Europarecht

Durchführung von Hygienemaßnahmen in Schlachtbetrieben

Aktenzeichen  M 18 S 18.6103

Datum:
4.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41605
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) Nr. 882/2004 Art. 4
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5
LFGB § 39 Abs. 2
GesVSV § 9
VO (EG) 852/2004 Anh. II Kap. IX Nr. 3

 

Leitsatz

1. Im Bereich der Entblutungsstrecke sowie des Brühbeckens ist von Räumlichkeiten auszugehen, in denen Lebensmittel zubereitet, behandelt oder verarbeitet werden und damit der Anwendungsbereich von Anhang II Kapitel II VO (EG) 852/2004 eröffnet. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine anschließende Säuberung der Lebensmittel führt nicht dazu, dass jede zuvor erfolge Kontamination irrelevant ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Prüfung eines akzeptablen Schutzes vor Kontamination ist nicht davon auszugehen, dass eine vollkommene Hygiene zu erreichen ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Anhang III Abschnitt II Kap. IV Nr. 5 VO (EG) 853/2004 ist so auszulegen, dass Schlachthöfe verpflichtet sind, die Schlachtlinie insbesondere hinsichtlich des Ausnehmens in der Weise zu betreiben, dass eine Kontamination im größten Umfang, der technisch möglich ist, vermieden wird. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofort vollziehbare Verpflichtung zur Durchführung von Hygienemaßnahmen in ihrem Schlachtbetrieb.
Die Antragstellerin betreibt einen überregional tätigen Schlachthof/Zerlegungsbetrieb für Puten.
Mit bestandskräftigen Feststellungsbescheid vom 17. November 2017 stellte die bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) ihre Zuständigkeit für den Betrieb der Antragstellerin fest.
Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) ermittelte in Zusammenarbeit mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im 3. Quartal 2018 ein Salmonella Agona Cluster bei Puten. Zwischen Juni und August 2018 wurden entlang der Lebensmittelkette „Pute“ Salmonella enterica subsp. enterica Serovar Agona (S. Agona) nachgewiesen. Die Puten-Halshautproben stammten aus dem Betrieb der Antragstellerin.
Der Antragsgegner (jeweils vertreten durch die KBLV) führte daraufhin am … … 2018 eine amtliche Kontrolle bei der Antragstellerin durch. Hierbei wurden verschiedene (hygienische) Mängel festgestellt und der Antragstellerin mit Anhörungsschreiben vom 16. Oktober 2018 mitgeteilt. Daraufhin erfolgte eine teilweise Mängelbehebung.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23. November 2018, verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin u.a. unter Ziffer I 1) im Betäubungsbereich spätestens zum Produktionsbeginn am … … 2018 geeignete Vorkehrungen zu treffen, welche dauerhaft verhindern, dass Kondenswasser, welche sich an der Decke bildet, auf die Schlachtkörper tropft. Unter Ziffer I 3a) wurde die Antragstellerin verpflichtet, im Rahmen der Eigenkontrolle/Produktionshygiene – während des laufenden Produktionsvorgangs – spätestens ab dem Produktionsbeginn am … … 2018 nach dem Ausnehmen eine optische Kontrolle der Schlachtkörper auf Kotverschmutzungen durchzuführen und bei der Feststellung von Kotverschmutzungen nach dem Ausnehmen bei dem/den betreffenden Schlachtkörper ein Trimmen („dressing“) der kotverschmutzen Stellen am Schlachtkörper vorzunehmen. Unter Ziffer IV) wurde die sofortige Vollziehung der unter Ziffer I und II verfügten Maßnahmen angeordnet sowie unter Ziffer V) Zwangsgelder für den Fall der Nichterfüllung angedroht.
