Europarecht

Keine Rückführung von Familien mit minderjährigen Kindern nach Italien

Aktenzeichen  W 10 S 19.50223

Datum:
16.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 24716
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
RL 2013/33/EU Art. 21
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 1, Abs. 2, Art. 18 Abs. 1b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 1, Art. 29 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
EuGrCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort aufgrund systemischer Mängel unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EuGrCh gewährleisteten Rechte führen.  (Rn. 28 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Italien verfügt grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, das trotz bestehender Mängel noch als funktionsfähig betrachtet werden kann (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Gefahrenschwelle einer Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Gesundheit oder einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Verelendung kann hinsichtlich der von der Tarakhel-Entscheidung des EGMR erfassten Personengruppen, insbesondere der Familien bzw. Alleinerziehenden mit Klein- oder Kleinstkindern, wegen deren besonderer Bedürfnisse bereits bei Verhältnissen erreicht sein, welche bei einer nicht vulnerablen Person noch nicht zu einer Verletzung des Art. 4 EuGrCh bzw. des Art. 3 EMRK führen würden. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die aktuellen Erkenntnisse sind nicht ausreichend, um derzeit davon ausgehen zu können, dass eine angemessene Unterbringung von Familien bzw. Alleinerziehenden mit Kleinkindern auch ohne individuelle Garantieerklärung sicher erfolgt. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 6. März 2019, Az: … … wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Sofortvollzug einer Abschiebungsanordnung nach Italien.
1. Der Antragsteller, nach eigenen Angaben ein am … … 1983 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 28. Januar 2019 in das Bundesgebiet ein und wurde hier erkennungsdienstlich behandelt. Erkenntnissen aus der Eurodac-Datenbank zufolge hat der Antragsteller bereits am 10. September 2013 in Italien internationalen Schutz beantragt.
Am 6. Februar 2019 beantragte der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Asyl. Dabei erklärte er sich mit der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Familieneinheit einverstanden und gab an, seine Ehefrau sowie seine (am … … 2017 geborene) Tochter (Az der gerichtlichen Verfahren W 10 K 19.50224, W 10 S 19.50225) befänden sich ebenfalls im Bundesgebiet. Er habe sein Herkunftsland am 30. November 2009 verlassen und sei über Ghana, Niger und Lybien zunächst nach Italien eingereist. Am 27. Juli 2013 sei er in Italien eingetroffen und habe dort internationalen Schutz beantragt, ebenso seine Ehefrau. Am 27. Januar 2019 seien sie gemeinsam in das Bundesgebiet eingereist.
Am 21. Februar 2019 wurde der Antragsteller zur Zulässigkeit seines Asylantrages angehört. Dabei bestätigte er die bisherigen Angaben und ergänzte, er habe in Italien einen Aufenthaltstitel gehabt, den er in Karlsruhe abgegeben habe. Dieser sei bis September 2019 gültig. Er habe über seinen Asylantrag einen positiven Bescheid erhalten. Er sei in Italien in der Landwirtschaft tätig gewesen. Durchschnittlich habe er 20,00 EUR pro Tag, d. h. ungefähr 400,00 EUR monatlich verdient. Manchmal habe er auch als Schweißer gearbeitet und dann mehr verdient. Er habe aber monatlich 250,00 EUR Miete zahlen müssen. Nachdem seine Tochter zur Welt gekommen sei, habe er die Miete nicht mehr bezahlen können und sei aus der Wohnung gekündigt worden. Manchmal habe er sich mit zusätzlichen Jobs etwa 20,00 EUR mehr verdient. Davon habe er Lebensmittel besorgen können. Die Lebensumstände in Italien seien sehr schlecht gewesen. Er sei ständig unter finanziellem Druck gewesen. Er habe sich auch an eine Hilfsorganisation gewandt, von dieser jedoch keine wirkliche Unterstützung erhalten, nur Milch und Brot. Sie könnten sich aber nicht nur von Milch und Brot ernähren. Seine Frau habe einen Kaiserschnitt gehabt und ebenfalls Hilfe gebraucht. Er habe alles machen müssen, was sehr schwierig gewesen sei. Er habe erst daran gedacht, nach Deutschland weiter zu reisen, als er in Italien in finanzielle Schwierigkeiten geraten sei. Die Leute dort hätten ihn bedroht. Er habe für 20,00 EUR am Tag gearbeitet, andere hätten 50,00 EUR verdient. Er sei jetzt 36 Jahre alt. Er sei fleißig und könne gut schweißen und arbeite auch gerne. Aber er habe in Italien viel gelitten. Er habe eine nette Frau und ein intelligentes Kind, aber er sei stehengeblieben. Freunde hätten sich Autos kaufen können usw., er hingegen habe nicht einmal seine Familie ernähren können. In Nigeria habe er niemanden mehr. Er sei gesund.
In der informatorischen Anhörung am selben Tag gab der Antragsteller außerdem an, er habe seine Frau in Italien kennengelernt. Ihre Eltern hätten sie in Nigeria traditionell verheiratet. Die Eheschließung sei in Nigeria durch seinen Bruder staatlich registriert worden. Nachweise hierfür legte der Antragsteller nicht vor.
Am 25. Februar 2019 ersuchte das Bundesamt die italienischen Behörden um Wiederaufnahme des Antragstellers nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO). Mit Schreiben vom 5. März 2019 stimmt das italienische Innenministerium der Wiederaufnahme unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO zu.
2. Mit Bescheid vom 6. März 2019 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheides), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), die Abschiebung nach Italien angeordnet (Ziffer 3) sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig sei. Für den Fall, dass dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits ein Schutzstatus zuerkannt bzw. sein Asylverfahren dort unanfechtbar abgeschlossen worden sei, könne die Unzulässigkeit auch auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 5 AsylG gestützt werden. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
3. Gegen diesen ihm am 14. März 2019 ausgehändigten Bescheid erhob der Antragsteller am 20. März 2019 zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg Klage (Az: W 10 K 19.50222), über die noch nicht entschieden ist.
Zugleich beantragt der Antragsteller im vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung nahm er auf die Anhörung beim Bundesamt Bezug und wiederholte im Wesentlichen die bisherigen Ausführungen. Ergänzend wies er darauf hin, dass seine Frau und seine Tochter (Az des Bundesamtes: …*) ebenfalls einen Ablehnungsbescheid erhalten und Klage erhoben hätten.
4. Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 6. März 2019 (§ 88 VwGO) hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist statthaft, soweit er sich gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheids richtet (§ 88 VwGO). Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 VwGO u.a. in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen. Eine Klage gegen die Abschiebungsanordnung entfaltet von Gesetzes wegen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag wurde auch innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage 2018, § 80 Rn. 152; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Auflage 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung der Klage in der Hauptsache dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Eyermann/Hoppe a.a.O., Rn. 90 ff.).
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Nach der im vorliegenden Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wird die Klage gegen die Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides voraussichtlich Erfolg haben. Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung überwiegt daher das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
a) Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Der Antragsteller hat ausweislich des in der Behördenakte befindlichen Eurodac-Treffers 10. September 2013 in Italien internationalen Schutz beantragt, so dass die italienischen Behörden für die Prüfung des Antrags nach Art. 18 Abs. 1b Dublin III-VO zuständig sind. Im Falle des Antragstellers hat das italienische Innenministerium dem fristgerecht gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO Dublin III-VO gestellten Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin innerhalb der Frist nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO zugestimmt, weshalb die italienischen Behörden verpflichtet sind, den Antragsteller wiederaufzunehmen. Die Zuständigkeit ist auch nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil die dort geregelte Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
b) Ein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin ergibt sich auch nicht aus der rechtlichen Unmöglichkeit der Überstellung nach Italien.
Das auf der Grundlage des Art. 78 Abs. 2 AEUV eingerichtete Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründet jedoch nur eine widerlegliche Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das GEAS in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 83 f.). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist das in Art. 4 EU-GR-Charta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung und muss aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 EU-GR-Charta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch bei Überstellungen von Asylbewerbern nach den Dublin-Verordnungen vollumfänglich beachtet werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – N.S., C-411/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 14.11.2013 – Puid, C-4/11 – NVwZ 2014, 129; U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – NVwZ 2017, 691 Rn. 59; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 78).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann die Vermutung, wonach der Aufnahmestaat seinen Pflichten aus Art. 3 EMRK nachkommt, widerlegt werden, wenn schwerwiegende Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass die Person, deren Rückführung angeordnet wird, einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) entgegensehen würde, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, Nr. 29217/12 – NVwZ 2014, 127, Rn. 104; U.v. 21.1.2011 – M.S.S., Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 342). Die Ursache der Gefahr hat keine Auswirkungen auf das Schutzniveau der EMRK und befreit den überstellenden Staat nicht davon, eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und im Falle der Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung die Durchsetzung der Abschiebung auszusetzen (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, a.a.O.). Staatliches Handeln in Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen einer zwischen- oder überstaatlichen Organisationen – wie der EU – ist nach der EMRK nur solange gerechtfertigt, wie auf dieser Ebene ein ausreichender Grundrechtsschutz gewährleistet ist. Dies ist im Rahmen des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes grundsätzlich der Fall (EGMR, U.v. 30.6.2005 – Bosphorus, Nr. 45036/98 – NJW 2006, 197), zumal die in der EMRK garantierten Rechte nach Art. 6 Abs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 3 EU-GR-Charta in die unionsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen als Mindeststandard inkorporiert sind (Borowsky in Meyer-Ladewig, Charta der Grundrechte, vor Art. 51 Rn. 1a; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 52 Rn. 60 ff.). Soweit ein Mitgliedstaat aber entscheiden kann, in eigener Zuständigkeit tätig zu werden – wie im entschiedenen Fall gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO a.F., vgl. nunmehr Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO -, handelt er nach der Auffassung des EGMR nicht in Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen und kann sich somit seiner Verantwortlichkeit nicht entziehen, wenn er von dieser Möglichkeit trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S., 30696/09, NVwZ 2011, 413 Rn. 340 m.V.a. U.v. 30.6.2005 – Bosphorus, Nr. 45036/98 – NJW 2006, 197).
Diesen Vorgaben des höherrangigen Unionsrechts sowie des internationalen Rechts trägt Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO Rechnung. Danach besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Unter diesen Umständen hat die Antragsgegnerin zunächst gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO die Prüfung der Zuständigkeitskriterien in Kapitel III (Art. 7 – 15 Dublin III-VO) fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann danach keine Überstellung an einen anderen zuständigen Mitgliedstaat erfolgen, so geht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO die Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin über.
Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GR-Charta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des EGMR kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin-Überstellung stünden nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Diese Grundsätze konkretisierend hat der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019, Az.: C-163/17 (juris Rn. 91) ausgeführt, dass das nationale Gericht nach entsprechender Darlegung durch die betroffene Person auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen habe, ob in dem zuständigen Mitgliedstaat „entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen“ bestehen. Solche Schwachstellen seien jedoch nur dann als Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu werten, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht werde, die von sämtlichen Umständen des Falles abhänge. Diese Schwelle sei aber selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden seien, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befinde, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden könne. Die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats müsse zur Folge haben, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befinde, die es ihr nicht erlaube, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92 f.).
Entsprechend vorstehender Ausführungen geht das Gericht auf der Basis einer Gesamtwürdigung nach dem aktuellen Erkenntnisstand und im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen.
Die Republik Italien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union an die europäischen Grundrechte (Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta) sowie an die EMRK gebunden. Deshalb spricht zunächst die durch das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens begründete Vermutung für die Zulässigkeit der Abschiebung in einen solchen Staat. Diese Vermutung ist nicht durch die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen entkräftet, weil eine Zusammenschau der einschlägigen Erkenntnismittel ergibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien zumindest den internationalen und europäischen Mindeststandards entsprechen und jedenfalls elementare Bedürfnisse der Asylbewerber gedeckt werden können.
Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Im Falle der Ablehnung kann ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden oder Beschwerde gegen den Ablehnungsbescheid erhoben werden. Das Asylverfahren soll zwar grundsätzlich nicht länger als sechs Monate dauern (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG NW vom 23.2.2016). Der Umstand, dass diese Verfahrensdauer aufgrund der aktuellen Belastungssituation nicht immer eingehalten werden kann, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines unzureichenden Asylverfahrens, zumal diesbezügliche Schwierigkeiten wegen des enormen Zustroms an Schutzsuchenden nicht nur in Italien, sondern in vielen europäischen Ländern bestehen.
Durch das am 5. Oktober 2018 erlassene und am 7. November durch den Senat sowie am 28. November durch das Parlament bestätigte Dekret No. 113/2018 über Sicherheit und Migration (sog. Salvini-Dekret) wird der bisherige humanitäre Schutz stark eingeschränkt. Wurde dieser bislang für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn „besondere Gründe“, insbesondere „humanitären Charakters“ vorlagen, ist er nunmehr an eine restriktive und vor allem abschließende Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann (teilweise auch mit einer Dauer von weniger als zwei Jahren). Eine solche Aufenthaltserlaubnis ist etwa möglich für medizinische Behandlungen, für Opfer von Gewalt, bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland sowie bei Fällen des Nonrefoulement. Es kommt zwar zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel, diese werden allerdings nicht mehr erneuert oder verlängert. Sie können aber bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand: 26.2.2019, S. 5 f.).
Zudem liegt die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechts nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98, sog. Rückführungsrichtlinie) im Ermessen der Mitgliedstaaten. Demgegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechtes die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags nicht zulässig ist. Im Übrigen ist der jeweilige Mitgliedstaat somit kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechts (vorübergehend) zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden, oder dass in der italienischen behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor.
Weiterhin erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., m.w.N.). Auch durch das Salvini-Dekret soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 7). Auch wenn Italien diesbezüglich möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem bereitstellt, so begründet dies entsprechend den obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
Italien verfügt über ein umfassendes Gesundheitssystem, das medizinische Behandlungsmöglichkeiten auf hohem Niveau bereitstellt. Asylbewerber haben in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden gleichwohl medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 23 f.). Auch diesbezüglich kommt es durch das Salvini-Dekret zu keinen Abstrichen. Insbesondere ist nach wie vor die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst garantiert, welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen Ärzte beschäftigt, die medizinische Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen vornehmen und die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 8 f.).
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: März 2018, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, S. 80 ff.), so dass angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern nach wie vor eine Überbelegung anzunehmen ist.
Durch das Salvini-Dekret soll die bisherige Unterbringung völlig neu organisiert und ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen werden. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene, dem sog. SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“) unterschieden. Während die Erstaufnahmeeinrichtungen die bisherigen CAS- und CARA-Unterkünfte ersetzen, treten die SIPROIMI an die Stelle der früheren SPRAR-Unterkünfte („Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugiati“), wobei letztere bisher vor allem für vulnerable Personen unabhängig von ihrem Schutzstatus vorgesehen waren. Künftig werden Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, während Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen erhalten, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden. Durch die neuen Ausschreibungsspezifikationen für die Unterkünfte wurde auf den Vorwurf reagiert, die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR seien inhomogen und würden keine einheitlichen Standards sicherstellen. Zudem kann durch die nunmehrige Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden. Die Bedürfnisse von Familien sowie vulnerablen Personen sollen auch künftig Berücksichtigung finden. So sind etwa Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen, für die es spezielle Ausschreibungsspezifikationen gibt (z.B. bzgl. Personalschlüssel, Reinigungsintervallen oder Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich im Stichtag 5. Oktober 2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraums weiterhin bleiben. Sofern sie sich dagegen noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben sie dort so lange, bis ihnen von der Questura der Aufenthaltstitel übergeben wurde. Danach werden sie aus dem Aufnahmesystem entlassen (vgl. zum Ganzen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 5 ff.).
Neben den staatlichen Einrichtungen existieren bisher verschiedene karitative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. In Einzelfällen ist es jedenfalls bislang gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhalten und vorübergehend obdachlos sind. Insbesondere kann es zu Problemen kommen, wenn Dublin-Rückkehrer in Italien bereits offiziell untergebracht waren, da der Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen untergeht, wenn der Ausländer seine Unterkunft ohne vorherige Bewilligung verlässt oder eine ihm zugewiesene Unterkunft gar nicht erst in Anspruch genommen hat (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 22). Der Anspruch kann zwar wiederaufleben. Insoweit ist allerdings ein vorheriger Antrag bei der Questura erforderlich, die ursprünglich für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig war. Eine Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung kann erst dann wieder erfolgen, wenn die Wiederaufnahme genehmigt wurde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28). In dieser Übergangsphase sind Dublin-Rückkehrer auf die Hilfe von Freunden oder karitativen Einrichtungen, über deren Aufnahmekapazität es keine gesicherten und aussagekräftigen Unterlagen gibt, angewiesen, um der Obdachlosigkeit entgehen zu können. Im Ergebnis ist die Unterkunftssituation in ihrer Gesamtschau zum aktuellen Stand weiterhin problematisch.
Gleichwohl sind diese defizitären Umstände noch nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung von European Asylum Support Office der Europäischen Union (EASO) geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO Special Support Plan to Italy, 11.3.2015). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist sowie im Hinblick auf die Neustrukturierung der Unterbringung durch das Salvini-Dekret.
Auf der Basis vorstehender Ausführungen schließt sich das Gericht unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz bestehender Mängel noch als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; VG Augsburg, B.v. 1.3.2018 – Au 5 S 18.50329 – juris; VG München, B.v. 6.6.2018 – M 11 S 18.51151 – Beck RS 2018, 15962; B.v. 9.8.2018 – M 26 S 18.52225, BeckRS 2018, 19472; VG Ansbach, U.v. 1.8.2018 – AN 14 K 17.50567 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 22.3.2018 – A 5 K 15921/17 – BeckRS 2018, 7260; OVG Lüneburg, B.v. 13.6.2018 – 10 LB 204/18, BeckRS 2018, 22826; B.v. 2.7.2018 – 10 LB 249/18, BeckRS 2018, 24922; BayVGH, U.v. 18.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG Münster, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris).
c) Allerdings besteht im Falle des Antragstellers gleichwohl voraussichtlich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Dabei ist davon auszugehen, dass der Antragsteller entweder nicht oder nur im Familienverband mit seiner Ehefrau und seiner Tochter nach Italien zurückkehren würde (BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18), unabhängig davon, dass die Abschiebung der Ehefrau und der Tochter nach Frankreich angeordnet ist. Diese Familie gehört dem besonders schutzbedürftigen Personenkreis der Familien bzw. Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie) angehört. Nach dieser Regelung ist die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen in dem einzelstaatlichen Recht zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie zu berücksichtigen. Auch nach italienischem Recht muss grundsätzlich auf die spezifischen Bedürfnisse vulnerabler Personen Rücksicht genommen werden.
