Europarecht

Keine Verlängerung der Dublin-Überstellungsfrist bei Kirchenasyl

Aktenzeichen  M 9 S 17.50290

Datum:
6.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Dublin-Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt wird. Der Ablauf der Überstellungsfrist wird durch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung unterbrochen und mit einer ablehnenden Entscheidung im Eilverfahren neu in Lauf gesetzt (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 46151). (Rn. 18 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Aufenthalt im sog. Kirchenasyl erfüllt die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Überstellungfrist (Art. 29 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 Dublin III-VO) nicht, weil es an einer Unmöglichkeit der Überstellung durch Inhaftierung oder Flucht fehlt; vielmehr verzichtet der Staat beim Kirchenasyl freiwillig auf die Überstellung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: M 9 K 17.50289) des Antragstellers gegen Nr. 4 (Anordnung der Abschiebung nach Spanien) des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. Januar 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Spanien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird zunächst auf die zu diesem Verfahren beigezogenen Gerichtsakten der Verfahren Aktenzeichen M 9 S. 16.50446, M 9 K 16.50445 und M 9 S7 16.50539 einschließlich der in diesen Verfahren vorgelegten Behördenakten und auf die zwischen denselben Beteiligten wie hier ergangenen Beschlüsse vom 7. Juli 2016 (Ablehnung des ursprünglichen Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage Az. M 9 K 16.50445), vom 28. Juli 2016 (Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO) und vom 6. März 2017 (Einstellung des Klageverfahrens Az. M 9 K 16.50445 auf Grund übereinstimmender Erledigterklärungen nach Aufhebung des damals streitgegenständlichen Bescheids vom 21. Juni 2016 durch die Antragsgegnerin) Bezug genommen.
Aus den zu diesem Verfahren (und zum dazugehörigen Klageverfahren Az. M 9 K 17.50289) vorgelegten Bundesamtsakten ergibt sich (Bl. 81), dass der Bevollmächtigte des Antragstellers mit Schreiben an das Bundesamt – Außenstelle München vom 4. November 2016, versendet per Telefax am 5. November 2016, mitteilte, dass sich der Antragsteller „nunmehr im Kirchenasyl …, M. Platz …, R. befindet“.
Mit Schreiben vom 11. November 2016, beim Bundesamt – Zentrale in Nürnberg eingegangen am 16. November 2016, in der Außenstelle München am 22. November 2016 (jeweils laut den angebrachten Eingangsstempeln), wandte sich die Regierung von Oberbayern Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern (= ZAB Oberbayern) / Zentrale Passbeschaffung Bayern an das Bundesamt und teilte mit, dass der Antragsteller seit dem 4. August 2016 untergetaucht sei; es werde um Verlängerung der Überstellungsfrist nach Spanien „Fristende: 07.01.2016“ [sic! gemeint ist wohl 2017] gebeten. Diesem Schreiben beigefügt ist ein Bildschirmausdruck aus dem iMVS (integriertes Migrantenverwaltungssystem), aus dem hervorgeht, dass für den Antragsteller als Auszugsdatum aus der Unterkunft KVB (= Kreisverwaltungsbehörde) München, H. Straße … in M. der 4. August 2016 eingetragen ist und als Auszugsgrund untergetaucht (ubk. = unbekannt).
Auf weitere Erinnerung mit Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 9. Dezember 2016 (Bl. 80 des vom Gericht beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Regierung von Oberbayern, d.h. der Ausländerakte der ZAB) teilte das Bundesamt ebenfalls unter dem 9. Dezember 2016 (Bl. 160 der Bundesamtsakte) der ZAB Oberbayern mit, dass die Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren des Antragstellers gemäß Art. 29 Dublin III-VO verlängert worden sei. Das neue Fristende sei der 7. Januar 2018.