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass aufgrund der vorliegenden Befunde ein hinreichend konkreter Verdacht bestehe, dass in dem Betrieb der Antragstellerin die einschlägigen Hygienevorschriften der VO (EG) 852/2004, VO (EG) 853/2004 sowie VO (EG) 2073/2005 nicht eingehalten würden. Die festgestellten hygienischen Missstände würden die angeordneten Maßnahmen rechtfertigen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich, sie diene der präventiven Gefahrenabwehr. Es sei zu befürchten, dass eine Fortsetzung des Betriebs ohne die Durchsetzung der angeordneten Maßnahmen erneut zu Verstößen gegen die Vorschriften zur Einhaltung der Lebensmittelhygiene und -sicherheit sowie zu einer Gesundheitsgefährdung für die Verbraucherinnen/Verbraucher führen könnte. Das öffentliche Interesse überwiege daher das rein wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin erhob gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 13. Dezember 2018, eingegangen am gleichen Tag, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (Aktenzeichen M 18 K 18.6102) und beantragte mit gleichem Schreiben,
die aufschiebende Wirkung des Bescheides vom 23. November 2018 wiederherzustellen.
Mit Schreiben vom 3. Januar 2019 teilte der Bevollmächtigte mit, dass der Klageantrag sowie der Antrag im Eilverfahren auf die Anordnungen in den Ziffern I 1) und I 3a) des Bescheids vom 23. November 2018 beschränkt werde.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bezüglich der Anordnung hinsichtlich des Kondenswassers keine Rechtsgrundlage bestehe. Zum einen werde bestritten, dass sich im Betäubungsbereich an der Decke massiv Kondenswasser/Tropfenwasser bilde. Zum anderen werde bestritten, dass das in geringfügigem Maß sich bildende Kondenswasser eine Kontamination der Tiere verursachen würde, sodass die Einhaltung der hygienischen Vorschriften nicht gewährleistet wäre. Die Lebensmittelhygiene sei durch das Kondenswasser nicht wesentlich beeinträchtigt. Die von der Antragsgegnerin genannte Rechtsgrundlage in Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang II Kapitel II Nr. 1 Buchstabe c) VO (EG) 852/2004 kommen nicht zur Anwendung, da der Betäubungsbereich nicht zum Anwendungsbereich der Verordnung gehöre. Die Tiere befänden sich im Betäubungsbereich noch in der gesetzlich definierten Primärproduktion. Im Übrigen seien die Ausführungen der Antragsgegnerin höchst widersprüchlich, da sie zum einen erkläre, dass die Anwendung der Vorschrift Anhang II Kapitel II Nr. 1 Buchstabe c) VO (EG) 852/2004 im Betäubungsbereich zur Anwendung kommen solle, andererseits die Kontrollbehörde befinde, dass sich das Problem der Kondens-/Tropfwasserbildung auch entlang der Entblutungsstrecke der Schlachtkörper stelle. Von der Antragstellerin könne allenfalls gefordert werden, Decken bzw. Deckenschutzkonstruktionen so zu bauen und zu verarbeiten, dass Kondensation auf ein Mindestmaß beschränkt werde; dies sei in der Betriebsstätte gegeben. Im Übrigen plane die Antragstellerin im Frühjahr 2019 eine Optimierung der Belüftungsanlage mit der die Verhältnisse sozusagen überobligatorisch verbessert würden. Hinzu komme, dass die Gefahr der Verunreinigung durch Kondenswasser schlicht nicht gegeben sei oder allenfalls in einer völlig zu vernachlässigenden Größenordnung erfolgen könne. Durch den anschließenden Brühvorgang werde die Oberflächenkontamination der einzelnen Tiere weitgehend gleichmäßig auf alle Schlachtkörper verteilt. Infolge der Brühtemperaturen werde gleichzeitig ein Teil der Bakterien eliminiert sowie die Vermehrungsrate der überlebenden Keime reduziert. Eine aktuell betriebseigene Untersuchung habe gezeigt, dass die im Kondenswasser festgestellten Bakterien in ihrer Gesamtkeimzahl den im Brühwasser festgestellten Höchstwert nicht überschreiten würden. Die Maßnahme sei daher nicht geeignet, da keine Auswirkungen hieraus resultieren würden und sie somit unverhältnismäßig sei.