Der EGMR hat für den Fall einer Familie mit minderjährigen Kindern in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 ausgeführt, dass die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar ist und keine systemischen Mängel vorliegen (EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel ./. Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.). Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Asylbewerbern keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht ist. Um sicherstellen zu können, dass die Aufnahmebedingungen an die Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen angepasst sind, müssen vor deren Abschiebung individuelle Garantien von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass diese Personen in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen werden, die ihrer Schutzbedürftigkeit angemessen sind (EGMR, U.v. 4.11.2014 a.a.O., Rn. 120, 122). Dem folgend vertritt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in standiger Rechtsprechung die Auffassung, dass den Belangen besonders schutzbedürftiger Personen, wozu sowohl Familien mit Klein- und Kleinstkindern bis zu einem Alter von drei Jahren als auch (erst recht) alleinerziehenden Müttern mit vier Kindern gehören, unter Berücksichtigung der Grundsätze der Tarakhel-Entscheidung des EGMR besonders Rechnung getragen werden muss (BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 – 2 BvR 746/15 – NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 u.a. – juris Rn. 16). Bei Vorhandensein belastbarer Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im Zielstaat hat das Bundesamt deshalb vor der Überstellung von Familien mit Klein- bzw. Kleinstkindern in Anbetracht der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 EMRK eine konkrete und einzelfallbezogene Zusicherung (Garantieerklärung) der Behörden des Zielstaates einzuholen, dass die Familie dort eine gesicherte Unterkunft für alle Familienmitglieder erhalten wird (BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 19 f.; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 16; B.v. 22.7.2015 – 2 BvR 746/15 – NVwZ 2015, 1286, juris; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 u.a. – juris Rn. 16). Können entsprechende Erkenntnisse und Zusicherungen im Eilverfahren nicht eingeholt werden, so ist zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes gegebenenfalls die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (BVerfG, B.v. 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 20; B.v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – juris Rn. 17). Diese Rechtsprechung hat der EGMR in Bezug auf Italien bisher nicht vollumfänglich geändert. Vielmehr hat er infolge der Entwicklung der Aufnahmesituation für Asylbewerber in Italien seit der Tarakhel-Entscheidung vom November 2014 lediglich angenommen, dass es für Familien mit minderjährigen Kindern, die älter als drei Jahre sind, keiner individuellen Garantieerklärung der italienischen Behörden bedarf (vgl. EGMR, U.v. 3.11.2015 – Nr. 21459/14, J. A. – Rn. 31; zu einer Mutter mit einem fünfjährigen Kind: EGMR, U.v. 17.11.2015 – Nr. 54000/11, A. T. H. v. Niederlande – Rn. 39; zu einer Mutter mit ihren zwei- und einjährigen Kindern: EGMR, U.v. 28.6.2016 – Nr. 15636/16, N. A. and Others v. Dänemark – Rn. 28 f. u. 31 f.; zu einer Mutter, ihrem volljährigen Bruder und ihrem 13-jährigen Kind: EGMR, U.v. 4.10.2016 – Nr. 30474/14, Ali and Others v. Schweiz und Italien – Rn. 34; jeweils abrufbar unter https://hudoc.echr.coe.int/eng; ebenso BVerfG, B.v. 17.09.2014 – 2 BvR 939/14 – juris Rn 16).
Die vorgenannte Rechtsprechung ist nicht durch das bereits zitierte Urteil des EuGH vom 19. März 2019 (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo – juris) überholt. In dieser Entscheidung – die allerdings keine vulnerable Person betraf – hat der EuGH ausgeführt, dass der Überstellung einer Person in den zuständigen Mitgliedstaat „entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen“ entgegenstehen können (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo – juris Rn. 90 mit Verweis auf EuGH, U.v. 5.4.2016 – C-404/15 und C-659/15 PPU, Aranyosi und Caldararu – Rn. 89). Der EuGH hält somit ausdrücklich auch solche Schwachstellen für beachtlich, welche nur bestimmte Personengruppen betreffen, und übernimmt damit der Sache nach den entsprechenden Grundsatz der Tarakhel-Entscheidung des EGMR. Damit trägt der EuGH der Schutzniveauklausel in Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EU-GR-Charta Rechnung, wonach diejenigen Rechte der Charta, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird (so auch ausdrücklich EuGH a.a.O., Rn. 91; Borowsky in Meyer-Ladewig, Charta der Grundrechte, vor Art. 51 Rn. 1a; Jarass, Charta der Grundrechte, Art. 52 Rn. 60 ff.). Ohne ausdrückliche Abkehr des EuGH von der Rechtsprechung des EGMR ist daher nicht davon auszugehen, dass er Art. 4 EU-GR-Charta grundlegend anders auslegen will, als der EGMR das entsprechende Grundrecht des Art. 3 EMRK auslegt. Hinsichtlich der relevanten Gefahrenschwelle ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass zwar sowohl der EuGH als auch der EGMR eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit verlangen, welche von sämtlichen Umständen des Einzelfalles wie insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenden körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen abhängt (EuGH a.a.O., Rn. 91 mit Verweis auf EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien u. Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; vgl. auch EGMR, U.v. 4.10.2016 – Nr. 30474/14, Ali u.a. ./. Schweiz und Italien – Rn. 31; U.v. 13.12.2016 – Nr. 41738/10, Paposhvili ./. Belgien – Rn. 174; BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11). Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Kriterium des „Mindestmaßes an Schwere“ nicht zugänglich, vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 11).
