Europarecht

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Aktenzeichen  15 U 3584/20

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 47476
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

23 O 8151/19 2020-05-27 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27.05.2020, Az.: 23 O 8151/19 wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 16.667,97 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „VW-Abgasskandal“ geltend.
Die Klagepartei kaufte am 28.10.2016 bei der Autohaus O. GmbH ein Fahrzeug der Marke Volkswagen Caddy 2.0 CDI mit der Fin…39, zu einem Kaufpreis in Höhe von 19.780,03 € mit einem Kilometerstand von 3.800 km (vergleiche Anlage K 1). Das Fahrzeug hatte die EU-Typgenehmigung nach der Euro-6-Norm (Fahrzeugschein, Anlage K 2).
Die Beklagte ist Herstellerin des Motors des streitgegenständlichen Pkw.
In das Fahrzeug der Klagepartei war ein Motor des Typs EA 288 eingebaut. Es handelt sich um das Nachfolgemodell des Motors EA 189. Der Motor EA 288 wurde vom KBA nicht zurückgerufen. Im klägerischen Fahrzeug wird ein sogenanntes Thermofenster verwendet.
Die Klagepartei forderte die Beklagte mit Schreiben vom 14.01.2020 (Anlage K 3) auf, ihre Ansprüche anzuerkennen und das streitgegenständliche Fahrzeug Zug um Zug gegen Erstattung des Kaufpreises zurückzunehmen.
Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in 1. Instanz einen Kilometerstand von 51.907 km auf.
Die Klagepartei hat im Wesentlichen behauptet, der Dieselmotor des Fahrzeuges weise eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters auf. Die Abgasreinigung werde bei geringeren Temperaturen als 15 °C heruntergefahren und bei Temperaturen von knapp über 10 °C abgeschaltet. Dies erhöhe die Emissionen über das zulässige Maß. Es bestehe der Verdacht, dass bei Überschreiten eines bestimmten Drehzahlniveaus die Abgasreinigung beeinträchtigt werde. Die Beklagte habe die Einschränkung der Abgasnachbehandlung bewusst verschwiegen, um eine Genehmigungsfähigkeit zu erzielen.
Die Klagepartei sei über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht worden. Sie hätte niemals ein Fahrzeug erworben, welches die gesetzlichen Mindestanforderungen der Emissionsbegrenzung nicht erfülle. Dadurch sei ihr ein Schaden entstanden, da sie das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn sie über die mangelhafte Abgasreinigung informiert gewesen wäre. Es liege ein unbehebbarer Sachmangel vor. Die Wertminderung betrage mindestens 30% des Kaufpreises.
Die Beklagte hat vorgetragen, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug komme keine unzulässige Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit einer Umschaltlogik zum Einsatz. Das Thermofenster sei zulässig. Eine Abgasrückführung finde im Temperaturbereich zwischen -24 °C und +70 °C zu 100% statt. Lediglich bei extremen Umgebungstemperaturen werde die Abgasrückführung abgeschaltet. Die Verwendung von Thermofenstern entspreche dem Stand der Wissenschaft und Technik.
Das Landgericht, auf dessen Feststellungen im Übrigen gemäß § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass – mangels Vertragsverhältnisses – zwischen den Parteien nur deliktische Ansprüche in Betracht kämen. Eine unerlaubte Handlung der Beklagten habe die Klagepartei aber nicht hinreichend dargelegt. Es sei nicht schlüssig vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Dieselmotor EA 288 eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei und die Beklagte somit eine Schädigungshandlung im Sinne des § 826 BGB begangen habe. Der Klagevortrag habe sich in der Darstellung, dass bei obigem Motor ein sogenanntes Thermofenster bei der Abgasregulierung zur Anwendung komme, erschöpft.
Eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nummer 10 VO (EG) Nummer 715/2007 liege jedoch nur vor, wenn ein Konstruktionsteil im genau zu bezeichnenden Motor des jeweiligen Fahrzeugs vorhanden sei (1), das in bestimmten genau zu bezeichnenden Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung reduziere oder abschalte (2) und dies nicht notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten (3).