Hinsichtlich der Anordnung unter Ziffer I 3a) des Bescheides wurde ausgeführt, dass optische Kontrollen der Schlachtkörper auf Kotverschmutzung durchgeführt und betroffene Schlachtkörper gereinigt würden. Die Feststellungen im Bescheid seien daher nicht zutreffend. Bereits vorprozessual habe die Antragstellerin ausgeführt, dass der hohe Standard im Hinblick auf die Einhaltung von Hygienevorschriften eingehalten würden, wie dies in der gesamten Europäischen Union gefordert und praktiziert werde. EUweit würden in den Geflügelschlachtereien nicht vermeidbare Kotverschmutzungen durch Trinkwasser abgespült bzw. wie in der Verordnung genannt auch gesäubert. Zur Verbesserung der Schlachthygiene werde eine Technik eingesetzt, wie beispielsweise den Kloakenbohrer, welcher Darminhalt im Schlachtungsprozess absaugen. Aus Anhang III Abschnitt II Kapitel IV Nr. 8 VO (EG) 853/2004 ergebe sich im Übrigen, dass sich die jeweiligen Abfolgen – Reinigung, Runterkühlen, etc. – in schneller Abfolge erfolgen müssten und somit durch Einsatz von Technik und Beseitigung von Kotverschmutzungen durch Trinkwasser den Vorschriften in vollem Maße Rechnung getragen werde.
Die von der Behörde unterstellte Salmonellenproblematik werde mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Der Beweis, dass die Erkrankungen auf den Betrieb der Antragstellerin zurückzuführen seien, sei nicht geführt, obgleich man hierzu in der Lage wäre. Andeutungen, Gefahrenhinweise in diese Richtungen sei nicht seriös. Als Anlagen wurden Prüfberichte sowie zwei eidesstattliche Versicherungen vorgelegt.
Mit Schreiben vom 14. Januar 2019 erklärte der Antragsgegner, dass bis zu einer Entscheidung des Gerichts über den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO der Bescheid im Hinblick auf die Anordnungen unter Ziffer I 1) und I 3a) nicht vollzogen werde.
Im Folgenden fanden zwischen den Parteien außergerichtliche Vergleichsverhandlungen statt, die zu keinem Ergebnis führten.
Mit Schreiben vom 24. Januar 2019 legte der Antragsgegner einen Aktenauszug vor und erklärte, dass die Anordnungen im Bescheid vom 23. November 2018 vollumfänglich aufrechterhalten würden. Eine Antragstellung unterblieb.
Zur Begründung wurde ergänzend ausgeführt, dass die im Betäubungsbereich festgestellte massive Bildung von Kondenswasser seitens des für die Kontrollbehörde tätigen und sehr erfahrenen Kontrollpersonals getroffen worden sei. Im gesamten Deckenbereich des sogenannten „Betäubungsbereichs“ würden sich große Wassertropfen bilden, welche auf die betäubten Tiere und Schlachtkörper herunterfielen. Dies stelle einen nicht unerheblichen Verstoß dar. Jede Kontamination der Lebensmittel müsse zwischen und während den Arbeitsvorgängen vermieden werden. Auch wenn die seitens der Antragstellerin vorgelegten Untersuchungsergebnisse bislang keine erhöhten Keimzahlen aufzeigen konnten, könne die Gefahr einer Kontamination der Schlachtkörper nicht vollständig ausgeschlossen werden. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund der gehäuften Nachweise von Salmonellen des Typs Salmonella enterica subsp. enterica Serovar Agona (S. Agona) im Zeitraum von Juni bis August 2018. Es sei daher von einem verstärkten und über das normalerweise zu erwartende Maß hinausgehenden Eintrag dieses Erregers auszugehen, sodass im Rahmen der Kontrolle alle möglichen Eintragquellen für Krankheitserreger geprüft worden seien. Wie die Antragstellerin selbst ausführe, sei die Keimbelastung im Bereich der Betäubung sowie im Anschluss hieran hoch. Es bestehe daher die Gefahr, dass Krankheitserreger über Aerosolbildung an die Decke und damit in das dort niedergeschlagene Kondenswasser gelangen würden. Wenn sodann das Kondenswasser auf die