Europarecht

Keine Unterbrechung der Überstellungsfrist durch pandemiebedingte Aussetzung der Überstellung

Aktenzeichen  AN 17 E 20.50215

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18608
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 4, Abs. 7, § 123 Abs. 1
VO (EU) Nr. 604/2013  Art. 27 Abs. 4, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Die vom BAMF ausgesetzte Vollziehung der Abschiebungsanordnung wegen der Corona-Krise unterbricht den Lauf der Überstellungsfrist nach der Dublin III-VO nicht. (Rn. 20 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 14. November 2019 gegen Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 12. November 2019 wird in Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. November 2019 angeordnet.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Der Antragsteller und Antragsgegnerin tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der 1993 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger. Er reiste am 18. Juni 2019 mit einem von der französischen Botschaft erteilten Visum (gültig vom 15.6. bis 30.7.2019) über Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21. August 2019 in Deutschland einen Asylantrag.
Auf das Übernahmeersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 11. September 2019 teilte Frankreich am 8. November 2019 mit, dass die Zuständigkeit Frankreichs aufgrund von Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) anerkannt werde.
Mit Bescheid vom 12. November 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag darauf hin als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Frankreich an (Ziffer 3) und ordnete nach § 11 Abs. 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an und befristete dieses auf zehn Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Hiergegen erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Ansbach am 14. November 2019 Klage (AN 17 K 19.51109) und stellte einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (AN 17 S 17.51108), den die Einzelrichterin mit Beschluss vom 21. November 2019 ablehnte.
Mit Schriftsatz vom 7. April 2020 teilte das Bundesamt mit, dass die Vollziehung der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ausgesetzt werde, weil im Hinblick auf die Corona-Krise derzeit Dublin-Überstellungen nicht zu vertreten seien. Der Vollzug sei vorübergehend nicht möglich. Der Republik Frankreich teilte das Bundesamt gleichzeitig mit, dass ein Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung eingelegt worden sei.
Mit Schreiben vom 28. Mai 2020 forderte der Antragstellerbevollmächtigte die Antragsgegnerin auf, den Bescheid vom 12. November 2019 aufzuheben, weil die Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin III-VO nunmehr abgelaufen sei, da die behördliche Aussetzung diese nicht unterbreche. Dem widersprach die Antragsgegnerin, woraufhin der Antragsteller mit Schriftsatz vom 4. Juni 2020 bei Gericht einen „Antrag nach § 123 VwGO“ dahingehend stellte,
die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 12. November 2019 zurückzunehmen und das Asylverfahren des Klägers in Deutschland durchzuführen.
Die Antragsgegnerin beantragte
mit Schriftsatz vom 8. Juni 2020, den Antrag abzulehnen.
Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2020 stellte die Antragstellerseite hilfsweise den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO,
in Abänderung des Beschlusses vom 21. November 2019 die aufschiebende Wirkung der Klage vom 14. November 2020 herzustellen.
Mit Schriftsätzen vom 26. und 30. Juni und 6. Juli 2020 teilte die Antragsgegnerin mit, dass Dublin-Überstellungen nunmehr wieder zu vertreten seien. Die Reisebeschränkungen nach Frankreich zur Eindämmung des Corona-Virus seinen weitestgehend aufgehoben und die Ausbreitung des Virus eingedämmt worden, so dass der Grund für die Aussetzungserklärung weggefallen sei. Die Aussetzung nach § 80 Abs. 4 VwGO sei mit Schreiben vom 24. Juni 2020 widerrufen worden. Die Überstellungsfrist ende jetzt am 24. Dezember 2020, was der Republik Frankreich mitgeteilt worden sei. Weil der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung erzeuge, könne die Antragsgegnerin der Anfrage bzw. der Bitte des Gerichts vom 5. Juni 2020, von einer Vollstreckung bis zur Entscheidung des Gerichts im Eilverfahren abzusehen, nicht nachkommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Über die Eilanträge entscheidet nach entsprechender Übertragungsentscheidung der Einzelrichterin aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit die Kammer.
Der ausdrücklich so gestellte und als solcher aufrecht erhaltene Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Bescheidsrücknahme und Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland bleibt erfolglos, da er bereits unzulässig ist (1). Der hilfsweise gestellte Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO hat Erfolg; er ist zulässig und begründet, weil nach summarischer Prüfung die Hauptsacheklage voraussichtlich Erfolg haben wird und voraussichtlich zur Aufhebung des Bescheids vom 12. November 2019 führen wird, da die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zwischenzeitlich voraussichtlich abgelaufen ist, es zu einer Unterbrechung dieser Frist nämlich nicht gekommen ist (2). Der Antragsteller kann damit nicht mehr nach Frankreich überstellt werden.
1. Der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist gegenüber den Anträgen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 oder Abs. 7 VwGO subsidiär, § 123 Abs. 5 VwGO. Soweit Rechtschutz über das Verfahren nach § 80 Abs. 5 oder Abs. 7 VwGO erlangt werden kann, ist ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO somit unzulässig. Eilrechtschutz gegen eine drohende Abschiebung aus einem Dublin-Bescheid kann ein Betroffener grundsätzlich durch einen (fristgebundenen) Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die im Bescheid verfügte und sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung, vgl. §§ 34a Abs. 2, 75 AsylG, erreichen. Ist ein solcher Antrag, wie hier, einst zulässig erhoben worden, aber als unbegründet abgelehnt worden (vgl. Beschluss vom 21.11.2019 – AN 17 S 19.51108), können Änderungen der Sach- und Rechtslage über einen (nicht fristgebundenen) Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO eingebracht werden. Eine derartige Änderung stellt auch der – geltend gemachte – Ablauf der Überstellungsfrist dar.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 30.3.2015, 21 ZB 15.50025 – juris, ebenso VG Potsdam, U.v. 25.2.2015, 6 K 1554/14.A – juris, a.A. aber VG Dresden, B.v. 16.5.2019, 1 K 2225/18.A – juris) bei einem Ablauf der Überstellungsfrist von einer Erledigung des Bescheides auszugehen, so dass der Klage und dem Eilantrag eigentlich das Rechtschutzbedürfnis fehlen würde. Da der Ablauf der Überstellungsfrist hier aber im Streit steht und die Antragsgegnerin gerade nicht von einer Erledigung ihres Bescheides ausgeht, sondern die Abschiebung des Antragstellers aus dem Bescheid vom 12. November 2019 weiter für möglich hält, geht vom Bescheid jedenfalls faktisch die beabsichtigte Rechtswirkung noch aus, so dass Anfechtungsklage und Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO als zulässig zu erachten sind und geeignet sind, den Rechtschein zu beseitigen (vgl. hierzu auch VG Ansbach, B.v. 26.7.2019 – AN 17 S 19.50639 – juris).
Die Zulässigkeit des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO ergibt sich auch nicht aus unterschiedlichen Rechts- bzw. Nebenfolgen der beiden Verfahren im Hinblick auf die Unterbrechungswirkung für die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO, wie der Antragstellerbevollmächtigte meint. Beide Verfahren unterscheiden sich insoweit nicht. Weder das Stellen des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO, noch das Stellen des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO führt zu einer Vollzugsaussetzung. Dies wäre nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG nur beim Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der Fall. Die Antragstellung kann deshalb in keinem Fall eine Unterbrechung der Überstellungsfrist nach Art. 27 Abs. 2, 29 Abs. 2 Dublin III-VO bewirken und damit auch die Ablehnung nicht. Wird dem Eilantrag stattgegeben, besteht ohnehin keine Gefahr der Überstellung mehr.
Der Hauptantrag ist damit unzulässig.
2. Zulässig ist nach dem Dargelegten jedoch der hilfsweise gestellte Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO. Eine Frist war nicht einzuhalten.
Er ist auch begründet, da es voraussichtlich zur Stattgabe der Hauptsacheklage kommen wird und somit die im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO vorzunehmende gerichtliche Ermessensentscheidung zugunsten der Antragstellerinteressen ausfällt. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin, da es zwischenzeitlich (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) zum Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO gekommen ist, dies nach der Überzeugung des Gerichts jedenfalls überwiegend wahrscheinlich ist. Die Antragsgegnerin ist für das Asylverfahren des Antragstellers damit zuständig und der Bescheid des Bundesamtes vom 12. November 2019 rechtswidrig geworden.
Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO wird der um Wiederaufnahme ersuchende Mitgliedsstaat der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens selbst zuständig nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten. Diese Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Dublin III-VO grundsätzlich mit der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch den ersuchten Staat. Die Überstellungsfrist wurde hier durch das betriebene Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zunächst unterbrochen und lief mit Abschluss des gerichtlichen Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO am 21. November 2019 erneut an. Nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG bestand während des Laufs des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO nämlich ein gesetzesunmittelbares Abschiebungsverbot im Sinne Art. 27 Abs. 3 c) Dublin III-VO.
Zu einer weiteren Unterbrechung der Überstellungsfrist ist es nach Überzeugung des Gerichts nicht gekommen. Die Aussetzung der Abschiebung nach § 80 Abs. 4 VwGO durch die Antragsgegnerin vom 8. April 2020 bewirkte dies nicht.
Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfes oder der Überprüfung auszusetzen. Liegt eine derartige behördliche Aussetzung vor, kommt dieser nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ungeachtet der Tatsache, dass Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO nicht Bezug nimmt auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO, die gleiche Wirkung zu wie einer gesetzlichen oder gerichtlichen Aussetzung (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn.20).
Eine behördliche Aussetzungsmöglichkeit in diesem Sinne sieht nach Bundesverwaltungsgericht das deutsche Recht mit § 80 Abs. 4 VwGO vor (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 22 ff.).
Auch unter Zugrundelegen dieser Rechtsprechung ist mit der hier streitgegenständlichen behördlichen Aussetzung aber keine Fristunterbrechung bewirkt worden. Mit der – soweit ersichtlich – überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VG Schleswig-Holstein, U.v. 15.5.2020 – 10 A 596/19, VG Münster – B.v. 22.5.2020 – 8 L 367/20.A, VG Aachen, U.v. 10.6.2020 – 9 K 2584/19.A, VG München, U.v. 7.7.2020 – M 2 K 19.51274 – jeweils juris, auch OVG Schleswig-Holstein, B.v. 9.7.2020 – 1 LA 120/20 – juris, a.A. VG Osnabrück, B.v. 12.5.2020 – 5 B 95/20, VG Lüneburg, B.v. 29.4.2019 – 8 B 18/2 – jeweils juris -, VG Gießen, B.v. 8.4.2019 – 6 L 1015/20.GI.A) geht das erkennende Gericht davon aus, dass die Unterbrechungswirkung nach dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO nur eintritt, wenn die Aussetzung mit dem Ziel der Ermöglichung von gerichtlichem Rechtschutz erfolgt ist. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ermöglicht die behördliche Aussetzung mit Unterbrechungswirkung dem nationalen Gesetzgebern nämlich nur „bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung“.
Vorliegend ist im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung der einzig noch offene Rechtbehelf die anhängige Klage (AN 17 K 19.51109). Die Aussetzungsentscheidung diente in der vorliegenden Konstellation aber nicht der Ermöglichung des Abschlusses dieser Klage. Die Aussetzung erfolgte nach den schriftlichen Äußerungen der Antragsgegnerin vielmehr aus vom noch anhängigen Klageverfahren völlig unabhängigen Gründen, stand nämlich allein im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemielage. Diese Pandemielage in Europa machte die Überstellung des Antragstellers nach Frankreich wegen geschlossener Grenzen vorübergehend unmöglich. Wegen der Ansteckungsgefahr erschien dem Bundesamt eine Überführung nach Frankreich außerdem unzumutbar (wobei das Bundesamt offen ließ, ob die Unzumutbarkeit gegenüber dem Antragsteller oder gegenüber Frankreich als Übernahmestaat oder gegenüber beiden gesehen wurde). Die Aussetzung erfolgte ausdrücklich „bis auf weiteres“, was zusätzlich die Abhängigkeit der Aussetzung von der tatsächlichen Pandemielage deutlich macht und die Aussetzung vom Fortgang des Klageverfahrens unabhängig gestaltet.