An diesen Grundsätzen gemessen sei der klägerische Vortrag nicht ausreichend substantiiert. Die Klagepartei behaupte im Wesentlichen lediglich, dass das klägerische Verhalten nicht erlaubt sei und zudem andere – wenn auch kostenträchtigere – Lösungen bestünden. Damit sei die Klagepartei ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten bestehe nicht. Den beklagten Fahrzeughersteller könne im Einzelfall eine sekundäre Darlegungslast zur technischen Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung erst dann treffen, wenn zumindest Anhaltspunkte dafür vorliegen würden. Es sei der Beklagten aber nicht zumutbar, auf die bloße pauschale Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung hin im Einzelnen darzulegen, welche konkreten Abschalteinrichtungen ein bestimmter Motor enthalte und warum diese gegebenenfalls für notwendig gehalten würden, um den Motor vor Beschädigungen oder Unfällen zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten. Die Klagepartei müsse den maßgeblichen Sachverhalt selbst ermitteln. Soweit keine öffentlich zugänglichen Erkenntnisse zum konkreten Motor vorlägen, müsste die Klagepartei zu ihrem bloßen Verdacht zunächst ein Privatgutachten einholen. Für die behauptete Schädigungshandlung der Beklagten spreche – außer der klägerischen Behauptung – nichts. Die Klagepartei habe ein Fahrzeug der Marke Volkswagen erworben, welches die EU-Typengenehmigung nach der Euro-6-Norm erhalten habe und für das es weder Anordnungen seitens des KBA noch eine Rückrufaktion der Beklagten noch eine Aufforderung zu irgendeinem Software-Update gegeben habe. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer etwaigen Schädigungshandlung der Beklagten sei daher nicht geboten gewesen.
Im Übrigen habe die Klagepartei in subjektiver Hinsicht bezüglich einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht ausreichend vorgetragen. Eine etwaige sekundäre Darlegungslast komme nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Anspruchsteller zumindest hinreichende greifbare Anhaltspunkte dafür darlege, was vorliegend jedoch nicht der Fall sei (vergleiche im Einzelnen EU Seiten 6/7).
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und führt unter anderem folgendes aus:
Das Landgericht habe den Vortrag der Klagepartei zur Frage von Abschalteinrichtungen allgemein/Zykluserkennung nicht zur Kenntnis genommen. Es habe die Anforderungen an eine Substantiierung des Vortrags überspannt. Die Klagepartei dürfe, falls sie keinen Einblick in die Geschehensabläufe der Gegenseite habe und die Beweisführung deshalb erschwert sei, auch nur vermutete Tatsachen unter Beweis stellen. Daher genüge es, dass die Klagepartei unter Hinweis auf Presseartikel oder Meldungen der Deutschen Umwelthilfe zum Abgasverhalten verschiedener Motorenreihen der Beklagten im realen Fahrbetrieb substantiiert Ausführungen mache.
Zur Zykluserkennung weist die Klagepartei darauf hin, dass der S. unter Bezugnahme auf vertrauliche Dokumente aus Volkswagens technischer Entwicklung Ende 2015 recherchiert habe, dass das Fahrzeug einen NEFZ erkennen könne. Der Vortrag der Beklagten, das Fahrzeug sei im Rahmen der Felduntersuchung zur Aufarbeitung des Dieselskandals durch das KBA überprüft worden und es seien im Bereich des neuen europäischen Fahrzyklus und bei einer Belastung mit NEFZ bei um 10% erhöhte Geschwindigkeit keine Auffälligkeiten entdeckt worden, entkräfte nur auf den ersten Blick den Vorwurf. Der NEFZ bilde nur ein äußerst geringes Teilspektrum der möglichen Motorbelastung ab, nämlich dasjenige mit niedriger Drehzahl und niedrigem Leistungsabruf. Wie sich das Fahrzeug bei üblichem Gebrauch verhalte, lasse sich daher kaum daraus ableiten. Es komme hinzu, dass sogenannte Thermofenster dabei nicht entdeckt würden, weil die Prüfungen minimal bei Temperaturen von +10 °C gefahren würden. Die Messungen der D.Umwelthilfe an einem VW Golf 7 1,6 TDG, der mit demselben Motor wie der im streitgegenständlichen Fahrzeug, allerdings der Schadstoffklasse Euro 6 angehörend, ausgerüstet sei, habe im Praxistest fast das Dreifache des zulässigen Stickoxidwertes ausgestoßen. Weiter habe die Deutsche Umwelthilfe einen Audi A3 2,0 TDI mit dem Motor EA 288 getestet. Dieser Wagen sei in Euro 5 eingruppiert gewesen und habe ebenfalls das Dreifache an zulässigen Stickoxiden ausgestoßen.