betäubten Tiere und oder die Schlachtkörper tropfe, könne dies zu einer mikrobiologischen Kontamination und einem Eintrag von Salmonellen in die Schlachtlinie führen. Hierdurch könne die gute Lebensmittelhygiene (konkret) gefährdet sein. Der im Bescheid vom 23. November 2018 benannte „Betäubungsbereich“ umfasse auch die Entblutungsstrecke. Die Bezeichnung sei auf Grundlage des betrieblichen Eingabeplans vom 4. Juli 2018 erfolgt und habe lediglich zur örtlichen Bestimmung der Räumlichkeiten gedient. Der Raum beinhaltet den Betäubungsbereich, die Schnittmaschine sowie die Entblutungsstrecke. Es handle sich somit um eine Räumlichkeit, in der Lebensmittel zubereitet, behandelt und verarbeitet würden. Die Primärproduktion ende vor dem Schlachten. Der Lebensmittelunternehmer habe dafür Sorge zu tragen, dass Lebensmittel auf allen Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und des Vertriebs vor Kontamination geschützt würden. Hinsichtlich der optischen Kontrolle führte der Antragsgegner aus, dass eine solche während des Kontrolltermins … … 2018 durch die Antragstellerin nicht erfolgt sei. Eventuell kotverschmutzte Schlachtkörper würden erst nach dem vollständigen Ausnehmen in einem sogenannten Reinigungstunnel mit Trinkwasser abgespritzt bzw. abgebraust werden. Einer durch Aerosolteilchen bedingten Kontamination/Kontaminationsverschleppung mit Fremdkörpern, insbesondere Kot, beuge dies nicht in ausreichendem Maße vor. Gemäß Anhang III Abschnitt II Kapitel IV Nr. 5 VO (EG) 853/2004 müsse das Betäuben, Entbluten, Enthäuten oder Rupfen, Ausnehmen und weitere Zurichten so vorgenommen werden, dass jede Kontamination des Fleisches vermieden werde. Es müssten insbesondere Vorkehrungen getroffen werden, um das Auslaufen von Magen- und Darminhalt während des Ausnehmens zu verhindern. Die in Anhang III Abschnitt II Kapitel IV Nr. 8 VO (EG) 853/2004 angeordnete Säuberung der Schlachtkörper erfolge hingegen erst nach dem Ausnehmen und umfasse folglich nicht die Vorkehrungen, welche nach Nr. 5 der Verordnung bereits während des Ausnehmen erforderlich seien. Bei einem bloßen Abspritzen der Kotverschmutzungen mit Trinkwasser müsse – ähnlich wie während des Brühvorgangs durch das Brühwasser – mit einer Verteilung der Kontaminationen auf andere Schlachtkörper gerechnet werden. Hinsichtlich der Anordnung des Sofortvollzuges wurde ergänzend ausgeführt, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein bundeslandübergreifendes S. Agona-Ausbruchsgeschehen denkbar erscheine, welches möglicherweise in Verbindung mit der Antragstellerin stehen könne. Aus fachlicher Sicht gebe es aufgrund der vorliegenden Untersuchungsergebnisse deutliche Hinweise darauf, dass sich die S. Agona-Problematik aus dem Betrieb der Antragstellerin entlang der Lebensmittelkette bis hin zum Verbraucher fortsetzt. Ein epidemiologischer Zusammenhang zur Antragstellerin habe bislang nicht hergestellt werden können. Aufgrund der Dauer und Art der festgestellten hygienischen Missstände sowie der nicht unwesentlichen und nicht auszuschließenden Gefahr für die Gesundheit der Verbraucherinnen/Verbraucher sei ein weiteres Abwarten nicht zu verantworten. Die Anordnungen seien für den Betrieb der Antragstellerin auch nicht schwerwiegend. Sie würden nur geringfügig in den Betriebsablauf eingreifen, diesen nicht beschränken bzw. nur unwesentlich und es stehe in der Eigenverantwortung des Betriebes, wir er die festgestellten Mängel behebe. Es würden keine unabänderlichen (z.B. baulichen) Sofortmaßnahmen gefordert, welche einen Produktionsstopp zur Folge hätten, eine strukturelle Umstellung des betrieblichen Ablaufs erforderlich machen würden oder eine untragbare finanzielle Belastung nach sich ziehen würden.
Nach nochmaligen – im Ergebnis erfolglosen – Verhandlungsversuchen zwischen den Parteien nahm der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 30. Januar 2019 nochmals Stellung.
Der Antragsgegner übersandte die vollständige Behördenakte auf Bitten des Gerichts elektronisch.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Klageverfahren M 18 K 18.6102 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen
II.
Der (insoweit nach § 88 VwGO sachdienlich auszulegende) zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 23. November 2018 hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teil-weise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen gegen den angefochtenen Bescheid keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Klage wird daher aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben. Das besondere öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung überwiegt somit das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Es bestehen keine formalen Bedenken gegen den Bescheid, insbesondere hat die KBLV als zuständige Behörde gehandelt, § 9 GesVSV. Aufgrund des bestandskräftigen Feststellungsbescheides vom 17. November 2017 ist unabhängig von der Frage der Wirksamkeit von § 9 Abs. 2 GesVSV (vgl. insoweit VG Regensburg, U. v. 15.11.2018 – RO 5 K 17.2158, a. A. VG Würzburg, U.v. 30.7.2018 – W 8 K 17.1467 – jeweils juris) von einer bindenden Feststellung der Zuständigkeit auszugehen.
Die streitgegenständlichen angeordneten Maßnahmen erscheinen nach der im Eilverfahren lediglich vorzunehmen summarischer Prüfung als rechtmäßig.
Die Kontrollbehörde trifft zur Erfüllung ihrer Aufgaben die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften sowie zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit erforderlich sind, § 39 Abs. 2 LFGB i.V.m. Art. 54 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 882/2004, Art. 9 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 854/2004.
Die Anordnung unter Ziffer I 1) des Bescheids vom 23. November 2018, im „Betäubungsbereich“ geeignete Vorkehrungen zu treffen, welche dauerhaft verhindern, dass Kondenswasser, welche sich an der Decke bildet, auf die Schlachtkörper tropft, dient der Einhaltung der Hygieneanforderungen nach Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang II Kapitel II Nr. 1 Buchst. c) VO (EG) 852/2004. Demnach müssen Decken (oder soweit Decken nicht vorhanden sind, die Dachinnenseiten) und Deckenstrukturen so gebaut und verarbeitet sein, dass Schmutzansammlungen vermieden und Kondensation, unerwünschter Schimmelbefall sowie das Ablösen von Materialteilchen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Darüber hinaus sind gemäß Anhang II Kapitel IX Nr. 3 VO (EG) 852/2004 Lebensmittel auf allen Stufen der Erzeugung, der Verarbeitung und des Vertriebs vor Kontaminationen zu schützen, die sie für den menschlichen Verzehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre. Art. 2 Abs. 1 Buchst. f) VO (EG) 852/2004 definiert den Begriff „Kontamination“ als das Vorhandensein oder das Hereinbringen einer Gefahr.
Entgegen der Argumentation der Antragstellerin ist streitgegenständlich damit vorliegend nicht (nur) der Umfang der zulässigen Kondensation an der Decke, sondern vielmehr die Kontamination der Schlachtkörper durch Tropfen des Kondenswassers.
