Europarecht

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Daimler-Diesel-Fahrzeugs (hier: Mercedes-Benz V 250 d 4 M)

Aktenzeichen  27 U 7045/20

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31203
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Vgl. auch zur Thematik des “Thermofensters” bei Daimler-Fällen grundlegend BGH BeckRS 2021, 847 sowie KG BeckRS 2020, 9869, mwN in Rn. 17; OLG Köln BeckRS 2019, 15640; BeckRS 2019, 38788; BeckRS 2020, 8398; OLG Stuttgart BeckRS 2019, 17247; OLG Koblenz BeckRS 2019, 25135; BeckRS 2019, 32707; BeckRS 2020, 9863; OLG München BeckRS 2020, 24517; BeckRS 2021, 30059; BeckRS 2021, 29919; BeckRS 2021, 31946; BeckRS 2021, 32703; OLG Celle BeckRS 2019, 33326; OLG Frankfurt BeckRS 2019, 30856; OLG Schleswig BeckRS 2019, 23793; BeckRS 2020, 37024; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 8864; BeckRS 2020, 9827; BeckRS 2020, 48179; OLG Bamberg BeckRS 2019, 43152; BeckRS 2020, 9901; BeckRS 2021, 29894; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 35733; BeckRS 2020, 35731; BeckRS 2020, 35720; BeckRS 2021, 7532; BeckRS 2021, 7536; BeckRS 2021, 7533; BeckRS 2021, 19037; OLG Dresden BeckRS 2019, 23150. (redaktioneller Leitsatz)
2. Vgl. Leitsätze zum in dieser Sache vorausgegangenen Hinweisbeschluss BGH BeckRS 2021, 31946. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (ebenso BGH BeckRS 2021, 847). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