Zur Frage der sogenannten „Thermofenster“ führt die Berufung aus, dass die streitgegenständliche Motorsoftware eine Abschalteinrichtung enthalte, wenn sie die Abgasreinigung bei kühlen Temperaturen herunterfahre. In insgesamt 7 von 12 Monaten sei die Abgasreinigung nicht oder nur eingeschränkt aktiv. Eine temperaturbedingte Beeinflussung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems, die zudem vorliegend noch mehr als die Hälfte des Jahres zu einer spürbaren Reduktion von dessen Leistungsfähigkeit führe, sei nicht zulässig. Unzulässig sei der Einwand der Beklagten, die temperaturabhängige Reduktion sei zum Schutz vor Schädigungen durch Kondensation an kalten Bauteilwänden erforderlich. Die Beklagte setze die Abschalteinrichtung dazu ein, den Verschleiß von Bauteilen zu verhindern und nehme dabei in Kauf, dass das Emissionskontrollsystem dauerhaft nicht unter den gesetzmäßigen Bedingungen laufe. Unstreitig habe die Beklagte die Abschalteinrichtung der Prüfbehörde nicht offengelegt. Das streitgegenständliche Fahrzeug entspreche den gesetzlichen Anforderungen nicht, weil es die Bedingungen der europäischen Abgasverordnung (EG) 715/2007 nicht im vorgeschriebenen Umfang erfülle. Es liege auch ein Verschulden der Beklagten vor, nachdem es sich um eine planmäßige Herangehensweise in Form einer Grundsatzentscheidung handele, die Abgasreinigung ab einer Temperatur von +10 °C herunterzufahren. Die Beklagte habe gewusst, dass im NEFZ Temperaturen unter 20 ° C nicht erreicht werden.
Zum Vorwurf der Akustikfunktion gelte dasselbe wie zu den Thermofenstern ausgeführt. Die Akustikfunktion habe, soweit sie Einfluss auf das Emissionskontrollsystem nehme, eine bewusste Täuschung der Zulassungsbehörde bei der Durchführung der Fahrzeugtests gehabt, was notwendig gewesen sei, weil das verbaute Emissionskontrollsystem nicht darauf ausgelegt sei, die Abgase ohne die Manipulation dauerhaft entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu reinigen.
Ferner bestehe der Verdacht, dass bei Überschreiten eines bestimmten Drehzahlniveaus ebenfalls die Wirksamkeit der Abgasreinigung beeinflusst bzw. beeinträchtigt werde.
Der Beklagten helfe es auch nicht, dass sich das KBA nicht bemüßigt gefühlt habe, insbesondere auf die temperaturbedingten Abschalteinrichtung zu reagieren und deren Beseitigung zu fordern. Das maßgebliche zwingende EU-Recht stehe nicht zur Disposition deutscher Behörden. Danach stelle aber ein Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
Die Abschalteinrichtung und deren tatsächliche Auswirkungen seien im Genehmigungs- bzw. Zulassungsverfahren auch nicht ausdrücklich offengelegt worden, da die Beklagte gewusst habe, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorgaben nicht erfülle und deshalb auch nicht zugelassen werden dürfe. Deshalb könne die Beklagte keine Vorteile daraus ziehen, dass das KBA möglicherweise eine großzügigere, wenn auch mit dem Gesetzestext nicht vereinbare Auslegung anwende. Aus dem gleichen Grund komme es auch nicht darauf an, ob die Behörde das Bekanntwerden dieses Umstandes zum Anlass für einen angeordneten Rückruf nimmt, was sie nicht tut.
Der Kläger beantragt,
1.Unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts München I vom 27.05.2020 wird die Beklagte verurteilt, an die Klagepartei Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer …39 19.780,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung Zug um Zug gegen Erstattung von Nutzungen in Höhe von 3.112,06 € zu zahlen;
2.Die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung werden in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung erstattet.
Hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von 5.934,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt
kostenpflichtige Berufungszurückweisung.
Sie ist der Ansicht, das Erstgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass hinreichende Anknüpfungspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht vorgelegen hätten. Im Gewährleistungs- und Deliktsrecht würden unterschiedliche Substantiierungsanforderungen gelten; keinesfalls obliege der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich des Nichtvorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Im Übrigen würde im Deliktsrecht allein das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausreichen, da der Anspruchsteller zu den subjektiven Voraussetzungen vortragen müsse, insbesondere dazu, dass der Schädiger die Schädigung billigend in Kauf genommen habe.
Allein der Vortrag bzw. die bloße Behauptung ins Blaue hinein, das Fahrzeug erkenne, ob es sich auf einem behördlichen Prüfstand des NEFZ oder im realen Straßenverkehr befinde und im Prüflauf werde die Abgasrückführung substantiell erhöht, um den gesetzlichen Vorgaben zu genügen, reiche hierfür nicht aus, insbesondere weil die Beklagte bereits in 1. Instanz dargelegt habe, dass der streitgegenständliche Fahrzeugtyp vom KBA geprüft, der NEFZ abgewandelt worden sei und keinerlei unzulässige Abschalteinrichtung, sei es gesteuert durch einen Lenkwinkeleinschlag, sei es gesteuert durch die Temperatur- oder durch die Zeiterfassung festgestellt worden sei. Unstreitig habe es auch keinen Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben, auch keine Aufforderung zu einem Software-Update oder einer Nachrüstung der Software.
Ein wesentlicher Unterschied des vorliegenden Falles zu dem Sachverhalt, der dem „Daimler-Beschluss“ zugrunde gelegen habe, bestehe darin, dass sowohl das KBA als auch das BMVI ausdrücklich bestätigt hätten, dass es bei EA 288 Fahrzeugen keine Anhaltspunkte für die von der Klagepartei befürchtete Abgasmanipulation durch die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen gebe. Nach Bekanntwerden der EA 189-Thematik habe das BMVI Untersuchungen auch in Bezug auf die Motoren des Typs EA 288 in Auftrag gegeben und das KBA angewiesen, spezifische Nachprüfungen durch unabhängige Gutachter zu veranlassen. Die Gutachter hätten im Rahmen dieser KBA-Feld Untersuchungen das Emissionsverhalten mehrerer repräsentativer EA 288-Fahrzeuge sowohl innerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Prüfzyklus als auch außerhalb getestet. Aufgrund dieser Testergebnisse habe das BMVI im Untersuchungsbericht aus April 2016 ausdrücklich festgestellt, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die aktuell laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 288 von einer Abgasmanipulation durch die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen sei. Die behauptete Fahrkurvenerkennung – auch Zykluserkennung genannt – stelle schon im Ausgangspunkt keine unzulässige Abschalteinrichtung dar (im einzelnen Seite 16 ff der Berufungserwiderung, Blatt 140 ff der Akte). Das BMVI habe im September 2019 per Twitter-Mitteilung klargestellt, dass die Fahrzeuge mit einem EA 288 Motor bei Nachprüfungen des KBA keine unzulässige Fahrzykluserkennung enthielten.
Der klägerische Vortrag rechtfertige auch keine Beweisaufnahme zum Thermofenster. Die konkrete Ausgestaltung des Thermofensters bei EA 288-Fahrzeugen sei dem KBA bekannt gewesen. Die Beklagte habe dem KBA im Januar 2016 die Funktionsweise des Thermofensters im Rahmen eines Technik-Workshops vorgestellt und die Abgasrückführungstechnologie und die Applikationsrichtlinien zum Bauteileschutz erläutert. Insbesondere habe die Beklagte erklärt, dass die Abgasrückführung in sämtlichen EA 288 Fahrzeugen in einem Temperaturbereich von -24 °C bis +70 °C in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur stattfinde. Hier fehle auch jeglicher Vortrag der Klagepartei dazu, warum das streitgegenständliche Thermofenster sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB sein solle und warum die Beklagte entsprechenden Schädigungsvorsatz gehabt haben solle, zumal ein Thermofenster technisch notwendig sei (im einzelnen Seite 30 ff der Berufungserwiderung, Blatt 154 ff der Akte).
Dem KBA sei der Einsatz von Thermofenstern in Dieselfahrzeugen seit Einführung der Abgasrückführungstechnologie generell bekannt gewesen. Schon deshalb scheide eine Täuschung des KBA aus. Im Übrigen seien die Hersteller erst seit Mitte Mai 2016 verpflichtet gewesen, für neu zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Typgenehmigungsbehörde im Rahmen des Antrags auf Typgenehmigung detailliert darzustellen, welche Emissionsstrategien in dem zu genehmigenden Fahrzeugmodell zum Einsatz kämen. Die entsprechende Regelung habe auch keine rückwirkende Verpflichtung zur Offenlegung enthalten, sondern ausschließlich Fahrzeuge umfasst, die nach dem 16.05.2016 genehmigt worden sein (vergleiche auch die amtliche Auskunft des KBA vom 11.09.2020, wonach die genaue Beschreibung der Emissionsstrategien erst ab 16.05.2016 mit der Verordnung (EU) 2016/646 eingeführt worden sei).
Im Übrigen habe die Beklagte bereits im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens zu dem Einfluss niedriger Umgebungstemperatur auf die Funktion der Abgasrückführung darauf hingewiesen, dass bei niedrigen Umgebungstemperaturen in Abhängigkeit der genannten Parameter die AGR-Funktion angepasst und aufrechterhalten werde, solange wie einwandfreier Motorbetrieb bei geringsten Abgasemissionen gewährleistet sei. Damit sei der Gebrauch eines Thermofensters offengelegt worden.
Im Übrigen heiße es auch im Untersuchungsbericht der Kommission „Volkswagen“ des BMVI aus dem Jahr 2016 zu Thermofenstern zutreffend, dass für das sogenannte Ausrampen der AGR-Menge in Abhängigkeit von Umgebungstemperatur/Temperatur im Ansaugsammler/ Kühlwassertemperatur (Thermofenster) alle befragten Hersteller als Grund das Risiko einer Belagbildung im AGR-System angeführt hätten. Dieses Risiko sei zweifelsfrei vorhanden und mit herstellerunabhängigen Forschungsprojekten bestätigt. Die Belag- oder auch Lackbildung könne zu einem Versagen des ADR-Ventils führen und dem AGR-Kühler zusetzen. Im Übrigen habe das KBA in einer Vielzahl von Verfahren betreffend den EA 288 Motor in amtlichen Auskünften an Gerichte bestätigt, dass dieser Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte.
