Europarecht

Diesel-Abgasskandal, Diesel, Abgasskandal

Aktenzeichen  41 O 465/20

Datum:
30.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53602
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
§ 826 BGB § 826 BGB
§ 427 ZPO § 427 ZPO

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 29.192,69 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.08.2020 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs M.-B. … mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ….
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben zu tragen:
– die Klägerin 3/10
– die Beklagte 7/10
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 29.271,11 € Zug-um-Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß §§ 826, 31 BGB zu.
Hinsichtlich der Frage, ob eine sittenwidrige Schädigung der Klägerin als Käuferin des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte als Herstellerin eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motoraggregats vorliegt, kommt es zunächst entscheidend darauf an, in welchem Zustand sich die Motorsteuerungssoftware zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags durch die Klägerin befunden hat und nicht darauf, welcher Zustand später durch ein Software-Update der Beklagten herbeigeführt wurde. Hinsichtlich der Anforderungen, die an einen ausreichend substanziierten Sachvortrag der Klagepartei zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu stellen sind, ist vorliegend weiterhin zu berücksichtigen, dass dem eigenen Vortrag der Beklagten zu entnehmen ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug ohne das nachträglich installierte Software-Update der Beklagten von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes betroffen gewesen wäre. Damit sind im vorliegenden Fall greifbare Anhaltspunkte für das mögliche Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben, sodass die insoweit klägerseits vorgetragene Prüfstanderkennungssituation als ausreichender Sachvortrag zu werten ist. Damit hat die Klägerin ausreichend substanziiert und schlüssig das Vorliegen einer – im Ergebnis mit der bekannt gewordenen Motorsteuerungssoftware des Aggregats EA 189 vergleichbaren – unzulässigen Abschalteinrichtung der Gestalt dargelegt, dass die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Prüfstandsituation erkennt und hierauf einen nur für die Prüfstandsituation konzipierten Modus aktiviert, der zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte für die Stickoxidwerte (NOx) führt, während unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr das nicht der Fall ist.
Vor diesem Hintergrund wurde der Beklagten mit Beschluss des Gerichts vom 21.10.2020 (Bl. 85 der Akte) der Beklagten aufgegeben, den Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes, mit dem der Rückruf angeordnet wurde, sowie den entsprechenden Freigabebescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes jeweils vollständig vorzulegen und auf den mit Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 03.11.2020 erfolgten Vortrag, der Rückrufbescheid betreffe nur Fahrzeuge des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps mit Datenstand vor Installation des Software-Updates (Seite 15 des Schriftsatzes bzw. Bl. 104 der Akte) mit Beschluss vom 05.11.2020 (Bl. 110 der Akte) die angeordnete Vorlage der betreffenden Bescheide bestätigt. Der hierauf als Anlage B4 in Kopie beklagtenseits vorgelegte Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 21.06.2019 ist jedoch hinsichtlich der darin enthaltenen Sachverhaltsschilderung des Kraftfahrt-Bundesamtes vollständig geschwärzt. Die Beklagte beruft sich insoweit auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Insoweit war der Beklagten aber auch angesichts der geltend gemachten Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eine ungeschwärzte Vorlage zumutbar. Es ist nach den konkreten Begleitumständen davon auszugehen, dass die Vorlage des behördlichen Rückrufbescheids mit der darin enthaltenen Sachverhaltsschilderung der Förderung der Wahrheitsfindung dienen und schutzwürdige Belange der Beklagten nicht verletzen würde. Betroffen ist ein behördlicher Bescheid mit konkreten Beanstandungen der Beschaffenheit des von der Beklagten hergestellten Motoraggregats bzw. dessen Funktionsweise aufgrund der installierten Software. Damit können die insoweit behördlich beanstandeten Beschaffenheitsmerkmale, die Gegenstand des vorzulegenden Bescheids waren (und denen zudem nach dem eigenen Vortrag der Beklagten durch Umrüstmaßnahmen sowohl im Rahmen der behördlichen Rückrufaktion als auch im Rahmen freiwilliger Rückrufaktionen Rechnung getragen wurde) unter keinem Gesichtspunkt rechtlich schützenswerte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beklagten als Herstellerin des betroffenen Motoraggregats darstellen. Daher ist die Verweigerung der angeordneten Vorlage des (ungeschwärzten) Bescheids gemäß §§ 286, 224 Satz 2 ZPO vom Gericht zu würdigen. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass eine Förderung der Wahrheitsfindung durch den geschwärzten Inhalt des betroffenen Rückrufbescheids naheliegend erscheint und zudem sowohl aus dem vorgelegten Rückrufbescheid als auch dem vorgelegten Freigabebescheid (B5) des Kraftfahrt-Bundesamtes zu der infragestehenden Rückrufaktion zu entnehmen ist, dass diese das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen und dadurch bedingte Schadstoffemissionen betroffen hat.
Damit ist im vorliegenden Fall der Sachvortrag und das Prozessverhalten der Beklagten nach dem Rechtsgedanken der §§ 444, 427 ZPO unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung durch den Gegner des Beweisführers dahingehend zu würdigen, dass der Sachvortrag der Klägerin zur Beschaffenheit / Funktionsweise des betroffenen Motoraggregats zutreffend ist (vgl. auch Zöller-Greger, ZPO, § 142 Rn. 15 sowie § 286 Rn. 14a). Die danach vorliegende Optimierung der Stickoxidwerte (NOx) der Abgase auf dem Prüfstand zur Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte, die unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr nicht eingehalten werden, ist mit der im Fall des Motoraggregats EA189 bekannt gewordenen Problematik der Motorsteuerung vergleichbar. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung steht es in derart gelagerten Fällen wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn der Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigung der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt, was bei dieser Fallkonstellation anzunehmen ist. Insoweit bestehen zudem bereits nach der Beschaffenheit der vom Hersteller verbauten Software zur Motorensteuerung hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines Mitglieds eines Vorstandes oder Entscheidungsträgers in der betrieblichen Organisationsstruktur aus der oberen Betriebshierarchie der Beklagten, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat (Urteil des BGH v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 25, 34 bis 39 nach juris).
Damit ist die Beklagte der Klägerin gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (Abschluss des Kaufvertrages) bestehen würde. Dieser kann vorliegend durch die geforderte Erstattung des Kaufpreises gegen Herausgabe des Fahrzeuges und Zahlung von Wertersatz für die gezogenen Nutzungen herbeigeführt werden (BGH, a.a.O., Rn. 55 bis 78).
Der Wert von Gebrauchsvorteilen bei Eigennutzung einer beweglichen Sache wird regelmäßig nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach dem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Wertes (der hier mit dem vereinbarten Kaufpreis gleichgesetzt werden kann). Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen. Insoweit ergibt sich die mathematische Berechnungsformel: Gebrauchsvorteil = (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) ./. erwartete Gesamtleistung. Insoweit ist vorliegend von einer durchschnittlich zu erwartenden Laufleistung von 250.000 Kilometern auszugehen (was zum einen der allgemeinen Verkehrserwartung entspricht und zum anderen gutachterlichen Einschätzungen der zu erwartenden Gesamtlaufleistung in gerichtsbekannten vergleichbaren Fällen (vgl. insoweit auch Hinweisbeschluss des OLG Bamberg vom 20.10.2017, Az.: 3 U 96/17, Ziffer II.4. der Gründe). Im vorliegendem Fall ergibt sich damit ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 29.192,69 €.
Der deliktische Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte umfasst auch die zugesprochene Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Auflage, § 249 Rdnr. 56 und 57). Insoweit ist entsprechend dem Obsiegen der Klägerin von einem Gegenstandwert in Höhe von 29.192,69 € auszugehen. Hinsichtlich der Gebührenfestlegung nach § 14 Abs. 1 RVG ist zu berücksichtigen, dass eine umfangreiche Rechtsmaterie betroffen ist. Dem steht aber gegenüber, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, sodass sich Umfang und Schwierigkeit bezogen auf das einzelne Verfahren entsprechend relativieren und der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr gerechtfertigt erscheint, der hier zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale und 19% Umsatzsteuer zu einem schadensersatzpflichtigen Betrag in Höhe von 1.358,86 € führt.
Der Durchsetzbarkeit der Klageforderung steht die beklagtenseits erhobene Verjährungseinrede nach § 214 Abs. 1 BGB nicht entgegen, da der Anspruch nicht verjährt ist. Die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren gem. § 195 BGB beginnt gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Erforderlich ist insoweit Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen. Der Gläubiger muss diejenigen Tatsachen kennen, die die Voraussetzung der anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Dazu gehört bei Schadensersatzansprüchen die Pflichtverletzung oder die gleichstehende Handlung, der Eintritt des Schadens und die Kenntnis von der eigenen Schadensbetroffenheit. Es genügt, dass der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten oder erkennbaren Tatsachen eine hinreichend aussichtsreiche – wenn auch nicht risikolose – Klage (zumindest in Form einer Feststellungsklage) erheben kann (vgl. hierzu insgesamt Palandt-Ellenberger, BGB, 79. Auflage, § 199 Rnr. 27 und 28, jeweils n.w.N.). Im vorliegenden Fall ist die Beklagte ihrer insoweit bestehenden Darlegungs- und Beweislast (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, a.a.O., Überblick vor § 194, Rn. 24 m.w.N.) nicht nachgekommen, sondern hat lediglich – auf den Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe abstellend – zur Verjährung kaufrechtlicher Gewährleistungsansprüche vorgetragen.
Im Übrigen stünde die zugesprochene Klageforderung der Klägerin vorliegend gemäß § 852 BGB auch nach Eintritt der Verjährung der Schadensersatzansprüche noch zu.
Der nach § 256 ZPO zulässige Feststellungsantrag ist nicht begründet, da die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 294 ff. BGB vorliegend nicht gegeben sind. Es liegt kein ausreichendes Angebot im Sinne der §§ 294, 295 BGB vor. Die Klägerin hat durchgehend die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als sie hätte beanspruchen können. Eine zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (BGH, a.a.O., Rn. 85).
Bei der nach § 92 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Kostenentscheidung war im vorliegenden Fall auch das Unterliegen der Klägerin mit den geltend gemachten Deliktzinsen (5% aus 32.950,88 € für den Zeitraum vom 09.07.2015 bis 28.08.2020) in Ansatz zu bringen. Auch wenn die Zinsforderung sich als Nebenforderung (§ 4 Abs. 1 ZPO, § 43 GKG) grundsätzlich nicht streitwerterhöhend auswirkt, ist dem diesbezüglichen klägerischen Unterliegen angesichts der Höhe des insgesamt hieraus resultierenden Betrages im Verhältnis zur Hauptsacheforderung bei der Kostenverteilung entsprechend Rechnung zu tragen (vgl. Urteil des OLG Bamberg vom 22.05.2020, Az. 1 U 114/19, m.w.N.).
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.


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