Europarecht

Erfolgloser Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Klageverfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis – Nachholung des Visumsverfahrens ist trotz zwischenzeitlicher Geburt eines Kindes zumutbar

Aktenzeichen  RN 9 K 19.1092

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27758
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 5 Abs. 3, § 30 Abs. 1
ZPO § 114, § 121
VwGO § 113 Abs. 5 S. 2, § 166

 

Leitsatz

1. Die mit der Ausreise und einer erneuten Einreise mit dem erforderlichen Visum verbundenen Kosten, Mühen und Verluste an Zeit, die für andere Angelegenheiten dringender benötigt wird, gehören zu dem normalen Risiko der nicht ordnungsgemäßen Einreise und begründen daher für sich allein nicht die Unzumutbarkeit der Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens. Wartezeiten, Kosten und sonstige Erschwernisse, die durch das Visumverfahren entstehen, sind als typische Umstände der gesetzlichen Ausgestaltung des Einreiseverfahrens auch bei der ordnungsgemäßen Einreise grundsätzlich hinzunehmen.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird das Vorliegen einer Ausnahmesituation bejaht darf die Ausländerbehörde (generalpräventiv) im Rahmen ihres Handlungsermessens berücksichtigen, ob eine bewusste Umgehung des Visumverfahrens vorliegt, die nicht durch eine Abweichung im Ermessenswege honoriert werden soll.  (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer familienbezogenen Aufenthaltserlaubnis.
Die Klägerin ist mazedonische Staatsangehörige. Sie reiste ohne Visum in das Bundesgebiet ein und meldete sich am 1. August 2018 in P* … an. Während eines Besuchsaufenthalts im Jahr 2017 hatte die Klägerin zusammen mit ihrer Schwägerin bereits am 15. November 2017 bei der Ausländerbehörde des Landratsamtes P* … vorgesprochen, um sich über die Voraussetzungen für einen Familiennachzug zu ihrem Ehemann zu erkundigen. Dabei wurde die Klägern insbesondere auf die Notwendigkeit des Visumverfahrens sowie den Nachweis einfacher Sprachkenntnisse (A1-Niveau) hingewiesen. Der Ehemann der Klägerin hält sich seit 25. Februar 2017 in Deutschland auf. Nach seiner Einreise mit einem Visum zu Beschäftigungszwecken wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung nach § 18 AufenthG (gültig 06.04.2017 bis 23.08.2019) erteilt.
Mit Schreiben vom 28. November 2018 beantragte die Bevollmächtigte für die Klägerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Zudem wurde mitgeteilt, dass die Klägerin schwanger sei und voraussichtlich am 8. Februar 2019 entbinden werde. Dem Antrag beigefügt waren eine Übersetzung der Heiratsurkunde, eine Kopie des Aufenthaltstitels des Ehemanns, ein fachärztliches Attest des Frauenarztes sowie ein Sprachnachweis des Sprachzentrums „Vortex“.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 2018 wurden über die Bevollmächtigte weitere Unterlagen, unter anderem der Mietvertrag sowie ein Nachweis über einfache Deutschkenntnisse (A1-Niveau), nachgefordert. Per Fax vom 16. Januar 2019 wurden diese teilweise, jedoch unleserlich, nachgereicht. Da noch fehlende bzw. unleserlich übermittelte Unterlagen trotz Erinnerungsschreibens in der Folge nicht vorgelegt wurden, wurde die Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2019 zur beabsichtigen Ablehnung ihres Antrags angehört. Insofern äußerte sich ihre Bevollmächtigte mit Schreiben vom 27. Februar 2019 unter nochmaliger Vorlage bereits zuvor vorgelegter Unterlagen. Neue Unterlagen, abgesehen von einer Seite aus dem Mutterpass der Klägerin, oder neue Tatsachen wurden nicht vorgebracht.