Im Folgenden enthält die „neue“, d.h. die zum streitgegenständlichen Antrags- und Klageverfahren vorgelegte Bundesamtsakte die Aufnahme eines undatierten (vermutlich 20. Januar 2017) Asylantrags des Antragstellers sowie anschließend Niederschriften über Dublin – Erst- und Zweitbefragung sowie eine Anhörung gemäß § 25 AsylG usw. Der Antragsteller hat, nach dem Akteninhalt zu urteilen wohl kurz vor dem 20. Januar 2017 (wohl am 10. Januar 2017, an dem Tag meldete sich der Antragsteller bei der Regierungsaufnahmestelle RAST, vgl. Bl. 141 der Bundesamtsakten), das Kirchenasyl verlassen und sich erneut (vgl. die zu den früheren Gerichtsverfahren vorgelegten Bundesamtsakten) beim Bundesamt gemeldet.
Mit hier streitgegenständlichem Bescheid vom 24. Januar 2017 wurde der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juni 2016 aufgehoben (Nr. 1), der Antrag als unzulässig abgelehnt (Nr. 2), festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3) und die Abschiebung nach Spanien angeordnet (Nr. 4). Die Nr. 5 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Zur Begründung der Entscheidung in Nr. 1 des Bescheids wird auf S. 2 des neuen Bescheids (Bl. 128 der Bundesamtsakten) ausgeführt, dass der Bescheid vom 21. Juni 2016 gemäß § 48 VwVfG aufzuheben gewesen sei. Außerdem ist in der Begründung des Bescheids auf dessen Seite 5 (Bl. 131 der Bundesamtsakten), fünfter Absatz von unten, ausgeführt, dass die zuständige Ausländerbehörde mitgeteilt habe, dass der Antragsteller seit dem 4. August 2016 als untergetaucht gelte, weswegen die Überstellung auf den 7. Januar 2018 verlängert worden sei. Auf den Bescheid und seine Begründung im Übrigen wird Bezug genommen.
Mit Begleitschreiben vom 25. Januar 2017 wurde eine Kopie des Bescheids an den Bevollmächtigten des Antragstellers versandt. Mit Schreiben vom selben Tag wurde der Bescheid an den Antragsteller versendet. Laut zurückgelaufener Empfangsbestätigung (Bl. 176f. der Bundesamtsakten) wurde der Bescheid dem Antragsteller am 3. Februar 2017 ausgehändigt.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten ebenfalls vom 3. Februar 2017, beim Verwaltungsgericht München eingegangen per Telefax am selben Tag, ließ der Antragsteller Klage erheben (Az. M 9 K 17.50289) und beantragen, den Bescheid vom 24. Januar 2017 aufzuheben. Außerdem ließ er beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage – Anordnung der Abschiebung nach Spanien – anzuordnen.
Hinsichtlich der Begründung von Klage und Eilantrag wird auf den Schriftsatz Bezug genommen, außerdem auf den weiteren Schriftsatz vom 18. März 2017, in dem der zwischenzeitlich eingetretene Ablauf der Überstellungsfrist geltend gemacht und darauf verwiesen wird, dass eine Verlängerung wegen Untertauchens nicht möglich gewesen sei, da der Antragsteller im Kirchenasyl gewesen sei.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren, der vorgelegten Behördenakten sowie der oben bereits angeführten weiteren beigezogenen Gerichts- und Behördenakten einschließlich der Ausländerakte der ZAB Oberbayern Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 390), das Gesetz zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern sowie zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl I, S. 394) und das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 (BGBl I, S. 1939) geänderten Fassungen zur Anwendung.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist auch begründet, denn die Klage in der Hauptsache hat in Bezug auf die für den vorläufigen Rechtsschutz allein relevante Abschiebungsanordnung Aussicht auf Erfolg, weil wegen des eingetretenen Ablaufs der sog. Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin übergegangen ist. Das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung überwiegt daher das öffentliche Interesse an der kraft Gesetzes bestehenden sofortigen Vollziehbarkeit.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung ist die Überstellungsfrist bereits abgelaufen.
Die Antragsgegnerin ist inzwischen durch Zeitablauf für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO) durchgeführt wird. Dieser Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern, wie bereits ohne weiteres aus dem Wortlaut von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO folgt, eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist. Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht zeitgemäß durchführt, die Folgen tragen muss (BayVGH, B.v.11.05.2015 – 13a ZB 15.50006 –, juris Rn. 4f.).
Im vorliegenden Fall ist die Überstellung des Antragstellers nach Spanien nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO grundsätzlich mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat. Vor Ablauf der Überstellungsfrist hat der Antragsteller aber Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Den Antrag (Az. M 9 S. 16.50446) hat das Gericht mit Beschluss vom 7. Juli 2016 abgelehnt und diesen Beschluss dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers und dem Bundesamt mit Empfangsbekenntnis zugestellt und zwar dem Prozessbevollmächtigten am 11. Juli 2016 und dem Bundesamt am 12. Juli 2016. Dies hatte den neuen Beginn der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO zur Folge, denn die Überstellungsfrist wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch den vor ihrem Ablauf gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung unterbrochen und mit einer ablehnenden Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes neu in Lauf gesetzt (vgl. BVerwG, U.v.27.04.2016 – 1 C 24.15 -, juris Rn. 18; Vorlagebeschluss v. 27.04.2016 – 1 C 22.15 -, juris Rn. 18ff; vgl. auch SächsOVG, B.v.05.10.2015 – 5 B 259/15.A -, juris Rn. 8ff.; OVG NRW, U.v.07.07.2016 – 13 A 2302/15.A –, juris Rn. 22 – 24). Damit endete die Überstellungsfrist hier spätestens mit Ablauf des 12. Januar 2017, ohne dass aber die Überstellung durchgeführt wurde. Auf den Ablauf der Überstellungsfrist nach diesem Datum wurde die Antragsgegnerin mit Schreiben des Gerichts vom 11. Januar 2017 auch hingewiesen.
Die von der Antragsgegnerin verfügte Verlängerung der Frist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO (vgl. das Schreiben des Bundesamts vom 9. Dezember 2016, Bl. 160 der Bundesamtsakte) ändert am Ergebnis nichts, da diese Fristverlängerung unwirksam ist, weil die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nicht vorlagen.
Nach dieser Vorschrift kann die sechsmonatige Frist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
Hier kommt mangels Inhaftierung des Antragstellers nur die zweite Variante, das Flüchtig-Sein, in Betracht; hierauf wurde die Verlängerungsentscheidung der Antragsgegnerin auch gestützt. Diese Verlängerungsentscheidung ist jedoch rechtswidrig, da der Antragsteller tatsächlich nicht im Sinne der Vorschrift des § 29 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 Dublin III-VO flüchtig gewesen ist.
Der Antragsteller befand sich spätestens seit dem 4. November 2016 im sog. Kirchenasyl; das ergibt sich aus den vorgelegten Akten, außerdem wird von der Antragsgegnerin auch nicht bestritten, dass sich der Antragsteller im sog. Kirchenasyl befand. Dieser Umstand war der Antragsgegnerin auch bekannt seit Zugang der entsprechenden Mitteilung des Bevollmächtigten am 5. November 2016 (vgl. Bl. 81 der Bundesamtsakten). In diesem Schreiben des Bevollmächtigten wird auch die Adresse des Antragstellers, unter der er sich im „Kirchenasyl“ aufhielt, mitgeteilt. Zum Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung, am 9. Dezember 2016, war der Antragsgegnerin mithin seit über einem Monat bekannt, dass sich der Antragsteller im sog. Kirchenasyl aufhält und unter welcher Adresse er zu erreichen ist.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Aufenthalt im sog. Kirchenasyl die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Var. 2 Dublin III-Verordnung nicht erfüllt (vgl. nur VG München, U.v. 6.2.2017 – M 9 K 16.50076 – juris Rn. 11; U.v. 23.12.2016 M 1 K 16.50681 juris Rn. 18f. m.w.N.). Denn in diesem Fall fehlt es an der für die in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-Verordnung geregelten Fristverlängerungstatbestände vorausgesetzten Unmöglichkeit der Überstellung durch entweder die Inhaftierung oder das Flüchtig-Sein: Ist eine Person inhaftiert oder flüchtig, so ist eine Überstellung unmöglich; die Möglichkeit der Fristverlängerung nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO soll als Ausnahme von dem den Fristen des Dublin-Systems zugrunde liegenden Beschleunigungsgrundsatz ein längeres Zuwarten bei der Rücküberstellung ermöglichen, weil ein tatsächliches oder rechtliches Hindernis die Einhaltung der Frist vereitelt. Ein solches Hindernis, das einen vergleichbaren Ausnahmefall rechtfertigen könnte, besteht beim sogenannten Kirchenasyl gerade nicht. Der Staat ist weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert, die Überstellung durchzuführen. Er verzichtet vielmehr bewusst darauf, das Recht durchzusetzen. Es existiert kein Sonderrecht der Kirchen, aufgrund dessen die Behörden bei Aufnahme einer Person in das sog. Kirchenasyl gehindert wären, eine Überstellung durchzuführen und hierzu gegebenenfalls unmittelbaren Zwang anzuwenden. Der Umstand, dass die für die Aufenthaltsbeendigung zuständigen Behörden offenbar davor zurückschrecken, die ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten bei Personen im sog. Kirchenasyl auszuschöpfen, also insbesondere auch unmittelbaren Zwang in kirchlichen Räumen anzuwenden, macht die Überstellung nicht unmöglich. Der freiwillige Verzicht auf eine Rücküberstellung im Fall des sog. Kirchenasyls ist nicht anders zu bewerten, als die Fälle, in denen eine Rücküberstellung mangels entsprechender Vollzugskapazitäten oder anderer in der Sphäre des Staates liegender Umstände nicht möglich ist. Eine in der Sphäre des Antragstellers liegendes Hindernis für den Vollzug der Rücküberstellung, wie insbesondere im Fall der Flucht, ist nicht gegeben.
Die Antragsgegnerin hätte nicht, wie geschehen, die Mitteilung des Bevollmächtigten einfach ignorieren dürfen. Vielmehr hat sie sich, obwohl ihr zum Zeitpunkt der Fristverlängerungsentscheidung aktenkundig bekannt war, wo sich der Antragsteller aufhielt, wider besseres Wissen auf die Meldung der Regierung von Oberbayern / ZAB berufen, nach der der Antragsteller nach „unbekannt“ abgemeldet und als untergetaucht behandelt wurde, was aus Sicht der Regierung von Oberbayern / ZAB als zu diesem Zeitpunkt zuständiger Ausländerbehörde auch konsequent war, da diese, anders als die Behörde der Antragsgegnerin, nichts vom sog. Kirchenasyl und der Adresse des Antragstellers in dieser Zeit wusste. Es braucht auch nicht ermittelt werden, ob der Antragsteller tatsächlich in der fraglichen Zeitspanne im sog. Kirchenasyl unter der vom Bevollmächtigten benannten Adresse zu erreichen gewesen wäre. Denn abgesehen davon, dass jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass das nicht zutreffend gewesen wäre, fehlt, hat die Behörde der Antragsgegnerin nicht einmal versucht, sich zu vergewissern, ob die benannte Adresse zutrifft. Vor diesem Hintergrund braucht das im Nachhinein nicht mehr näher aufgeklärt werden.
Da somit die Verlängerungsentscheidung der Antragsgegnerin rechtswidrig gewesen ist, verbleibt es bei der ursprünglichen Dauer der Überstellungsfrist bis zum Ablauf des 12. Januar 2017. Die sechsmonatige Frist ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung bereits längst abgelaufen. Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers ist damit auf die Antragsgegnerin übergegangen.
Es liegt neben der soeben aufgezeigten, durch den Ablauf der Überstellungsfrist eingetretenen objektiven Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids auch eine subjektive Rechtsverletzung des Antragstellers vor. Der Antragsteller kann sich nämlich auf die mittlerweile eingetretene Zuständigkeit der Antragsgegnerin berufen. Er hat nach materiellem Asylrecht einen Anspruch darauf, dass die nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO zuständige Bundesrepublik Deutschland das Asylverfahren durchführt. Dem Antragsteller kann auch nicht eine fortdauernde Aufnahmebereitschaft Spaniens entgegengehalten werden. Denn das Bundesamt hat bereits nicht vorgetragen, dass Spanien den Antragsteller trotz Ablaufs der Überstellungsfrist aufnehmen und das Asylverfahren durchführen wird noch Belege hierfür vorgelegt und auch davon abgesehen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür (vgl. hierzu OVG NRW, B.v.11.11.2015 – 13 A 1692/15.A –, juris Rn. 6ff.).
Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben