Europarecht

Landesinterne Umverteilung nach einer vereitelten Abschiebung zur Vorbeugung von Nachahmungseffekten

Aktenzeichen  Au 6 K 18.2138

Datum:
20.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5950
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
DVAsyl § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 6, § 10 Abs. 1 lit. a
AsylG § 50 Abs. 4, Abs. 5, § 74 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Zuweisung in eine neue Gemeinschaftsunterkunft ist aus Gründen des öffentlichen Interesses möglich, wenn durch die Rückkehr in die alte Unterkunft die innere Ordnung oder die internen Betriebsabläufe in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigt werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist unbegründet, da die Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung über ihre Klage keinen Anspruch auf die begehrte Umverteilung hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht.
Die Klage ist rechtzeitig erhoben worden. Die zweiwöchige Frist des § 74 Abs. 1 AsylG ist für die Klage nicht anwendbar, da es sich nicht um eine Rechtsstreitigkeit nach dem Asylgesetz handelt, sondern die Regelungen des § 50 Abs. 4 und Abs. 5 AsylG nur durch einen landesrechtlichen Einzelverweis nach § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl entsprechende Anwendung finden und Art. 10 Abs. 1 AufnG nicht auf § 74 AsylG verweist. Daher gilt die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO.
2. Die Klage ist unbegründet, denn der streitgegenständliche Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin im entscheidungserheblichen Zeitpunkt für ihre Klage nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5, § 114 VwGO), da ihr auch kein Anspruch auf eine anderweitige Unterbringung zusteht. Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der Zuweisung ergeben sich auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens nicht.
a) Die angefochtene Zuweisungsentscheidung ist formell rechtmäßig.
Der Beklagte ist nach § 9 Abs. 3 DVAsyl für die Zuweisungsentscheidung zuständig. Die Klägerin ist leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, so dass hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Zuweisungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl die Regelungen des § 50 Abs. 4 und Abs. 5 AsylG als lex specialis zu Art. 39 BayVwVfG entsprechende Anwendung finden. Einer Anhörung und Begründung bedarf es demnach nicht. Es genügt vielmehr, wenn die Behörde – wie hier – die ihre Entscheidung leitenden Ermessensgesichtspunkte im Rechtsbehelfsverfahren offenlegt (vgl. VG München, U.v. 12.1.2017 – M 24 K 16.3615 – BeckRS 2017, 101509), sonst würde die gesetzlich gewollte Verfahrenserleichterung in Massenverfahren wie der Zuweisung von Asylbewerbern konterkariert. Der angefochtene Bescheid ist schriftlich mit Rechtsbehelfsbelehrung:erlassen (§ 50 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
b) Die Zuweisung ist auch materiell rechtmäßig.
aa) Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl. Es handelt sich um eine von der Klägerin nicht beantragte landesinterne Umverteilung bzw. Zuweisung aus Gründen des öffentlichen Interesses. Ein öffentliches Interesse besteht insbesondere aus den in § 10 DVAsyl genannten Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (§ 9 Abs. 5 Nr. 3 DVAsyl). Nach § 10 Nr. 1 Buchst. d) DVAsyl liegen Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung insbesondere vor, wenn durch die Belegung die innere Ordnung oder die internen Betriebsabläufe in nicht unerheblichem Maße beeinträchtigt werden.
