Europarecht

Erfolglose Klage eines armenischen Staatsangehörigen gegen Ablehnung seines Zweitantrags

Aktenzeichen  W 8 K 17.32443

Datum:
5.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4496
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71a Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 1 – 3
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, S. 2, § 60a Abs. 2c
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 lit. d
RL 2013/32/EU Art. 40

 

Leitsatz

1. Gegen die mitgliedsstaatsübergreifende Anwendung des unionsrechtlich ermöglichten Folgeantragskonzepts bestehen jedenfalls keine grundsätzlichen unionsrechtlichen Bedenken. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. In Fällen, in denen sich die Angaben des Asylbewerbers mit den behördlichen Angaben der Übernahmeerklärung nach Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-VO decken, ergeben sich weder für das Bundesamt noch für das Gericht Anhaltspunkte für eine weitere Amtsermittlung, etwa in Hinblick auf eine Info-Request-Anfrage. (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist die Behandlung psychischer Erkrankungen in Armenien gewährleistet und erfolgt kostenlos. Auch einschlägige Medikamente sind erhältlich. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Im Einzelnen nimmt das Gericht Bezug auf seinen Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2017 (W 8 K 17.32443) und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 84 Abs. 4 VwGO). Dort ist schon ausgeführt, dass das Gericht den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid folgt und zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung absieht (§ 77 Abs. 2 AsylG). Des Weiteren nimmt das Gericht auf seinen Beschluss im Sofortverfahren (VG Würzburg, B.v. 8.6.2017 – W 8 S 17.32445 – juris) Bezug, in dem er das klägerische Vorbringen schon ausführlich gewürdigt hat.
Ergänzend ist gerade auch im Hinblick auf das weitere Vorbringen im Klageverfahren noch auszuführen, dass dieses Vorbringen keine andere Beurteilung rechtfertigt. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Das Gericht hat in seinem Beschluss vom 8. Juni 2017 (W 8 S 17.32445 – juris) insbesondere schon dargelegt, dass die mitgliedsstaatsübergreifende Anwendung des Folgeantragskonzepts nicht europarechtswidrig ist. Konkret hat das Gericht ausgeführt:
„Angesichts der Regelungen in § 40 der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) ist insbesondere ein dahingehender Umkehrschluss für den Zweitantrag aus den Regelungen für den Folgeantrag nicht zwingend geboten, vielmehr sind diese Regelungen entsprechend auf den Zweitantrag als Sonderform des Folgeantrags anzuwenden. Dafür sprechen die grundsätzliche Systematik sowie Sinn und Zweck der europarechtlichen Regelungen, weil prinzipiell nur ein Mitgliedsstaat für die Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes zuständig sein soll und die Voraussetzungen nur einmal geprüft werden sollen, soweit nicht neue Erkenntnisse hinzutreten. Andernfalls würde der Antragsteller bevorzugt, der anstatt einen (weiteren) Folgeantrag in demselben Mitgliedsstaat zu stellen, in dem auch der Erstantrag gestellt wurde (hier: Frankreich), diesen Mitgliedsstaat verlässt und in einem anderen Mitgliedsstaat (hier: Deutschland) erneut einen Asylantrag stellt, der abermals umfassend geprüft werden müsste. Im Ergebnis bestehen gegen die mitgliedsstaatsübergreifende Anwendung des unionsrechtlich ermöglichten Folgeantragskonzepts jedenfalls keine grundsätzlichen unionsrechtlichen Bedenken (offen gelassen von BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – InfAuslR 2017, 162).“
Daran hält das Gericht fest. Ergänzend ist noch anzumerken, dass der Begriff des Folgeantrags in der Verfahrensrichtlinie nicht legal definiert ist und sich deshalb nicht automatisch auf die nationale Definition des Folgeantrags beschränken muss, sondern auch den übergreifenden Zweitantrag erfasst. Dafür sprechen auch die Erwägungsgründe in der Verfahrensrichtlinie sowie der Sinn und Zweck der Regelung, weil andernfalls ein Kläger, der einen erneuten Asylantrag in einem anderen Mitgliedsstaat stellt, bevorzugt wäre. Auch systematische Gründe sprechen für die Europarechtsmäßigkeit der deutschen Regelung (vgl. im Einzelnen zu den letzten Aspekten VG Osna-brück, U.v. 27.2.2018 – 5 A 79/17 – juris).
