Europarecht

Schadensersatz, Kaufvertrag, Anerkennung, Italien, Bindungswirkung, Vollstreckung, Verfahren, Wohnsitz, Auslegung, Verweisung, Schaden, Zahlung, Software, Bestimmung, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen, unerlaubten Handlung

Aktenzeichen  34 AR 132/21

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4402
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EuGVVO Art. 7 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Bei gegen den Hersteller gerichteten Individualklagen aus Anlass des sogenannten Abgasskandals richtet sich auch die örtliche Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, wenn der Hersteller seinen Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat hat.
2. Es ist jedenfalls nicht als willkürlich anzusehen, wenn das Gericht am Wohnsitz des Klägers das Verfahren an das Gericht, in dessen Bezirk der Kaufvertrag geschlossen wurde, verweist.

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht München II.

Gründe

I.
Mit seiner zum Landgericht Memmingen (Az. zunächst: 32 O 648/21) erhobenen Klage vom 28.4.2021 begehrt der in diesem Bezirk wohnhafte Kläger von der in Italien ansässigen Beklagten u.a. Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Diesel-Fahrzeugs. Das Fahrzeug hatte der Kläger am 7.3.2014 bei einem Autohändler in S., das im Bezirk des Landgerichts München II gelegen ist, erworben.
Der Kläger führt aus, der von der Beklagten hergestellte Motor halte die gesetzlichen Grenzwerte der Emissionsklasse 5 nicht ein. Die Beklagte sei daher gemäß § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 27 EG-FGV und § 831 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Memmingen ergebe sich aus Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO), die örtliche aus dem deliktischen Erfolgsort am Sitz der Klagepartei.
Mit Verfügung vom 28.7.2021 hat das Landgericht Memmingen darauf hingewiesen, dass gegen seine örtliche Zuständigkeit Bedenken bestünden.
Die Beklagte hat sich in der Klageerwiderung vom 7.8.2021 mit einer Verweisung an das Landgericht München II einverstanden erklärt.
Mit Schriftsatz vom 18.8.2021 hat der Kläger daraufhin Verweisung an das Landgericht München II beantragt. Nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sei das Gericht zuständig, „an dem der Schaden eingetreten sei oder einzutreten drohe“. Der Europäische Gerichtshof habe in einem Urteil vom 9.7.2020 (Rechtssache C-343/19 = NJW 2020, 2869) hierzu nähere Ausführungen gemacht. Der Schaden liege hier im Abschluss des Kaufvertrages und dem Eingriff in die Dispositionsfreiheit. Damit könne die Klage – anders als im Fall des § 32 ZPO – nicht am Wohnsitz des Klägers erhoben werden, sondern dort, wo der Kaufvertrag geschlossen worden sei.
Mit Beschluss vom 30.8.2021 hat sich das Landgericht Memmingen für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München II verwiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die Beklagte habe ihren Sitz nicht im Bezirk des Landgerichts Memmingen. Eine Zuständigkeit aufgrund einer unerlaubten Handlung ergebe sich vorliegend nicht aus § 32 ZPO, sondern aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Danach könne eine Klage vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Auf den Wohnsitz des Klägers komme es dabei nicht an. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei der Ort des „schädigenden Ereignisses“ vielmehr dort anzusiedeln, wo das Vermögen des Betroffenen direkt geschädigt wurde. Vorliegend sei der Kaufvertrag in S. abgeschlossen worden. Dieser Ort sei sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort. Der Schaden liege im Abschluss des Kaufvertrages und dem damit verbundenen Eingriff in die Dispositionsfreiheit. Hierdurch sei das Vermögen des Klägers bereits mit der Zahlungsverpflichtung belastet worden. Auf die tatsächliche Zahlung komme es nicht an.
Das Landgericht München II (Az.: 13 O 3266/21) hat, ohne die Parteien anzuhören, mit Beschluss vom 15.9.2021 die Übernahme abgelehnt und das Verfahren dem Landgericht Memmingen zur Verfahrensführung in eigener Zuständigkeit zurückgeleitet, da dieses zuständig sei. Eine Verweisung setze voraus, dass das verweisende Gericht unzuständig sei. Ein Beschluss, mit dem sich ein Gericht über seine Zuständigkeit hinwegsetze und mit dem es in der Folge einen Rechtsstreit verweise, für den es nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständig sei, entfalte keine Bindungswirkung, wie der erkennende Senat mit Beschluss vom 26.4.2021 (34 AR 26/21 – juris) festgestellt habe. Das Landgericht Memmingen sei nach Art. 7 Abs. 2 EuGVVO zuständig, da der Erfolgsort als der Ort, an dem der durch die deliktische Handlung verursachte Schaden eingetreten sei, in dessen Zuständigkeitsbereich liege. Der Kläger wohne im dortigen Bezirk und nutze nach eigenem Vortrag das Fahrzeug dort, weshalb auch dort der Schaden entstanden sei. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9.7.2020, mit dem sich der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Memmingen nicht auseinandersetze, handle es sich bei dem vom Kläger behaupteten Schaden nicht um einen reinen Vermögensschaden. Es liege vielmehr ein materieller Schaden dergestalt vor, dass das erworbene Fahrzeug minderwertig und daher den vom Kläger bezahlten Kaufpreis nicht wert sei. Dieser Schaden habe sich mit dem Erwerb des Fahrzeugs realisiert. Der Ort, in dem dieser Primärschaden eingetreten und der zuständigkeitsbegründend sei, liege nicht lediglich am Ort, an dem der Kläger einen Kaufvertrag unterschrieben habe. Der Begriff des Erwerbs umfasse über den Abschluss des Kaufvertrages hinaus auch die Kaufpreiszahlung, sowie die Übereignung des Fahrzeugs einschließlich der Verbringung an den Ort, wo es bestimmungsgemäß genutzt werden solle. Der Ort der regelmäßigen Nutzung sei der Wohnort des Klägers. Der Primärschaden realisiere sich insbesondere an diesem Ort. Die Bestimmung des Erfolgs- und Schadensortes erfordere zudem eine wertende Gesamtbetrachtung. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass die für die Begriffe des Erwerbs und des Schadens maßgeblichen Gesichtspunkte, zu denen neben dem Ort des Vertragsschlusses insbesondere auch die Kaufpreiszahlung, die Übereignung des Fahrzeugs, dessen Verbringung an den Ort der gewöhnlichen Nutzung, der Ort der bestimmungsgemäßen Nutzung und die Belastung des Erwerbers mit einer ungewollten Verbindlichkeit nebst deren negativer Auswirkung auf das Vermögen des Erwerbers gehörten, festzustellen und zu werten seien. Hätte das Landgericht Memmingen eine wertende Betrachtung vorgenommen, so hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, dass ein Erfolgs- bzw. Schadensort auch am Wohnsitz des Klägers begründet sei. Dass der Wohnsitz des Geschädigten Schadensort sein könne, sei in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anerkannt.
Mit Verfügung vom 22.11.2021 hat das Landgericht Memmingen (Az. nunmehr: 32 O 1461/21) das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht München vorgelegt (Az.: 34 AR 132/21).
Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Der Kläger hat, entgegen seiner Ausführungen im Schriftsatz vom 18.8.2021, nunmehr die Meinung vertreten, das Landgericht Memmingen sei zuständig, was sich aus einem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 2.12.2021 ergebe.
II.
Auf die zulässige Vorlage ist die Zuständigkeit des Landgerichts München II auszusprechen.
1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 37 ZPO durch das zuständige Oberlandesgericht München, zu dessen Bezirk beide Gerichte gehören, sind gegeben (vgl. nur Zöller/Schultzky ZPO 34. Aufl. § 36 Rn. 34 m. w. N.). Das Landgericht Memmingen und das Landgericht München II haben sich im Sinne dieser Vorschrift bindend für unzuständig erklärt; das Landgericht Memmingen durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 30.8.2021 (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das Landgericht München II durch eine seine Zuständigkeit verneinende Entscheidung vom 15.9.2021. Eine solche Zuständigkeitsleugnung genügt den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (vgl. BGH NJW-RR 2013, 764; OLG Hamm NJW 2016, 172; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 42. Aufl. § 36 Rn. 23 m. w. N.).
2. Das Landgericht München II ist zuständig, da der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Memmingen vom 30.8.2021 bindet.
a) Gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von verfahrensverzögernden Zuständigkeitsstreitigkeiten unanfechtbar. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (st. Rechtspr.; BGHZ 102, 338/340; BGH NJW 2002, 3634/3635; Zöller/Greger § 281 Rn. 16). Die Bindungswirkung entfällt nicht schon dann, wenn der ergangene Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist, sondern nur dann, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann (BGH NJW 2002, 3634/3635; NJW-RR 2013, 764/765; Zöller/Greger § 281 Rn. 17 m. w. N.). Dies ist der Fall, wenn er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich erachtet werden muss. Jedoch lässt bloßer Rechtsirrtum die Bindungswirkung nicht entfallen (BGH NJW-RR 1992, 902; NJW-RR 2011, 1364; Zöller/Greger § 281 Rn. 17). Nur bei groben Rechtsirrtümern (z.B. BGH NJW 2002, 3634/3635) fehlt es an der Bindung.
b) Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Memmingen nicht als willkürlich anzusehen, sondern entfaltet die im Gesetz vorgesehene Bindungswirkung. Die Rechtsauffassung des Landgerichts Memmingen, das zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit auf den Ort des Vertragsschlusses abstellt, ist keinesfalls willkürlich. Denn während die Zuständigkeit des Gerichts am Sitz des Kaufvertragsschlusses zweifelsfrei besteht (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 30; BayObLG BeckRS 2022, 2114 Rn. 17), ist der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Zuständigkeit am Wohnsitzgericht in Fällen wie dem vorliegenden nicht eindeutig zu entnehmen.
aa) Da die Beklagte ihren Sitz nicht in Deutschland, sondern in einem EU-Mitgliedsstaat hat, richtet sich vorliegend die Bestimmung der Zuständigkeit nach der EuGVVO (Schlosser in Schlosser/Heus EU-Zivilprozessrecht 5. Aufl. Art. 1 EuGVVO Rn. 2), deren zeitliche, sachliche und örtliche Anwendungsvoraussetzungen vorliegen (BayObLG BeckRS 2022, 2114 Rn. 17; Hüßtege in Thomas/Putzo Vorb. EuGVVO Rn. 15 – 17). Einschlägig ist Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, der als für unerlaubte Handlungen zuständig das Gericht des Ortes beschreibt, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Insoweit ist ausreichend, wenn – wie vorliegend – anhand des vom Kläger unterbreiteten Sachvortrags das Vorliegen einer unerlaubten Handlung schlüssig dargetan ist (EuGH NJW 2015, 1581 Rn. 61; Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen 63. EL Art. 7 EuGVVO Rn. 167). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die VO Nr. 1215/2012 (EuGVVO) die VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüsseler Übereinkommen) aufgehoben und ersetzt hat und die vom Europäischen Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen der letztgenannten Verordnung nach ständiger Rechtsprechung auch für die EuGVVO gilt, soweit die betreffenden Bestimmungen als „gleichwertig“ angesehen werden können. Dies ist bei Art. 5 Abs. 3 des Brüsseler Übereinkommens einerseits und Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anderseits der Fall (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 22).
bb) Art. 7 Nr. 2 EuGVVO beschreibt als für unerlaubte Handlungen zuständig das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Damit wird die internationale und die örtliche Zuständigkeit festgelegt; nationale Vorschriften treten zurück (Thole in Wieczorek/Schütze ZPO 4. Aufl. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Rn. 53), weshalb die zu § 32 ZPO entwickelten Grundsätze vorliegend keine Anwendung finden.
Wie der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Art. 5 Abs. 3 des Brüsseler Übereinkommens bzw. zu Art. 7 Nr. 2 EuGVVO wiederholt entschieden hat, ist mit dem Ausdruck „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ sowohl der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (Handlungsort) als auch der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) gemeint (OLG München BeckRS 2021, 38319), so dass der Beklagte nach Wahl des Klägers vor dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 23; BayObLG BeckRS 2022, 2114 Rn. 20; Thole in Wieczorek/Schütze Art. 7 Rn. 75; Paulus in Geimer/Schütze Art. 7 EuGVVO Rn. 183).
cc) Vorliegend ist für die Frage der örtlichen Zuständigkeit auf den Erfolgsort als dem Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs abzustellen. Dieser liegt jedenfalls auch im Bezirk des Landgerichts München II, da dort der Kaufvertrag geschlossen wurde.
(1) Handlungsort im Sinn des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist der Ort, an dem die schadensbegründende Handlung vorgenommen wurde (EuGH EuZW 2013, 544 Rn. 25; BGH IPRax 2017, 480; Thole in Wieczorek/Schütze Art. 7 Nr. 2 EuGVVO Rn. 75). Für den vorliegenden Fall gilt, dass der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens sich dort befindet, wo das fragliche Fahrzeug mit der Software ausgerüstet wurde, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 24), mithin vorliegend wohl in Italien.
(2) Der Erfolgsort liegt dort, wo das geschützte Rechtsgut tatsächlich oder voraussichtlich verletzt wird. Der Europäischen Gerichtshof qualifiziert den Ort als Erfolgsort, an dem „die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten“ (EuGH NJW 1995, 1881 Rn. 28). Der Schadenseintrittsort liegt also dort, wo das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat. Ein derartiger Erst- oder Primärschaden tritt nicht zwingend am Wohnsitz des geschädigten Klägers ein (EuGH NJW 2004, 2441/2442); es kann auch der Ort sein, an dem der Geschädigte eine Vermögensdisposition vorgenommen, insbesondere einen für ihn nachteiligen Vertrag geschlossen hat. Schadenseintrittsort ist insoweit der Ort des Erwerbs. Dagegen kommt es nicht darauf an, wo sich ein finanzieller Verlust in einer Kontenbewegung niederschlägt (EuGH NJW 2016, 2767 Rn. 32; Saenger/Dörner ZPO 9. Aufl. Art. 7 EuGVVO Rn. 32.2). Der Begriff des Schadenseintrittsorts darf nicht weit in der Weise verstanden werden, dass er etwa jeden Ort erfasst, an dem die schädlichen Folgen eines Ereignisses spürbar werden (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 26). Kein Gerichtsstand besteht daher dort, wo der Geschädigte einen Vermögensschaden in der Folge eines woanders entstandenen Erstschadens erlitten zu haben behauptet (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 26, 27; EuGH RIW 2019 594 Rn. 28; BeckOK ZPO/Thode 42. Edition Art. 7 EuGVVO Rn. 92). Der Ort der mittelbaren Folgeschäden ist für die Zuständigkeitsbegründung gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht relevant.
(3) Hier liegt der von Kläger geltend gemachte Schaden in der Wertminderung des fraglichen Fahrzeugs, die sich aus der Differenz zwischen dem Preis, den der Kläger bezahlt hat und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus der manipulierten Software ergibt (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 29). Der geltend gemachte Schaden hat sich zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Erwerb zu einem Preis, der über dem tatsächlichen Wert liegt, verwirklicht (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 30). Ein solcher Schaden, der vor dem Kauf des Fahrzeugs noch nicht bestand, stellt einen Primärschaden dar (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 31; Stadler in Musielak/Voit ZPO 18. Aufl. Art. 7 EuGVVO Rn. 19b). Da die Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung mit dem Vertragsschluss entsteht und in diesem Moment der – überhöhte – Verkaufspreis fixiert wird, kommt es insoweit nur auf den Ort des Vertragsschlusses als Ort des Primärschadens an, nicht auf den Ort der Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag (OLG München BeckRS 2021, 38319 Rn. 60).
dd) Zwar hat der Europäische Gerichtshof in der oben zitierten Entscheidung nur den Schluss gezogen, der Erfolgsort liege bei einem Kaufvertragsschluss in Österreich in diesem Mitgliedstaat (EuGH NJW 2020, 2869 Rn. 25 ff.). Zur örtlichen Zuständigkeit der Gerichte im jeweiligen Mitgliedstaat hat er sich damit ausdrücklich zwar nicht geäußert. Allerdings determiniert Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nach allgemeinem Verständnis nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit (BayObLG BeckRS 2022, 2114 Rn. 27 m. w. N.). Deshalb ist es nicht als willkürlich anzusehen, dass das Landgericht Memmingen angenommen hat, dass örtlich zuständiges Gericht nur das Gericht ist, in dessen Bezirk der Vertrag abgeschlossen wurde, und somit dem Kläger kein Wahlrecht nach § 35 ZPO zustand.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben