Europarecht

Fahrzeug, Marke, Bescheid, Kaufvertrag, Sittenwidrigkeit, Annahmeverzug, Kaufpreis, Berichterstattung, Software, Erledigung, Schadenersatz, Kenntnis, Herausgabe, PKW, Zug um Zug, Treu und Glauben, unternehmerische Entscheidung

Aktenzeichen  32 O 506/20

Datum:
7.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 37298
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Hof
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 30.916,43 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.01.2021 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet
3. Es wird festgestellt, dass dein Antrag zu 1 bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.626,49 € freizustellen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 38.246,20 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Hof ist nach §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.
II.
Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Schadenersatz in Höhe des Kaufpreises unter Anrechnung von Nutzungsersatz, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs. Zudem hat die Klägerin Anspruch auf Verzinsung in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes seit Rechtshängigkeit. Diese Ansprüche ergeben sich aus §§ 826, 249, 291, 288 BGB. Die Anträge auf Feststellung des Annahmeverzuges sowie deliktische Handlung sind ebenfalls begründet. Die Klage war abzuweisen, soweit der Kläger das Fahrzeug über den von ihm berechneten Nutzungsersatz genutzt hat.
1. Das Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuges mit einer erschlichenen Typgenehmigung stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des jeweiligen Erwerbers dar. Die von der Beklagten getroffene unternehmerische Entscheidung, den mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motor in unterschiedlichen Fahrzeugtypen und damit auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug einzubauen und dieses sodann in Verkehr zu bringen, war sittenwidrig (vergleiche hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019, 17 U 160/18). Durch diese Entscheidung ist der Klägerin kausalen Schaden entstanden, da sie in Unkenntnis der durchgeführten Manipulation an der Abschalteinrichtung einen Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug abgeschlossen hat, den sie bei entsprechender Kenntnis nicht eingegangen wäre. Der Beklagten ist zum Zeitpunkt der ihr zur Last zu legenden Handlung des Inverkehrbringens des Fahrzeuges die Kenntnis hinsichtlich hierdurch kausal verursachter Schäden beim Erwerb solcher Fahrzeuge, die bei den für sie handelnden Organen vorlag, zuzurechnen. Gleiches gilt für die Sittenwidrigkeit des Verhaltens ihrer Organe.
Es steht aufgrund des unstreitigen Sachvortrages fest, dass das Fahrzeug der Klägerin von der Anordnung des Rückrufes durch das Kraftfahrtbundesamt in Bezug auf dessen Emissionsverhalten betroffen ist. Aufgrund des unstreitig durch das KBA ergangenen Rückrufes für unter anderem das streitgegenständliche Fahrzeug mit der Beschreibung: „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen“ steht zur Überzeugung des Gerichts die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem streitgegenständlichen Fahrzeug fest. Die Klagepartei hat lediglich einen geschwärzten Bescheid als Anlage K3a vorgelegt. Die Beklagte ließ jedoch die Betroffenheit des klägerischen Fahrzeugs von dem ersten Bescheid des Konvoluts unstreitig stellen.
Zum Inhalt und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen hat bereits das Landgericht Ingolstadt folgendes ausgeführt:
„Der Bescheid über die Anordnung nachträglicher Nebenbestimmungen beschreibt die von der Beklagten im Emissionskontrollsystem verwendete Strategie A der sogenannten „Aufheizstrategie“ so, dass zum Starten dieser Strategie eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet wird, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft sind. Alle Bedingungen müssen gleichzeitig vorliegen, damit die Aufheizstrategie genutzt wird. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleine Abweichungen im Fahrprofil und in den Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Das Kraftfahrtbundesamt führt weiter aus, dass sie sich bei der Strategie A um eine Abschalteinrichtung handelt. Wird die Aufheizstrategie abgeschaltet, verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten.
Diese Strategie ist damit als Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässig. Das Kraftfahrtbundesamt hat im Bescheid über die Anordnung von Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung festgestellt, dass Ausnahmegründe des Artikels 5 Abs. 2 Satz 2, a) bis c) der VO (EG) Nr. 715/2007 nicht vorliegen. So lassen sich aus den Schaltkriterien keine stichhaltigen Gründe für einen Motorschutz ableiten. Gründe gemäß b) liegen funktionsbedingt nicht vor. Für das Vorliegen einer Ausnahme gemäß c) wäre der Vortrag der Beklagten nötig gewesen, dass die Emissionsgrenzwerte der Prüfung Typ 1 auch mit abgeschalteter Aufheizstrategie eingehalten werden. Hierzu ist anzumerken, dass die Einhaltung der Grenzwerte der limitierten Schadstoffe unter allen zulässigen Prüfbedingungen der genannten Verordnung und nicht nur unter idealisierten Bedingungen gegeben sein muss.
Damit steht für das Gericht fest, wie das Kraftfahrtbundesamt ebenfalls festgehalten hat, dass die Wirkung des Emissionskontrollsystems durch die Verwendung einer mit Prüfzykluserkennung einhergehenden Aufheizstrategie außerhalb der Prüfbedingungen der VO (EG) Nr. 715/2007 in Verbindung mit der VO (EU) 692/2008 im unzulässigen Umfang verringert wird.“ (LG Ingolstadt, Endurteil v. 28.2.2020 – – 51 O 926/19, BeckRS 2020, 9629).
Dem schließt sich das erkennende Gericht an.
2. Das Verhalten der Beklagten ist auch als sittenwidrig anzusehen. Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. etwa BGH, NJW 2014, 1098; NJW-RR 2013, 550; NJW 2009, 1346). Dabei ist zu berücksichtigen, ob das Verhalten nach seinem Inhalt oder seinem Gesamtcharakter – der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist – gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauung. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen. Besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich.
Das Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung, die nach Treu und Glauben hätte offenbart werden müssen, weil sie eben auf die Kaufentscheidung sowohl des Erst-, wie auch aller Folgekäufer Einfluss hat, ist sittenwidrig. Denn wer bewusst täuscht, um einen anderen zu einem Vertragsabschluss zu bringen, handelt in der Regel sittenwidrig. Dies ist vorliegend gegeben, da das Inverkehrbringen von Fahrzeugen die mit einer nicht gesetzeskonformen, jedoch bewusst verschwiegenen, Software ausgestattet sind, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Durch die typischerweise bei Pkw erfolgenden Weiterverkäufe als Gebrauchtwagen entfernt sich die mangelbehaftete Sache mit jedem weiteren Verkauf rechtlich von der Beklagten. Während Käufer und Verkäufer bei diesen Kaufverträgen arglos bezüglich des Mangels sind, weiß die Beklagte, dass eine Aufklärung über die eingesetzte Software Auswirkungen auf sämtliche weiteren Kaufentscheidungen haben würde.
Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann. Eine solche besondere Verwerflichkeit ist hier zu bejahen. Denn die Täuschung der Beklagten diente, andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt, noch sonst ersichtlich, zum Zweck der Kostensenkung und (möglicherweise) zur Umgehung technischer Probleme eine rechtlich und technisch gesetzeskonforme aber aufgrund weiterer Entwicklungsarbeit teurere und zum Herstellungszeitpunkt möglicherweise auch nicht erzielbare Lösungen zu vermeiden, um mit Hilfe der scheinbar umwelfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteils zu erzielen. Dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Käufern der von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch den Einsatz der Motorsteuerungssoftware ein Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls durchschaut, sodass die Entdeckung der nicht gesetzeskonformen Software mehr oder weniger vom Zufall abhing und für einen Durchschnittskäufer auch gar nicht möglich war. Ein solches Verhalten ist als sittenwidrig anzusehen. Die Ansicht der Beklagten, die bewusste Missachtung öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Erlangung einer Typengenehmigung und das Verschweigen dieses Vorgehens gegenüber den Autokäufern, verstoße nicht gegen das Anstandsgefühl der Teilnehmer des Fahrzeugmarktes, weil es diesen im Wesentlichen nur auf die Existenz und Bestandskraft der Typengenehmigung ankommt, vermag nicht zu überzeugen. Denn zum einen betrachtet die Beklagte hier isoliert nur einen Teilaspekt des Gesamtverhaltens. Zum anderen kann gerade das eigenverantwortliche und vorsätzliche Hinwegsetzen über öffentlich-rechtlicher Vorschriften nicht als dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden entsprechend angesehen werden. Gerade Fahrzeugkäufern kommt es nämlich in der Regel darauf an, ein mangelfreies, gesetzeskonformes Fahrzeug zu erwerben und nicht im Nachgang feststellen zu müssen, dass dieses mit einer unzulässigen Software ausgestattet ist, die zulassungsrechtliche Fragen aufwirft. Das Verhalten der Beklagten erschöpfte sich nicht in einem bloßen Gesetzesverstoß. Vielmehr folgte diesem Verstoß die Verschleierung desselben, wissend, dass die Kfz-Käufer ein – jedenfalls zunächst – nicht gesetzeskonformes Fahrzeug erwerben, das auch nicht kurzfristig in einen gesetzeskonformen Zustand versetzt werden konnte.