Im Übrigen liege auch kein Schaden vor. Diesen habe der BGH in den EA 189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Entsprechend habe der BGH darauf abgestellt, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können. Für einen solchen Sachmangel gebe es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen. Ergänzend wird Bezug genommen auf das Protokoll der Sitzung vom 24.2.2021 (Bl. 220/222 d.A.).
II.
Die Berufung erweist sich als unbegründet, da das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.
Die Klägerseite behauptet zum einen eine Abschalteinrichtung, die der im EA 189-Motor verbauten Umschaltlogik vergleichbar sein soll; zum anderen ist der Kläger bezüglich des unstreitig verbauten Thermofensters der Ansicht, dass dieses ebenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle.
1. Vorliegen einer der im EA 189-Motor verbauten vergleichbaren Abschaltvorrichtung („Prüfstandserkennungsfunktion“):
Soweit der Kläger das Vorliegen einer der im EA 189- Motor verbauten vergleichbaren Abschalteinrichtung behauptet hat, ist der Vortrag nicht geeignet, um einen Vorwurf gemäß § 826 BGB ansatzweise zu begründen; insbesondere war kein Sachverständigengutachten zu erholen, da der Vortrag der Klägerseite ins Blaue hinein erfolgte. Eine Beweisaufnahme war auch nicht im Hinblick auf die von der Klägerseite zitierte Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19) erforderlich.
1.1. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist. Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 35 ff. m.w.N., zitiert nach Juris).
Voraussetzung ist stets ein schlüssiger und erheblicher Sachvortrag der zunächst darlegungs- und beweisbelasteten Klagepartei. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten. Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -nachbehandlung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann.
Eine Behauptung ist aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist.
Entscheidend ist, ob die Klagepartei ausreichend greifbare Anhaltspunkte zur Begründung ihres Vorwurfs, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug komme unzulässige Abschalttechnik zum Einsatz, vorbringt (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19, Rdnr. 7 ff. m.w.N., zitiert nach Juris). Daran fehlt es hier.
1.2. Im Einzelnen:
1.2.1. Die Ansicht des Klägers, das Landgericht habe den Vortrag der Klagepartei zur Frage von Abschalteinrichtungen allgemein nicht zur Kenntnis genommen und es habe die Anforderungen an eine Substantiierung des Vortrags überspannt, teilt der Senat nicht. Die Tatsache, dass die Klagepartei keinen Einblick in die Geschehensabläufe der Gegenseite habe und die Beweisführung deshalb erschwert sei, führt für sich allein genommen nicht dazu, dass die Klägerseite auch nur vermutete Tatsachen unter Beweis stellen dürfte. Auch lassen die von der Klagepartei in Bezug genommenen Presseartikel oder Meldungen der D. Umwelthilfe zum Abgasverhalten verschiedener Motorenreihen der Beklagten im realen Fahrbetrieb keine belastbaren Rückschlüsse darauf zu, dass auch im Nachfolgemodell zum EA 189, dem hier streitgegenständlichen EA 288-Motor, eine vergleichbare – unzulässige – Umschaltlogik verbaut wäre.
Allein die Tatsache, dass es sich um denselben Hersteller handelt, begründet keinen hinreichenden Verdacht, dem – etwa mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens – nachzugehen wäre.
Entsprechendes gilt hinsichtlich des Vortrags zur Zykluserkennung: Die Berufung der Klägerseite darauf, dass der Südwestrundfunk unter Bezugnahme auf vertrauliche Dokumente aus Volkswagens technischer Entwicklung Ende 2015 recherchiert habe, dass das Fahrzeug einen NEFZ erkennen könne, ist wenig greifbar, zumal jeglicher konkrete Bezug zum streitgegenständlichen Motortyp fehlt. Im Übrigen lassen die Ausführungen der Berufung schon nicht klar erkennen, ob damit überhaupt eine Abschalteinrichtung gemeint sein soll, die der Umschaltlogik im EA 189-Motor vergleichbar ist oder ein unzulässiges Thermofenster (hierzu unter Ziffer 2).
Die angeblichen, die Benutzbarkeit des Fahrzeugs in Frage stellenden Manipulationen sind damit seitens des Klägers ins Blaue hinein behauptet worden, ohne greifbare Anhaltspunkte hierfür darzulegen.
1.2.2. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist unstrittig nicht von einem Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Tatsächlich ist das Fahrzeug auch laut der vom KBA veröffentlichten, über dessen Homepage allgemein zugänglichen Übersicht zu Rückrufen (Stand 11.08.2020, abrufbar unter https://www…de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/ uebersicht2.pdf? blob=publicationFile& v=7), die der Senat als offenkundig im Sinne von § 291 ZPO bewertet, nicht von einem Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfasst.