bb) Es kann dahinstehen, wie gewichtig und konkret im Einzelnen die Ankündigungen der Klägerin in ihrer bisherigen Unterkunft in … seit Mitte Oktober gegenüber der örtlich zuständigen Heimleitung waren, dass sie niemals in ihr Heimatland zurückkehren, Deutschland nicht verlassen und in die Unterkunft zurückkehren werde (Aktenvermerk vom 11.1.2019, Behördenakte des Beklagtes, Bl. 127). Durch ihr Verhalten beim Abschiebungsversuch am 12. Dezember 2018 jedenfalls hat sie diesen vereitelt. Selbst wenn – wie ihr Bevollmächtigter meint – das Verhalten durch das Aufeinandertreffen mit ihrem getrennt lebenden Ehemann ausgelöst worden sein sollte, so würde doch, wie der Beklagte zu Recht befürchtet, ihre Rückkehr in die bisherige Unterkunft gegenüber dort ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern negative Vorbildwirkung hinsichtlich der staatlichen Handlungsfähigkeit und der Durchsetzbarkeit einer vollziehbaren Ausreisepflicht durch Abschiebungen haben.
Hinzu kommt, dass die mit ihr vom streitgegenständlichen Bescheid betroffenen Kinder ebenfalls an die neue Adresse zugewiesen sind, d.h. ihrer Haushaltsgemeinschaft hinreichend Rechnung getragen wird. Soweit die Kinder bisher vom Jugendamt der Stadt … betreut wurden, ist nicht ersichtlich, dass dies nicht auch vom Jugendamt des Landratsamts … geleistet werden könnte. Schließlich sind die 2013 und 2016 geborenen Kinder noch nicht schulpflichtig und werden durch die Zuweisung auch nicht zu einem Schulwechsel gezwungen.
Im Übrigen muss sich die Klägerin darauf verweisen lassen, dass ihre Belange im Zuweisungsverfahren nachrangig sind, da sie als ausreisepflichtige Ausländerin keinen Anspruch darauf hat, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten (arg. ex § 9 Abs. 1 und Abs. 5 sowie Abs. 6 DVAsyl).
c) Der Klägerin stehen andererseits keine familiären oder sonstigen humanitären Gründe von vergleichbarem Gewicht im Sinne von § 9 Abs. 6 DVAsyl zur Seite, denen derart Rechnung zu tragen wäre, dass sich der streitgegenständliche Bescheid trotz des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Unterkunftsbetriebs als rechtswidrig erweisen würde. Der Haushaltsgemeinschaft mit ihren Kindern ist Rechnung getragen (vgl. oben); von ihrem Ehemann lebt sie getrennt und sonstige Bindungen von vergleichbarem Gewicht sind nicht glaubhaft gemacht.
d) Die vom Beklagten getroffene, zwar nicht im Bescheid, aber in der Klageerwiderung begründete Ermessensentscheidung (vgl. oben) leidet auch nicht an Ermessensfehlern. Die Ermessensentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, was im Wesentlichen zur Folge hat, dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die in der Klageerwiderung dargestellte Ermessensentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden.
Es ist nicht erkennbar, dass sich der Beklagte von sachfremden Erwägungen leiten ließ oder wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen hätte. Dass der Beklagte das Interesse der Klägerin am weiteren Verbleib in der bisherigen Unterkunft als weniger schutzwürdig gegenüber dem öffentlichen Interesse an der inneren Ordnung der bisherigen Gemeinschaftsunterkunft gewertet hat, ist angesichts der Tatsache, dass durch eine Rückkehr in die bisherige Unterkunft keine negative Vorbildwirkung (vgl. oben) entstehen sollte, nicht zu beanstanden. Umgekehrt hat die Klägerin keine Erlaubnis, sich überhaupt noch im Bundesgebiet aufzuhalten (arg. ex § 4 Abs. 1 AufenthG); erst recht hat sie keinen Anspruch, sich an einem bestimmten Ort hier aufzuhalten.
Die Zuweisung ist auch insgesamt geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Die Umverteilung ist insbesondere verhältnismäßig im engeren Sinn. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Rechte der Klägerin, die über die mit jeder Umverteilungsentscheidung verbundene Einschränkung hinausgeht, ist nicht zu erkennen. Das gilt insbesondere für ihren Wunsch auf Rückverlegung nach … aus den bereits dargelegten Gründen. Zudem ist nach Mitteilung des Beklagten für die bisherige Unterkunft wegen Wasserschadens ein Aufnahmestopp ergangen. Für die Zuweisung der Klägerin bestehen somit sachliche Gründe, welche die Ermessensentscheidung des Beklagten tragen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nicht gerichtskostenfrei, da es sich nicht um ein Verfahren im Sinne des § 83b AsylG, sondern des landesrechtlichen Aufnahmegesetzes und der Durchführungsverordnung Asyl handelt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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