Europarecht

Nachzug zu Ehepartner im Dublin-Verfahren vom Ausland aus, wirksame Eheschließung angesichts erheblicher Ungereimtheiten beim Vortrag und im Zusammenhang mit vorgelegten Dokumenten die Eheschließung betreffend nicht glaubhaft gemacht, Anordnungsgrund bei Nachzugsanspruch von Volljährigen (verneint)

Aktenzeichen  AN 17 E 21.50103

Datum:
8.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 14526
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 9, Art. 17 Abs. 2
VwGO § 52 Nr. 2 S. 3 Hs. 2, Nr. 5, § 123

 

Leitsatz

Die längere Zeitdauer, die ein Verfahren auf Nachzug eines Ehepartners regelmäßig in Anspruch nimmt, ist Erwachsenen prinzipiell zumutbar. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt von Griechenland aus den Nachzug zum in Deutschland lebenden Ehemann zur Durchführung ihres Asylverfahrens in Deutschland aufgrund der Verordnung (EU) Nr. 604/13 (Dublin III-VO).
Die am …1997 geborene Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige. Sie ist laut Auszug aus dem Zivilregister vom 26. Oktober 2020 verheiratet und hat nach der vorgelegten „Eheschließungsurkunde“ der Arabischen Republik Syrien vom 26. Oktober 2020 und dem Auszug aus dem „Heiratsregister“ vom 5. September 2019 am 1. Juli 2015 den syrischen Staatsangehörigen … …, geb. „09.01.1995“ (so Eheschließungsurkunde) bzw. „19.01.1995“ (so Heiratsregister) geheiratet. In der Eheschließungsurkunde ist vermerkt „Eintrag am 20. März 2019“ und „Behörde, die den Vertrag genehmigt hat: Scharia-Gericht“. Zum Beleg der Eheschließung wurde weiter vorgelegt ein Dokument mit Datum 29. April 2020 (S. 39 Bundesamtsakte) sowie der Reisepass der Antragstellerin mit „Ergänzung der Angaben der Ehefrau“, worin ausgeführt ist „Heiratsdatum/Ort: 12.05.2015“ und „Datum der Heiratsregistrierung:20.03.2019“. Über die Ausländerbehörde zur Akte gelangte überdies eine „Bescheinigung über die Bestätigung der Eheschließung“ durch das Scharia-Gericht vom 13. März 2019. Danach haben die Erschienen um Bestätigung der Eheschließung und der Schwangerschaft der Antragstellerin gebeten, wobei beide Ehepartner durch einen Anwalt vertreten gewesen seien. Die in der Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) befindlichen Dokumente einschließlich der Übersetzungen weisen zum Teil Stempel und halbe Stempel (vgl. S. 18, 19, 22 der Bundesamtsakte) und Wertmarken von syrischen Behörden auf, zum Teil befindet sich hinter den Schriftstücken weitere Schriftstücke, auf die sich der Stempel erstreckt (vgl. S. 21 und 24 der Bundesamtsakte).
Die Antragstellerin reiste laut Angaben Griechenlands und den in die Eurodac-Datei durch Griechenland eingepflegten Daten dort am 24. November 2019 ein und stellte am 11. März 2020 einen Asylantrag.
Aus der Bundesamtsakte von Herrn … … ergibt sich, dass dieser bei seiner Anhörung in seinem Asylverfahren am 4. März 2016 angegeben hat, dass er bis 25. Dezember 2015 in … gelebt habe und ledig sei. Auch bei einer „Dolmetscherabfrage“ in seinem Asylverfahren hat er zum Familienstand angegeben, ledig zu sein. Ihm wurde mit Bescheid des Bundesamtes am 10. März 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
Nach von der Antragstellerseite vorgelegten Unterlagen (die vorgelegte Bundesamtakte enthält die Unterlagen nicht) hat die griechische Migrationsbehörde am 10. Juni 2020 ein auf Art. 9 Dublin III-VO gestütztes Übernahmeersuchen an die Antragsgegnerin gerichtet, das diese mit Schreiben vom 16. Juni 2020 wegen Überschreitung der Frist nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO und wegen nicht nachgewiesener familiärer Verbindung abgelehnt hat. Eine Remonstration Griechenlands vom 7. Juli 2020 blieb erfolglos (Antwort des Bundesamtes vom 8.7.2020).
Am 15. Dezember 2020 richtete die griechische Migrationsbehörde ein neues, auf Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ein gestütztes Übernahmeersuchen an die Antragsgegnerin, u.a. unter Vorlage eines psychologischen Berichts für Antragstellerin vom 7. Dezember 2020, wonach diese seit zwölf Monaten in Haft sei, von einer Rückführung in die Türkei als sicheren Drittstaat bedroht sei und psychologischer, augenärztlicher und gynäkologische Hilfe bedürfe.
Mit Schreiben vom 29. Januar 2021 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme der Antragstellerin gegenüber Griechenland ab, weil die Angabe der Antragstellerin der Eheschließung mit den Angaben des angegebenen Ehemanns nicht übereinstimme. Hiergegen remonstrierte Griechenland am 19. Februar 2021. Mit Schreiben vom 8. März 2021 teilte das Bundesamt Griechenland und der Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, dass Zweifel an der Eheschließung bestünden und an der Ablehnung festgehalten werde.
In einem Aktenvermerk des Bundesamtes vom 9. März 2021 ist festgehalten, dass nach Rücksprache mit der zuständigen Ausländerbehörde erhebliche Ungereimtheiten hinsichtlich der Eheschließung bestünden. Herr … … habe am 12. März 2019 dort einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels abgegeben und dabei als Familienstand weiter „ledig“ angegeben. Nach der vorgelegten Bescheinigung vom 13. März 2019 soll er hingegen mit der Antragstellerin verheiratet sein und die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt im 5. Monat schwanger gewesen sein. Die Änderung des Familienstandes in „verheiratet“ habe der angebliche Ehemann der Antragstellerin bei der Ausländerbehörde erst im Jahr 2020 betrieben. Ein weiteres Remonstrationsschreiben durch Griechenland vom 29. März 2021 blieb erfolglos (Ablehnungsschreiben des Bundesamtes vom 9.4.2021).
Mit am 23. April 2021 beim Verwaltungsgericht Ansbach eingegangenem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten stellte die Antragstellerin einen Antrag nach § 123 VwGO und beantragte,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Aufnahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministeriums – Nationales Dublin-Referat diesem gegenüber für die Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin für zuständig zu erklären.
Zur Begründung wurde unter Vorlage des ausgefüllten Antrags auf Aufenthaltserlaubnis und einer eidesstattlichen Versicherung von Herr … … vom 23. April 2021 vorgetragen, dass er am 11. März 2019 die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt habe, dies mit Verfügung der Ausländerbehörde vom 12. März 2019 gebilligt und der Aufenthaltstitel am 13. März 2019 mit einer Gültigkeit bis 12. März 2022 erteilt worden sei. Der Antrag sei teilweise handschriftlich, teilweise von der Ausländerbehörde selbst mit Computer ausgefüllt worden. Den Haken bei „ledig“ habe die Ausländerbehörde gesetzt. Bei dem Termin in Syrien am 13. März 2019 seien beide Ehepartner nicht persönlich anwesend gewesen, sondern rechtlich vertreten gewesen, was sich aus der Urkunde ergebe. Die Angabe zur Schwangerschaft beziehe sich nicht auf den Termin vor dem Scharia-Gericht, sondern auf den Tag der Eheschließung. Die Angaben von Herrn … … bei seiner Anhörung im Jahr 2016 seien auf die bestehende Sprachbarriere zurückzuführen. Er habe „ledig“ als Synonym für „allein“ bzw. „einsam“ verstanden und dies angegeben, weil er allein nach Deutschland eingereist sei. Die spätere Ausreise der Antragstellerin aus Syrien hänge mit der Betreuungsbedürftigkeit ihrer Mutter zusammen. Die Antragstellerin sei in Griechenland auch von ihrem Ehemann besucht worden. Über WhatsApp hielten die Eheleute Kontakt miteinander. Die Kopie eines Fotos aus der Haftanstalt und ein Screenshot von WhatsApp-Nachrichten (auf Arabisch) wurden vorgelegt. Die Antragstellerin sei in einem schlechten psychischen Zustand.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 29. April 2021,
den Antrag abzulehnen und verwies erneut auf die Ungereimtheiten im Zusammenhang mit den Angaben von Herrn … … als ledig und vor dem Scharia-Gericht am 13. März 2019. Hiergegen wendete sich die Antragstellerseite mit Schriftsatz vom 29. April 2021.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten, einschließlich derjenigen von Herrn … … und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zwar zulässig (2), aber unbegründet (3) und deshalb abzulehnen. Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach ist für die Entscheidung hierüber zuständig (1).
