Europarecht

Kein Schadensersatz wegen vermeintlicher Abgasmanipulation mittels eines sog. “Thermofensters”

Aktenzeichen  3 U 5980/19

Datum:
10.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 8377
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 437, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
RL 2007/46/EG Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV haben keinen Schutzgesetzcharakter gem. § 823 Abs. 2 BGB, denn sie dienen nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer. Derartiges ergibt sich auch nicht aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Richtlinie 2007/46/EG. (Rn. 15 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen einschließlich der Ansprüche aus § 826 BGB gilt allgemein, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, kann auch im Rahmen des § 826 BGB auf eine derartige Eingrenzung nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen als sittlich anstößig zu qualifizieren sein, während ihm diese Bewertung hinsichtlich anderer, wenngleich auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

33 O 84/19 2019-09-12 Endurteil LGDEGGENDORF LG Deggendorf

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Deggendorf, Az.: 33 O 84/19, vom 12.09.2019 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

Die Berufung ist offensichtlich unbegründet. Der Senat erachtet auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für geboten.
Das Landgericht Deggendorf hat am 25.07.2019 mündlich verhandelt und sodann die auf Zahlung von 18.511,79 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und Erstattung der außergerichtlichen Kosten gerichtete Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Auf die vom Erstgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen (Bl. 99/110 d.A.) wird Bezug genommen. Des weiteren nimmt der Senat auf die überzeugenden Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug und macht sich diese, zumal sie, was die rechtlichen Überlegungen angeht, der Rechtsprechung des Senats zu dem am 04.12.2019 entschiedenen VW-Abgas-Fällen (Az. u.a. 3 U 2943/19, bei JURIS veröffentlicht) entsprechen, zu eigen. Die – zum überwiegenden Teil aus seitenlangen wörtlichen Zitaten eines nicht in der Berufungsinstanz bestätigten Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 09.05.2018 (Az.: 23 O 220/18) bestehenden – Berufungsbegründung vorgebrachten Einwände gegen das Ersturteil sind nicht geeignet, eine anderweitige Bewertung des Senats bezüglich des Ersturteils herbeizuführen.
Mit der Berufungsbegründung wird gegen die Beurteilung des Erstgerichts, dass der streitgegenständliche Zahlungsanspruch nicht auf Gewährleistungsansprüche gestützt werden kann, nichts vorgebracht.
Soweit in der Berufungsbegründung – erstmals in diesem Rechtsstreit – die Haftung von Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB thematisiert wird, ist dieses Vorbringen als verspätet zurückzuweisen. Auch für den nunmehrigen Vortrag gilt: Zwar kommt es grundsätzlich auf das Verschulden des Verrichtungsgehilfen nicht an, er muss nur rechtswidrig den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt haben. Soweit aber – wie hier – über das allgemeine Verschulden hinaus subjektive Elemente Voraussetzung der unerlaubten Handlung sind (wie der Vorsatz gemäß § 826 BGB oder bei einer vorsätzlichen Straftat im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB), müssen diese auch beim Verrichtungsgehilfen vorliegen (Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 831 Rn. 8; BGH WM 2010, 928, Rn. 38; BGH NJW 2014, 1380, Rn. 11). Die Vorsatzmomente und die sonstigen subjektiven Voraussetzungen des behaupteten Straftatbestands sind im Vortrag des Klägers ebenfalls nicht angelegt. Die allgemeinen Ausführungen, den Entwicklungsingenieuren habe klar sein müssen, dass der entwickelte Motor nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht und bei Aufdeckung der Manipulation mit behördlichen Maßnahmen zu rechnen ist, reichen für das Wollenselement des Schädigungsvorsatzes nicht aus.
Die Klagepartei hat sich nicht der Mühe unterzogen, erstinstanziell darzustellen, was ihr aus Presseberichten und der Öffentlichkeit zugänglichen Mitteilungen der Beklagten hinsichtlich nach § 31 BGB Verantwortlicher der Beklagten bekannt geworden ist, sondern beschränkt sich auf allgemeine Ausführungen zum Aktiengesetz und Organisationsverschulden. Ein derartiges „Vorbringen“ ist nicht geeignet, die sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen.
Die vom Erstgericht vorgenommene Begründung zur Verneinung der deliktischen Haftung (Urtelsgründe S. 5-8) folgt im übrigen der Rechtsprechung des OLG München in einem Parallelfall (32 U 1304/19, vgl. Anlage B5), der sich auch der 3. Zivilsenat anschließt.
Ergänzend und vertiefend ist zu den möglichen Anspruchsgrundlagen noch festzuhalten:
1. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ist ebenso wenig gegeben.
Zum einen fehlt es insoweit schon an einem hierfür erforderlichen schlüssigen Vortrag der Klagepartei (dazu unter a)), zum anderen ist der Schutzgesetzcharakter von § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu verneinen (dazu unter b)).
a) Im vorliegenden Fall fehlt es schon an der Darlegung der Umstände, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale von § 6 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV ergeben könnte.
Beruft sich die Klagepartei auf eine deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes, hat sie grundsätzlich alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt (BGH, Urteil vom 03.05.2016 – Az.: II ZR 311/14). Vorliegend hat die Klagepartei zwar der Rechtsansicht vertreten, dass die Beklagte gegen § 6 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV verstoßen habe. Tatsächliche Umstände, aus denen sich die Verwirklichung von § 6 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV ergeben soll, hat sie indessen nicht vorgetragen. Gemäß § 6 Abs. 1 EG-FGV hat der Inhaber der EG-Typgenehmigung eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Artikel 18 in Verbindung mit Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen und nach § 27 Abs. 1 EG-FGV dürfen neue Fahrzeuge im Inland nur mit gültiger Übereinstimmungsbescheinigung veräußert werden. Tatsachen, aus denen zu folgern wäre, dass die Übereinstimmungsbescheinigung nicht vorhanden oder ungültig sei, hat die Klagepartei indessen nicht behauptet. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt geltend zu machen, dass es entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht ausreiche, wenn das Fahrzeug nur formell der EG-Typgenehmigung entspreche, sondern dass dies auch materiell-rechtlich so gewesen sein müsse. Dieser Rechtsansicht der Klägervertreter, dass jede materiell-rechtlich zu Unrecht erteilte EG-Typgenehmigung ungültig i.S.v. § 6 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 EG-FGV sei, folgt der Senat nicht (ebenso OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – Az.: 7 U 134/17 Rn. 104 ff bei JURIS).
Auch der Schutzgesetzcharakter der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FVG ist nicht gegeben:
(1) Eine Norm ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dann Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Zudem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden muss, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 13.12.2011 – Az.: XI ZR 51/10 Rn. 21).
(2) Die §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer. Derartiges ergibt sich auch nicht aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Richtlinie 2007/46/EG (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – Az.: 8 U 1449/19; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – Az.: 7 U 134/17).
Aus den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) der Richtlinie 2007/46/EG folgt, dass das Ziel der Richtlinie in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist; darüber hinaus sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung.
Sonstige Erwägungsgründe der Richtlinie, insbesondere die unter Nrn. 14 und 17 genannten, lassen anderweitige Rückschlüsse nicht zu. Diese betreffen, soweit sie denn über die bereits genannten Erwägungsgründe hinausgehen, ausschließlich weitere Allgemeingüter, nämlich ein hohes Umweltschutzniveau, den Schutz der (allgemeinen) Gesundheit und den Schutz der Verbraucher, ohne dass der Vermögensschutz des Einzelnen darin angesprochen wäre.
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Zweck der Art. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG selbst, deren Umsetzung die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV dienen. Soweit nach Art. 26 Abs. 1 die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur dann gestatten, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind, zielt dies auf die Erleichterung des Binnenmarktes; Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie auf den Schutz des Vermögens des Autokäufers abstellt, ergeben sich nicht.
Ein Individualschutz lässt sich auch nicht aus dem Erwägungsgrund (3) der VO (EG) 385/2009 herleiten, wonach sicherzustellen ist, dass die Angaben auf der Übereinstimmungsbescheinigung für die beteiligten Verbraucher und Wirtschaftsteilnehmer verständlich sein müssen. Das Verständlichkeitsgebot allein spricht nämlich nicht dafür, dass nunmehr individuelle Interessen geschützt werden sollen, sondern mag auch dadurch zu erklären sein, dass es der Käufer ist, der die Übereinstimmungsbescheinigung zum Zweck der Zulassung bei den zuständigen Behörden vorlegen muss. Schon dazu bedarf es einer verständlichen Fassung.