Gemäß den Feststellungen des Antragsgegners bei dem Kontrolltermin am … … 2018 und den hierbei gefertigten Bildmaterial folgt das Gericht – zumindest im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens – der Einschätzung des Antragstellers, dass vorliegend von einer massiven Kondenswasserbildung auszugehen ist und dieses derzeit ungehindert auf Lebensmittel tropft und diese damit kontaminiert. Denn das Kondenswasser ist – dies ist auch zwischen den Parteien unstreitig – erheblich mit Fäkalkeimen als auch Krankheitserregern belastet.
Zumindest in der Gesamtschau erscheint der Bescheid auch hinreichend bestimmt bezüglich des örtlichen Umgriffs. Aus der Begründung des Bescheids ergibt sich zweifelsfrei, dass die Problematik des Kondenswassers vorliegend primär im Hinblick auf die Entblutungsstrecke der Schlachtkörper gesehen wird und nicht im Betäubungsbereich im engeren Sinne. Bereits denklogisch ergibt sich, dass der Antragsteller mit dem Betäubungsbereich nicht den mit Edelstahlabdeckung versehenen CO 2-Tunnel meinen kann, sondern erst den im Schlachtprozess folgenden Bereich, in dem die Tierkörper Kondenswasser tatsächlich ausgesetzt sein können. Im Bereich der Entblutungsstrecke sowie des Brühbeckens ist von Räumlichkeiten auszugehen, in denen Lebensmittel zubereitet, behandelt oder verarbeitet werden und damit der Anwendungsbereich von Anhang II Kapitel II VO (EG) 852/2004 eröffnet.
Der Einwand der Antragstellerin, dass diese Kontamination durch den anschließenden Brühvorgang zumindest in erheblichem Umfang wieder beseitigt wird, kann nicht zum Erfolg führen. Denn nach Anhang II Kapitel IX Nr. 3 VO (EG) 852/2004 sind Lebensmittel auf allen Stufen der Erzeugung von Kontamination zu schützen. Dementsprechend führt eine anschließende Säuberung der Lebensmittel nicht dazu, dass jede zuvor erfolge Kontamination irrelevant ist. Im Übrigen erscheint insoweit auch der Einwand des Antragsgegners, dass durch die Einführung des Kondenswassers in das Brühwasser eine zusätzliche Belastung des Brühwassers sowie eine zusätzliche Verteilung der Keimbelastung auf sämtliche Schlachtkörper erfolgt, nachvollziehbar.
Die Anordnung, die Kontamination durch Kondenswasser zu unterbinden, erscheint auch verhältnismäßig. Die Antragstellerin trägt die Hauptverantwortung für die Sicherheit der von ihr produzierten Lebensmittel, Kapitel I Artikel 1 Abs. 1 Buchst. a) VO (EG) 852/2004. Auch wenn bei der Prüfung eines akzeptablen Schutzes vor Kontamination nicht davon auszugehen ist, dass eine vollkommene Hygiene zu erreichen ist, so dient vorliegend die Anordnung dazu, naheliegende Kontaminierungsgefahren einzudämmen (vgl. hierzu: EuGH, U.v. 6.10.2011 – C-382/10; OVG NRW, B.v. 26.11.2014 – 13 B 1250/14; VG München, U.v. 26.9.2012 – M 18 K 11.5138 – jeweils juris). Die Maßnahme ist auch durch die Antragstellerin ohne erheblichen Aufwand umzusetzen. Wie sich aus der Stellungnahme des Antragsgegners vom 24. Januar 2019 sowie den – im Ergebnis erfolglosen – Vergleichsverhandlungen zwischen den Parteien ergibt, kann das Reinigung der Decke ohne großen technischen Aufwand unproblematisch durch das (mehrmalige) Abziehen des Kondenswasser mit einem Abstreifer erfolgen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei Produkten der Antragstellerin vermehrt Salmonella enterica subsp. enterica Serovar Agona (S. Agona) nachgewiesen wurden, erscheint die Maßnahme sachgerecht, um Kontaminierungsgefahren weiter einzudämmen und damit das Risiko für den Verbraucher zu verringern.
