Europarecht

Schadensersatz, Fahrzeug, Schadensersatzanspruch, Rechtsanwaltskosten, Streitwert, Frist, Technik, Feststellungsinteresse, Mangel, Unterlassung, Wirksamkeit, Anspruch, Sicherheitsleistung, Klage, Kosten des Rechtsstreits, Schutz der Allgemeinheit, ins Blaue hinein

Aktenzeichen  22 O 870/19

Datum:
18.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 57665
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 31.705,67 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage (siehe unter A) hat in der Sache keinen Erfolg (siehe unter B).
A.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das für den Klageantrag zu Ziffer 1 erforderliche Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO gegeben. Mangels Vollstreckbarkeit des Feststellungsurteils in der Hauptsache fehlt das Feststellungsinteresse zwar in der Regel, falls der Kläger sein Leistungsziel genau benennen und deshalb auf Leistung oder Unterlassung klagen kann. In Schadensfällen kommt es aber entscheidend darauf an, ob der Kläger die Schadenshöhe bereits insgesamt endgültig beziffern kann, was ihm bei sich noch entwickelnden Schäden unmöglich sein kann {Becker-Eberhard, in: MünchKomm.-ZPO, 6. Auflage 2020, § 256 Rn. 54). Geht es dabei wie hier auch um den Ersatz erst künftig befürchteten Schadens auf Grund einer nach Behauptung der Klagepartei bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung, so setzt das Feststellungsinteresse weiter die Möglichkeit dieses Schadenseintritts voraus; diese ist zu verneinen, wenn aus der Sicht der Klagepartei bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines derartigen Schadens wenigstens zu rechnen (BGH, NJW 2001, 1431 [LS]). Befindet sich ein anspruchsbegründender Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwicklung, so steht der Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine teilweise Bezifferung möglich wäre, der Bejahung des Feststellungsinteresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Anspruch seiner Natur nach sinnvollenveise erst nach Abschluss seiner Entwicklung beziffert werden kann (BGH, NJW 1984, 1552, 1554). Da die Klagepartei vorliegend ausreichend dazu vorgetragen hat, welche Schäden möglicherweise noch eintreten werden, sind diese Anforderungen erfüllt.
B.
Der Klagepartei steht ein dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1 zugrundeliegender Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu (siehe unter I). Daher ist auch der weitere Klageantrag unbegründet (siehe unter II).
Der Feststellungsantrag ist unbegründet, da die Klagepartei gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen einer behaupteten Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs hat. Ein solcher Anspruch steht der Klagepartei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
1. Ein Anspruch der Klagepartei folgt nicht aus §§ 826, 31 BGB. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob in dem unstreitig in dem streitgegenständlichen Fahrzeug befindlichen Thermofenster oder der Fahrkurvenerkennung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 zu sehen ist. Denn ein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 allein wäre nicht ausreichend, um von einem sittenwidrigen Verhalten auszugehen (siehe unter ac). Die übrigen Behauptungen klägerseits zu unzulässigen Abschalteinrichtungen erfolgten „ins Blaue hinein“, so dass eine Beweiserhebung hierüber nicht veranlasst war (siehe sodann unter d).
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt {Wagner, in: MünchKomm.-BGB, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 9). Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten; vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2014, 1380 Rn. 8). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, WM 2016, 1975 Rn. 16). Eine Sittenwidrigkeit kommt in diesem Zusammenhang insbesondere in Betracht, wenn das Bewusstsein vorhanden ist, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wird (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – Az. 10 U 1347/19).
b) Das Gericht vermag vorliegend nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau eines Thermofensters in den konkreten Motor in das Fahrzeug der Klagepartei in sittenwidriger Weise gehandelt hat.
Zunächst ist zu beachten, dass die Situation bei Annahme eines Thermofensters deutlich anders liegt als im Fall der Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik, wie sie beim VW-Motor EA189 verwendet wurde. In Bezug auf den Motor EA189 wird darauf abgestellt, der VW-Konzern habe nicht einfach nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der Abschaltvorrichtung ein System zur planmäßigen Verschleierung seines Vorgehens geschaffen. Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das Thermofenster auch nach dem Vortrag der Klagepartei demgegenüber nicht darauf ab, auf dem Prüfstand und auf der Straße per se unterschiedliche Abgasrückführungsmodi zu aktivieren.
Vielmehr wird die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert. Wenn das für das Fahrzeug der Klagepartei allein in Rede stehende Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Umgebungstemperatur richtet, ist es aber nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 28 ff.; vgl. hierzu auch OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – Az. 8 U 1449/19, Rn. 145 ff.; OLG Köln, BeckRS 2019,15640 Rn. 5; OLG Bamberg, BeckRS 2019, 43152 Rn. 10).
Zudem ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein solches Thermofenster eine zulässige oder unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 darstellt, bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Dies zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 lit. a EG-VO 715/2007 der Umstand, dass das Kraftfahrt-Bundesamt wie auch das Bundesverkehrsministerium offenbar bislang nicht von der generellen Unzulässigkeit von Thermofenstern oder auch eines konkreten Thermofensters ausgehen. Damit ist eine Auslegung, wonach ein Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, juristisch zumindest vertretbar. Diesbezüglich ist zudem zu beachten, dass für einen etwaigen Vorsatz nicht auf den heutigen Meinungsstand, sondern auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs durch die Beklagte abgestellt werden muss (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – Az. 10 U 134/19, Rn. 84). Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fährbetrieb in gleicherweise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei der Gesichtspunkte des Motorrespektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Informationen und der von der Klagepartei entsprechend geschilderten Funktionsweise des Thermofensters stellt sich ein Verhalten der Beklagten als möglich dar, bei dem sie zur Einhaltung der Emissionswerte bei gleichzeitigem Motorschutz und möglicherweise auch einer gewissen Kostensensibilität eine vertretbare Auslegung einer unbestimmten Norm gewählt hat (OLG Düsseldorf, BeckRS 2020, 9904 Rn. 31 ff.; vgl. hierzu auch OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – Az. 8 U 1449/19, Rn. 145 ff.; OLG Köln, BeckRS 2019, 15640 Rn. 5; OLG Bamberg, BeckRS 2019, 43152 Rn. 10).
c) Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten kann entsprechend auch nicht auf Basis der klägerseits behaupteten unzulässigen Zykluserkennung angenommen werden. Alleine die TatSache, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Zykluserkennung für verschiedene Fahrzyklen verbaut ist und dadurch gesteuert wird, welcher NOx-Ausstoß vorgenommen wird, kann den Sittenwidrigkeitsvorwurf nicht begründen. Die Klagepartei hat diesbezüglich keine Tatsachen vorgetragen, die ein manipulatives Vorgehen der Beklagten erkennen lassen. Insbesondere ergibt sich aus dem behaupteten Mechanismus nicht – wie von der Klagepartei grundlegend behauptet -, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nur im Prüfstandmodus die Werte einhält, die zur Einstufung des Fahrzeugs in die Euro-Norm benötigt werden. Vielmehr sind in das streitgegenständliche Fahrzeug nach den Behauptungen der Klagepartei unterschiedliche Zyklen während des NEFZ-Modus und während der Fahrt eingebaut.
Dies gilt auch in Zusammenschau mit den Ausführungen der Klagepartei zu einer angeblichen Manipulation der On-Board-Diagnose-Einheit. Die Behauptung, dass das Schreiben von Fehlercodes verhindert würde, da solche gespeicherten Fehler zu einer Versagung der HU-Untersuchung führten, steht in keinem Zusammenhang mit der Behauptung der Klagepartei, die Manipulation beziehe sich auf die Werte im Prüfstand. Denn die behauptete Manipulation an der On-Board-Diagnose-Einheit würde sich auf Basis der Schilderungen der Klagepartei gerade auswirken, wenn das Fahrzeug sich nicht im Prüfmodus befindet, sondern während der Fahrt. Erhöhte Abgasausstöße während der Fahrt können aber keinen Einfluss auf die Erteilung einer Euro-Typengenehmigung haben. Denn in diesem Zusammenhang sind einzig die Werte im NEFZ entscheidend. Damit droht auch nicht infolge der behaupteten Manipulation der On-Board-Diagnose-Einheit ein Widerruf der Typengenehmigung.
d) Die übrigen Behauptungen der Klagepartei bezüglich weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen sind nicht schlüssig und erheblich, so dass auch kein Beweis zu erheben war.
Ein Bezug zum konkreten Fall fehlt an den entscheidenden Stellen. Zwar behauptet die Klagepartei zu Beginn ihrer Klageschrift, dass in ihrem Fahrzeug die erforderlichen Werte nur im Prüfstand mod US eingehalten würden. Diese Behauptung stützt sie im Folgenden aber nicht mit substantiierten Behauptungen zum streitgegenständlichen Fahrzeug. Die weiteren behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen bei SCR- und NSK-Fahrzeugen weisen keinen konkreten Bezug zum hiesigen Verfahren auf. Ein solcher wird allenfalls über die Bezugnahme auf das sogenannte Baukastenmodell der Beklagten hergestellt. Insoweit hat die Beklagte aber bestritten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über einen SCR- oder NSK-Katalysator verfüge, so dass klägerseits weiterer Vortrag notwendig gewesen wäre. Solcher ist jedoch nicht erfolgt. Damit trägt die Klagepartei nicht Tatsachen vor, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen lassen. Der Sachvortrag ist nicht schlüssig und erheblich, sondern vielmehr unbeachtlich, da er ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Daher war hierüber auch kein Beweis zu erheben, weil dies eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung darstellen würde (vgl. hierzu BGH, NJW 2020, 1740, 1741).
2. Ein Anspruch folgt auch weder aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB noch aus §§ 831, 826 BGB oder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB. Denn der Beklagten kann auf dieser Grundlage jedenfalls kein bewusst täuschendes Verhalten vorgeworfen werden. Eine Aufklärung der Klagepartei über die Funktionsweise des in dem Fahrzeug enthaltenen Thermofensters oder anderer möglicher Abschalteinrichtungen musste vor diesem Hintergrund nicht erfolgen.
3. Ein Anspruch der Klagepartei folgt weiterhin nicht aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Denn bei diesen Normen handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die den Schutz der Klagepartei vor dem eingetretenen Schaden bezwecken. Schutzgesetze sind solche, die zumindest auch den Individualschutz des Einzelnen bezwecken, ohne dass dies einen bloßen Reflex der Vorschrift darstellt (vgl. BGH, NJW 2015, 2737 Rn. 20). Demgegenüber zielen die zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union laut der Erwägungsgründe 2, 12, 14, 17 und 23 der RL 2007/46/EG vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz vor unbefugter Benutzung. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt jedenfalls nicht im Aufgabenbereich dieser Normen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – Az. VI ZR 252/19, juris, Rn. 72 ff.).
II. Der Klagepartei steht in der Folge auch kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu.
c. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
D.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bleiben als Nebenforderung unberücksichtigt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 ZPO).


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