Am 12. Februar 2019 wurde die Tochter der Klägerin geboren.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2019, der Bevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 23. Mai 2019, lehnte das Landratsamt Rottal-Inn den Antrag der Klägerin vom 28. November 2018 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG könne nicht erteilt werden, da die Klägerin ohne das erforderliche Visum eingereist sei (§§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 6 Abs. 3 AufenthG) und einfache Deutschkenntnisse nicht nachweisen könne. Gründe für ein Absehen von der Nachholung des Visumverfahrens im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege lägen nicht vor. Solche seien nicht vorgetragen worden. Auch eine Unzumutbarkeit nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG sei offensichtlich nicht gegeben. Zudem habe sich die Klägerin am 15. November 2017 persönlich in der Ausländerbehörde über das Verfahren über den Ehegattennachzug erkundigt und sei somit bei Einreise über das notwendige Visaverfahren in Kenntnis gewesen. Mangels Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen bestehe kein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. d) AufenthG. Auch über § 39 Nr. 3 AufenthV könne nicht auf das Visumverfahren verzichtet werden, da weder die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt noch ein Anspruch nach Einreise entstanden seien. Auch handle es sich nicht um einen Anspruch nach den §§ 16, 17b oder 18d AufenthG. § 39 Nr. 1 AufenthV komme nicht in Betracht, da die Klägerin weder ein nationales Visum noch eine Aufenthaltserlaubnis besitze. Zudem sei sie nicht gemäß § 39 Nr. 2 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. § 39 Nr. 4 bis 6 AufenthV lägen augenscheinlich ebenfalls nicht vor. Das von der Bevollmächtigten vorgelegte übersetze Diplom eines Sprachzentrums „Vortex“ über einen Deutschkurs, Niveaustufe A1.1, stelle keinen Sprachnachweis nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (§ 2 Abs. 9 AufenthG) dar. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, ob dabei die Sprachfertigkeiten Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben geprüft worden seien. Bereits bei ihrer persönlichen Vorsprache am 15. November 2017 habe sich die Klägerin zu dem erforderlichen Nachweis der deutschen Sprachkenntnisse erkundigt. Den zum damaligen Zeitpunkt besuchten Deutschkurs beim Volksbildungswerk P* … habe sie aufgrund der maximalen Dauer ihres Besuchsaufenthalts nicht beenden können. Jedoch sei ihr damals mitgeteilt worden, dass sie diesen Kurs bei ihrem nächsten Besuchsaufenthalt fortsetzen könne und sei sie ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass ein A1-Sprachnachweis zwingende Voraussetzung für den Ehegattennachzug sei. Zudem sei nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Sprachnachweis noch vor der Einreise zu erbringen, was vorliegend nicht der Fall sei. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 AufenthG sei zu verneinen, da der Ehemann der Klägerin kein deutscher Staatsbürger sei und auch das Kind M* … durch die Geburt in Deutschland nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Da bei der Klägerin keine völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründe erkennbar seien, komme auch eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes nicht in Frage. Eine solche nach dem 7. Abschnitt komme augenscheinlich nicht in Betracht.
Hiergegen ließ die Klägerin am 24. Juni 2019 Klage erheben. Seit dem Jahr 2017 besuche die Klägerin Deutschkurse. Zudem habe sie in Skopje einen Deutschkurs erfolgreich absolviert, wobei in der Abschlussprüfung Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben geprüft worden seien. Durch das Sprachzentrum „Vortex“ sei unter dem 5. Februar 2018 ein Diplom erteilt worden, welches den Anforderungen des § 2 Abs. 9 AufenthG entspreche. Der bis zum 23. August 2019 gültige Aufenthaltstitel des Ehemannes, der bei der Firma I* …, P* …, angestellt sei, sei um weitere drei Jahre verlängert worden. Beklagtenseits seien seit dem 6. Dezember 2018 verschiedene Unterlagen angefordert worden. Am 12. Februar 2019 sei die Tochter der Klägerin nach Risikoschwangerschaft geboren worden. Hierüber sei der Beklagte mit Schreiben vom 15. Mai 2019 ebenso in Kenntnis gesetzt worden wie über die später firmenseits bestätigte Absicht der Klägerin, eine Arbeitsstelle bei der Firma I* …, P* …, anzutreten, und es seien weitere Unterlagen vorgelegt worden; dieser Vortrag sei beklagtenseits schlicht übergangen worden. Unter dem 17. Juni 2019 habe die Klägerin beim Volksbildungswerk P* … erfolgreich einen Modelltest Deutsch als Fremdsprache, Niveau A1, abgelegt, der den Anforderungen des § 2 Abs. 9 AufenthG entspreche. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. d) i.V.m. § 5 AufenthG. Insbesondere könne sich die Klägerin zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen. Das eingereichte Diplom nehme offensichtlich Bezug auf den Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen, zumal die Anforderungen an den Sprachnachweis nach der Intention des Gesetzgebers nicht überspannt werden dürften. Darüber hinaus habe die Klägerin den Deutschkurs des Volksbildungswerkes erfolgreich abgeschlossen. Zudem könne das fehlende Visumverfahren der Klägerin nicht entgegengehalten werden. Bei der Verneinung besonderer Umstände habe der Beklagte die zwischenzeitliche Geburt der Tochter der Klägerin völlig unberücksichtigt gelassen; dadurch wäre der Beklagte allerdings zum Verzicht auf ein Visumverfahren verpflichtet gewesen. Zudem habe die Klägerin selbst eine Zusage für einen Arbeitsplatz, womit ihr sogar aus eigenem Recht ein Aufenthaltstitel zustehe. Ferner würde die Durchführung des Visumverfahrens bloße Förmelei sein, da die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorlägen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG). Der Klageschrift beigefügt waren verschiedene Unterlagen, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamtes Rottal-Inn vom 22.05.2019, zugestellt am 23.05.2019 (Az.: SG 62* …*), zu verpflichten, der Klägerin die am 28. November 2018 beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf den streitgegenständlichen Bescheid werde ergänzend ausgeführt, dass die nun vorgelegte Bestätigung des Volksbildungswerkes – wie dort auch vermerkt – keine offizielle Prüfung sei und deshalb nicht ausreichen werde (VwV Nr. 30.1.2.3.4.2 zu § 30 AufenthG). Die Wirksamkeit der Ehe für den deutschen Rechtsbereich habe bisher mangels Vorlage eines Nachweises über die Eheschließung im Kosovo nicht überprüft werden können. Hierzu würde eine Heiratsurkunde im Original mit Übersetzung durch einen im Bundesgebiet zugelassenen Übersetzer notwendig sein. Was die Nachholung des Visumverfahrens betreffe, sei eine Unzumutbarkeit wegen der Geburt der Tochter der Klägerin mit der Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993, Rn. 5) nicht anzunehmen. Auch sei dieser Umstand sehr wohl berücksichtigt worden, da der Bevollmächtigten am 9. Mai 2019 die Ausstellung einer vorübergehenden Duldung für die ersten Lebensmonate der Tochter bei Rücknahme des Antrags auf Aufenthaltserlaubnis angeboten worden sei; dies sei jedoch abgelehnt worden. Weitere Gründe für eine Unzumutbarkeit seien nicht vorgetragen worden. Was den infolge des vorgelegten informellen Sprachnachweises geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG) betreffe, liege ein solcher noch immer nicht vor. Trotz Aufforderung sei klägerseits keine Bestätigung über den zur Verfügung stehenden Wohnraum vorgelegt worden (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 2 Abs. 4 AufenthG). Zudem könne die Eheschließung aus den genannten Gründen derzeit nicht anerkannt werden. Nur wenn ein strikter Rechtsanspruch vorliege, könne im Rahmen einer Ermessensentscheidung der Verzicht auf ein Visumverfahren überprüft werden. Im Übrigen würde im Rahmen der Ermessensentscheidung zu beachten sein, dass die Klägerin bewusst unter Missachtung der Visumregeln unerlaubt eingereist sei. In der Zusammenschau dieser Aspekte überwiege daher das öffentliche Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens. Soweit geltend gemacht werde, dass die Klägerin infolge der Arbeitsplatzzusage aus eigenem Recht einen Anspruch auf einen Aufenthaltstitel habe, sei auch dies an weitere Voraussetzungen geknüpft. Auch für eine Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung sei vor Einreise die Beantragung eines nationalen Visums notwendig (§ 6 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) und würden im Visumverfahren dann die jeweiligen Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltszweck geprüft (§ 6 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).
Hierauf erwiderte die Bevollmächtigte am 7. Oktober 2019 unter Vorlage der Heiratsurkunde im Original und deren Übersetzung. Die Klägerin nehme zwischenzeitlich an einem dritten Deutschkurs teil. Zudem stünde der Klägerin ausweislich des Zeugnisses des Herrn J. der erforderliche Wohnraum zur Verfügung. Nach weiterem Schriftwechsel legte die Bevollmächtigte am 2. Dezember 2019 unter anderem eine Bestätigung des Volksbildungswerks P* … vom 28. November 2019 über die „ordentliche Teilnahme“ der Klägerin am Deutschkurs sowie einen Grundriss der der Klägerin und ihrer Familie zur Verfügung stehenden Wohnung vor.
Mit Schreiben vom 14. Februar 2020 an die Bevollmächtigte wurde der Klägerin die Ausstellung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG angeboten und vorbehaltlich eines positiven Ausgangs der zwischenzeitlich eingeleiteten Urkundenprüfung die Ausstellung einer Vorabzustimmung (§ 31 Abs. 3 AufenthV) gegen Klagerücknahme in Aussicht gestellt.
Am 8. April 2020 teilte der Beklagte mit, dass nach Prüfung der Heiratsurkunde die Wirksamkeit der Eheschließung für den deutschen Rechtsbereich nachgewiesen sei.
Mit Schreiben an das Landratsamt Rottal-Inn vom 24. April 2020 erklärte sich die Bevollmächtigte mit der vorgeschlagenen Vorgehensweise einverstanden und bat um Ausstellung der Vorabzustimmung, in deren Folge sie die Klage zurücknehmen werde. Am 13. Mai 2020 wurde der Klägerin eine Duldung erteilt und diese in der Folge verlängert.
Mit Schreiben vom 29. April 2020, 24. August 2020 und 7. Januar 2021 wurden über die Bevollmächtigte weitere Unterlagen angefordert, zuletzt die letzten drei Lohnabrechnungen für den Ehemann der Klägerin, eine aktuelle Bestätigung dessen Arbeitgebers über ein ungekündigtes und unbefristetes Arbeitsverhältnis sowie ein Nachweis über ausreichenden Wohnraum.
Am 5. Januar 2021 legte die Bevollmächtigte ein A1-Zertifikat der Klägerin vor und bat erneut um Erteilung einer Vorabzustimmung.
Am 24. Juni 2019 ließ die Klägerin Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihr Bevollmächtigten stellen. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin ging am 30. Juli 2019 bei Gericht ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens scheidet bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife mit Eingang von Klageerwiderung und Akten bei Gericht am 30. August 2019 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung nach Maßgabe von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 ZPO ungeachtet der wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin aus. Denn der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid erweist sich als rechtmäßig, nachdem die Klägerin nach Lage der Akten keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist dem Ehegatten eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben (Nr. 1), der Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (Nr. 2) und der Ausländer einen Aufenthaltstitel besitzt (Nr. 3). Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen des § 29 AufenthG sowie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt sein.
1. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife standen einem Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sowohl der fehlende Nachweis einer wirksam geschlossenen Ehe (§ 30 Abs. 1 AufenthG), das Fehlen des erforderlichen Sprachnachweises (§ 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) als auch das mangelnde Visumverfahren (§ 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) entgegen.
2. Zwischenzeitlich wurde zwar das Bestehen einer wirksam geschlossenen Ehe zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann bestätigt und hat die Klägerin ein A1-Zertifikat und damit einen Nachweis über die erforderlichen Sprachkenntnisse vorgelegt. Gleichwohl fehlt es nach wie vor an einer Nachholung des – mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 39 AufenthV – erforderlichen Visumverfahrens.
Von diesem kann entgegen der klägerischen Ansicht auch nicht abgesehen werden. Nach
§ 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann vom Visumerfordernis abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind (Alt. 1) oder es aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (Alt. 2). Dabei ist zu beachten, dass die Einhaltung der Visumregeln kein Selbstzweck ist. Sie soll verhindern, dass die Steuerungsmechanismen lahmgelegt und die Zugangskontrollen unterlaufen werden. Sinn und Zweck der Visumvorschriften leiden nicht darunter, wenn ausnahmsweise von ihnen abgesehen wird und sie hinter eindeutige Rechtsansprüche zurücktreten oder auf ihre Nachholung wegen Unzumutbarkeit verzichtet wird. In beiden Fällen wäre der Umweg über Ausreise, Visumverfahren und erneute Einreise nur mit Kosten und Zeitaufwand verbunden und stellte sich damit als bloße Förmlichkeit dar. Von diesen Grundsätzen ausgehend hat die Ausländerbehörde im Wege des Ermessens zu beurteilen, ob eine Ausnahme vertretbar und angemessen ist. Vorausgesetzt ist aber zunächst die Feststellung eines Anspruchs auf einen Aufenthaltstitel oder einer Unzumutbarkeit im Einzelfall (Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 5 Rn. 113).
a. Der Klägerin stand zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Der im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vorausgesetzte strikte Rechtsanspruch (vgl. z.B. BeckOK AuslR/Maor, 28. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 5 Rn. 36) scheitert schon daran, dass die Klägerin weder das erforderliche Sprachniveau noch das Bestehen einer wirksamen Ehe nachgewiesen hatte (§ 30 AufenthG) bzw. die von ihr in den Raum gestellte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung als längerfristiger Aufenthaltszweck ebenfalls an die Durchführung eines Visumverfahrens gekoppelt wäre (§ 6 Abs. 3, § 5 AufenthG) und von diesem wiederum allenfalls im Ermessenswege des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden könnte.
b. Auch ist der Klägerin die Nachholung des Visumverfahrens aufgrund der Geburt ihrer Tochter im Februar 2020 nicht unzumutbar im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG.
Unzumutbarkeit in diesem Sinne ist bei einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK gegeben (vgl. Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 5 Rn. 154). Die mit der Ausreise und einer erneuten Einreise mit dem erforderlichen Visum verbundenen Kosten, Mühen und Verluste an Zeit, die für andere Angelegenheiten dringender benötigt wird, gehören allerdings zu dem normalen Risiko der nicht ordnungsgemäßen Einreise (OVG SH, B.v. 13.6.2017 – 2 B 344.17 – juris, Rn 16; OVG SA, B.v. 27.5.2015 – 2 M 21.15 – juris, Rn 20; Nds OVG, B.v. 27.7.2009 – 11 ME 171.09 – juris, Rn 22; Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 5 Rn. 154) und begründen daher für sich allein nicht die Unzumutbarkeit der Ausreise und Nachholung des Visumverfahrens. Wartezeiten, Kosten und sonstige Erschwernisse, die durch das Visumverfahren entstehen, sind als typische Umstände der gesetzlichen Ausgestaltung des Einreiseverfahrens auch bei der ordnungsgemäßen Einreise grundsätzlich hinzunehmen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 C 18.1641 – juris, Rn 6 mwN; OVG SL, B.v.1.3.2010 – 13 ME 3/10 – juris, Rn 11; Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 5 Rn. 154). Als unzumutbar können sie nur dann angesehen werden, wenn die Versäumnisse dem Ausländer nicht persönlich anzulasten sind, sein Verschulden nur gering war oder die notwendigen Reisen aufgrund äußerer Umstände oder aus persönlichen Gründen besondere Schwierigkeiten bereiten oder besonders aufwändig erscheinen (Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 5 Rn. 154 m.w.N.). Grundsätzlich ist – und zwar auch in Fällen des Familiennachzugs und auch im Lichte des Art. 6 GG – die Durchführung eines Visumverfahrens zumutbar (BVerfG BeckRS 2008, 33618; 2011, 50816; BVerwG NVwZ 2011, 871 Rn. 34; NVwZ-RR 2015, 313: Trennung der Ehegatten für fünfzehn Monate trotz der Gefahr der Heranziehung zum Wehrdienst im Heimatland (Türkei); BayVGH BeckRS 2019, 982; BayVGH BeckRS 2020, 4494; SächsOVG BeckRS 2020, 29564); es ist nachzugswilligen Ausländern auch zuzumuten, sich vor der Ausreise nach Deutschland nach Visumerfordernissen zu erkundigen (BayVGH BeckRS 2018, 14558: Ausreise in das Kosovo für die übliche Dauer des Visumverfahrens zum Ehegattennachzug trotz gemeinsamer einjähriger Tochter daher zumutbar) (BeckOK AuslR/Maor, 28. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 5 Rn. 37a).
Vor diesem Hintergrund ist es der Klägerin zuzumuten, das Visumverfahren trotz der zwischenzeitlichen Geburt ihrer Tochter nachzuholen. Weder die Dauer des Visumverfahrens von Mazedonien aus noch die ca. ein Jahr alte Tochter der Klägerin und ihres Ehemanns sind als besondere Umstände des Einzelfalls zu werten, die die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar machten. Vielmehr liegt es im Verantwortungsbereich der Klägerin, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993, BeckRS 2018, 14558 Rn. 5, beck-online). Dies umso mehr, als keine Gründe dafür ersichtlich sind, warum die Klägerin ihre Tochter für die Dauer des Visumverfahrens nicht in ihr Heimatland mitnehmen könnte. Selbst für den Fall, dass dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich sein sollte, bleibt es der Klägerin und ihrem Ehemann unbenommen und liegt es in deren Verantwortungsbereich, anderweitig für eine Betreuung des gemeinsamen Kindes zu sorgen. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin, die sich insofern sogar eigenständig erkundigt hatte, bereits Ende 2017 um das Visumerfordernis wusste und gleichwohl ohne Visum zu ihrem Ehemann in das Bundesgebiet eingereist ist und sich damit gleichsam sehenden Auges in diese Situation gebracht hat. Bezüglich der Dauer des Visumverfahrens und der Wartezeiten beispielsweise für eine Terminbestätigung der deutschen Botschaft befindet sich die Klägerin im Übrigen in keiner anderen Situation als andere Betroffene, die in Fällen der Familienzusammenführung das Visumverfahren ordnungsgemäß von Mazedonien aus durchführen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993, BeckRS 2018, 14558 Rn. 5, beck-online). Sollte sich eine Unzumutbarkeit der Nachholung aus der Dauer der Wartezeit bis zur Visumerteilung ergeben, so kann dem grundsätzlich durch eine Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV begegnet werden (vgl. OVG Bremen EZAR NF 28 Nr. 30; VG Augsburg BeckRS 2017, 127015: ein zehn Tage dauerndes Visumverfahren in Nigeria mit Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV zumutbar für den Vater eines einjährigen Kleinkindes und das Kind selber; BeckOK AuslR/Maor, 28. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 5 Rn. 37). Diese hat der Beklagte vorliegend auch vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (gesicherter Lebensunterhalt, ausreichender Wohnraum) in Aussicht gestellt und sich die Bevollmächtigte hiermit einverstanden erklärt. Dass die Vorabzustimmung bislang nicht erteilt werden konnte, ist dem Umstand geschuldet, dass klägerseits nachgeforderte aktuelle Unterlagen insbesondere betreffend den gesicherten Lebensunterhalt bislang nicht vorgelegt wurden.
