsprechenden Hinweis bereits im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.05.2019 erteilt hatte (Bl. 64 d.A.). Auf die Ausführungen des Landgerichts im Urteil (Bl. 71 f. d.A.) wird Bezug genommen.
Das rechtswidrige Handeln der Beklagten soll in der Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit illegalen Abschaltvorrichtungen und der Täuschung darüber beim Inverkehrbringen liegen. Hierfür ist die Klageseite nach den geltenden Vorschriften des Zivilprozesses darlegungs- und beweisbelastet. Insbesondere trifft den Anspruchsgegner – auch bei deliktischer Haftung – grundsätzlich nicht die Beweislast für ein rechtskonformes bzw. pflichtgemäßes Verhalten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass – zumal ohne hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine unzulässigen technische Einrichtung zur Optimierung von Abgaswerten – hierzu in der ober-/höchstrichterlichen Rechtsprechung ein anderer Standpunkt vertreten wird. Soweit sich die Klagepartei in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des 3. Senats des Oberlandesgerichts Stuttgart, Az. 3 U 101/18 bezieht, ist festzustellen, dass die fragliche Entscheidung weder mit Datum zitiert noch vorgelegt wird. Ein Urteil oder ein verfahrensbeendender Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart lässt sich auch nicht recherchieren. Veröffentlicht ist allerdings eine Erklärung des Gerichts unter diesem Aktenzeichen, wonach in der Sache bislang keine Entscheidung ergangen sei, sondern nur eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe.
Ausschlaggebend ist vorliegend jedoch, dass der Klagevortrag seinerseits zunächst hinreichend schlüssig und substantiiert sein muss. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemacht Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Vor diesem Hintergrund vertritt der Senat wie das Landgericht die Auffassung, dass der klägerische Vortrag derzeit nicht hinreichend schlüssig ist. Denn tatsächlich vermutet der Kläger lediglich, dass in seinem Fahrzeug unzulässige Abschaltvorrichtungen eingebaut seien (was die Beklagte ausdrücklich und durchgängig bestreitet), ohne dass es für diesen Verdacht eine hinreichende Grundlage gibt. Zu Recht hat das Landgericht seinen Vortrag als eine willkürliche Behauptung „ins Blaue“ qualifiziert, für die jegliche tatsächliche Anhaltspunkte fehlen (vgl. BGH, Beschluss vom 16.04.2015. Gz.: IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829).
Unstreitig hat der Kläger bislang keine Aufforderung zu einer Nachrüstung oder gar Stilllegung seines Fahrzeugs erhalten. Es gibt auch keinen Anhalt dafür, dass – wie der Kläger behauptet – in Zukunft ein Rückruf „zu erwarten“ wäre. Der Kläger vermochte weder in 1. Instanz noch in der Berufungsbegründung darzutun, dass sein Wagen zu den Modellen gehört, die von einer solchen Aufforderung betroffen sind. Relevant ist dabei, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sowohl der betroffene Motortyp als auch das konkrete Fahrzeugmodell und der Produktionszeitraum. In der Berufungsbegründung selbst wird der im Fahrzeug verbaute Motortyp bereits nicht konkret bezeichnet; nach der in Bezug genommenen Klage handelt es sich um einen Dieselmotor des Typs OM 642. Der auf S. 6 der Berufungsbegründung abgedruckten Liste von Fahrzeugen lässt sich der streitgegenständliche Wagen unstreitig nicht zuordnen. Allein der Umstand, dass andere von der Beklagten produzierte Fahrzeugmodelle (mit einem Motor OM 642 oder einem anderen Motor) von einem Rückruf wegen Abschaltvorrichtungen betroffen sind, ist nicht ausreichend für die Annahme, dass „in allen (!) Fahrzeugmotoren mit der Typenbezeichnung“ unzulässige Abschaltvorrichtungen verbaut sind, wie der Kläger meint.
Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang auf Divergenzen in den Schadstoffwerten stützt (Herstellerangaben gegenüber tatsächlichem CO₂-Schadstoffausstoß), erschließt sich nicht, weshalb dies den Verdacht einer Manipulation seines eigenen Wagens begründen könnte. Der Kläger trägt selbst vor, dass nur mittels teurer Sachverständigengutachten ermittelt werden könnte, ob und wie sein Fahrzeug technisch unzulässig verändert sein könnte. Eine Betroffenheit im täglichen Gebrauch erschließe sich ihm gerade nicht. Gleiches gilt für die allgemeine Schilderung der technischen Funktionsweise von Abschalteinrichtungen und/oder Thermofenstern, die eine Ausstattung mit dieser Technik voraussetzen, jedoch nicht geeignet sind, zu begründen, weshalb der Kläger dies bei seinem Wagen vermutet.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.01.2019, Az. VIII ZR 225/17, die betraf ein Fahrzeug, bei dem die Ausstattung mit einer Software zur Modifikation der Abgaswerte im Prüfbetrieb unstreitig war. Insoweit ergeben sich auch aus diesem Hinweis keine relevanten Aspekte für die streitgegenständliche Fallkonstellation.
Da aus Sicht des Senats aktuell für den Kläger gerade keine hinreichend begründete Sorge besteht, ein vom „Abgasskandal“ betroffenes Auto der Beklagten erworben zu haben, kann auch nicht nachvollzogen werden, weshalb der Kläger sich als geschädigt betrachtet und meint, dies durch eine Klage geltend machen zu müssen.
II.
Weitere Voraussetzungen von § 522 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, § 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil, § 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.
III. Prozessuale Hinweise
Aufgrund obiger Ausführungen regt der Senat aus Kostengründen – eine Rücknahme der Berufung würde zu einer Kostenersparnis in Höhe von zwei Gerichtsgebühren führen, Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses – an, die Berufung zurückzunehmen.


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