Europarecht

Fahrtenbuchauflage wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Aktenzeichen  Au 3 K 19.773

Datum:
18.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14577
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVZO § 31a Abs. 1 S. 1
StVG § 26 Abs. 3
BKatV § 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die mit der Klage angegriffene Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Befugnisnorm sind erfüllt.
a) Mit dem auf die Klägerin als Halterin zugelassenen Personenkraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … wurde am 18. Mai 2018 in … ein Verkehrsverstoß begangen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 80 km/h wurde um 43 km/h überschritten. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h (nach Abzug einer Toleranz von 4 km/h) ist gemäß Nr. 2.2.3 der Anlage 13 zur FeV in Verbindung § 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 des Anhangs zum Bußgeldkatalog im Fahreignungsregister mit zwei Punkten zu bewerten und wird als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit bezeichnet. Hierbei handelt es sich – auch im Falle einer ersten derartigen Zuwiderhandlung – um eine Ordnungswidrigkeit von einigem Gewicht. Insoweit genügt unter anderem, dass sich der Verkehrsverstoß verkehrsgefährdend auswirken kann.
b) Die zuständige Behörde war nicht in der Lage, den Täter der Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers zu vertreten hat (vgl. BayVGH, B.v. 7.1.2019 – 11 CS 18.1373 – juris Rn. 11 m.w.N.).
§ 31a StVZO verpflichtet die Polizei nicht zur Anwendung bestimmter Ermittlungsmethoden. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab. Die Behörde darf ihre Bemühungen um die Feststellung des Fahrzeugführers vorrangig an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten und aus seinem Verhalten im Ordnungswidrigkeitenverfahren auf fehlende Mitwirkungswirkungsbereitschaft schließen. Der Fahrzeughalter ist für sein Fahrzeug verantwortlich und daher erster Ansprechpartner für die Ermittlungsbehörden. Auch wenn der Fahrer auf einer Lichtbildaufnahme nicht identifiziert werden kann, ist der Fahrzeughalter insoweit zur Mithilfe bei der Aufklärung verpflichtet, dass er zumindest den Personenkreis der möglichen Fahrzeugführer gegenüber der Straßenverkehrsbehörde einschränkt. Unterbleiben dahingehende Angaben oder lehnt der Fahrzeughalter eine Mitwirkung erkennbar ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen nach dem Fahrzeugführer zu betreiben, zumal Ermittlungsbemühungen nur dann sinnvoll sind, wenn der Täter vor Ablauf der dreimonatigen Verjährungsfrist (§ 26 Abs. 3 StVG) und deren in Betracht kommenden Unterbrechungen so rechtzeitig bekannt ist, dass die Verkehrsordnungswidrigkeit noch mit Aussicht auf Erfolg geahndet werden kann. Schickt der Fahrzeughalter den ihm übersandten Anhörungsbogen unausgefüllt oder kommentarlos zurück oder reagiert auf diesen nicht oder lehnt er unter ausdrücklichem Hinweis auf sein Aussagverweigerungsrecht pauschal jede Mitwirkung an der weiteren Aufklärung ab, darf die Ermittlungsbehörde nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich von einer fehlenden Bereitschaft ausgehen, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Dies gilt nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls auch und gerade in den Fällen, in denen der Fahrzeughalter in dem Anhörungsschreiben vorsorglich auch als Zeuge angesprochen worden ist, aber bis zuletzt jede sachdienliche Äußerung abgelehnt hatte. Erst wenn sich im Einzelfall besondere Beweisanzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrzeugführers hindeuten, oder wenn besondere Umstände des Einzelfalls es naheliegend erscheinen lassen, dass der Halter bei Kenntnis bestimmter Ermittlungsergebnisse doch mitwirkungsbereit sein könnte, muss die Behörde weiter ermitteln (vgl. dazu insgesamt BayVGH, B.v. 7.1.2019 – 11 CS 18.1373 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe wurden vorliegend im Ordnungswidrigkeitenverfahren behördlich nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, um den verantwortlichen Fahrer zu ermitteln.
Der Zeugenfragebogen vom 8. Juni 2018 kam nach Mitteilung des … vom 29. Juni 2018 nicht in Rücklauf. Erst mit E-Mail vom 27. Juli 2018 wurde der Name einer Person benannt, die das Fahrzeug allerdings tatsächlich nicht geführt hat. Die Adresse der genannten Person konnte nicht genannt werden und sollte erst nach Urlaubsrückkehr eines Mitarbeiters der Klägerin übermittelt werden. Der vermeintliche Fahrer wurde als Betroffener angehört; der Anhörungsbogen kam nach einem Aktenvermerk vom 23. April 2019 nicht in Rücklauf.