Eine subjektives Bewusstsein der Sittenwidrigkeit ist nicht erforderlich (Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rn. 8). Der Schädiger muss lediglich die Tatumstände kennen, die sein Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen (BGH, NJW-RR 2004, 3706). Davon ist vorliegend nach den vorstehenden Ausführungen unzweifelhaft auszugehen.
3. Diese schädigende Handlung ist auch der Beklagten zuzurechnen. Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt dabei voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i.S.d. § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urt. v. 28.06.2016, VI ZR 536/15). Grundsätzlich ist insoweit die Klagepartei verpflichtet, die Voraussetzungen dieser Zurechnungsnormen darzulegen und zu beweisen. Die Klagpartei hat eine solche Kenntnis vorliegend hinreichend substantiiert vorgetragen. Die Beklagte rügt zwar, dass der klägerische Vortrag zu pauschal sei. Bei der Beurteilung der Frage der hinreichenden Substantiierung ist jedoch zum einen zu berücksichtigen, dass die Klagepartei keine genauere Kenntnis der Organisationsabläufe und -strukturen und keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten haben kann und insoweit auf Veröffentlichung in Medien und Rückschlüsse sowie Vermutungen angewiesen ist. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass eine Kenntnis des Vorstandes oder einzelner Mitglieder bereits deshalb naheliegt, weil die mit der technischen Entwicklung beauftragten Stellen Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand im Hinblick auf alle wesentlichen Entscheidungen treffen (so etwa auch LG Hildesheim, DAR 2017, 83; LG Köln, BeckRS 2018, 10991). Die Entwicklung einer Manipulationssoftware für ganze Motorenreihen in millionenfacher Ausführung stellt in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht eine wesentliche, vom Vorstand zu treffende Entscheidung dar, die zudem alle Konzerntöchter europaweit betrifft (vergl. etwa LG Köln, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund ist der Sachvortrag der Klägerseite hinreichend substantiiert mit der Folge, dass die Beklagte nunmehr die (sekundäre) Darlegungslast trifft. Eine solche sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, weil die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGHZ 140, 156, 158 f.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die internen Entscheidungsabläufe innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten entziehen sich, wie ausgeführt, naturgemäß der Kenntnis der Klagepartei. Dieser ist kein näherer Vortrag dahingehend möglich, in welcher Organisationseinheit der Beklagten die Entscheidung für die Entwicklung der Software gefallen ist und bis zu welcher höheren Ebene diese Entscheidung dann weiter kommuniziert worden ist. Die Beklagte kennt dagegen ihre interne Organisation und Entscheidungsstrukturen. Sie hat damit jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse im Einzelnen darzulegen, um dem Kläger auf dieser Grundlage zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können (LG Hildesheim, DAR 2017, 83). Die Beklagte ist dieser sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das in Verkehr bringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst oder gekannt hat, nicht nachgekommen, sondern hat vielmehr auf die Darlegungs- und Beweislast der Klägerseite verwiesen und sich darauf berufen, dass sie nach wie vor die Umstände aufkläre, wie es zur Entwicklung und zum Einbau der Software gekommen sei. Insoweit lägen noch keine Erkenntnisse vor, dass ein organmäßiger Vertreter relevante Kenntnisse gehabt hätte. Zwar kann der Beklagten grundsätzlich eine gewisse Zeit für die Durchführung der erforderlichen Nachforschungen zugestanden werden. In Anbetracht des Zeitablaufs seit Bekanntwerden der Softwaremanipulation im Jahr 2015 und der wirtschaftlichen Bedeutung der Abgasaffäre für die Beklagte ist nicht nachvollziehbar, dass keinerlei detaillierte Erkenntnisse zu den Entscheidungsabläufen hinsichtlich Entwicklung und Einbau der Software vorliegen sollen. Es wäre jedoch, wenn die Beklagte Kenntnis ihrer organmäßigen Vertreter in Abrede stellt, erforderlich gewesen, zumindest substantiiert darzulegen, welche Erkenntnisse sie aus diesen internen Untersuchungen bislang gewonnen hat, zumal es sich bei der Einführung einer auf Verzerrung der Prüftstandwerte ausgerichteten Motorsteuerungssoftware um eine wesentliche strategischen Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Reichweite und großen Risiken handelte, bei der kaum anzunehmen ist, dass sie von einem am unteren Ende der Betriebshierarchie angesiedelten Entwickler in eigener Verantwortung getroffen worden ist. In diesem Zusammenhang wäre es auch erforderlich die für die Entwicklung und den Einsatz der Software Verantwortlichen zu benennen und dabei auch darzulegen, inwiefern der Vorstand an den tragenden Entscheidungen beteiligt oder nicht beteiligt war.
Es geht dabei nicht um das Schließen von Lücken im Klagevortrag oder eine Ausforschung. Vielmehr ist eine entsprechende Darlegung zum substantiierten Bestreiten des Klagevorbringens erforderlich. Die Beklagte hat den Vorsatz von Vorständen bislang nicht substantiiert bestritten, sondern nur den Klagevortrag in Abrede gestellt. Die nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast erforderliche Aufklärung über die in ihrer Sphäre abgelaufenen Vorgänge hat sich gerade nicht geleistet. Aufgrund dessen ist mangels gegenteiliger Darstellung durch die Beklagte davon auszugehen, dass die unternehmenswesentliche Entscheidung der Entwicklung und Installation der Manipulationssoftware vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls abgesegnet worden ist (LG Hildesheim, a.a.O., LG Kleve, a.a.O.).
Der Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast steht nicht entgegen, dass die Beklagte dieser Verpflichtung nur dadurch nachkommen kann, dass sie unter Umständen nähere Ausführungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit ihrer Vorstandsmitglieder oder leitenden Mitarbeiter machen muss und diese damit möglicherweise strafrechtlich belastet. Denn die sekundäre Darlegungslast obliegt dem Gegner auch dann, wenn es sich bei dem in Rede stehenden Schutzgesetz um eine strafrechtliche Norm handelt (BGH, Urt. v. 22.10.2014, BGH Aktenzeichen VIII ZR 41/14).
In der hier zur Entscheidung stehenden prozessualen Lage ist gemäß § 138 Abs. 3 ZPO mangels substantiierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte im Rahmen der sekundären Beweislast der klägerische Vortrag als zugestanden zu behandeln, mit der Folge, dass davon auszugehen ist, dass diese Entscheidung vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls gebilligt worden ist.
4. Die Beklagte hat der Klagepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt. Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher ausgeschlossen, so dass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte. Dasselbe gilt für die Verwendung des Motors, in dem die Software implementiert war.
Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss ebenso davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren in den von ihr hergestellten Fahrzeugen verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und ihrer Tochterunternehmen sowie die Käufer von betroffenen Gebrauchtwagen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
5. Die Klägerseite kann daher Schadenersatz verlangen. Der Umfang des Schadensersatzanspruches richtet sich nach den §§ 249 ff BGB und geht bei sittenwidriger Herbeiführung eines Vertrages dahin, die Klägerseite so zu stellen, wie sie ohne den Vertragsschluss gestanden hätte. Insoweit ist ohne weiteres davon auszugehen, dass die Klägerseite – wie jeder verständige, Risiken vermeidende Kunde – bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis den Vertrag nicht geschlossen hätte.
Die Beklagte muss daher die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis gegen Herausgabe und Übereignung des PKW erstattet. Dabei muss die Klägerin sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung allerdings die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Die Anrechnung dieser Nutzungen entspricht weder dem geltenden Schadensersatzrecht, noch widerspricht sie europäischem Recht. Grundgedanke des Schadensersatzrechtes ist es, dem Geschädigten den durch das schädigende Verhalten entstandenen Schaden zu ersetzen. Er soll also im Falle einer Rückabwicklung eines Kaufvertrages im Wege des Schadensersatzes nicht schlechter – aber auch nicht besser – stehen, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Bei Außerachtlassung einer Nutzungsentschädigung würde der Kläger aber besser stehen, als ohne den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Denn dann hätte er die Nutzungen des Fahrzeugs letztlich „geschenkt“ bekommen. Die Anrechnung von Nutzungsersatz begünstigt die Beklagte auch nicht unbillig.
Es ist daher von dem zu erstattenden Kaufpreis ein Nutzungsersatz abzurechnen.
Die Höhe der anzurechnenden Nutzung errechnet sich in richterlicher Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) aus der Formel Kaufpreis × gefahrene Kilometer / (Gesamtlaufleistung – Laufleistung bei Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger). Eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km erscheint dabei für gewöhnlich genutzte Diesel-PKW mit einem großvolumigen und damit in der Regel für lange Strecken ausgelegten Motor angemessen; dies entspricht bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 km einer Haltbarkeit von 15 Jahren. Eine längere Nutzungsdauer ist regelmäßig nur bei Einsatz erheblicher Aufwendungen für Verschleißteile und Reparaturen zu erreichen, sodass bei einer erhöhten Laufleistung auch mit höheren Aufwendungen zu dem Kaufpreis gerechnet werden müsste. Vorliegend errechnet sich daher ein Betrag in Höhe von 11.383,57 € für die vom Kläger gezogenen Nutzungen. Nach Abzug derselben verbleibt ein Betrag von 30.916,43 €, die die Beklagte der Klägerin zu ersetzen hat.
6. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB liegen vor. Spätestens mit der Zurückweisung sämtlicher Ansprüche und damit auch des Angebotes der Zug-um-Zug-Leistung Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges in der Verteidigungsanzeige und Klageerwiderung befindet sich die Beklagte in Annahmeverzug. Zwar lag dem Gericht das entsprechende Schreiben nicht vor, die Beklagte hat jedoch nicht bestritten, dass sie von der Klägerin zur Rückzahlung gegen Herausgabe des Fahrzeugs unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung aufgefordert worden war.
7. Hinsichtlich des Antrags auf Feststellung, dass der vorliegende Schadenersatz aus einer unerlaubten Handlung resultiert, war dies so festzustellen. Insoweit ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Insoweit besteht auch das entsprechende Feststellungsinteresse aufgrund der privilegierten Behandlung von Ansprüchen dieser Art.
8. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind als Teil des deliktischen Schadens, § 249 BGB, in der tenorierten Höhe aus dem zusprechenden Klageantrag zu 1) samt Zinsen ab Rechtshängigkeit zu ersetzen. Bei der Berechnung ist lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV, § 13 RVG anzusetzen. Dass beide anwaltlichen Vertreter viel schreiben, macht aus dem Rechtsstreit keine Angelegenheit großen Umfangs, andernfalls hätten Rechtsanwälte es in der Hand, durch exzessiven Umgang mit der „copy and paste“-Technik hohe Gebühren zu generieren. Weiter handelt es sich auch nicht um eine Angelegenheit hoher Schwierigkeit. Vielmehr ist das Verfahren ein Massenverfahren, bei dem die Schriftsätze zu mehr als 95 % aus Textbausteinen bestehen, was allenfalls den Ansatz der Mittelgebühr rechtfertigt. Hinzuzurechnen ist die Pauschale Nr. 7002 VV in Höhe von 20,00 €. Unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer und dem vorgerichtlich relevanten Streitwert (damalige Differenz zwischen Kaufpreis und Nutzungsersatz) von 32.648,20 € ergibt sich der tenorierte Betrag von 1.626,49 €.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; soweit die Beklagte der teilweisen Erledigterklärung widersprochen hat, war festzustellen, dass der Anspruch grundsätzlich bestand, sich jedoch durch Zeitablauf und die damit verbundene Nutzung des KfZ durch die Klägerin erledigt hat.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
V.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 3 ZPO, 39, 40 GKG. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges bleibt ohne eigenen zusätzlichen Wertansatz (BGH XI ZR 109/17 und BGH III ZR 104/15), ebenso der Freistellungsantrag, da es sich dabei um Nebenforderungen handelt.


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