Europarecht

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Aktenzeichen  S 11 AS 761/19

Datum:
1.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55561
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid vom 30.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2019 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Gründe

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten hierzu angehört wurden.
Die Klage ist teilweise zulässig und begründet.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren der Klägerin, den Versagungsbescheid des Beklagten vom 30.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2019 aufzuheben und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab April 2019 zu erhalten.
Statthafte Klageart im vorliegenden Verfahren ist alleine die Anfechtungsklage. Im Wege der Klage gegen einen auf § 66 SGB I gestützten Versagungsbescheid kann im Grundsatz nicht die Verpflichtung der Behörde zur Gewährung der beantragten Sozialleistung erstritten werden, denn in § 66 SGB I ist ein eigenständiger Versagungsgrund normiert (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 66 SGB I (Stand: 21.04.2020), Rn. 73 m. w. N.). Die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Versagungsbescheides ist allein danach zu beurteilen, ob die in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen bei seinem Erlass erfüllt waren. Bei einer Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheides genügt dessen Aufhebung. Die Behörde hat dann über den geltend gemachten Sozialleistungsanspruch in der Sache selbst zu entscheiden. Bei einer Versagung der Leistung nach § 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung des Klägers beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung demgemäß allein darauf, ob die in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Klage ist als Anfechtungsklage auch begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 30.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Voraussetzungen für eine Versagung nach § 66 Abs. 1 SGB I sind nicht erfüllt. Es fehlt an einer Mitwirkungspflichtverletzung nach § 60 Abs. 1 SGB I. Die Ermessensentscheidung ist ebenso rechtswidrig.
1. Der Leistungsträger kann ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn der, der eine Sozialleistung beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird (§ 66 Abs. 1 SGB I). Sozialleistungen dürfen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt und entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folgen schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
2. Diese Voraussetzungen sind vorliegend hinsichtlich der streitigen Versagungsentscheidung nicht erfüllt.
a) Die Versagung auf Grundlage von § 66 SGB I scheitert – unabhängig von den weiteren Voraussetzungen – vorliegend bereits daran, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind.
Der streitgegenständliche Bescheid vom 30.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2019 stützt die Versagung der beantragten Leistung darauf, dass die Klägerin nicht die vollständige Rentenauskunft und insbesondere nicht an der Einleitung der Begutachtung mitgewirkt hat. Eine solche Pflicht zur Duldung oder Mitwirkung an einer Begutachtung des Grundstückes der Klägerin lässt sich jedoch dem § 60 Abs. 1 SGB I gerade nicht entnehmen. Der Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren zwar eine Rechtsgrundlage für eine derartige Verpflichtung dargelegt. § 60 Abs. 1 SGB I bezieht sich jedoch alleine auf die Angabe bzw. Ermittlung von Tatsachen. Vorliegend wird jedoch von der Klägerin nicht die Angabe von Tatsachen, sondern die Einwilligung zur Begutachtung verlangt. Eine solche Pflicht ergibt sich jedenfalls nicht aus den §§ 60 bis 62, 65 SGB I. Dementsprechend liegt in der Weigerung der Klägerin, einer Begutachtung des Grundstückes zuzustimmen, keine Verletzung einer Mitwirkungspflicht im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Auch § 66 Abs. 1 Satz 2 SGB I, wonach die Norm auch Anwendung findet, wenn der Antragsteller in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, rechtfertigt das Vorgehen des Beklagten nicht. Durch diese Generalklausel können die Mitwirkungspflichten der §§ 60 ff. SGB I nicht erweitert werden (KassKomm/Spellbrink, 110. EL Juli 2020, SGB I § 66 Rn. 18; SG Berlin, Gerichtsbescheid vom 08. März 2006 – S 88 SO 32/06 -).
Das Ausgeführte hat jedoch keinen Einfluss auf die materielle Beweislast. Grundsätzlich käme zukünftig auch eine Ablehnung aus Gründen der materiellen Beweislast in Betracht. Eine Ablehnung in der Sache kann nach den Regeln der materiellen Beweislast nach einer Prüfung der materiellen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs erfolgen. Nach diesen Grundsätzen ist dann die Frage zu beantworten, zu wessen Ungunsten die sich nach gebotener Ausschöpfung aller geeigneten und zumutbaren Aufklärungsmöglichkeiten ergebende Unaufklärbarkeit einer rechtserheblichen Tatsache, eine sog. non-liquet-Situation, geht.
Soweit sich die Versagung auf die fehlende Rentenauskunft bezog, liegt die Rentenauskunft dem Beklagten mittlerweile vor.
b) Auch das Ermessen wurde unzureichend ausgeübt. Die Rechtsfolge einer fehlenden Mitwirkung steht im Ermessen der Behörde. Nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise entziehen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Bei der Erteilung des Bescheids vom 30.07.2019 war dem Beklagten zwar bewusst, dass ihm Ermessen zusteht. Er führte nämlich aus, dass die Klägerin keine Gründe mitgeteilt habe, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu ihren Gunsten berücksichtigt werden könnten. Das reicht aber nicht für eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung aus, die auch im Widerspruchsverfahren nicht nachgeholt wurde. Der Beklagte hätte jedenfalls berücksichtigen müssen, dass die Klägerin sich grundsätzlich zur Begutachtung und Erteilung der Entbindung von der Schweigepflicht bereits erklärt hatte, falls ein Vororttermin stattfinden würde. Vor diesem Hintergrund hätte es einer Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen bedurft. Es fehlt überdies eine Verhandlung der Frage, ob auch eine teilweise Versagung möglich wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache. Sie berücksichtigt, dass die Klägerin nur bezogen auf die Anfechtungsklage erfolgreich war.


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