1. Da sich die Antragstellerin in Griechenland aufhält, greift nicht die für asylrechtliche Streitigkeiten (vgl. für Streitigkeiten nach der Dublin III-VO BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 4) regelmäßige Zuständigkeitsvorschrift des § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 1 VwGO ein, sondern richtet sich die gerichtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Antragsgegnerin, § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbs. 2, Nr. 5 VwGO (BVerwG, B.v. 2.7.2019 – 1 AV 2/19 – juris Rn. 6). Da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Sitz in Nürnberg hat, ist das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach für die Entscheidung zuständig. Einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Bundesverwaltungsgericht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO bedarf es vorliegend nicht, da die Person, zu denen zugezogen werden soll (Herr … …), nicht als Antragsteller auftritt und damit keine Kollision von Zuständigkeiten besteht.
2. Der Antrag nach § 123 VwGO ist zulässig. Die Antragstellerin ist nach § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Hierfür ist erforderlich, dass sie einen Anordnungsgrund und einen Anordnungsanspruch geltend macht, d.h. vorträgt und dies jedenfalls in Betracht kommt, dass ihr ein Rechtsanspruch zusteht (Anordnungsanspruch) sowie die Durchsetzung dieses Anspruchs dringlich ist bzw. der Anspruch ohne eine Eilentscheidung in unzumutbarer Weise gänzlich gefährdet ist und unterzugehen droht (Anordnungsgrund). Dies ist im Hinblick auf Art. 9 und Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO geltend gemacht und nicht von vorneherein ausgeschlossen. Ein Berufen vom Ausland aus auf die Regelungen der Dublin III-VO ist dabei anzuerkennen. Die Regelungen der Dublin III-VO schließen dies nicht aus, die Erwägungsgründe 13, 14 und 15 der Dublin III-VO sprechen vielmehr dafür. Auch Art. 47 Europäische Grundrechts-Charta (GRCh) sowie Art. 6 GG streiten für dieses Ergebnis (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 19.7.2019 – AN 18 E 19.50355; VG Berlin, B.v. 15.3.2019 – 23 L 706.18 A – juris Rn. 20; VG Münster, B.v. 20.12.2018 – 2 L 989/18.A – juris Rn. 21).
3. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da weder ein Anordnungsanspruch (a), noch ein Anordnungsgrund (b) glaubhaft gemacht worden sind.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragsteller vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO; sog. Regelungsanordnung). Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Im Hinblick auf das Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache aber dann nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar sowie in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6 VR 3/13 – juris).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Antragstellerin hat keinen Nachzugsanspruch nach Art. 9 und Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO glaubhaft gemacht (a). Ebenso wenig ist dies für einen Anordnungsgrund der Fall (b).
a) Nach Art. 9 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat zuständig für einen Asylantragsteller, in dem dessen Familienangehöriger internationalen Schutz erlangt hat, sofern beide Personen den Nachzugswunsch schriftlich kundtun. Als Familienangehöriger ist nach Art. 2 Buchst. g) Dublin III-VO der Ehegatte oder ein nicht verheirateter Partner einer Dauerbeziehung anzusehen, soweit eine solche Beziehung nach dem Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedsstaats ausländerrechtlich vergleichbar behandelt wird.
Zwar handelt es sich bei Herrn … … aufgrund seines Flüchtlingsstatus (aufgrund des Bescheids des Bundesamtes vom 10.3.2016) um einen international Schutzberechtigten in Deutschland, die Antragstellerin hat eine wirksame Eheschließung mit ihm aber nicht glaubhaft gemacht. Die Glaubhaftmachung stellt im Vergleich zum Vollbeweis eine Beweiserleichterung dar (Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016, § 920 Rn. 4, § 294 Rn. 1) und kann insbesondere durch Vorlage von Urkunden und Versicherungen an Eides statt erbracht werden, vgl. § 294 Abs. 1 ZPO. Die im Behörden- und Gerichtsverfahren vorgelegten Dokumente erbringen den verminderten Beweis für eine wirksame standesamtliche Eheschließung der Antragstellerin mit Herrn … … aber nicht. Aufgrund der zahlreichen Ungereimtheiten hinsichtlich der Dokumente und der Abweichung der Angaben des (angeblichen) Ehemanns der Antragstellerin hiervon in seinem eigenen Verfahren, bestehen erhebliche Zweifel an der Echtheit (und damit auch an der inhaltlichen Richtigkeit) der (angeblichen) syrischen Urkunden; da von der Echtheit der vorgelegten Urkunden nicht ausgegangen werden kann, greift Art. 13 Abs. 4 Satz 2 EGBGB nicht ein und können diese Urkunden nicht den Beweis über die Eheschließung erbringen.
Völlig unerklärlich ist insbesondere, wie es zu auf einigen Dokumenten zu findenden halben Stempelaufdrucken (vgl. S. 18, 19, 22 der Bundesamtsakte) und zu den auf dem Hintergrund der Dokumente sichtbaren Fortsetzungen der Stempel (vgl. S. 21, 24 der Bundesamtsakte) kommen kann. Der Anschein spricht für zusammengebastelte und damit gefälschte Unterlagen. Auch Datumsangaben in den verschiedenen Dokumenten wie zum Geburtsdatum von Herrn … … und zum Heiratsdatum stimmen untereinander teilweise nicht überein.
Ebenso fällt auf, dass keines der von der Antragstellerin bzw. durch das griechische Migrationsministerium vorgelegten Dokumente die Eheschließung von Frau … … mit Herrn … … unmittelbar belegt. Die eigentliche Eheschließungsurkunde des Scharia-Gerichts vom 1. Mai 2015 wurde nicht vorlegt, ohne dass hierfür eine plausible Erklärung abgegeben wurde. Bei den vorgelegten Dokumenten handelt es sich lediglich um sekundäre Urkunden, insbesondere um (angebliche) Bestätigungen von verschiedenen offiziellen Stellen, dass am 20. März 2019 eine Eheschließung vom 1. Mai 2015 eingetragen worden ist. Vom zeitlichen Ablauf her liegt sämtlichen dieser Bescheinigungen vom 20. März 2019 wohl das Dokument vom 13. März 2019 zugrunde, in dem für die Antragstellerin und Herrn … … erklärt wird, dass diese am 1. Mai 2015 den Ehevertrag geschlossen hätten, wobei der Ehevertrag selbst auch für die Bescheinigung nicht vorgelegt worden ist (dies ergibt sich aus der Urkunde jedenfalls nicht), die Bescheinigung vielmehr auf den Aussagen der Ehepartner und von zwei Zeugen, die namentlich nicht benannt sind und deren Unterschrift unleserlich ist, beruht. Eine derartige Urkundenkette, die letztlich allein auf die Aussage der Antragstellerin und der Referenzperson zurückzuführen ist, würde der Glaubhaftmachung nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO selbst dann nicht genügen, wenn es sich bei den vorgelegten Urkunden um echte, nicht gefälschte Urkunden handeln sollte. Sie wären dann nicht geeignet, den Beweis über die Eheschließung zu erbringen.
Die Urkunde vom 13. März 2019 bzw. deren Inhalt stößt auch deshalb auf erhebliche Zweifel hinsichtlich der Echtheit bzw. inhaltlichen Richtigkeit, weil – worauf das Bundesamt zu Recht hinweist – ihr Inhalt und vor allem der Vergleich mit dem Antragstellervorbringen im Verfahren gravierende Ungereimtheiten aufweisen. Nach der Bescheinigung ist zumindest unklar, ob die (angeblichen) Ehepartner vor der beurkundenden Person persönlich anwesend gewesen sind (hierfür sprechen die einleitenden Worte „erschienen sind…“) oder nur rechtlich vertreten worden sind (hierfür spricht die Unterschrift von zwei Anwälten mit Vollmacht und Aussage der Antragstellerin im Behörden- und Gerichtsverfahren). Weiter ergibt sich aus dem Dokument vom 13. März 2019 inhaltlich, dass die Antragstellerin im fünften Monat schwanger war. Unabhängig davon, ob sich die Angabe zur Schwangerschaft auf den Tag der Eheschließung am 1. Mai 2015 beziehen soll oder auf den Tag der Anwesenheit der Parteien am 13. März 2019, stellt sich die sich aus den Akten nicht beantwortende Frage, was aus dieser Schwangerschaft geworden ist. Die Antragstellerin ist offensichtlich alleine aus Syrien aus- und nach Griechenland eingereist. Von einem Kind (oder einem Schwangerschaftsabbruch) ist zu keinem Zeitpunkt jemals die Rede gewesen. Zu dieser offensichtlich klärungsbedürftigen Aussage hat die Antragstellerseite zu keinen Zeitpunkt Stellung genommen.
Ebenso gravierend und gegen die Eheschließung und damit gegen die Echtheit bzw. inhaltlichen Richtigkeit der Urkunde sprechend ist der Umstand, dass Herr … … im Rahmen seines Asylverfahren im Jahr 2016 durchgehend angegeben hat, nicht verheiratet zu sein. Er hat mehrmals, nämlich sowohl bei der eigentlichen Anhörung nach § 25 AsylG, also auch bei einer Abfrage durch den Dolmetscher angegeben, ledig zu sein. Bei der Dolmetscherabfrage hat der Antragsteller dabei aus drei möglichen Antworten die Antwort „ledig“ ausgewählt, im Rahmen der Befragung nach § 25 AsylG wurde er konkret nach dem Ehepartner gefragt und hat dabei im Freitext angegeben: „Ich bin ledig.“ Auch bei der Ausländerbehörde wurde Herr … … als ledig geführt; er hat selbst bei seinem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung vom 12. März 2019 angegeben, ledig zu sein. Erst im Jahr 2020 hat er gegenüber der Ausländerbehörde die Umschreibung seines Familienstandes betrieben. Die nunmehrige Einlassung von Herrn … …, dass er aufgrund der Sprachbarriere „ledig“ mit „allein“ verwechselt habe, ist aus dem Zusammenhang heraus und auch deshalb, weil beim Bundesamt jeweils ein Dolmetscher anwesend war in keiner Weise nachvollziehbar und kann nur als unglaubhafte, prozesstaktische Erklärung angesehen werden. Dass im ihm von der Ausländerbehörde übergebenen Formular aufgrund der dortigen Aktenlage als Familienstand ledig vorausgefüllt war, mag sein, erklärt aber nicht, warum Herr … … diese Angabe widerpruchslos unterzeichnet hat.
Keine nachvollziehbare Erklärung wurde von der Antragstellerseite auch zu dem Umstand abgegeben, warum der Nachzug der Ehefrau zum Ehemann erst über vier Jahre nach der Eheschließung und Trennung betrieben wurde. Die Notwendigkeit der Betreuung der Mutter der Antragstellerin überzeugt dabei nicht; die Betreuungssituation konnte schließlich anderweitig gelöst werden.
Schließlich belegen auch die im Gerichtsverfahren vorgelegten persönlichen Dokumenten die Eheschließung nicht. Schon abstrakt kann weder aus einem Foto noch aus einem nicht übersetzten Chatverlauf mit Emojis, die zwischen Liebespaaren üblich sind, geschlossen werden, dass die abgebildeten bzw. sich schreibenden Personen auch mit einander verheiratet sind. Hinzu kommt, dass das Profilbild der Frau des Chatverlaufs nicht die Klägerin abbildet und damit aus dem Chat nicht einmal eine Liebesbeziehung zwischen der Antragstellerin und Herrn … … abgeleitet werden kann. In der Zusammenschau aller dieser äußerst zweifelhaften Umstände, ist eine wirksame, standesamtliche Eheschließung der Antragstellerin mit der benannten Referenzperson keinesfalls glaubhaft gemacht und damit der Tatbestand des Art. 9 Dublin III-VO nicht erfüllt.
In dieser Situation scheidet auch der Nachzugstatbestand des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO aus. Auch die humanitäre Ermessens-Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO setzt eine familiäre bzw. verwandtschaftliche Beziehung voraus, die hier aus oben genannten Gründen nicht glaubhaft gemacht ist.
Darauf, ob der Antrag durch das griechische Migrationsministerium verspätet oder innerhalb der 3-Monatsfrist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO gestellt worden ist, was zur Folge hätte, dass Griechenland schon aus diesem Grund für das Verfahren der Antragstellerin zuständig geworden ist, Art. 21 Abs. 3 Dublin III-VO, kommt es somit nicht mehr an.
b) Zudem fehlt es am Anordnungsgrund. Die hierfür notwendige Dringlichkeit ist nicht gegeben, auch wenn eine Entscheidung in einer etwaigen Hauptsache möglicherweise erst nach einer Asylentscheidung in der Sache oder einer Rückführungsentscheidung in die Türkei durch Griechenland ergehen würde.
Im Fall von volljährigen Familienmitgliedern ist die Frage eines Anordnungsgrundes aufgrund (längerer) Trennung schon vom Grundsatz her anders zu beurteilen, als im Fall einer Trennung von Kindern von ihren Eltern bzw. von vulnerablen Personen von Betreuungspersonen, auf die diese angewiesen sind (vgl. Rechtsprechung der Kammer insoweit z.B. VG Ansbach, B.v. 6.4.2020 – AN 17 E 20.50103 – juris). Bei Ehepartnern spricht viel dafür, dass dem Grundsatz, dass die Hauptsache im einstweiligen Rechtschutz nicht vorweggenommen werden darf, der Vorrang zukommt, zumal ein irreversibler oder dauerhafter Zustand nicht geschaffen wird. Vielmehr bleibt ein Nachzug eines Ehepartners zum anderen – wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind – durch die nationalen Ausländergesetze möglich und entfällt allenfalls ein Nachzugstatbestand nach der Dublin III-VO. Die längere Zeitdauer, die ein solches Verfahren regelmäßig in Anspruch nimmt, ist Erwachsenen prinzipiell eher zumutbar. Die Antragstellerin musste mit den rechtlichen Schwierigkeiten in ihrer Situation auch rechnen und hat diese – anders als im Falle von betroffenen Kindern – selbst zu verantworten (st. Rspr. der Kammer, vgl. B.v. 22.2.2021 – AN 17 E 21.50020, B.v. 26.5.2021 – AN 17 E 21.50085 – jeweils juris).
Ein Anordnungsgrund scheitert hier auch daran, dass die Eheschließung der Antragstellerin mit Herrn … … – wie oben dargelegt – nicht glaubhaft gemacht ist. Die fortbestehende, längere, eventuell auch dauerhafte Trennung der Antragstellerin von der benannten Referenzperson stellt in dieser Situation keinen Verstoß gegen Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK dar und ist damit rechtlich nicht unzumutbar. Insofern führt auch die Inhaftierung der Antragstellerin in Griechenland nicht zu einem Anordnungsgrund, da die Bundesrepublik Deutschland – ohne Eingreifen eines Tatbestandes nach der Dublin III-VO – keinerlei Verantwortung für die freiheitsentziehende Maßnahme durch Griechenland trifft.
Den Verfahrensakten und dem Antragstellervorbringen ist zudem nicht konkret zu entnehmen, dass eine Entscheidung über den Asylantrag der Antragstellerin oder die Zuständigkeit Griechenlands in Kürze erfolgen wird. Einen konkreten Anhörungstermin im Asyl- oder Rückführungsverfahren gibt es offenbar noch nicht.
4. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.
5. Die Entscheidung ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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