Auch die Anordnung unter Ziffer I 3 Buchst. a) des Bescheids 20. November 2018, wonach nach dem Ausnehmen eine optische Kontrolle der Schlachtkörper auf Kotverschmutzungen durchzuführen und bei der Feststellung von Kotverschmutzungen nach dem Ausnehmen bei dem/den betreffenden Schlachtkörper ein Trimmen („dressing“) der kotverschmutzen Stellen am Schlachtkörper vorzunehmen ist, erscheint zumindest nach vorläufige Einschätzung als rechtmäßig.
Anhang III Abschnitt II Kapitel IV Nr. 5 VO (EG) 853/2004 schreibt vor, dass das Betäuben, Entbluten, Enthäuten oder Rupfen, Ausnehmen und weitere Zurichten („dressing“) ohne ungebührliche Verzögerung so vorgenommen werden muss, dass jede Kontamination des Fleisches vermieden wird. Es müssen insbesondere Vorkehrungen getroffen werden, um das Auslaufen von Magen- und Darminhalt während des Ausnehmens zu verhindern.
Der Antragsgegner folgert daraus, dass bereits während des Zurichtens eine Kontamination des Fleisches insbesondere mit Darminhalt umgehend beseitigt werden muss und die – zusätzlich zwingend vorgesehene – abschließende Säuberung nach Anhang III Abschnitt II Kapitel IV Nr. 8 VO (EG) 853/2004 hierfür nicht ausreiche.
Die Ausführungen der Antragstellerin zu dem tatsächlichen Vorgehen erscheinen widersprüchlich. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin führt in seinem Schriftsatz vom 3. Januar 2019 – entsprechend der beigefügten eidesstattlichen Versicherung eines Betriebsmitarbeiters – aus, dass entgegen den Feststellungen der Kontrollbehörde optische Kontrollen der Schlachtkörper auf Kotverschmutzung durchgeführt würden und, sofern Kotverschmutzungen festgestellt würden, der betreffende Schlachtkörper gereinigt würde. Die Feststellungen im Bescheid seien daher nicht zutreffend. Hingegen erklärte die Antragstellerin im Rahmen der Anhörung im Schriftsatz vom 31. Oktober 2018, dass der Schlachtprozess der gleiche Standardprozess sei wie in der übrigen Europäischen Union; nicht vermeidbare Kotverschmutzungen würden durch Trinkwasser abgespült bzw. wie in der Verordnung genannt gesäubert. Das Gericht geht aufgrund dieser Aussagen zumindest derzeit davon aus, dass vor der (abschließenden) Säuberung mit Trinkwasser im sogenannten Reinigungstunnel im Betrieb der Antragstellerin keine weitere optische Kontrolle und zusätzliche Reinigung im Verschmutzungsfall erfolgt.
Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin im Schreiben vom 30. Januar 2019 ausführt, dass im Hinblick auf den Streitpunkt Schlachtkörperkontrolle/Trimmen die Antragstellerin die Position des Antragsgegners in vollem Umfange übernommen habe, scheint fraglich, ob überhaupt noch ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin für das vorliegende Eilverfahren gegeben ist oder die Parteien zwischenzeitlich hinsichtlich dieser Maßnahme übereinstimmend von dem Bedarf einer zusätzlichen Kontrolle und Reinigung ausgehen, sodass insoweit Erledigung eingetreten sein könnte.
Unabhängig hiervon geht das Gericht davon aus, dass Anhang III Abschnitt II Kap. IV Nr. 5 VO (EG) 853/2004 so auszulegen ist, dass Schlachthöfe verpflichtet sind, die Schlachtlinie insbesondere hinsichtlich des Ausnehmens in der Weise zu betreiben, dass eine Kontamination im größten Umfang, der technisch möglich ist, vermieden wird. Aus Nr. 5 in Verbindung mit Nr. 8 folgt, dass Schlachtprozesse bis zum Zeitpunkt der Fleischuntersuchung so durchgeführt werden müssen, dass eine Kontamination so weit wie möglich vermieden wird. Jedenfalls nach dem Säubern muss geschlachtetes Geflügel frei von jeder Kontamination sein (vgl. EuGH, C-347/17 – Schlussanträge des Generalanwalts vom 29.11.2018, Rn. 65 ff.).