c. Auch wenn einer der beiden Tatbestände des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erfüllt wäre, ist ein Absehen von der ordnungsgemäßen Einreise noch nicht zwingend geboten. Es muss vielmehr im Wege des Ermessens entschieden werden, ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll. Dabei darf die Ausländerbehörde (generalpräventiv) berücksichtigen, ob eine bewusste Umgehung des Visumverfahrens vorliegt, die nicht durch eine Abweichung im Ermessenswege honoriert werden soll. Dieses Handlungsermessen ist nicht eröffnet, wenn eine Ausnahmesituation verneint worden ist. Zudem darf es sich nicht in der Wiederholung der Gesichtspunkte erschöpfen, die bereits für die Feststellung einer atypischen Sachlage herangezogen wurden. Es können aber allgemeine Erwägungen darüber angestellt werden, ob im konkreten Einzelfall das Nachholen des Visumverfahrens mit den dahinter stehenden Grundgedanken noch vereinbar ist oder umgekehrt ohne Schaden für das Prinzip von ihm abgewichen werden kann (Bergmann/Dienelt/Samel, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 5 Rn. 155). Die insofern seitens des Beklagten bereits angestellten Ermessenserwägungen lassen insofern keine im Rahmen der zulässigen Prüfung (vgl. § 114 VwGO) möglichen Fehler erkennen. Insbesondere durfte der Beklagte insofern den Umstand berücksichtigen, dass die Klägerin – wie bereits ausgeführt – bewusst unter Umgehung des Visumerfordernisses eingereist ist, obwohl sie sich diesbezüglich im Vorfeld aus eigenem Antrieb bei der Ausländerbehörde erkundigt hatte.
3. Ob der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG derzeit der mangelnde Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sowie des ausreichenden Wohnraums (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) entgegensteht, ist eine Frage des Hauptsacheverfahrens und kann daher an dieser Stelle noch offenbleiben. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass der Nachweis beider Kriterien erforderlich ist und hiervon mangels entsprechender Regelung auch nicht abgesehen werden kann; § 30 Abs. 3 AufenthG bezieht sich ausdrücklich nur auf die vorliegend nicht in Rede stehende Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug. Ob die bloße Bestätigung des Bruders der Klägerin, dass diese gemeinsam mit ihrem Ehemann – und nun auch der Tochter – in dessen Haus wohne, als Nachweis ausreicht, erscheint fraglich. Der Nachweis ausreichenden Wohnraums im Sinne des § 2 Abs. 4 AufenthG für den Familiennachzug erfordert hinreichende Belege, aus denen sich ergibt, dass dem in Deutschland lebenden Ausländer eine Wohnung rechtlich und tatsächlich gesichert zur Verfügung steht und für die Wohnzwecke der Familie genutzt werden kann; allein das Vorhandensein eines Wohnberechtigungsscheins und die nicht belegte Behauptung, eine solche Wohnung könne jederzeit angemietet werden, reicht nicht. Der Nachweis muss aussagekräftig sein, also insbesondere die Wohnfläche erkennen lassen (Bergmann/Dienelt/Dienelt, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 2 Rn. 177). Bislang liegen lediglich eine Bestätigung des Bruders der Klägerin vom 7. Januar 2019 (Bl. 40), dass diese mit ihrem Ehemann in dessen Haus wohne, keine Miete zahle, sich aber mit 100 Euro an den Nebenkosten beteilige, und ein Grundriss des Hauses mit der Erklärung, dass die Klägerin und ihre Familie das Untergeschoss mit einer Wohnfläche von 54 m² bewohnten, vor. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin und ihr Ehemann nach Angaben des Bruders eben gerade keine Miete zahlen, sondern sich nur an den Nebenkosten beteiligen, weshalb kein Mietvertrag als Nachweis vorgelegt werden kann. Sofern seitens des Bruders beispielsweise eine glaubhafte Bestätigung vorgelegt würde, dass die Klägerin und ihre Familie dauerhaft das Untergeschoss mit der genannten Wohnfläche bewohnen dürften, könnte diese gegebenenfalls als Nachweis ausreichen.


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