Dass die Untersuchungen des KBA keine unzulässigen Abschaltvorrichtungen zu Tage gefördert haben, mag kein hinreichender Beweis gegen das tatsächliche Vorliegen solcher Manipulationen sein. Umgekehrt kann der Kläger sich aber – anders als in den Fällen anderer, von einem Rückruf betroffener Motoren – nicht auf einen solchen Rückruf als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Behauptungen stützen.
1.2.3. Die bloße Tatsache, dass in den USA Verfahren gegen VW geführt werden bzw. dass von der Staatsanwaltschaft München II gegen Mitarbeiter der Beklagten Strafverfahren eingeleitet wurden, begründet ebenfalls keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt dahingehend, dass gerade auch der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen ist. Denn – anders als in dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt – trägt die Klagepartei nicht konkret vor, dass sich das Strafverfahren auf den Einsatz von Motoren des in ihrem Wagen verbauten Typs bezieht.
1.2.4. Darüber hinaus beruft sich die Klagepartei darauf, Messungen hätten ergeben, dass die zulässigen Grenzwerte bei anderen Prüfungen als solchen im Rahmen des Prüfzyklus 1 (NEFZ) vielfach höhere Abgaswerte zeigten. Messungen der D. Umwelthilfe an einem VW Golf 7 1,6 TDG, der mit dem selben Motor wie der im streitgegenständlichen Fahrzeug, allerdings der Schadstoffklasse Euro 6 angehörend, ausgerüstet sei, habe im Praxistest fast das Dreifache des zulässigen Stickoxidwertes ausgestoßen.
Auch mit diesem Vorbringen kann ein Anspruch gemäß § 826 BGB nicht begründet werden:
Die bloße Überschreitung der Grenzwerte in anderen Messumgebungen als im Rahmen des Prüfzyklus 1 kann schon für sich – anders als die Klagepartei meint – kein hinreichender Anhaltspunkt sein. Denn die erforderlichen Messungen im Prüfzyklus 1 stellen auf eine genormte Situation ab, die zwangsläufig im Rahmen von Messungen im realen Straßenverkehr nicht vorliegt; es muss daher zu anderen Messwerten kommen. Gerade deshalb hat der europäische Gesetzgeber den früher geltenden Prüfzyklus durch einen neuen Test ersetzt, wonach Überprüfungen auch im Straßenbetrieb stattfinden (Erwägungsgründe 3, 7, 8, 9 der Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016, ABl. L vom 26.04.2016, 1 ff.).
Gegebenenfalls könnte hierin gleichwohl ein Indiz liegen, wenn die Abweichungen besonders hoch sind – dabei ist aber zu berücksichtigen, dass jedenfalls allein schon aufgrund des Einsatzes von Thermofenstern deutliche Abweichungen verursacht werden (vgl. hierzu etwa die Messungen zum Audi A6 im Bericht der „Untersuchungskommission Volkswagen“, S. 72). Dann ist ein Schluss aus besonders hohen Grenzwertüberschreitungen auf das Vorliegen von anderen Abschalteinrichtungen neben einem Thermofenster nicht gerechtfertigt. Jedenfalls aber zeigen der Bericht der „Untersuchungskommission Volkswagen“ wie auch die sonstigen von der Klagepartei zitierten Messungen, dass immer konkret auf einzelne Fahrzeugtypen abzustellen ist. Das KBA konkretisiert dies nach der Handelsbezeichnung (z.B. A6 3.0 l), der Schadstoffnorm, dem Hubraum, der Motorleistung, des Alters des Fahrzeugs und der Art der Abgasreduktion. Die Klagepartei trägt indes nicht vor, ob und inwieweit sie Erkenntnisse hat zu Messungen zu mindestens möglichst ähnlichen Fahrzeugen wie das streitgegenständliche.
1.2.5. Die Fahrkurven- und Lenkwinkelerkennung bzw. die Akustikfunktion sind per se nicht unzulässig, weil es Funktionen eines Fahrzeugs gibt, die auf der Prüfstandsrolle zwingend zur Vermeidung von Messverfälschungen zu deaktivieren sind. Unzulässig sind solche Einrichtungen nur dann, wenn damit Emissionen in grenzwertrelevanter Weise auf dem Prüfstand reduziert werden, was der Kläger aber nicht konkret behauptet.
1.2.6. Schließlich bilden die von der Klagepartei vorgetragenen Aspekte auch in ihrer Gesamtschau keine hinreichenden Anhaltspunkte im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung, um von hinreichend substantiiertem Vortrag ausgehen zu können, der die Einholung eines Sachverständigengutachtens rechtfertigen würde.
Es kann nicht allein aufgrund des Vortrags allgemein zur Entwicklung von Abschalteinrichtungen im Volkswagenkonzern oder zu Rückrufen zu verschiedenen Fahrzeugen der Beklagten grundsätzlich unterstellt werden, dass jedes ihrer Dieselfahrzeuge bis zum Jahr 2015 manipuliert ist. Denn außer den vorstehenden Ausführungen ist zu berücksichtigen, dass seit Bekanntwerden des Abgasskandals nunmehr mehr als fünf Jahre verstrichen sind. Seither untersucht das KBA fortlaufend Dieselfahrzeuge auch der Beklagten auf unzulässige Abschalteinrichtungen und hat nach den Angaben auf der Homepage des KBA unter der Rubrik „Abgasthematik“ – und damit offenkundig i.S.v. § 291 ZPO – bereits ca. 86 Prozent der 9,1 Millionen Fahrzeuge des Bestandes der Euro 5- und Euro 6-Diesel-Pkw deutscher Hersteller hinsichtlich ihres Emissionsverhaltens überprüft.
2. Vorhandensein eines Thermofensters:
Bezüglich des weiteren Vorwurfs der Klägerseite, die Verwendung des Thermofensters begründe einen Vorwurf gemäß §§ 826, 31 BGB, hat die Berufung ebenfalls keinen Erfolg.
2.1. Zugunsten der Klagepartei unterstellt der Senat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, dass es sich bei dem hier verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG handelt (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG nunmehr EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18). Denn allein mit der unterstellten europarechtlichen Unzulässigkeit des Thermofensters lässt sich eine Haftung nach § 826 BGB nicht begründen.
2.2. Bei dem Thermofenster handelt es sich allerdings gerade nicht um eine – evident unzulässige, von vornherein durch Arglist geprägte – Abschalteinrichtung wie sie in Form der sogenannten „Umschaltlogik“ beim Motor EA 189 der V.-AG zum Einsatz kam, weshalb die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19) nicht ohne weiteres übertragbar ist.
Anders als die „Umschaltlogik“ unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise, ohne dass es sich bei den durch das Temperaturfenster gezogenen Rahmenbedingungen um eine solch eng definierte Ausnahmesituation handelt, dass diese tatsächlich nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand eintreten kann (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 16 ff., und vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 27, zitiert nach Juris).
2.3. Unter diesen Umständen wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten aber nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen.
Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klagepartei als Anspruchstellerin. Sie kann sich daher insofern nicht auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen.
Entscheidend ist das Vorstellungsbild der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung – spätestens dem Eintritt des behaupteten Schadens in Form des Vertragsschlusses – hier am 28.10.2016 (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19 ff., zitiert nach Juris).
2.4. Konkrete Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertrags in Bezug auf das Thermofenster in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelte, hat die Klagepartei indes nicht dargetan und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Die klägerische Behauptung, die streitgegenständliche Motorsoftware enthalte eine Abschalteinrichtung (in Form eines Thermofensters), wenn sie die Abgasreinigung ab einer Temperatur von +10 °C herunter fahre, reicht hierfür als Nachweis nicht aus.
Die Gesetzeslage zum Thermofenster war gerade nicht unzweifelhaft und eindeutig. Dies belegt die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG. Denn noch im Jahr 2016 – also zu einem Zeitpunkt, in dem der Volkswagenkonzern bereits massiv in der Kritik stand wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – wurde in dem in Bezug genommenen Bericht der vom Bundesinnenministerium eingesetzten „Untersuchungskommission Volkswagen“, Stand April 2016, S. 18, 114 ausgeführt, dass die Berufung auf den Motorschutz auch im Hinblick auf das sog. „Ausrampen“ im Rahmen von Thermofenstern die Verwendung von Abschalteinrichtungen rechtfertigen könne, wenn von Seiten der Hersteller nachvollziehbar dargestellt werde, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden drohe, sei dieser auch noch so gering. Die Interpretation der Beklagten und anderer Automobilhersteller zur Zulässigkeit von Thermofenstern unter dem Aspekt des Motorschutzes wurde damit von offizieller Seite gebilligt und war damit zu jener Zeit jedenfalls nicht unvertretbar. Die Beklagte war damit auch nicht gehalten, eine andere Technologie zu verwenden, weshalb die Nichtverwendung anderer Technologien nicht geeignet ist zur Begründung eines Rechtswidrigkeitsbewusstseins. Nach der Entscheidung des europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-693/18 mag dies anders sein. Geklärt wäre damit indes allein die europarechtliche Auslegung des Art. 5 der VO EG 715/2007 und frühestens ab dem Zeitpunkt der Entscheidung am 17.12.2020 in die Zukunft.
2.5. Die Klagepartei hat weiter behauptet, das Thermofenster sei in der konkreten Ausgestaltung dem KBA bei Beantragung der Typgenehmigung nicht offengelegt worden.
2.5.1. Dies bildet aber kein Indiz dafür, dass die für die Beklagte handelnden Personen im Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelten. Denn nach der Behauptung der Beklagten handelte es sich gerade um eine zulässige Technologie, weshalb aus ihrer – damals jedenfalls vertretbaren – Sicht kein Anlass zur Offenlegung bestanden hätte.
