Europarecht

Inverkehrbringen eines Dieselfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung

Aktenzeichen  4 U 181/19

Datum:
6.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30626
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826, § 831, § 849
FZV § 5 Abs. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 1
ZPO § 138 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 versehen ist und dem deshalb eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV droht, ist objektiv sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB (vgl. BGH BeckRS 2020, 10555).  (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Erwerber eines solchen Fahrzeugs genügt seiner Darlegungslast für vorsätzliches Handeln eines Organs des Herstellerunternehmens i.S.v. § 31 BGB analog mit der Behauptung, der vormalige Leiter der Entwicklungsabteilung und der vormalige Vorstand hätten Kenntnis von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt. Den Fahrzeughersteller trifft für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen, eine sekundäre Darlegungslast .  (vgl. BGH a.a.O.). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 681/18 2019-05-16 Endurteil LGBAMBERG LG Bamberg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 16.05.2019, 11 O 681/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.741,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.01.2019 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs X., FIN: …, zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 € freizustellen.
1.1. 3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 31%, die Beklagte 69%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und die Beklagte können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

Der Kläger begehrt von der Beklagten deliktischen Schadensersatz nach dem Kauf eines PKW mit Dieselmotor.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 12.03.2015 von seinem Vater einen gebrauchten X. mit Kilometerstand 2.000 zu einem Kaufpreis von 31.500,00 €. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.
Das Fahrzeug war mit einer Software versehen, die den Stickoxid-Ausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erließ am 15. Oktober 2015 gegen die Beklagte einen bestandskräftigen Bescheid mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update, das der Kläger mittlerweile aufspielen ließ.
Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 78.830 km auf.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Beklagte mit Endurteil vom 16.05.2019 verurteilt, Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs an den Kläger 22.589,91 € nebst Zinsen in Höhe von 4% p.a. vom 09.04.2013 bis 22.01.2019 und in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 23.01.2019 zu zahlen. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.144,62 € freizustellen und hat weiter festgestellt, dass Annahmeverzug der Beklagten bezüglich der vom Kläger Zug um Zug angebotenen Gegenleistung vorliegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Auf die Gründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten jeweils am 22.05.2019 zugestellte Urteil haben der Kläger am 21.06.2019, die Beklagte am 24.06.2019 (Montag) Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. Die Beklagte hat ihre Berufung – nach entsprechender Fristverlängerung – am 22.08.2020 begründet.
Der Kläger hat zunächst beantragt,
1.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31.500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4% p.a. seit 09.04.2013 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs X., FIN: …, zu zahlen.
2.Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.144,62 € freizustellen.
3.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKW X. gemäß Ziffer 1 im Annahmeverzug befindet.
Im Termin vom 29.06.2020 hat der Kläger seine Berufung zurückgenommen.
Die Beklagte strebt mit ihrer Berufung die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage an. Sie ist weiter der Auffassung, es bestehe bereits dem Grunde nach kein Schadensersatzanspruch. Hinsichtlich der Schadenshöhe gehe das Landgericht zu Unrecht von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus. Fehlerhaft sei auch die Bejahung eines Anspruchs auf Deliktszinsen gemäß § 849 BGB sowie auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:
Das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 16.05.2019 wird im Umfang der Beschwer der Beklagten abgeändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Er verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat insoweit Erfolg, als der Kläger keinen Anspruch auf Deliktszinsen geltend machen kann, der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten unbegründet ist, der Freistellungsanspruch zu reduzieren ist. Aufgrund der zwischenzeitlichen Nutzung des PKW reduziert sich auch die Höhe des Schadensersatzes.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Dieser richtet sich auf Zahlung von 21.741,35 € Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkw.
1. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Der Senat folgt insoweit den eingehend begründeten Feststellungen des Landgerichts, die von der Beklagten im Berufungsverfahren nicht angegriffen werden. Die bloße Behauptung, die Aktivlegitimation fehle, begründet keine Zweifel an den vom Landgericht getroffenen Feststellungen.
2. Das Inverkehrbringen des mit der Software ausgestatteten Fahrzeugs stellt sich als objektiv sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB dar (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Tz. 16 ff – zit. – wie auch sämtliche Entscheidungen im Folgenden – nach juris.).
a) Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urt. v. 07.05.2019 – VI ZR 512/17, Tz. 8; BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 15).
b) Das Fahrzeug war mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 versehen. Dadurch eignete es sich nicht für die uneingeschränkte Nutzung im Straßenverkehr, weil es einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt war (BGH, Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, Tz. 4 ff.).
Die Beklagte hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Dieses Verhalten ist mit einer Gesinnung verbunden, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt. Ein solches Vorgehen verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem hier betroffenen Markt für Kraftfahrzeuge, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint (vgl. im Einzelnen BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 16 ff.).
Der Käufer eines Fahrzeugs – gleichgültig, ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt – setzt die Einhaltung der Vorschriften über die Typgenehmigung und die Erfüllung der gesetzlichen Abgaswerte als selbstverständlich voraus. Die Beklagte machte sich im Rahmen der von ihr bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt zunutze. Dabei erfolgte das Inverkehrbringen der Fahrzeuge gerade mit dem Ziel, möglichst viele der bemakelten Fahrzeuge abzusetzen. Ein solcher Fall steht einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleich. Die Beklagte trifft das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, daher gerade auch im Hinblick auf die Schädigung aller unwissenden Käufer der bemakelten Fahrzeuge (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 25).
4. Der Kläger hat einen Schaden erlitten.
a) Dieser liegt im Abschluss des Kaufvertrags über das Fahrzeug, das mit einem erheblichen Mangel belastet war. Wegen der Abschalteinrichtung war der ungestörte Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr bei Gefahrübergang nicht gewährleistet und das Fahrzeug deshalb mangelhaft. Es war somit bei wirtschaftlicher Betrachtung weniger wert als ein mangelfreies Fahrzeug, so dass bereits nach der Differenzmethode ein Schaden des Klägers zu bejahen ist. Darüber hinaus war das Fahrzeug auch für die beabsichtigten Zwecke des Klägers – nämlich das Fahrzeug im Straßenverkehr uneingeschränkt nutzen zu können – nicht voll brauchbar, so dass auch insoweit ein Schaden des Klägers zu bejahen ist (vgl. im Einzelnen BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 48 ff.). Dabei ist es unerheblich, ob der Käufer das Fahrzeug von einem Vertragshändler der Beklagten, einem freien Händler oder – wie hier – einer Privatperson kauft.
b) Der Schaden des Klägers ist durch die nachträgliche Maßnahme des Software-Updates nicht entfallen (BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 58).
3. Der Kausalzusammenhang zwischen der schädigenden Handlung der Beklagten und dem dem Kläger entstandenen Schaden ist zu bejahen. Denn es liegt auf der Hand, dass der Kläger den Kaufvertrag über das Fahrzeug nicht abgeschlossen hätte, wenn er Kenntnis von der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt hätte. Die Gewissheit, dass das Fahrzeug über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und deshalb im Straßenverkehr genutzt werden kann, stellt ein wesentliches Kriterium für die Kaufentscheidung bei einem Kraftfahrzeug dar (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 49 ff.).
4. Die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten haben den objektiven und den subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht. Dies hat sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen zu lassen.
a) Erforderlich für den Vorsatz im Sinne von § 826 BGB ist, dass der Handelnde die Schäden des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urt. v. 25.05.2020, a.a.O., Tz. 61 f.).
b) Diese Voraussetzungen sind bei den für die Beklagte handelnden Personen erfüllt. Denn sie wussten, dass sie die Steuerungssoftware verbaut hatten, um so die Typgenehmigung für die Zulassung der Verwendung des Motors im allgemeinen Verkehr durch die Behörden zu erschleichen. Dabei nahmen sie mindestens billigend in Kauf, dass eine Entdeckung der Software zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betreffenden Fahrzeuge führen würde. Zudem war ihnen bewusst, dass niemand in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben werde (BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 63).
c) Es ist davon auszugehen, dass der Vorsatz auch bei den verfassungsmäßig berufenen Vertretern der Beklagten vorhanden war.
aa) Der Kläger hat in der Klageschrift hinreichend substantiiert behauptet, dass der vormalige Leiter der Entwicklungsabteilung und der vormalige Vorstand der Beklagten Kenntnis von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung hatten. Weiterer Sachvortrag kann von ihm nicht erwartet werden, weil er keinen Einblick in die innerbetrieblichen Vorgänge der Beklagten hat.
bb) Die Beklagte trifft unter den gegebenen Umständen eine sekundäre Darlegungslast, weil der Kläger keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während dies der Beklagten ohne weiteres möglich und auch zumutbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 39 ff.).
Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen, weshalb die Behauptung des Klägers, die Installation der Abschalteinrichtung sei mit Wissen und Wollen des Vorstands der Beklagten erfolgt, als zugestanden gilt, § 138 Abs. 3 ZPO.
5. Rechtsfolgen:
a) Der Kläger kann verlangen so gestellt zu werden, als ob er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, also dessen Rückabwicklung fordern (BGH, Urt. v. 28.10.2014 – VI ZR 15/14 Tz. 25 ff.).
b) Der Kläger muss sich jedoch nach den Grundsätzen des Vorteilsausgleichs gezogene Nutzungen in Höhe von 9.758,65 EUR anrechnen lassen (vgl. dazu im Einzelnen BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 64 ff.).
Der Senat nimmt die Anrechnung linear durch Multiplikation des Bruttokaufpreises mit den gefahrenen Kilometern, geteilt durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt des Fahrzeugs vor. Der Senat hält unter Berücksichtigung des betroffenen Fahrzeugtyps den Ansatz einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km für sachgerecht. Es errechnet sich daher ein Wert für die gezogenen Nutzungen von 9.758,65 EUR (18.990,00 EUR x 76.830 km) : 248.000 km. Nach Abzug vom Kaufpreis verbleibt der ausgeurteilte Betrag von 21.741,35 EUR.
c) Ein Anspruch auf Zinsen nach § 849 BGB steht dem Kläger nicht zu.
§ 849 BGB soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, VersUrt. v. 26.11.2007 – II ZR 167/06, Tz. 5). Sache im Sinne von
§ 849 BGB ist dabei auch Geld (BGH, VersUrt. v. 26.11.2007 a.a.O., Tz. 6). Jedoch hat das deliktische Handeln der Beklagten vorliegend nicht zu einem hierdurch bedingten Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Kaufpreises geführt. Denn das erworbene Fahrzeug stellt einen Gegenwert dar, aus dem der Kläger die von ihm beabsichtigten Nutzungen gezogen hat. Zudem hätte der Kläger im Falle des Absehens von einem Kauf das Geld in den Kauf eines anderen Fahrzeugs investiert, so dass ihm im Ergebnis durch das Handeln der Beklagten keine Nutzungsmöglichkeit entzogen worden ist (so auch OLG Oldenburg, Urt. v. 21.10.2019 – 13 U 73/19, Tz. 24; OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.2019 – 13 U 37/19, Tz. 133 ff.; a. A. OLG Koblenz, Urt. v. 16.09.2019 – 12 U 61/19, Tz. 80 ff).
d) Annahmeverzug der Beklagten liegt mangels eines geeigneten Angebots im Aufforderungsschreiben der Klägerseite vom 22.08.2018 (K3) nicht vor, weil dort der gesamte Kaufpreis von der Beklagten gefordert wird, also eine erhebliche Zuvielforderung vorliegt (BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 85).
Aus den gleichen Gründen konnte die Beklagte durch das außergerichtliche Schreiben vom 22.08.2018 auch nicht in Schuldnerverzug geraten (BGH, Urt. v. 25.05.2020 a.a.O., Tz. 86). Dem Kläger waren daher nur Prozesszinsen nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zuzusprechen. Die Klage ist am 22.01.2019 zugestellt worden, so dass Zinsen ab dem 23.01.2019 zu zahlen sind, § 187 Abs. 1 BGB, im Übrigen war die Klage abzuweisen.
e) Für den Freistellungsanspruch ist ein Gegenstandswert von bis zu 25.000,00 € zu Grunde zu legen, weil nicht auf den Schluss der mündlichen Verhandlung, sondern auf den Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen ist. Für diesen Zeitpunkt ist angesichts der gegenwärtigen Laufleistung ein Kilometerstand von 58.000 zu schätzen, woraus ein damals begründeter Erstattungsanspruch von ca. 24.400,00 € folgt. Anzusetzen ist entgegen der Auffassung der Klägerseite aber lediglich eine 1,3 – Geschäftsgebühr zuzüglich Kostenpauschale und Umsatzsteuer (Nr. 2300 und Nr. 7002 RVG-VV). Hieraus resultiert ein Freistellungsanspruch im tenorierten Umfang.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 S. 1 ZPO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1, § 711, 709
S. 2 ZPO.
Die Revision ist wegen Grundsatzbedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25.05.2020 zu der Frage, ob der Kläger Deliktszinsen nach § 849 BGB beanspruchen kann, noch nicht Stellung nehmen konnte und insoweit – wie dargestellt – von den Oberlandesgerichten unterschiedliche Rechtsmeinungen vertreten werden.
Verkündet am 06.07.2020


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