Zwar hätten die Auswirkungen der Pandemielage auch im noch offenen Klageverfahren eine Rolle spielen können, die Beklagte beabsichtigte mit der Aussetzung aber gerade nicht, dem Antragsteller die Entscheidung des Gerichts zu ermöglichen, sondern hat die Entscheidung hierzu selbst getroffen.
Die Antragsgegnerin lehnte es für das (nunmehr) vorliegende Verfahren nach §§ 123 Abs. 1 bzw. § 80 Abs. 7 VwGO gegenüber dem Gericht auch ausdrücklich ab, eine Stillhaltezusage abzugeben, also auf freiwilliger Basis zu erklären, den Antragsteller bis zur Entscheidung über diesen Antrag nicht abzuschieben. Auch dieses nachträgliche Verhalten zeigt, dass die Aussetzung durch das Bundesamt nicht auf die Ermöglichung von gerichtlichem Rechtschutz gerichtet war. Zur Ermöglichung von gerichtlichem Rechtschutz hätte es der behördlichen Aussetzung auch nicht bedurft. Der Antragsteller hätte selbst jederzeit und ohne weiteres (insbesondere ohne Fristprobleme) gerichtlichen Eilrechtsschutz über § 80 Abs. 7 VwGO suchen können.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Frage der Zielsetzung der Ermöglichung gerichtlichen Rechtschutzes in seinem Urteil vom 8. Januar 2020 als Voraussetzung für die behördliche Aussetzung zwar nicht konkret Stellung bezogen, hatte hierzu aber auch keinen Anlass, da dieses Ziel im entschiedenen Fall offensichtlich gegeben war. Die behördliche Aussetzung dort erfolgte gerade wegen und zur Ermöglichung des Gerichtsverfahrens und beruhte auf Stillhalteersuchen von Gerichten.
Ausdrücklich verlangt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil als Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung zum einen nur, dass ein Rechtsbehelf für den Antragsteller noch offen ist und zum anderen, dass sachlich vertretbare Erwägungen für die Aussetzung vorliegen, die Aussetzung nicht missbräuchlich oder willkürlich erfolgt ist und nicht allein dazu gedient hat, die Unterstellungsfrist zu unterbrechen, die aufgrund behördlicher Versäumnisse sonst nicht mehr zu wahren gewesen wäre (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16718 – juris Rn. 26 und 27). Da in der hier vorliegenden Konstellation, wie dargelegt, als Motivation des Bundesamtes für die behördliche Aussetzung realistischer Weise nur der ansonsten zu befürchtende Ablauf der Überstellungsfrist bleibt, ist ein Missbrauch in Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen. Bis zum Ablauf der Überstellungsfrist blieben im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung nur noch sechs Wochen, die angesichts der Pandemielage und gesetzlichen Restriktionen in Deutschland und Frankreich voraussichtlich abgelaufen wären, ohne dass eine Überstellung in dieser Zeit möglich gewesen wäre. Letztlich wurde die Aussetzung durch das Bundesamt auch nach Ablauf der ursprünglichen Überstellungsfrist (21.5.2020) am 4. Juni 2020 wieder aufgehoben.
Auch die Europäische Kommission ging in ihrem Leitfaden zur Covid-19-Pandemie vom 16. April 2020 davon aus, dass keine Regelung der Dublin III-VO es erlaubt, von der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO aufgrund der Pandemielage abzuweichen. Zwar stellt die Auffassung der Europäischen Kommission keine rechtsverbindliche Festlegung dar, jedoch stützt diese Auffassung die hier vorgenommene Auslegung, dass eine behördliche Aussetzung nur Unterbrechungswirkung hat, wenn sie mit dem Ziel der Wahrung des Rechtschutzes erfolgt ist, aber andere, auch sachliche oder vernünftige Gründe, insbesondere die Unmöglichkeit der Abschiebung hierfür nicht ausreichen.
Dem Hilfsantrag war somit stattzugeben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, wobei die Anträge nach § 123 Abs. 1 und 80 Abs. 7 VwGO als kostenmäßig gleichwertige Anträge angesehen werden, nachdem sie auf unterschiedliche Rechtsschutzziele bzw. unterschiedliche Folgen abgezielt haben.
4. Diese Entscheidung ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


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