Europarecht

Dublin-Verfahren, Belgien, dortiger Folgeantrag, alleinstehender Mann, kein Verstoß gegen Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh, Covid-19-Pandemie

Aktenzeichen  W 1 K 21.50271

Datum:
23.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40167
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
AsylG § 34a
AufenthG § 11

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist vorliegend entsprechend höchstrichterlicher Rechtsprechung dahingehend auszulegen, § 88 VwGO, dass der Kläger im Wege der Anfechtungsklage die Aufhebung des Bescheides vom 07.10.2021 begehrt. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Zuge der Änderung des Asylverfahrensgesetzes infolge des Inkrafttretens des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I Nr. 39 v. 5.8.2016). Danach ist die Anfechtungsklage gegen Bescheide, die die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 AsylG feststellen, die allein statthafte Klageart. Hintergrund hierfür ist der Umstand, dass die Asylanträge in diesen Fällen ohne Prüfung der materiell-rechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen, also ohne weitere Sachprüfung, abgelehnt werden. Insoweit kommt auch kein eingeschränkter, auf die Durchführung eines Asylverfahrens beschränkter Verpflichtungsantrag in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 34/19 – juris, U.v. 1.7.2017 – 1 C 9.17 – NVwZ 2017, 1625; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris). Ebenfalls zulässig ist der hilfsweise gestellte Verpflichtungsantrag hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG, da das Bundesamt diesbezüglich gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG und anders als beim Asylantrag eine inhaltliche Prüfung vorgenommen hat.
Die zulässige Klage, über die in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 07.10.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat darüber hinaus auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Belgien (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Gericht verweist zunächst auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides vom 7. Oktober 2021 und macht sich diese ebenso wie die Begründung des Beschlusses des Gerichts vom 25. Oktober 2021 (W 1 S 21.50272) vollumfänglich zu eigen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Darüber hinaus ist Folgendes auszuführen:
1. Ziffer 1 des angegriffenen Bescheides ist rechtmäßig. Die Beklagte hat insoweit zu Recht entschieden, dass der Asylantrag unzulässig ist. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Nach Überzeugung des Gerichts ist vorliegend Belgien der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Mitgliedstaat. Der Kläger hat nach den vorliegenden, nicht zu bezweifelnden Erkenntnissen aus der Eurodac-Datenbank bereits am 30. September 2019 in Belgien erstmals in einem Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt. Dies wird überdies auch durch seine eigenen Angaben beim Bundesamt im Rahmen der Anhörungen vom 9. September 2021 sowie 16. September 2021 sowie in der mündlichen Verhandlung vollumfänglich bestätigt. Mit Schreiben vom 30. September 2021 haben die belgischen Behörden auf das vom Bundesamt am 23. September 2021 nach Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung fristgerechte Wiederaufnahmegesuch binnen zwei Wochen ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme erteilt, Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-Verordnung, und ausdrücklich ihre Zuständigkeit nach Art. 18 Abs. 1b) Dublin III-Verordnung (im Hinblick auf einen dort am 18. August 2021 gestellten Asylfolgeantrag) erklärt.
Der Fortbestand der Zuständigkeit Belgiens ist auch nicht nachträglich nach Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 1 oder Abs. 3 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung erloschen, wie sich aus den Angaben des Klägers entnehmen lässt. Ebenso wenig ergibt sich eine Zuständigkeit der Beklagte aus Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-Verordnung, da die dort geregelte 6-monatige Überstellungsfrist seit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Belgien ersichtlich noch nicht abgelaufen ist.
Die Beklagte ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-Verordnung für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zuständig. Denn es sind keine hinreichenden Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris Rn. 106) bzw. dem übereinstimmenden Art. 3 EMRK (vgl. Nds OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 26) bei einer Rückkehr des Klägers nach Belgien aufgrund systemischer Mängel im Asylverfahren oder in den dortigen Aufnahmebedingungen feststellbar. Bei der Prüfung, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzsuchenden gegen Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Denn nach dem Konzept, welches Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 29 Abs. 1, 34a AsylG zu Grunde liegt, ist davon auszugehen, dass unter anderem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist und daher dort einem Schutzsuchenden keine politische Verfolgung droht sowie keine für Schutzsuchende unzumutbare Bedingungen herrschen („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“, vgl. auch EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-173/17 – juris Rn. 82, und U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417; BVerwG, U.v. 9.1.2019 – 1 C 36.18 – juris Rn. 19; Nds. OVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (ABl. 2013, L 180/96), die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (ABl. 2011, L 337/9) oder die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU (ABl. 2013, L 180/60) genügen, um die Überstellung eines Schutzsuchenden an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Kann einem Mitgliedstaat hingegen nicht unbekannt sein, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, hat eine Überstellung zu unterbleiben (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019, C-163/17, juris Rn. 85; vgl. auch BVerwG, B.v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5; NdsOVG, U.v. 9.4.2018 – 10 LB 92/17 – juris Rn. 27). Systemische Schwachstellen erreichen allerdings erst dann die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 -juris Rn. 92). Das Gericht muss auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte (in einem Klageverfahren) feststellen, dass dieses Risiko für diesen Kläger gegeben ist, weil er sich im Fall der Überstellung unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 98). Der Nachweis obliegt dem Schutzsuchenden (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C 163/17 – juris Rn. 95).
Es bestehen nach Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisquellen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass in Belgien die Anforderungen gemäß der europäischen Asylrichtlinien sowie nach der EMRK, der GR-Charta und der GFK betreffend das dortige Asylverfahren und die entsprechenden Aufnahmebedingungen nicht eingehalten werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Gesamtaktualisierung vom 26.11.2020; Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update; Amnesty Report Belgien, 7.4.2021; USDOS, Belgium 2020 Human Rights Report, 30.3.2021). Das belgische Asylsystem weist nach Überzeugung des Gerichts keine systemischen Mängel auf, sodass mit der einhelligen Rechtsprechung nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger in Belgien Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. etwa: VG Stuttgart, U.v. 4.8.2020 – A 2 K 5706/19 – juris; VG Lüneburg, B.v. 1.3.2019 – 8 B 8/19 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 22.1.2019 – 29 L 3642/18.A – juris).
In Belgien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben in Belgien vollen Zugang zum Asylsystem. Ihre Verfahren werden inhaltlich behandelt und sie haben das Recht, einen Folgeantrag zu stellen, wie es der Kläger nach den Erkenntnissen aus der Eurodac-Datenbank vorliegend am 18.08.2021 getan hat (vgl. auch die Bezugnahme der belgischen Behörden auf Art. 18 Abs. 1b) Dublin-III-Verordnung im Schreiben vom 30.09.2021). Außerdem haben Dublin-Rückkehrer das Recht auf Versorgung wie andere Asylbewerber. Die Versorgung beinhaltet unter anderem Unterkunft, Nahrung, Kleidung, rechtliche, medizinische, soziale und psychologische Hilfe. Die Behörde betrachtet Dublin-Rückkehrer als Folgeantragsteller, wenn ihr Verfahren in Belgien als implizit oder explizit als zurückgezogen gilt und geschlossen worden ist (z.B. wenn Belgien vor dem ersten Interview verlassen wurde, ergeht eine „technische Zurückweisung“). Kehrt solch ein Fall im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Belgien zurück und stellt einen neuen Asylantrag, ist die Behörde verpflichtet, diesen als zulässig zu betrachten. Je nach Stand des Verfahrens bevor sie Belgien verlassen haben, werden manche Dublin-Rückkehrer erst untergebracht, wenn die Zulässigkeitsentscheidung offiziell getroffen wurde, da Folgeantragsteller keinen automatischen Zugang zu Unterbringung haben. Nach einem negativ beendeten Verfahren und Auslaufen des Recht zur Versorgung ist nurmehr medizinische Notfallversorgung möglich (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Belgien, Gesamtaktualisierung vom 26.11.2020, S. 7 ff.).
Die Einschränkung oder der Entzug des Rechts zur Aufnahme soll nach Art. 4 des belgischen Aufnahmegesetzes nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Betroffenen, insbesondere mit Blick auf eine etwaige Vulnerabilität, getroffen werden. Gesundheitsversorgung und ein die Menschenwürde wahrender Lebensstandard sollen dabei jederzeit sichergestellt werden. Soweit dies in der Praxis nicht beachtet worden sein sollte, haben Folgeantragsteller jedoch jedenfalls nach Anfechtung einer solchen Entscheidung vor Gericht das Recht auf Aufnahme zugesprochen erhalten. Nach einer bestandskräftigen negativen Asylentscheidung haben die Kläger das Land zu verlassen. Insoweit bestehen offene Rückkehrplätze, wo die Möglichkeit für eine freiwillige Rückkehr mit den Klägern diskutiert wird. In Fällen der Ablehnung einer Kooperation besteht die Möglichkeit einer Abschiebung, inklusive eines Transfers in eine geschlossene Einrichtung (vgl. Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update, S. 81, 86).
Vor diesem Hintergrund ist eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Belgien nicht erkennbar. Der Kläger hat auch nichts Substantiiertes vorgetragen, was gegen diese Einschätzung sprechen würde. Auch aus den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Berichten ergibt sich nichts Abweichendes, zumal diese zum Teil veraltet sind und sich auch nicht mit der konkreten Situation befassen, in der sich der Kläger befindet. Soweit er im Rahmen seiner Klagebegründung pauschal und umfassend erklärt hat, dass er in Belgien obdachlos gewesen sei und keinerlei Hilfe erhalten habe, so steht dies bereits in Widerspruch zu seinen Angaben beim Bundesamt, wo er – auch – angegeben hat, dass er in Belgien in einem Camp gelebt und dort zu essen sowie Taschengeld erhalten habe. Auf diesbezüglichen Vorhalt in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erläutert, dass er erst nach nochmaliger Antragsablehnung (wohl im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens), bei der er anwaltlich vertreten gewesen sei, auf der Straße gelebt habe. Es ist daher zu konstatieren, dass der Kläger in Belgien ein vollständiges rechtsstaatliches Asylverfahren inklusive Inanspruchnahme entsprechender Rechtsschutzmöglichkeiten durchlaufen hat und während dieses gesamten Zeitraums auch ordnungsgemäß versorgt worden ist. In dem Zeitraum, in dem der Asylantrag des Klägers nach Ausschöpfung gerichtlichen Rechtsschutzes rechtskräftig abgelehnt worden war, war der Kläger jedoch gehalten, das Land zu verlassen. Er konnte sich in dieser Situation daher nicht mehr darauf berufen, weiterhin staatlich versorgt zu werden; eine Verletzung von Art. 3 EMRK ist insoweit nicht gegeben. Soweit der Kläger darüber hinaus dargelegt hat, dass er auch nach seiner Überstellung aus Frankreich nach Belgien auf der Straße habe leben müssen, mithin nach Stellung des Asylfolgeantrags vom 18.08.2021, so stehen etwaige Einschränkungen bzw. der Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen durch das belgische Aufnahmegesetz mit Art. 20 der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU) in Einklang (vgl. oben Art. 4 des belgischen Aufnahmegesetzes); eine Verletzung von Art. 3 EMRK ist auch diesbezüglich nicht ersichtlich. Im Falle des Klägers ist jedoch unabhängig von Vorstehendem davon auszugehen, dass sein Recht auf Unterbringung und Versorgung wiederauflebt, nachdem er beim Bundesamt angegeben hat, dass man ihm in Belgien gesagt habe, dass sein Asylverfahren wiederaufgenommen würde und er nur noch warten müsse. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die belgischen Behörden von einer Zulässigkeit des Folgeantrags ausgehen (woraufhin wohl auch die Bezugnahme der belgischen Behörden im Schreiben vom 30.09.2018 auf Art. 18 Abs. 1b) Dublin-III-Verordnung hinweist). Andernfalls wäre es dem Kläger auch möglich und zumutbar, gerichtlichen Rechtsschutz gegen eine etwaige Verweigerung zu suchen; eine medizinische Notversorgung ist jedenfalls weiterhin gegeben (vgl. Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update, S. 86). Wenn der Kläger desweiteren pauschal erklärt hat, dass er in Belgien nicht habe arbeiten dürfen, so ist dies anhand der Erkenntnismittellage nicht nachvollziehbar, da Asylbewerber vier Monate nach der Antragstellung das Recht haben zu arbeiten, auch während eines Klageverfahrens (vgl. Aida, Country Report: Belgien, 2020 Update, S. 105). Dies wird auch dadurch bestätigt, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung konzediert hat, dass er in Belgien einige Monate in einer Autowaschanlage gearbeitet hat. Soweit dieses Recht für Folgeantragsteller bis zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit des Folgeantrags eingeschränkt ist, so steht dies ebenfalls mit der Aufnahmerichtlinie, Art. 15, in Einklang. Soweit der Kläger schließlich – wiederum völlig pauschal – erklärt hat, dass er in Belgien Todesangst gehabt habe, da Obdachlose dort geschlagen oder gar getötet würden, so lässt sich der Erkenntnismittellage diesbezüglich nichts entnehmen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger diesen Gesichtspunkt dann auch nicht erneut geltend gemacht.
Eine andere Beurteilung ist auch nicht vor dem Hintergrund der zwischenzeitlichen Entwicklung im Zuge der Covid-19-Pandemie angezeigt.
Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Kläger in Belgien aufgrund der voraussichtlichen Lebensverhältnisse in eine Lage extremer Not geraten würde. Das Gericht hat – auf der Basis des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und auch angesichts der in Belgien getroffenen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie sowie auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/ laender/ belgien-node/belgiensicherheit/200382#content_0) – keine substantiierten Anhaltspunkte dafür, die die Annahme eines solchen Extremfalles in der Person des Klägers oder allgemein das Vorliegen systemischer Mängel in Belgien begründen könnten. Im System des gegenseitigen Vertrauens ist für Belgien vielmehr weiter von einem die Grundrechte sowie die Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden, wahrenden Asylsystem auszugehen. Gegenteiliges hat der Kläger auch nicht vorgetragen, der sich die meiste Zeit während der Pandemie in Belgien aufgehalten hat. Vielmehr wird erwartet, dass das belgische Bruttoinlandsprodukt trotz Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie 2021 um 4,5% und damit stärker als im EU-Durchschnitt sowie auch in Deutschland wachsen wird. Unternehmen wurden/werden Fördermittel auf föderaler und regionaler Ebene gewährt, die sich bis Ende 2021 auf insgesamt 31 Milliarden EUR summieren (https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/belgien/in-belgien-gelten-regional-unterschiedliche-einschraenkungen-240930). Die Arbeitslosenquote in Belgien liegt mit 6,4% unterhalb des EU-Durchschnitts von 6,8% (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/160142/umfrage/arbeitslosenquote-in-den-eu-laendern/#:~:text=Im%20 Durchschnitt%20sind%206%2C8,5%20Prozent%2C%20signifikant%20h%C3%B6her%20liegt.).
Desweiteren fehlt es auch an sonstigen außergewöhnlichen Umständen, welche ausnahmsweise eine Pflicht der Beklagte zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung begründen könnten. Insbesondere ist eine besondere Vulnerabilität des Klägers nicht glaubhaft gemacht.
2. Darüber hinaus ist auch die in Ziffer 2 des Bescheides getroffene Verneinung des Bestehens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG rechtmäßig.
a) Die Feststellung, dass im Falle des Klägers keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Belgien bestehen, ist zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) ebenfalls nicht zu beanstanden. Insbesondere hat der Kläger individuell nichts vorgetragen, was das Bestehen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Belgien nahelegen könnte. Auch insoweit nimmt das Gericht auf die Ausführungen in der Begründung des Bescheides sowie des Beschlusses vom 25. Oktober 2021 (W 1 S 21.50272) Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und macht sich diese zu Eigen. Ebenso wird auf die vorstehenden Ausführungen unter 1. vollumfänglich verwiesen, da Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh wortlautidentisch sind.
b) Schließlich liegt auch kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur dann vor, wenn der Kläger unter einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Die Erkrankung muss nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung glaubhaft gemacht werden.