Gemäß dem von dem Antragsteller vorgelegten Bildmaterial ist davon auszugehen, dass (zumindest teilweise) während des Zerlegungsvorgangs an den Schlachtkörpern erhebliche Kotverschmutzungen erfolgen. Auch wenn sich diese Kotverschmutzungen möglicherweise mit den eingesetzten technischen Mitteln (insbesondere Kloakenbohrer) nicht vollumfänglich vermeiden lassen, so erscheint es dennoch zumutbar und technisch möglich, durch eine zusätzliche optische Kontrolle kotverschmutzte Schlachtkörper vorab auszuscheiden und zu reinigen. Ein solches Eingreifen in den Schlachtprozess mag zwar zusätzliche Kosten verursachen und dazu führen, dass der Schlachtprozess weniger profitabel ist; die technische Unmöglichkeit eines solchen Eingriffs erkennt das Gericht jedoch nicht und wurde auch von Antragstellerseite nicht vorgetragen.
Die Anordnung einer solchen zusätzlichen optischen Kontrolle und Reinigung dürfte sich auch im Hauptsacheverfahren als verhältnismäßig erweisen. Denn die ausschließliche Säuberung von kotverschmutzten Schlachtkörpern im Trinkwasserkanal führt – wie von Antragsgegnerseite ausgeführt – zu einer Kontaminationsverschleppung im Trinkwasserkanal durch Aerosolteilchen. Im Sinne der größtmöglichen Vermeidung von Kontaminationen erscheint die Anordnung folglich sachgerecht, und führt auch nicht zu einem unverhältnismäßig hohen Aufwand bei der Antragstellerin.
Die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem angefochtenen Bescheid genügt auch den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Insoweit konnten auch die zusätzlichen Ausführungen des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 24. Januar 2019 berücksichtigt werden, da es sich insoweit lediglich um Ergänzungen der Begründung und nicht um eine Nachholung handelt (vgl. Eyermann, VwGO, 13. Auflage, § 80 Rn. 44).
Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ist dargelegt worden, weshalb dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin der Nachrang gegenüber den Interessen der Allgemeinheit gebührt. Die vorliegende Anordnung der sofortigen Vollziehung der Maßnahmen dient der präventiven Gefahrenabwehr für wichtige Gemeinschaftsgüter, nämlich der Gesundheit und des Lebens der Allgemeinheit, sodass das besondere öffentliche Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO im Regelfall mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts zusammenfällt und sich die Behörde bei der Abwägung der Beteiligteninteressen im Wesentlichen auf die Prüfung beschränken kann, ob nicht ausnahmsweise in Ansehung der besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich als im Normalfall ist (vgl. Eyermann, VwGO, 13. Auflage, § 80 Rn. 36). Aufgrund des aktuell vorliegenden Salmonella Agona Clusters bei Puten, dem gehäuften Nachweis von Salmonella enterica subsp. enterica Serovar Agona (S. Agona) bei Produkten der Antragstellerin sowie einem möglicherweise bundeslandübergreifenden S.Agona-Ausbruchsgeschehens überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse auch ohne Nachweis eines epidemiologischen Zusammenhangs zur Antragstellerin.
Auch die Fristsetzung zur Umsetzung der angeordneten Maßnahme scheint ausreichend, da diese – wie bereits ausgeführt und von Antragstellerseite auch nicht moniert – ohne großen Aufwand kurzfristig durchführbar sind.
Nach alledem war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt die Empfehlungen im Streitwertkatalog 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Nr. 1.5, 25.2).


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