Des Weiteren hat das Gericht keine Zweifel, dass ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in Frankreich gemäß § 71a Abs. 1 AsylG vorliegt. Der klägerische Einwand, dass die Beklagte nicht geprüft habe, aus welchen Gründen die französischen Behörden den Antrag des Klägers abgelehnt hätten und ob das Vorbringen des Klägers zu seinen Fluchtgründen etc. durch die französischen Behörden überhaupt gewürdigt bzw. verbeschieden worden sei, verfängt nicht.
Das Gericht hat keinen Zweifel, dass der Kläger seine Asylgründe in Frankreich vortragen konnte und dass darüber negativ entschieden worden ist. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch noch einmal explizit bestätigt. Der Kläger hat ausdrücklich angegeben, in Frankreich einen Asylantrag gestellt zu haben, der negativ verbeschieden worden sei. Er habe dagegen keine Klage erhoben. Er habe alles auch schon in Frankreich erzählt. Für den erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens sprechen auch die weiteren Angaben des Klägers, dass er im Jahr 2012 bis im Jahr 2013 in Frankreich seine Unterkunft sowie die Ansprüche auf medizinische Versorgung verloren habe. Dies deckt sich mit der Erkenntnislage (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Frankreich vom 29.1.2018, S. 11 und 12). Auch die zweimalige Antwort aus Frankreich mit Verweisen auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin III-VO spricht für einen in Frankreich rechtskräftig abgelehnten Asylantrag.
Vor diesem Hintergrund war das Gericht auch nicht verpflichtet, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Das wäre nur der Fall gewesen, wenn sich – anders als hier – eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen. In Fällen, in denen sich die Angaben des Asylbewerbers mit den behördlichen Angaben, konkret mit der Übernahmeerklärung gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Dublin III-VO deckt, ergeben sich für eine weitere Amtsermittlung weder für das Gericht noch für das Bundesamt etwa in Hinblick auf ein Info-Request-Anfrage Anhaltspunkte. Das Bundesamt durfte daher ohne weitere Sachermittlung davon ausgehen, dass es sich bei dem Asylverfahren des Klägers um ein Zweitantragsverfahren nach § 71a AsylG handelt. Vor diesem Hintergrund bedurfte es weder seitens des Gerichts noch seitens des Bundesamts quasi ins Blaue hinein weiterer Ermittlungen (genauso VG Osnabrück, U.v. 27.2.2018 – 5 A 79/17 – juris; VG Hannover, U.v. 15.2.2018 – 13 A 5143/17 – juris; VG Ansbach, U.v. 14.2.2018 – AN 3 K 16.31917 – juris, B.v. 23.3.2017 – AN 4 S 17.30922 – juris; VG Bayreuth, U.v. 26.7.2017 – B 1 K 17.31991 – juris; a.A. etwa VG München, B.v. 9.2.2018 – M 21 S 17.43973 – juris; B.v. 26.1.2018 – M 21 S 17.43702 – juris; B.v. 13.9.2017 – M 21 S 17.45989 – juris; VG VG Lüneburg, B.v. 8.2.2018 – 1 B 96/17 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 19.12.2017 – 27 L 5742/17.A – juris).
Vor diesem Hintergrund war auch nicht nachzuforschen, ob und in welchem Umfang die Frage des subsidiären Schutzstatus in Frankreich geprüft worden ist (VG Hannover, U.v. 15.2.2018 – 13 A 5143/17 – juris; anders VG Würzburg, B.v. 7.11.2017 – W 3 S 17.33500 – juris), zumal Dahingehendes weder in der Sache von Klägerseite substanziiert vorgetragen wurde, noch sonst ersichtlich ist, dass die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen könnten.
Damit bleibt es dabei, dass nach den Vorgaben des § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG ein weiteres Asylverfahren in Deutschland nicht durchzuführen war.
Das Gericht hat des Weiteren auch schon festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Auch insoweit kann auf den streitgegenständlichen Bescheid und auf die bereits ergangenen Entscheidungen des Gerichts verwiesen werden.
Ergänzend ist anzumerken, dass von der Klägerseite keine qualifizierten ärztlichen Bescheinigungen im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG vorgelegt wurden. Die Regelung des § 60a Abs. 2c AufenthG gilt auch im vorliegenden Zusammenhang (vgl. OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17 – AuAS 2018, 4). Insbesondere ist eine beachtlich wahrscheinliche Suizidgefahr oder sonstige relevante Gesundheitsgefahr bei einer Rückkehr nach Armenien weiterhin nicht in qualifizierte Weise belegt.
Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen infolge lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen vorliegt, die durch eine Abschiebung alsbald wesentlich verschlechtert würde. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlichen schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen. Solche Gefahren drohen jedenfalls nicht unmittelbar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wenn der Kläger sich dem Gesundheitssystem in Armenien unterwirft und auch die sonstigen Hilfemöglichkeiten in Anspruch nimmt. Eine paranoide Schizophrenie begründet kein Abschiebungsverbot (OVG NRW, B.v. 5.3.2018 – 11 A 83/17.A unter Hinweis auf aktuelle Erkenntnisse).
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angegeben, dass er auch in Armenien zum Arzt gehen könnte. Er könnte auch dort entsprechende Medikamente erhalten. Der vorgelegte Medikamentenplan des Krankenhauses für Psychiatrie und Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck vom 19. Februar 2018 enthält im Übrigen ausdrücklich die Aussage, dass der Medikamentenplan keinen Anspruch auf die Richtigkeit der weiteren Notwendigkeit, Vollständigkeit und der aktuellen Dosierung außerhalb der in der psychiatrischen Institutsambulanz verordneten Medikation erhebt. Nach den vorliegenden Erkenntnissen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 21.6.2017, Stand: Februar 2017, S. 18 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Armenien vom 23.12.2017, S. 37 ff.) ist die Behandlung von psychischen Erkrankungen in Armenien gewährleistet und erfolgt kostenlos. Auch einschlägige Medikamente sind erhältlich (ebenso OVG NRW, B.v. 5.3.2018 – 11 A 83/17.A unter Hinweis auf aktuelle Erkenntnisse).
Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, er sei gar kein armenischer Staatsangehöriger, sowie auf Bedrohungen seitens seines ehemaligen Kommandanten und auf seine Probleme bei der Armee verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass dieses Vorbringen keine neue Sachlage beinhaltet und er dies schon in Frankreich im Erstverfahren hätte angeben können und müssen (vgl. § 51 Abs. 2 VwVfG) und nach eigener Aussage auch gemacht hat.
Im Übrigen ist ergänzend anzufügen, dass nicht nachvollziehbar ist, dass der Kläger nicht die armenische Staatsangehörigkeit haben sollte, weil er selbst eingeräumt hat, eine armenische Geburtsurkunde gehabt zu haben (aber keinen Pass), und in Armenien Wehrdienst abgeleistet hat. Soweit der Kläger vorbringt, er habe Angst wegen der früheren Probleme bei der Armee, bleibt dieses geäußerte subjektive Gefühl ohne objektive Substanz und Konkretisierung. Dem Gericht ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dem Kläger – wenn überhaupt – heute noch insofern eine Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen sollte.
Das Gericht hat auch schließlich keine Zweifel, dass für den Kläger die Möglichkeit besteht, seine Rechte in Armenien wahrzunehmen und medizinische und sonstige Hilfen zu erreichen. Denn in Armenien sind zahlreiche wohltätige Organisationen und Organisationen mit humanitärer Mission tätig, die sich auf alle Bereiche erstrecken. Das armenische Rote Kreuz leistet soziale, ärztliche und psychologische Unterstützung etwa für alleinstehende Senioren, Flüchtlinge und Kinder. Wohltätigkeitsküchen werden betrieben und soziale Dienste geregelt. Des Weiteren können sozial bedürftige Personen in den Genuss verschiedener Beihilfen gelangen (vgl. dazu etwa Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 21.12.2017; siehe auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Armenien vom 13.12.2017, S. 34 f.). Gerade auch für Rückkehrer nach Armenien besteht die Möglichkeit sich an ein EU-Gemeinschaftsprojekt, ein Vermittlungszentrum für Reintegration, zu wenden. Dieses Vermittlungszentrum stellt armenischen Staatsangehörigen, die in ihre Heimat zurückkehren, Unterstützungsleistungen zur Reintegration zur Verfügung. Die Unterstützung richtet sich nach dem individuellen Förderbedarf. Das Vermittlungszentrum kann falls nötig eine kostenlose medizinische Untersuchung vermitteln. Auch die Caritas-Armenien leistet für Rückkehrer Hilfe für eine Reintegration (Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Eriwan, Auskunft vom 15.3.2016 an das VG Bayreuth). Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass der Kläger – trotz seines Gesundheitszustandes – sein Recht auf kostenfreie Behandlung usw. jedenfalls auf diesem Weg in zumutbarer Weise auch durchsetzen kann (vgl. auch OVG NRW, B.v. 5.3.2018 – 11 A 83/17.A).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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