Der Kläger hat insoweit beim Bundesamt geäußert, gesund zu sein. Lediglich wegen des vielen Stresses und seiner Sorgen werde er mitunter aggressiv, in ärztlicher Behandlung sei er deswegen nicht und er wolle auch keine Medikamente einnehmen, da er dies unter Kontrolle habe. Daraus lässt sich ebenso wie aus dem Vortrag im Klageverfahren, dass es ihm in Belgien psychisch extrem schlecht gegangen sei und er auch jetzt noch unter psychischen Problemen leide, keine lebensbedrohliche oder auch nur eine schwerwiegende Erkrankung ableiten, die sich durch die Abschiebung – nach Belgien – wesentlich verschlechtern würde. Überdies hat der Kläger – wie bereits ausgeführt – auch als Folgeantragsteller einen Anspruch auf medizinische Hilfe in Belgien.
Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus den gesundheitlichen Gefahren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, denn die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird durch § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG gesperrt. Die Gefahr einer Infektion betrifft die gesamte Bevölkerung allgemein. Es liegt auch keine Extremgefahr vor, die es verfassungsrechtlich gebieten würde, die Sperrwirkung von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise entfallen zu lassen (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris).
Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger bei seiner Rückkehr nach Belgien mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, wobei sich diese ausschließlich auf den Tod aufgrund einer Infektion mit Covid-19 oder einen besonders schweren Verlauf beziehen kann. Dies ist beim Kläger nicht anzunehmen, denn der 21-jährige Kläger ohne erkennbare relevante Vorerkrankungen gehört nach dem oben genannten Maßstab bereits nicht zu der Personengruppe mit einem höheren Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; jsessinid= DC346DA1D7E1A04E3FB153F23B3AF998. internet092#doc13776792bodyText15). Der Kläger hätte überdies im Falle einer etwaigen Erkrankung an Covid-19 Anspruch auf die notwendige medizinische Versorgung in Belgien (vgl. oben). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass jeder das eigene Infektionsrisiko durch eine Impfung bzw. durch Einhaltung der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln maßgeblich verringern kann.
3. Auch die in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides verfügte Abschiebungsanordnung nach Belgien ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt dann, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesem Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies ist vorliegend entsprechend obiger Ausführungen unter 1. bezüglich Belgien der Fall. Darüber hinaus ist auch kein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorgetragen oder ersichtlich, welches im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenfalls zum Prüfungsumfang des Bundesamts und demzufolge auch des Verwaltungsgerichts gehört (BayVGH, B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257 – juris m.w.N.).
Die pauschal angegebenen gesundheitlichen Beschwerden des Klägers führen nicht zu einer Reiseunfähigkeit, zumal dieser vor kurzem selbst die Reise von Belgien nach Deutschland unternommen hat. Überdies stehen der Abschiebungsanordnung aufgrund der aktuellen Covid-19-Pandemie keine tatsächlichen Vollzugshindernisse entgegen (vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belgien-node/belgiensicherheit/200382#content_0).
4. Das in Ziff. 4 getroffene Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig. Das Verbot ist nach dem Gesetzeswortlaut zwingend anzuordnen. Die Festsetzung der Frist erfolgt nach § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessenswege. Die Beklagte hat ihr Ermessen vorliegend auch ausgeübt. Dass die festgesetzte Frist von 18 Monaten ab dem Tag der Abschiebung vorliegend ermessensfehlerhaft wäre, ist nicht erkennbar. Denn der Kläger hat zwar angegeben, dass sich ein Cousin mütterlicherseits in Deutschland aufhalte. Dieser gehört jedoch ersichtlich weder zu seinen Familienangehörigen nach Art. 2 g) bzw. Verwandten gemäß Art. 2 h) Dublin-III-Verordnung noch ist zwischen dem volljährigen Kläger und seinem Cousin eine Beistands- oder Verantwortungsgemeinschaft vorgetragen oder ersichtlich.
5. Schließlich ist auch der gestellte Hilfsantrag auf die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG unbegründet. Insoweit wird vollumfänglich auf die obigen Ausführungen unter 2. i.V.m. 1. verwiesen.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b Abs. 1 AsylG.


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