Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in den Niederlanden

Aktenzeichen  M 3 S 17.50843

Datum:
10.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2
EMRK EMRK Art. 3
AslyG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1

 

Leitsatz

Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG BeckRS 2014, 49494). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der nach seinen Angaben am … 1995 in … geborene Antragsteller ist pakistanischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 1. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 2. Februar 2017 Asylantrag stellte.
Bei seiner ersten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 3. Februar 2017 gab der Antragsteller an, dass er sein Heimatland am 6. Februar 2011 verlassen habe und über den Iran (6 Monate), die Türkei (2 Jahre), Bulgarien (6 Monate), Serbien (4 Monate), Ungarn (12 Tage) und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland gereist sei Bei seiner weiteren Befragung gemäß § 25 AsylG am 3. Februar 2017 gab der Antragsteller an, er sei auch in den Niederlanden gewesen und habe dort unter falschem Namen einen Asylantrag gestellt. Er legte seine niederländische Aufenthaltsgenehmigung (gültig bis 5. Juli 2017 und ausgestellt auf den Namen …) vor.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche des Bundesamts ergab Treffer der Kategorie I für Bulgarien (BG …), Ungarn (HU …) sowie die Niederlande (NL …).
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 9. Februar 2017 ein Wiederaufnahmeersuchen an Bulgarien. Mit Schreiben vom 22. Februar 2017 erklärten die dortigen Behörden ihre Unzuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Dublin III-VO.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 24. Februar 2017 ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn. Mit Schreiben vom 1. März 2017 erklärten die dortigen Behörden ihre Unzuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Dublin III-VO.
Schließlich richtete das Bundesamt am 7. März 2017 ein Wiederaufnahmeersuchen an die Niederlande. Mit Schreiben vom 15. März 2017 erklärten die dortigen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 17. März 2017, zugestellt am 18. März 2017, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und ordnete die Abschiebung in die Niederlande an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen.
Die Antragstellerin erhob zur Niederschrift am 21. März 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid (M 3 K 17.50842) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 17. März 2017 anzuordnen.
Die beim Bundesamt aufgeführten Entscheidungen des EGMR seien im Fall des Antragstellers nicht anwendbar bzw. korrekt.
Das Bundesamt legte mit Schriftsatz vom 4. April 2017 die Behördenakten vor und äußert sich nicht weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Die vom der Antragsteller eingelegte Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a
Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint.
Die Niederlande haben das auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestützte Aufnahmeersuchen der Antragsgegnerin beantwortet und die Rückübernahme mit Schreiben vom 15. März 2017 zugesichert.
Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seiner Überstellung nach Schweden nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Schweden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Schweden unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 ua – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Dies zugrunde gelegt, bestehen in Bezug auf Schweden keinerlei Anhaltspunkte, dass der Antragstellerin bei einer Überstellung dorthin eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht (vgl. hierzu: VG Gelsenkirchen, B. v. 17.3.2017 – 12a L 634/17.A – juris; VG Freiburg, U. v. 24.02. 2016 – A 1 K 2724/14 -, juris Rn. 19 ff. m. w. N.; VG Ansbach, B.v. 24.11. 2015 – AN 14 S. 15.50400 -, juris Rn. 24 m. w. N.).
Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch ohne Erfolg, soweit Abschiebungshindernisse zu prüfen sind.
Persönliche Vollstreckungshindernisse hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen insoweit somit nicht.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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