27 U 7045/20 2021-01-22 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 06.11.2020, Aktenzeichen 33 O 663/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieser Beschluss und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Memmingen sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 54.552,21 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Pkws.
Die Beklagte ist eine Auto- und Motorenherstellerin in Stuttgart. Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 02.09.2017 über die A.GmbH, … einen gebrauchten Pkw Mercedes-Benz V 250 d 4M mit einem Dieselmotor OM 651, Abgasnorm Euro 6, Fahrzeug-Identifizierungsnummer …44, ausgestattet mit einem SCR-System, zum Preis von 49.777,00 € brutto mit einem Kilometerstand von 33.849 km und einer Erstzulassung am 18.01.2016 (Anlage K 1a). Zur Finanzierung des Kaufpreises leistete der Kläger eine Anzahlung in Höhe von 15.000,00 € aus Eigenmitteln. Zur weiteren Finanzierung des Kaufpreises schoss der Kläger unter dem 02.09.2017 mit der M.Bank AG einen Verbraucherdarlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 35.780,20 € ab (Anlagen K 1b, K 1c). Der Pkw ist mit einem Abgasrückführungssystem ausgestattet, bei dem zur Reduzierung umweltschädlicher Stickoxid-(NOx-)Emissionen ein Teil der beim Verbrennungsvorgang entstehende Gase zur erneuten Verbrennung in das Ansaugsystem des Motors zurückgeleitet wird. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs bzw. Motors am 03.08.2018 einen Rückruf angeordnet, aufgrund dessen am 17.11.2018 ein vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigtes Software-Update im Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde (Anlagen K 1d, K 1e, B 1 und B 2).
Mit Schreiben vom 21.04.2020 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung auf, Schadensersatz gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu leisten (Anlage K 1f). Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.
Der Kläger hat in der ersten Instanz zuletzt beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30.893,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung von 0,1067829 EUR pro gefahrenen Kilometer seit dem 14.10.2017, die sich nach folgender Formel berechnet:
(49.777,00 EUR x gefahrene Kilometer) : 466.151 km,
die Beklagte weiter zu verurteilen, den Kläger von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der M.Bank AG vom 02.09.2017 zum Fahrzeug Mercedes V-Klasse V 250 d 4Matic von derzeit noch 23.658,57 EUR freizustellen, 27 U 7045/20 – Seite 3 – jeweils Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte an dem Fahrzeug Mercedes V 250d 4 M, FIN: …44, und Herausgabe desselben nebst Fahrzeugschlüssel.
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.954,46 EUR freizustellen,
3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkws des Klägers, Mercedes V 250d 4M, FIN …44, in Annahmeverzug befindet,
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger Schadensersatz für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs Mercedes V 250d 4M, FIN …44, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren, zu zahlen.
5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auf die nach dem 04.05.2020 von dem Kläger gezahlten Darlehensraten zu dem unter Ziff. 2 genannten Darlehensvertrag jeweils ab dem jeweiligen Zahlungsdatum an den Kläger Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen.
Die Beklagte hat in der ersten Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Memmingen vom 06.11.2020 Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Zur Begründung seiner Entscheidung führt es im Wesentlichen aus, es seien keine Anhaltspunkte vorhanden, dass die Installation der Abschalteinrichtung innerhalb der Motorsteuerungssoftware seitens der Beklagten im Bewusstsein geschah, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und dass dieses billigend in Kauf genommen wurde. Es liege weder eine sittenwidrige Schädigung noch eine vorsätzliche Täuschung des Klägers vor. Auch die Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sei nicht gegeben. unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils beantragt,
1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.218,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 0,1067829 EUR pro gefahrenen Kilometer seit dem 14.10.2017, die sich nach folgender Formel berechnet:
(49.777,00 EUR x gefahrene Kilometer) : 466.151 km;
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von sämtlichen Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag mit der M.Bank AG vom 02.09.2017 zum Fahrzeug Mercedes V-Klasse V 250 d 4Matic von derzeit noch 22.334,10 freizustellen;
jeweils Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte des Klägers an dem Fahrzeug Mercedes V-Klasse V 250d 4 MATIC, FIN: …44, und Herausgabe desselben nebst Fahrzeugschlüssel;
3. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.954,46 EUR freizustellen;
4. es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKWs des Klägers, Mercedes V-Klasse V 250d 4M, FIN: WDF…44, in Annahmeverzug befindet;
5. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs Mercedes V 250 d 4MATIC, FIN: …44, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren.
Zur Begründung seines Rechtsmittels führt der Kläger im Wesentlichen aus, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Klage abgewiesen und u. a. Ansprüche des Klägers aus § 826 BGB bzw. §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i. V. m. § 263 StGB bzw. weiteren Schutzgesetzen zu Unrecht verneint.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 11.01.2021 (Bl. 232 – 265 d. A.) Bezug genommen. die Berufung zurückzuweisen.
Auf die Berufungsbegründung des Klägers hat die Beklagte nicht erwidert.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 06.11.2020, Aktenzeichen 33 O 663/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 22.01.2021 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
Die fristgerechte Stellungnahme des Klägers vom 15.02.2021 (Bl. 281 – 307 d. A.) enthält keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Der erkennende Senat hat das gesamte Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, vermocht ihm aber in der Sache nicht zu folgen. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet den Senat dazu, den Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen. Ebenso wenig folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht der Gerichte zur ausdrücklicher Befassung mit jedem Vorbringen (BVerfG, BeckRS 2013, 55213 Rn. 67; BGH, BeckRS 2021, 1265 Rn. 2; BGH, BeckRS 2017, 100836 Rn. 2). Jedenfalls die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Gründen erörtert werden (vgl. BGH, BeckRS 2021, 847 Rn. 11).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist deshalb lediglich ergänzend auszuführen wie folgt:
„1. Der Senat teilt in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung,