Neben der Berücksichtigung des Wortlauts kann im Rahmen der Auslegung der VO (EG) 385/2009 aber auch nicht außer Betracht bleiben, dass die eine Richtlinie ändernde Verordnung von der Kommission, dem Exekutivorgan der Europäischen Union, erlassen worden ist. Dabei geht der Senat nicht von einer Unwirksamkeit der Verordnung aus, sondern berücksichtigt vielmehr ausschließlich im Rahmen der Auslegung, dass nicht anzunehmen ist, dass die Kommission dem ursprünglich klar erkennbaren, einen Individualschutz nicht enthaltenden Zweck der Richtlinie 2007/46/EG einen gänzlich neuen hinzufügen wollte.
Selbst wenn – wie nicht – die europarechtlichen Vorgaben (auch) den Individualschutz bezwecken würden, würde dies die Annahme eines Schutzgesetzes nicht präjudizieren, denn die Fahrzeugkäufer können nach dem innerstaatlichen Recht auch durch die allgemein anerkannten Haftungsnormen des deutschen Zivilrechts – etwa durch §§ 437 ff BGB – hinreichend geschützt werden.
2. Auch ein Anspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 II, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 ist nicht gegeben. Dies schon deshalb, da der Schutzgesetzcharakter von Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 zu verneinen ist.
Ziel der VO (EG) 715/2007 ist nach deren einleitenden Bemerkungen (1) bis (4) sowie zusammengefasst nochmals in (27) die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. die Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung von Fahrzeugemissionen. Zwar werden neben der Vereinheitlichung der Rechtsregelungen ein hohes Umweltschutzniveau (1) als Ziel und die Reinhaltung der Luft als Vorgabe für Regelungen zur Senkung der Emissionen von Fahrzeugen (4) beschrieben, doch folgt aus den Ausführungen unter (7), die die Verbesserung der Luftqualität in einem Zuge mit der Senkung der Gesundheitskosten (und dem Gewinn an Lebensjahren) nennen, dass es auch insoweit nicht um individuelle Interessen, sondern letztlich um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele geht. Dass der europäische Gesetzgeber i.S.d. Definition des Schutzgesetzes dem einzelnen Verbraucher die Rechtsmacht in die Hand geben wollte, mit Mitteln des Privatrechts gegen denjenigen vorzugehen, der in dieser Verordnung zur Umsetzung dieser Ziele geregelte Verbote übertritt und sein Rechtsinteresse beeinträchtigt, geht damit aus den Vorbemerkungen nicht hervor. Vielmehr spricht stattdessen sogar der Umstand, dass die Ziele in (7) in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern, gegen einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers. Dies gilt umso mehr, als auch die Regelungen der VO (EG) 715/2007 selbst keinen Bezug zu Individualinteressen des einzelnen Bürgers aufweisen (so i.E. auch Riehm DAR 2016, 12, 13). Gerade einen derartigen Bezug zu Individualinteressen sieht der Europäische Gerichtshof aber in seiner Vorabentscheidung vom 16.02.2017, Az.: C – 219/15, Rn. 55, 56, als Erfordernis für eine Schutzgesetzeigenschaft an (OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – Az.: 7 U 134/17 – Rn. 144 bei JURIS und OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – Az.: 8 U 1449/19 – Rn. 82 bei JURIS).
3. Auch Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht verneint:
Der von der Klagepartei geltend gemachte Schaden wird schon nicht vom Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt.