Anders wäre dies ggfls. zu beurteilen, wenn die Beklagte Angaben gemacht hätte, diese aber unzutreffend gewesen wären (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, bei Juris Rdnr. 19 ff., insbesondere Rdnr. 24: „Hätte die Beklagte im Genehmigungsverfahren verschleiert, dass die Abgasrückführungsrate in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp durch die Außentemperatur mitbestimmt wird, könnte sich hieraus gegebenenfalls Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen ergeben, eine – hier unterstellt – unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.“).
Der Sachverhalt hier ist ein anderer: Die Klägerseite hat zwar ausgeführt, dass das Thermofenster bei Temperaturen unter 10 °C die Abgasrückführung abschalte und das Thermofenster dem KBA im Typgenehmigungsverfahren nicht offengelegt worden sei; demgegenüber hat die Beklagte dargelegt, dass die Abgasreinigung im vorliegenden Motor zwischen -24 °C und +70 °C zu 100% arbeitet. Sie hat zudem zu einem Workshop mit dem KBA am 22.01.2016 vorgetragen, bei dem unter anderem das Thermofenster thematisiert worden sei.
Damit liegt der Fall hier grundlegend anders als der dem Beschluss des BGH vom 19.01.2021 (aaO) zugrunde liegende. Dort hatte der Kläger vorgetragen, die Beklagte habe die Programmierung dem KBA gezielt verschleiert und unzutreffende Angaben gemacht. Im vorliegenden Fall hingegen hat die Beklagte vorgetragen, dass die Programmierung mit dem KBA im Rahmen des Workshops im Januar 2016 besprochen worden sei. Eine Täuschung des KBA und ein entsprechender Vorsatz der Beklagten zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs am 28.10.2016 kommen daher nicht in Betracht. Es kommt unter diesen Umständen auch nicht darauf an, ob die Beklagte entsprechende Angaben bereits im Typgenehmigungsverfahren gemacht hat. Dies gilt auch im Hinblick auf die neueste Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache C-693/18. Selbst wenn mit dem Urteil die europarechtliche Auslegung der Norm geklärt wäre, betrifft dies nicht die Voraussetzung für eine Haftung nach § 826 BGB. Um eine solche Haftung bejahen zu können, müssen auch die dort geforderten subjektiven Voraussetzungen vorliegen, an denen es vorliegend fehlt.
2.5.2. Dies gilt umso mehr als der Einsatz von Thermofenstern in Dieselfahrzeugen der Europäischen Kommission schon im Jahr 2008 bekannt war; Dieselfahrzeuge waren dementsprechend explizit von der Prüfung Typ 6 zur Messung von Emissionen bei niedrigen Temperaturen (bei denen der Einsatz von Thermofenstern zu einer geringeren Stickoxidverringerung führt) ausgenommen (Art. 3 Abs. 9 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, ABl. L 199 vom 28.07.2008, S. 1 ff., nachfolgend: Verordnung 692/2008/EG, vgl. Mitteilung der Kommission über die Anwendung und die künftige Entwicklung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen von Fahrzeugen für den Leichtverkehr und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen – Euro 5 und Euro 6 – vom 19.07.2008, Ziffer 8, ABl. C 182 vom 19.07.2008, S. 17 ff.).
Eine Pflicht zur genauen Beschreibung der Emissionsstrategien wurde ohnehin erst mit der Verordnung (EU) 2016/646 der Kommission vom 20.04.2016 (ABl. L vom 26.04.2016, 1 ff.) eingeführt.
3. Im Übrigen liegt auch kein Schaden vor.
3.1. Diesen hat der BGH in den EA 189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Abgestellt wurde darauf, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können.
3.2. Für einen solchen Sachmangel gibt es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte. Wenn der Kläger behauptet, im Motor EA 288 sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stelle (und welche offensichtlich nach der Vorstellung des Klägers vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht er, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag.
4. Die Klägerseite hat auch keinen Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 6, 27 EG-FGV, da diese Vorschriften kein Schutzgesetz vor ungewollten Verbindlichkeiten sind. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19) an (bei Juris Rn. 72 ff; vgl. weiter BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, bei Juris ab Rn. 10 ff).
5. Ebenso wenig steht der Klägerseite ein Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB zu. Dazu müssen erstrebter Vermögensvorteil und eingetretener Vermögensnachteil durch dieselbe Vermögensverfügung vermittelt sein. Daran fehlt es bei einem Gebrauchtwagenkauf (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, bei Juris ab Rn. 17 ff).
III.
1. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 708 Nr.10, 713 ZPO.
2. Die Festsetzung des Berufungsstreitwerts beruht auf §§ 63 II 1, 39 I, 43 I, 47 I, 48 I 1 GKG, 3 ZPO.


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