dass für eine deliktische Haftung der Beklagten die Klägerin grundsätzlich die volle Darlegungsund Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen trägt (BGH, NJW 2019, 3638, 3641; OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1498; Senat, Hinweisbeschluss vom 13.11.2020 – 27 U 4262/20). Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, BeckRS 2021, 1283 Rn. 15; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 35). Dieser Grundsatz erfährt eine Einschränkung, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall trifft den Prozessgegner eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer es ihm auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen. Genügt er seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH, BeckRS 2021, 1283 Rn. 16; BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 36 ff.). Eine etwaige sekundäre Darlegungslast der Gegenseite setzt aber voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichende, greifbare Anhaltspunkte hierfür dargelegt hat (OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1500 Rn. 44).“
Hinsichtlich des Vortrags des Klägers, dass sich in seinem Fahrzeug eine im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715/EG unzulässige Abschaltrichtung befindet, hat der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss unter Beachtung der im Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28.01.2020 (vgl. BGH, NJW 2020, 1740) genannten Maßstäbe und namentlich der vom Kläger vorlegten Bescheinigung bezüglich des durchgeführten Software-Updates dargelegt, dass ein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715/EG allein nicht ausreichend wäre, um von einem sittenwidrigen Verhalten und Schädigungsvorsatz der Beklagten auszugehen (vgl. BGH, BeckRS 2021, 847 Rn. 16, 19). Auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags im Schriftsatz vom 15.02.2021 vermag der Senat nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung hinsichtlich der Verwendung eines „Thermofensters“ bzw. der Abgasreinigung mittels SCR-Katalysator durch Einspritzung von AdBlue und der von Beklagten verbauten Strategie zum geregelten Kühlmittelthermostat (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung) in das Fahrzeug des Klägers vorsätzlich in sittenwidriger Weise tätig wurde. Ob insbesondere die Funktionsweise des sogenannten „Thermofensters“ mit den Vorgaben des einschlägigen Unionsrechts in Einklang steht, wurde von Rechtsprechung und Literatur bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18) nicht einheitlich bewertet. Umstritten war dabei nicht nur, ob es sich bei diesem Mechanismus um eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen Verordnung (EG) 2007/715/EG handelt. Unklar war darüber hinaus auch, ob der Mechanismus dem Regelverbot des Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung unterfällt oder nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) der Verordnung ausnahmsweise als zulässig anzusehen ist, weil er notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen (vgl. zum Meinungsstand OLG München, BeckRS 2020, 24517 Rn. 27 f.; OLG Schleswig, BeckRS 2020, 9840 Rn. 32 m. w. N.).
Mit Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 hat der Bundesgerichtshof nunmehr entschieden, dass das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren ist, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (“Thermofenster“) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt war. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.
Dem schließt sich der Senat an. Entsprechendes ist – wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 22.01.2021 dargelegt hat – vorliegend – auch bezogen auf die vom Kläger behauptete Abgasreinigung mittels SCR-Katalysator durch Einspritzung von AdBlue und der von der Beklagten verbauten Strategie zum geregelten Kühlmittelthermostat (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und deren Abschaltung, vgl. Schriftsatz vom 15.02.2021, insbesondere S. 4 – 13, 16 ff.) – unter Berücksichtigung des Vortrags im Schriftsatz vom 15.02.2021 und unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten zur parameterabhängigen Steuerung der Abgasrückführung, zur Funktionsweise des SCR-Systems, abhängig insbesondere vom konkreten Katalysatortyp und dessen Beschichtung (Klageerwiderung, S. 24 ff., 26 ff.), nicht belegt.
Bezüglich einer eventuellen sittenwidrigen Täuschungshandlung der Beklagten ist hierbei nicht allein auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Pkws mit dem Motor OM 651 abzustellen. Vielmehr ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, wobei hierbei der Betrachtung das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist, somit u. a. auch die Durchführung des Software-Updates auf Grundlage des von der Beklagten vorgelegten Freigabeschreibens des Kraftfahrt-Bundesamtes (Anlage B2). Dies wird insbesondere dann bedeutsam, wenn die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert hat (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2802). Entgegen dem Vortrag des Klägers (vgl. Schriftsatz vom 15.02.2021, S. 18, und insbesondere S. 22) kann dabei ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes und möglicherweise auch einer gewissen Kostensensibilität (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 39) ohne weitere Anhaltspunkte nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (OLG Stuttgart, NZV 2019, 579, 585; OLG Koblenz, BeckRS 2020, 21725 Rn. 21).
2. Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich entgegen der Berufungsbegründung und den Ausführungen im Schriftsatz des Klägers vom 15.02.2021 (S. 23 f.) nicht mit Rücksicht auf die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Schleswig bzw. des Oberlandesgerichts Köln belegen. Anhaltspunkte für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Beklagten liegen – wie der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 22.01.2021 (S. 7 ff.) dargelegt hat – vorliegend nicht vor.
3. Ebenfalls bereits im Hinweisbeschluss (S. 10 f.) hat der Senat dargelegt, dass auch die Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 31 BGB/831 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB nicht erfüllt sind, da es auch hier an der substantiierten Darlegung eines entsprechenden Vorsatzes der Beklagten fehlt. Im Übrigen wäre die für den Betrugstatbestand erforderliche Stoffgleichheit zwischen einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte, nicht gegeben, weil diese bzw. die Beklagte keinen unmittelbaren Vorteil aus dem Kaufvertrag des Klägers mit der Verkäufer H. M. ziehen konnten (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2801).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. Der gestellten Feststellungsanträge erhöhen den Streitwert nicht. Der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung vorprozessual angefallener Rechtsanwaltskosten erhöht als Nebenforderung den Streitwert ebenfalls nicht, denn er wird hier neben der Hauptforderung geltend gemacht, für deren Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sein sollen (vgl. BGH, BeckRS 2020, 26875 Rn. 9).


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