Für Ansprüche aus unerlaubten Handlungen einschließlich der Ansprüche aus § 826 BGB gilt allgemein, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (BGHZ 96, 231; 57, 137, 142). Um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, kann auch im Rahmen des § 826 BGB auf eine derartige Eingrenzung nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen als sittlich anstößig zu qualifizieren sein, während ihm diese Bewertung hinsichtlich anderer, wenngleich auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in einem solchen Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen (BGH, Urteil vom 11.11.1985 – II ZR 109/84 -, BGHZ 96, 231, Rn. 15 bei JURIS). Etwaige Schäden, die der Klagepartei im Zusammenhang mit dem Gefahrenbereich „EG-Übereinstimmungsbescheinigung“ entstanden sein könnten, sind damit aus der Haftung auszunehmen; der Schutzzweck der die EG-Übereinstimmungsbescheinigung betreffenden gesetzlichen Regelungen des europäischen und des nationalen Rechts umfasst, wie vorstehend ausgeführt, nicht den von der Klagepartei geltend gemachten Schaden. Es sei einmal theoretisch unterstellt, dass verantwortliche Personen i.S.v. § 31 BGB der Beklagten im Verhältnis zur Umwelt, also in Bezug auf Belange des Umweltschutzes sittenwidrig gehandelt haben. Dass aber daneben auch Sittenwidrigkeit im Verhältnis zu den Endkunden der Beklagten und damit vorliegend der Klagepartei (in Bezug auf dessen hier allein klagegegenständlichen Vermögensinteressen) vorliegt, kann nach Überzeugung des Senats nicht angenommen werden. Der hier geltend gemachte Schaden (Abschluss des ungewollten Kaufvertrags) liegt außerhalb des Schutzbereichs des Gebots, das Fahrzeug nicht ohne gültige EG-Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr zu bringen.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass – anders als im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB – Drittschutz nicht zwingende Voraussetzung für die Geltendmachung von Schäden im Rahmen des § 826 BGB ist. Deshalb ist zur Klärung der Frage, ob Personen, deren Verhalten der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen ist, „in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise“ vorgegangen sind, letztlich eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handelns zu beurteilen ist (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – Az.: VI ZR 536/15, Rn. 16 bei JURIS). Diese Voraussetzungen sind nicht bei jedem Pflichtverstoß zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen, die im Fall einer Pflichtverletzung durch Unterlassen erfordert, dass das geforderte Handeln einem sittlichen Gebot entsprechen muss (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – Az.: VI ZR 536/15, Rn. 16 bei JURIS; BGH, Urteil vom 19.07.2017 – Az.: II ZR 402/02, Rn. 49 bei JURIS; BGH, Urteil vom 4.06.2013 – Az.: VI ZR 288/12, Rn. 14 bei JURIS).
Das Inverkehrbringen des – einmal unterstellt, mit unzulässigen Abschaltvorrichtungen ausgestatteten – streitgegenständlichen Fahrzeugs kann nicht als (konkludente) Täuschung durch positives Tun qualifiziert werden, zumal der Einsatz des Fahrzeugs mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung ohne Weiteres möglich war und ist.
Eine Aufklärungspflicht über den Einsatz der unzulässigen Abschaltvorrichtungen unterstellt hätte eine darin begründete Pflichtverletzung jedenfalls keine solche Schwere, als dass eine Aufklärung einem sittlichen Gebot entsprochen hätte. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs gegenüber einer bestehenden vertraglichen oder vorvertraglichen Bindung, die eine Offenbarungspflicht nur bei Vorliegen erkennbar wertbestimmender Faktoren beinhaltet, ist darauf abzustellen, ob erhebliche wertbildende Faktoren verletzt werden. Das ist zu verneinen (OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – Az.: 7 U 134/17, Rn 174 bei JURIS). Die Klagepartei nutzte das Fahrzeug seit dem Kauf legal und uneingeschränkt. Es wurde zu keiner Zeit still gelegt. Bei dieser Sachlage kann von der Verletzung erheblicher wertbildender Faktoren nicht ausgegangen werden.
Für die Annahme der Sittenwidrigkeit genügt es insbesondere nicht, dass die Klagepartei zur Wahrung ihrer Vermögensinteressen – und nur diese sind hier klagegegenständlich – auf eine wahrheitsgemäße Darstellung angewiesen ist. Denn dies mag zwar eine Rechtspflicht zur vollständigen und richtigen Aufklärung begründet haben. Die im Rahmen des § 826 BGB erforderliche Sittenwidrigkeit der unterlassenen Aufklärung folgt daraus jedoch regelmäßig – und auch hier – noch nicht (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – Az.: VI ZR 536/15, Rn. 21 bei JURIS). Das Unterlassen der Aufklärung über die (unterstellt vorhandenen und unzulässigen) Abschaltvorrichtungen stellt (ähnlich wie das Unterlassen der Aufklärung über wesentliche regelwidrige Auffälligkeiten einer Kapitalanlage) nicht schon dann einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB dar, wenn eine (vertragliche) Pflicht zur Aufklärung besteht. Der schwerwiegende Vorwurf der Sittenwidrigkeit ist erst dann zu erheben, wenn das Schweigen des Aufklärungspflichtigen zugleich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstossen würde. Sogar in den VW-Abgas-Fällen würde allein die Kenntnis von der noch entfernt liegenden (und tatsächlich auch nicht eingetretenen) Möglichkeit, dass die Betriebserlaubnis entzogen werden könnte und die Endkunden der Beklagten hierdurch Schäden erleiden würden, nicht genügen (BGH, Urteil vom 19.10.2010 – Az.: VI ZR 124/09, Rn. 14 bei JURIS zur parallelen Situation bei einer noch entfernt liegenden Möglichkeit, dass eine Geschäftstätigkeit gemäß § 37 KWG untersagt werden könnte). Sittenwidriges Verhalten wäre hier einem Automobilproduzenten erst dann vorzuwerfen, wenn seine Verantwortlichen trotz positiver Kenntnis von der Chancenlosigkeit der Erhaltung der Betriebserlaubnis geschwiegen hätten, also in Kenntnis des Umstands, dass eine Untersagung der Betriebserlaubnis unmittelbar bevorstand (vgl. BGH a.a.O. unter Bezugnahme auf das BGH VersR 2003, 511). Letzteres war vorliegend ersichtlich nicht der Fall.
Im Übrigen ist im Hinblick auf die Änderung des Berufungsantrags noch auf folgendes hinzuweisen:
Dem Verkauf des Fahrzeugs trotz anhängigen Verfahrens hat sich die Klagepartei bewusst der Möglichkeit begeben, den angeblich unzulässigen Einbau eines „Thermofensters“ gerade im streitgegenständlichen Fahrzeug nachzuweisen; insoweit wären, falls es auf diese Frage ankäme, die Grundsätze der Beweisvereitelung anzuwenden. Des weiteren ergibt sich aus der der Berufungsbegründung beigefügten (nicht nummerierten) Anlage, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zum Zeitpunkt des Verkaufs nicht unfallfrei war, während aus der als Anlage K 1 vorgelegten Rechnung vom 20.01.2014 kein Unfall zu ersehen ist. Eine so geartete Verschlechterung des Fahrzeugs, die ohne jeden Zweifel Einfluss auf die Bemessung des Kaufpreises im Rahmen des Vertrags vom 28.09.2019 gehabt haben wird, kann nicht zu Lasten der Beklagten gehen (Argumentum § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB). Zudem ist der Ansatz einer Gesamtlebensdauer des Fahrzeugs von 350.000 km vom Senat so nicht nachzuvollziehen; bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handelte es sich, berücksichtigt man das von der Beklagten angebotene Spektrum an Fahrzeugen, nicht um ein höherpreisiges und PS-starkes Modell, sondern eher um ein Fahrzeug der unteren Mittelklasse.
Die Berufung wird daher voraussichtlich gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen sein. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
Der Senat empfiehlt zur Kostenersparnis eine Rücknahme der Berufung.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 10.02.2020
Folgendes ist zu beachten:
Der Senat gewährt im Rahmen seiner Hinweise nach § 522 Abs. 2 ZPO geräumige Fristen zur Stellungnahme. Zur Vermeidung eines unnötigen Verwaltungsmehraufwandes werden diese Fristen nur ganz ausnahmsweise und nur bei Vorliegen eines glaubhaft gemachten triftigen Grundes verlängert, wozu im allgemeinen nicht eine geltend gemachte Arbeitsüberlastung und die pauschale Behauptung zählen, dass mit der vertretenen Partei noch kein Kontakt zustande gekommen sei. Bei Fristverlängerungsgesuchen, die erst in der Woche vor Ablauf der Frist eingehen, kann mit einer Verbescheidung des Gesuchs im Fall der Ablehnung nicht in jedem Fall gerechnet werden.


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