Von dieser Gefahrenschwelle ausgehend stellt der EGMR in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich auf die besonderen Bedürfnisse der betroffenen Personengruppe ab (EGMR a.a.O., Rn. 97 ff., insb. 99; Rn. 119). Daraus folgt, dass die Gefahrenschwelle einer Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Gesundheit oder einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Verelendung hinsichtlich der von der Tarakhel-Entscheidung erfassten Personengruppen, insbesondere der Familien bzw. Alleinerziehenden mit Klein- oder Kleinstkindern, wegen deren besonderer Bedürfnisse bereits bei Verhältnissen erreicht sein kann, welche bei einer nicht vulnerablen Person noch nicht zu einer Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta bzw. des Art. 3 EMRK führen würden, etwa weil Klein- und Kleinstkinder auf Verhältnisse treffen, welche ihren besonderen Bedürfnissen nicht gerecht werden, oder weil sie infolge einer Trennung des Familienverbandes ohne Bezugsperson auf sich alleine gestellt sind.
Des Weiteren sieht sich das erkennende Gericht im Rahmen der Prüfung eines nationalen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG weiter an die oben genannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden, welche im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des nationalen Rechts einschließlich der Grundrechte – und damit grundsätzlich unabhängig vom Unionsrecht – die Berücksichtigung der Tarakhel-Grundsätze verlangt (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 29.8.2017 – 2 BvR 863/17 – juris Rn. 16; B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 15 f.). Denn in diesem Rahmen wendet das Gericht eine nicht unionsrechtlich determinierte nationale Rechtsvorschrift an und ist deshalb an die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 8 EMRK gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG), die insoweit nicht durch die unionsrechtlichen Grundrechte verdrängt werden.
Hinsichtlich des anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabes ist nach der Überzeugung des Gerichts auf den Maßstab der ernsthaften Gefahr bzw. des ernsthaften Risikos („real risk“) abzustellen, welcher auch sonst bei einer durch die Abschiebung bedingten Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK aufgrund der humanitären Verhältnisse im Aufnahmestaat anzuwenden ist und dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 6 m.w.N.). Auf diesen Maßstab nimmt auch der EGMR in der Tarakhel-Entscheidung ausdrücklich Bezug (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 – Tarakhel, Nr. 29217/112 – NVwZ 2015, 127/129 Rn. 93, 104 f.), sieht ihn aber bereits dann als erfüllt an, wenn „die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann“, dass eine erhebliche Zahl von Asylbewerbern keine Unterkunft findet oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht wird (EGMR a.a.O., S. 131 Rn. 115).