c) Die ohnehin weder ein formales Tatbestandsmerkmal des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO noch eine starre Grenze darstellende Zweiwochenfrist gilt nicht bei Verkehrsverstößen, die mit einem Firmenfahrzeug eines Kaufmanns im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind. Bei Firmenfahrzeugen fällt es in die Sphäre der Geschäftsleitung, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat. Es entspricht – unabhängig von der Reichweite gesetzlicher Buchführungspflichten – sachgerechtem kaufmännischen Verhalten, die mit einem Firmenwagen vorgenommenen Fahrten längerfristig zu dokumentieren. Selbst die verzögerte Anhörung des Halters eines Firmenfahrzeugs begründet daher für diesen eine Obliegenheit, zur Aufklärung eines mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist (vgl. dazu insgesamt OVG NRW, B.v. 10.9.2019 – 8 B 774/19 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Den mit der Ermittlung befassten Behörden sind keine Versäumnisse vorzuwerfen. Es liegt im Organisationsbereich der Klägerin, Auskunft über Fahrer auch während urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit eines Sachbearbeiters zeitnah erteilen zu können. Ob die Übermittlung der fehlerhaften Daten versehentlich oder zur Verschleppung des Verfahrens erfolgt, ist unerheblich. Maßgebend ist allein, dass aufgrund der unterbliebenen bzw. fehlerhaften Mitwirkung der Klägerin der Fahrer nicht rechtzeitig ermittelt werden konnte.
2. Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage ist (auch hinsichtlich der Dauer von zwölf Monaten) ermessensfehlerfrei ergangen und verhältnismäßig.
Der gegenständliche Verkehrsverstoß vom 18. Mai 2018 ist geeignet, die Anordnung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten zu rechtfertigen. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h (nach Abzug einer Toleranz von 4 km/h) wird als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeit bezeichnet. Hierbei handelt es sich – auch im Falle einer ersten derartigen Zuwiderhandlung – um eine Ordnungswidrigkeit von einigem Gewicht. Insoweit genügt unter anderem, dass sich der Verkehrsverstoß verkehrsgefährdend auswirken kann.
Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage ist auch ermessensfehlerfrei ergangen. Der Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid das ihm zustehende Ermessen erkannt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) nicht überschritten. Je gewichtiger ein unaufgeklärter Verkehrsverstoß ist und je geringer die im Verfahren gezeigte Bereitschaft des Fahrzeughalters zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung, umso eher kann die Behörde dies auf der Ermessensebene ohne ausgreifende Erläuterung berücksichtigen. (vgl. zum Ganzen: VGH BW, B.v. 30.11.2010 – 10 S 1860/10 – juris Rn. 16).
Auch die behördliche Ermessensentscheidung, die Dauer der Fahrtenbuchauflage auf zwölf Monate festzulegen, ist nicht zu beanstanden. § 31a StVZO enthält keine Aussage darüber, für welche Zeitspanne die Führung eines Fahrtenbuchs anzuordnen ist. Die Beantwortung dieser Frage bleibt vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen der Behörde überlassen, die hierbei lediglich die zwingenden Vorgaben der Rechtsordnung, insbesondere den Gleichbehandlungs- und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, zu beachten hat.
Ob die Dauer einer Fahrtenbuchauflage mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang steht, ist mit Blick auf den Anlass der Anordnung und den mit ihr verfolgten Zweck unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Als Kriterium für ihre zeitliche Bemessung ist vor diesem Hintergrund vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung heranzuziehen. Bei der Festlegung der Dauer einer Fahrtenbuchauflage wird daneben das Verhalten zu würdigen sein, das der Fahrzeughalter im Zusammenhang mit den Bemühungen der Behörde an den Tag gelegt hat, eine mit seinem Kraftfahrzeug begangene Verkehrszuwiderhandlung aufzuklären. Denn je mehr sich ein Fahrzeughalter darum bemüht, zu der Tataufklärung beizutragen, desto weniger wird unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr Anlass bestehen, ihn hierzu für künftige Fälle durch eine Fahrtenbuchauflage anzuhalten (vgl. zu alledem BayVGH, B.v. 30.8.2011 – 11 CS 11.1548 – juris Rn. 31 m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die gegenständliche Dauer der Fahrten buchauflage von zwölf Monaten ermessensfehlerfrei und auch verhältnismäßig. Hinsichtlich der Dauer hat der Beklagte vorliegend maßgeblich auf die Schwere des ungeahndet gebliebenen Verstoßes abgestellt. Unter diesen Umständen ist die Verpflichtung zum Führen eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten nicht zu beanstanden.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.


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