Wie bereits ausgeführt wurde, ist die Unterkunftssituation in Italien nach der aktuellen Erkenntnismittellage nach wie vor problematisch. Nach der bisherigen Unterbringungsstruktur stehen geeignete Einrichtungen für Vulnerable hauptsächlich in den SPRAR-Unterkünften zur Verfügung, in denen regelmäßig gute Unterstützungsleistungen erbracht werden. Es handelt sich hierbei um ein Unterbringungssystem auf kommunaler Ebene, das vom italienischen Staat zentral verwaltet wird und eine Unterbringung bei privaten oder kommunalen Trägern vorsieht (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amts an das OVG NW vom 23. Februar 2016). Diese machen jedoch einen eher geringeren Prozentsatz der staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten aus, so dass nicht jeder Asylsuchende einen Platz erhalten kann und die Zuteilung häufig mit langen Wartezeiten verbunden ist (vgl. AIDA, Country Report: Italy, Stand: März 2018, S. 51, 76; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 41). Derzeit wird die Unterbringung zwar völlig neu organisiert, wobei die Bedürfnisse von Familien und vulnerablen Personen Berücksichtigung finden sollen, unabhängig davon, wo die Unterbringung erfolgt. Die aktuellen Erkenntnisse sind jedoch nicht ausreichend, um derzeit davon ausgehen zu können, dass eine angemessene Unterbringung von Familien bzw. Alleinerziehenden mit Kleinkindern auch ohne individuelle Garantieerklärung sicher erfolgt. Insbesondere gibt es derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass der am 8. Januar 2019 versandte neue Rundbrief Italiens zu Einrichtungen, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, die als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, a.a.O., S. 9), eine belastbarere Garantie bietet, als das bisher der Fall war, zumal fraglich ist, inwiefern die Umstrukturierung infolge des Salvini-Dekrets bereits vollumfänglich erfolgreich umgesetzt wurde.
In Ansehung der vorgenannten Entscheidungen und Ausführungen kann aus Sicht des Gerichts eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu Lasten des Antragstellers, der Angehöriger einer Kernfamilie mit einem Kleinkind im Alter von unter drei Jahren ist, nach dem oben dargestellten Maßstab nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Antragsgegnerin vor einer Überstellung nach Italien eine entsprechende individuelle Zusicherung der italienischen Behörden einholt, dass der Antragsteller und seine Familienangehörigen einen sicheren Platz in einer Unterkunft erhalten, die insbesondere den individuellen Bedürfnissen eines Kleinkindes gerecht wird und eine adäquate hygienische Umgebung gewährleiste, und dass der Familienverband mit der Ehefrau und der Tochter erhalten bleibt. Denn die Tochter des Antragstellers ist als Kleinkind im Alter von knapp zwei Jahren alleine völlig hilflos und daher ständig auf die Fürsorge seiner Eltern angewiesen. Vor diesem Hintergrund liegt selbst die vom EuGH in oben genannter Entscheidung verlangte extreme materielle Not bzw. Verelendung nahe, wenn keine (gemeinsame) Unterbringung bzw. keine den besonderen Bedürfnissen angepasste Unterbringung erfolgt. Dies muss umso mehr gelten, als dem Gericht auch Berichte über Defizite bei der Zuweisung schutzbedürftiger Personen an geeignete Einrichtungen vorliegen und Obdachlosigkeit von Asylbewerbern und Schutzberechtigten in Italien sowie festzustellende Mängel und Defizite in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen nach wie vor ein bestehendes Problem sind (vgl. US Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2017 – Italy, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/document/1430262.html).
Im vorliegenden Fall fehlt es zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt an einer solchen konkreten und einzelfallbezogenen Zusicherung Italiens im Sinne der Tarakhel-Entscheidung, so dass auf Basis vorstehender Ausführungen ernsthaft zu befürchten ist, dass der Antragsteller und seine Familienangehörigen im Falle ihrer Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würden.
3. Offenbleiben kann in Anbetracht der vorliegenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes und damit für den Erfolg der Klage hinsichtlich der Ziffern 2 bis 4 des streitgegenständlichen Bescheides, ob die Erfolgsaussichten auch im Hinblick auf das Bestehen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zumindest offen sind. Denn unter der – gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren weiter aufzuklärenden – Voraussetzung, dass der Antragsteller mit seiner Tochter eine familiäre Schutz- und Beistandsgemeinschaft im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK bildet, wäre die Abschiebung nach Italien und damit die Trennung von den übrigen Familienmitgliedern, welche nach Frankreich abgeschoben werden sollen, auch unter diesem Gesichtspunkt rechtswidrig. Unter diesen Voraussetzungen würde in Anbetracht der Folgen des Vollzugs einer Abschiebung für den Betroffenen das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse ebenfalls überwiegen.
4. Da somit die Klage in der Hauptsache hinsichtlich der Abschiebungsanordnung voraussichtlich Erfolg haben wird, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse. Der Antrag hat daher Erfolg.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben