Europarecht

Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Prospekthaftung, Bescheid, untersagung, Kapitalanlage, Emissionsprospekt, Prospekt, Beweislast, Kommission, Pflichtverletzung, Technik, Kenntnis, Stand der Technik, Sinn und Zweck, Darlegungs und Beweislast

Aktenzeichen  6 O 14313/20

Datum:
2.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44510
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von … des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Der eingeklagte Anspruch steht den Klägern aus keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu.
A.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht München I ist gemäß § 1 ZPO i.V.m. §§ 23, 71 GVG sachlich und nach § 32 ZPO örtlich zuständig.
Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs ist ausnahmsweise zulässig, um den nach §§ 756, 765 ZPO erforderlichen Nachweis zu ermöglichen (Zöller/Greger, 33. Auflage 2020, § 256 ZPO Rn. 5).
B.
Den Klägern steht aus Delikt gegen die Beklagten kein Anspruch auf teilweise Rückzahlung des von ihnen gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs (Antrag Ziffer 1) zu.
I. Die Kläger haben keinen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB.
Gemäß § 826 BGB ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Dabei muss sich der Vorsatz des Schädigers gerade auch auf die Schädigung beziehen.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung begeht und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 21. Oktober 2019 – 12 U 246/19 -, juris unter Rn. 40 m.w.N. „Thermofenster“).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht schlüssig dargetan.
1. Bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem … Motor EA 189 verwendet worden ist, ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus der Verwendung einer Umschaltlogik, weil die Verwendung einer solchen Abschalteinrichtung eindeutig unzulässig ist und dies den Handelnden bzw. den Verantwortlichen auch bewusst ist.
Der Einsatz einer derartigen Umschaltlogik ist jedoch vorliegend nicht substantiiert dargetan. Soweit die Klagepartei pauschal behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug erkenne, ob es sich im Prüfstandsbetrieb befinde … so ist dieser Vortrag zu unsubstantiiert und erfolgt offensichtlich ins Blaue hinein. Die Klagepartei führt hier lediglich verschiedenste Parameter auf, anhand derer das Fahrzeug den Prüfstandsbetrieb erkennen solle. Aus dem Vortrag lässt sich nicht einmal der Schluss ziehen, ob die Parameter alternativ oder kumulativ erkannt werden („und/oder“). Die Klagepartei hätte die Umstände zum Konstruktionsteil und zu der Abschaltung der Abgasreinigung in bestimmten Umwelt- oder Fahrsituationen darlegen und gegebenenfalls auch nachweisen müssen. Das Gericht kann jedoch in dem klägerischen Vorbringen keinerlei greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer entsprechenden Manipulationssoftware in Form einer unzulässigen Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug erkennen. Auch aus dem Bescheid des Kraftfahrzeugbundesamts vom … ergibt sich vielmehr, dass gerade keine Motorsteuerungssoftware festgestellt wurde, die den Prüfstandlauf erkennt und dann in einen anderen Modus umschaltet, sondern dass (nur) die „…“ beanstandet wurde. Zwar kann das bloße Fehlen eines behördlichen Rückrufs oder behördlicher Feststellungen in dieser Richtung nicht schon für sich gegen das Vorliegen hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für das Zutreffen der klägerischen Behauptungen herangezogen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 -, juris, Rn. 13). Im vorliegenden Fall liegen jedoch auch keine anderen konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung, die mit einer „Umschaltlogik“ arbeitet, vorliegt.
Es handelt sich insoweit um einen unsubstantiierten Vortrag ins Blaue hinein.
Soweit die Kläger vortragen, das streitgegenständliche Fahrzeug stoße im Realbetrieb weitaus mehr Schadstoffe aus als unter den Bedingungen des NEFZ, liegt darin kein Hinweis auf eine unzulässige Abschaltvorrichtung.
Dass ein Fahrzeug im normalen Fahrbetrieb, also unter üblichen Betriebsbedingungen, höhere Emissionen aufweist als im für die Überprüfung der Einhaltung der Werte der Euro 6 – Norm maßgeblichen NEFZ ist und war auch in der Vergangenheit allgemein bekannt (so auch OLG Stuttgart, Verfügung vom 24.03.2020, 16a U 75/19). Soweit die Klagepartei der Auffassung ist, die maßgeblichen Grenzwerte müssten auch außerhalb des Prüfstandes bzw. des NEFZ Anwendung finden, ist dies unzutreffend. Gemäß Artikel 3 Ziffer 6 der VO 692/2008/EG gewährleistet der Hersteller, „dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen den geltenden Grenzwert nicht überschreiten“, benennt also ausdrücklich die normierten Prüfbedingungen (ausgestaltet als NEFZ) als gültigen Maßstab. In dem „Factsheet“ der Europäischen Kommission vom 25.09.2015 wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Emissionen von Stickoxiden (NOx) von Dieselfahrzeugen, die auf der Straße gemessen werden, diejenigen, die im vorgeschriebenen NEFZ gemessen werden, in der Realität deutlich übersteigen, obwohl sie in den meisten Fällen den geltenden Rechtsvorschriften entsprechen. Dies ist auch einleuchtend, hängen doch Kraftstoffverbrauch und Abgasverhalten, wie die Beklagte zu 1 auch dargestellt hat, naturgemäß stark vom Fahrverhalten des jeweiligen Nutzers ab.
Insofern haben allein Messungen, die im Realbetrieb erhoben wurden, keine Indizwirkung in Bezug auf eine unzulässige Abschalteinrichtung (OLG München, Urteil vom 19.03.2020, 32 U 2840/19). Die Nachprüfung der Emissionen im tatsächlichen Fahrbetrieb wurde erst bei Fahrzeugen neuerer Bauart ab dem Jahr 2019 verpflichtend. Die behauptete Überschreitung der Grenzwerte im realen Fahrbetrieb lassen keinen Schluss auf eine die Abgaswerte manipulierende Software zu (OLG Frankfurt, Hinweisbeschluss vom 17.02.2020, 8 U 178/19).
Den Beweisangeboten der Kläger, zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung ein Sachverständigengutachten einzuholen, war nicht nachzugehen, da hinreichend greifbare Anknüpfungstatsachen für das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen, die mit einer „Umschaltlogik“ arbeiten, am streitgegenständlichen Fahrzeug fehlen und der Vortrag der Klagepartei auf bloßen Vermutungen beruht und als ins Blaue hinein gewertet wird. Ein solches Beweisangebot stellt eine unzulässige Ausforschung dar.
Es obliegt der Klagepartei, ausreichend greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein und die konkrete Wirkung einer etwaigen Abschalteinrichtung vorzutragen. Den Beklagten ist es nicht zumutbar, auf bloße pauschale Behauptungen der Klagepartei einer unzulässigen Abschaltungseinrichtung im einzelnen Ausführungen zu konkret verbauten Abschalteinrichtungen zu machen (OLG München, Hinweisbeschluss vom 11.07.2019, 8 U 1449/19). Ansonsten würde der Beibringungsgrundsatz unterlaufen werden.
Die Klagepartei kann sich nicht auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten berufen. Die Figur einer sekundären Darlegungslast dient nicht dazu, einen Kläger ganz allgemein und voraussetzungslos bei der Durchsetzung streitiger Ansprüche zu unterstützen und ihm erst die Grundlage für einen schlüssigen und substantiierten Tatsachenvortrag zu verschaffen. Auf eine mögliche sekundäre Darlegungslast der Beklagten kommt es demzufolge nicht an, weil es schon an der Erstdarlegung der Kläger für das Vorliegen einer Abschaltvorrichtung fehlt. Es bleibt daher bei der üblichen Darlegungs- und Beweislast, der die Klagepartei nicht gerecht geworden ist.
2. Bezüglich des Einsatzes eines Thermofensters wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts München, Beschluss vom 29.09.2020 – 8 U 201/20, Rn. 25-34, Bezug genommen. Demnach sprechen Experten von einem „Thermofenster“, wenn die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur gesteuert wird. Grund sind Kohlenwasserstoffe und Ruß im Abgas. Wenn die unverbrannten Rückstände in den kalten Rohrleitungen kondensieren, setzen sie die abgasführenden Bauteile zu. Unter Hinweis auf den gesetzlich zulässigen Bauteilschutz reduzieren die Hersteller die Abgasrückführung bei deutschen Durchschnittstemperaturen. Eine vom Bundesverkehrsminister eingesetzte „Untersuchungskommission“ hat dazu festgestellt: „Alle Hersteller nutzen Abschalteinrichtungen …“. Die Automobilindustrie und ihr folgend der Bundesverkehrsminister gehen davon aus, ein „Thermofenster“ sei zulässig (Führ, NVwZ 2017, 265). Bei dieser Sachlage ist in dem Inverkehrbringen von Fahrzeugen, die mit einem Thermofenster ausgerüstet sind, kein sittenwidriges Verhalten zu sehen. Denn selbst wenn man der Auffassung der Klagepartei folgen würde, dass das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen hätte. Thermofenster sind bei der Regelung der Abgasrückführung in Dieselmotoren weit verbreitet, von den Zulassungsbehörden anerkannt und selbst noch im Untersuchungsbericht als offenbar zulässig und sinnvoll angesehen worden.
Angesichts dieser Sachlage kann der Verwendung eines Thermofensters gerade nicht der Charakter eines täuschungsäquivalenten Verhaltens oder eines solchen Verhaltens beigelegt werden, welches den Sinn und Zweck des Zulassungsverfahrens umfassend umgeht und an dessen rechtlicher Unzulässigkeit einschließlich eines groben Verstoßes gegen den Geist der betreffenden Zulassungsvorschriften keinerlei vernünftiger Zweifel bestand und damit gleichzeitig eine gleichgültige Gesinnung gegenüber den Schutzzwecken der verletzten Normen offenbart (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 -, NJW 2020, S. 1962 ff., Rn. 23 ff). Hierfür fehlt es an einer irreführenden Einwirkung auf die Zulassungsbehörden beziehungsweise der Offensichtlichkeit des unterstellten Rechtsverstoßes. Eine lediglich falsche, aber vertretbare Gesetzesauslegung ist gerade nicht vergleichbar mit einer bewussten Täuschung (vgl. etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19 – juris Rn. 81 ff.; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18 -, juris Rn. 38 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019 – 3 U 416/19 -, juris Rn. 36 ff.). Hinzu kommt, dass nicht lediglich die rechtlichen, sondern insbesondere auch die technischen Grundlagen der Bewertung des Thermofensters in einem Ausmaß von den entsprechenden Experten kontrovers diskutiert werden, dass dies nicht ohne Auswirkungen auf die Bandbreite der vertretbaren rechtlichen Ergebnisse bleiben konnte.
Allein daraus, dass ein Verhalten möglicherweise objektiv rechtswidrig ist, lässt sich das Vorliegen der Sittenwidrigkeit jedoch nicht ableiten (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12 -, NJW 2014, S. 1380 ff., Rn. 8 m.w.N.). Dies gilt ebenso für die Verfolgung individuellen oder kollektiven Gewinnstrebens oder die Anwendung aggressiver rechtlicher Strategien, die ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht als sittenwidrig zu bewerten sind (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19 -, NJW 2020, S. 1962 ff., Rn. 22). Bei einem Thermofenster, das im Straßenverkehr unter den identischen Bedingungen arbeitet wie auf dem Prüfstand, ist die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Schadstoffwerte nicht in einer mit der ursprünglichen Umschaltlogik vergleichbaren Weise beeinträchtigt, da die Funktionsweise der Abgasreinigung gerade nicht allein von der Durchführung einer Testung abhängig gestaltet ist. Insoweit kann auch aus den Folgen des – unterstellt – rechtswidrigen Verhaltens keine besondere Verwerflichkeit abgeleitet werden.
3. Hinsichtlich der vom KBA beanstandeten … liegen aufgrund des Rückrufbescheids zwar konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Jedoch war das Verhalten der Beklagten insoweit nicht sittenwidrig.
Ausweislich der Ausführungen des KBA im Bescheid vom … sind die Schaltbedingungen, unter denen die … genutzt wird, so eng bedatet, dass die … „nahezu ausschließlich“ im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Das bedeutet aber auch, dass die … nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand.
Nach der Rechtsprechung des BGH wäre bei einer derartigen Sachlage der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber den Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem – hier unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 16 m.w.N.).
Der BGH stützt in seiner Entscheidung vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) zum EA 189 seine Verurteilung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf die strategische Konzernentscheidung, aktiv und präzise die Motorsteuerungssoftware im Hinblick auf ein gewolltes Ergebnis zu manipulieren und durch Täuschung des KBA die Typenzulassung zu erhalten. Ein entsprechender Sachvortrag, der derartige Feststellungen begründen könnte, liegt im vorliegenden Fall jedoch nicht vor. Im Gegensatz zum Motor EA 189, bei dem die Software erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Abgasprüfstand steht und ausschließlich dort die Abgasreinigung optimierte, vermochten die Kläger vorliegend keine Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass auch im vorliegenden Fall eine solche bewusste Verschleierung seitens der Beklagten vorgenommen wurde.
Jedenfalls konnten die Kläger nicht ausreichend substantiiert darlegen, dass die Beklagten vorsätzlich, d.h. in Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, handelten. Die Kläger hätten als darlegungspflichtige Partei konkret darlegen müssen, warum Organe der Beklagten die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung mindestens billigend in Kauf genommen haben sollen. Dafür hätten die Beklagten im Zeitpunkt ihres Handelns die relevanten Umstände zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen müssen (BGH, Urteil vom 20.12.2011 – VI ZR 309/10). Dass die relevanten Umstände erkennbar waren und die Beklagten sie hätten kennen können oder kennen müssen, reicht für die Feststellung des Vorsatzes nicht aus, sondern rechtfertigt nur den Vorwurf der Fahrlässigkeit (BGH, Urteil vom 06.11.2015 – 5 ZR 78/14).
Bei der Verwendung einer Umschaltlogik, bei der die Software erkennt, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im Normalbetrieb befindet und – wie beim EA189-Motor – in den entsprechenden Modus schaltet, ergibt sich die Sittenwidrigkeit bereits aus der Verwendung einer solchen Umschaltlogik. Eine solche Abschalteinrichtung ist erkennbar unzulässig, so dass am Vorsatz bezüglich der Sittenwidrigkeit nicht zu zweifeln ist. Bei einer anderen die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware kann beim Fehlen konkreter Anhaltspunkte aber nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Verantwortlichen in dem Bewusstsein agierten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
Allein aus der Unzulässigkeit lässt sich nicht zwangsläufig der Schluss einer Täuschung des KBA und der Erwerber ziehen und eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung bejahen. Vielmehr muss eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Solange dies aber der Fall ist, fehlt es am Vorsatz und an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit.
Der Vortrag der Klagepartei erschöpft sich diesbezüglich im Wesentlichen darin, dass „der Vorstand“ bzw. „Teile des Vorstands“ der beiden Beklagtenparteien jeweils Kenntnis davon gehabt haben bzw. gehabt haben müssen, dass eine Abschalteinrichtung in Form der sog. … im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut war. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde, werden jedoch nicht vorgetragen. Auch liegt dies – wie bereits ausgeführt – bei einer Abschalteinrichtung, die im Grundsatz im Prüfstandsbetrieb auf die gleiche Weise funktioniert wie unter realen Fahrbedingungen, auch nicht ohne Weiteres auf der Hand.
Somit kommt es auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Beklagte zu 2 überhaupt Kenntnis vom Einsatz der … im streitgegenständlichen Motor hatte, letztlich nicht an.
II. Die Kläger haben auch keinen Anspruch gegen die Beklagten gem. §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB.
1. Die Rechtsfigur der Sachwalterhaftung basiert darauf, dass nach deutschem Recht unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch ein Dritter, der nicht Vertragspartei werden soll, aber an den Vertragsverhandlungen als Vertreter, Vermittler oder Sachwalter einer Partei beteiligt ist, wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen haften soll (BGH, Urteil vom 12.11.2003, VIII ZR 268/02). Voraussetzung einer derartigen Sachwalterhaftung ist sowohl ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Dritten am Zustandekommen des Vertrages als auch die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens. Sachwalter ist, wer, ohne Vertragspartner oder dessen Vertreter zu sein, auf der Seite eines Vertragspartners an dem Zustandekommen des Vertrages beteiligt ist und dabei über das bei der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen immer vorauszusetzende normale Verhandlungsvertrauen hinaus in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch nimmt und auf diese Weise dem anderen Vertragspartner eine zusätzliche, gerade von ihm persönlich ausgehende Gewähr für Bestand und Erfüllung des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts bietet (BGH, Urteil vom 29.01.1997, VIII ZR 356/95).
Vorliegend fehlt es bereits an dem erforderlichen unmittelbaren Interesse der Beklagten an dem zwischen den Klägern und dem Verkäufer geschlossenen Kaufvertrag. Das allgemeine Absatzinteresse eines Herstellers ist in diesem Zusammenhang nicht ausreichend (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019 – 7 U 134/17). Auch fehlt es vorliegend an einer irgendwie gearteten Beteiligung der Beklagten im Vorfeld des Vertragsschlusses.
2. Auch kann die Klagepartei ihren Anspruch nicht auf die Grundsätze der sog. Prospekthaftung stützen.
Das OLG München führte hierzu in seinem Urteil vom 05.09.2019 (Az. 14 U 416/19) folgendes aus:
Die von der Rechtsprechung für den gesetzlich nicht regulierten und organisierten sog. Grauen Kapitalmarkt entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung gehen davon aus, dass der Emissionsprospekt in der Regel die einzige Informationsquelle des Anlegers ist. Nur unter der Voraussetzung, dass die durch den Prospekt vermittelte Information vollständig und richtig ist, kann der Kunde die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilen und sein Anlagerisiko, das ihm ohnehin verbleibt, richtig einschätzen (BGHZ 111, 314, 317 f. = NJW 1990, 2461, 2461; LG Braunschweig, BeckRS 2017, 135000, Rdnr. 18).
Die Prospekthaftung i.e.S. ist daher auf bestimmte Kapitalanlagen beschränkt (vgl. i.e. BeckOGK/Herresthal, § 311 BGB, Rdnr. 581). Eine Übertragung auf sonstige Kaufgegenstände, z.B. Kraftfahrzeuge, scheidet aus, da bei diesen die prägende und rechtfertigende Besonderheit einer Kapitalanlage fehlt. Denn bei dieser ist der Emissionsprospekt i.d.R. die einzige Informationsquelle des Anlegers, so dass der Anleger nur bei zutreffenden Informationen im Prospekt die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilen und sein Anlagerisiko richtig einschätzen kann (BeckOGK/Herresthal, a.a.O., Rdnr. 582).
Anders als bei Kapitalanlagen stehen für die Entscheidung über den Erwerb eines bestimmten Fahrzeugs eine Vielzahl verschiedener Informationsquellen zur Verfügung. Der Kaufinteressent kann sich etwa in diversen Autotest- und Fachzeitschriften sowie im Internet über das jeweilige Fahrzeug informieren und ein ihn interessierendes Fahrzeug im Autohaus anschauen und sogar probefahren, weshalb die Grundsätze der Prospekthaftung für Ansprüche des Käufers im Zusammenhang mit einem Autokauf von vornherein nicht übertragbar sind, zumal der Schutz des Vertrauens in Prospektangaben im Kaufrecht durch § 434 Abs. 1 Satz 3 BGB sichergestellt wird (LG Braunschweig, a.a.O.).
Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht uneingeschränkt an.
III. Die Kläger haben auch keinen Anspruch aus 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG.
Eine deliktische Haftung auf Schadensersatz wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes kommt nur in Betracht, wenn der konkrete Schaden in sachlicher und der Anspruchssteller in persönlicher Hinsicht vom Schutzzweck der verletzten Norm umfasst sind (vgl. BGH, Urteil vom 23.7.2019 – VI ZR 307/18 -, NJW 2019, S. 3003 ff., Rn. 14; BGH, Urteil vom 27.2.2020 – VII ZR 151/18 -, NJW 2020, S. 1514 ff. Rn. 34; jeweils m.w.N.). Dies ist vorliegend für den mit der Klage geltend gemachten Schaden, unabhängig davon, ob und inwieweit tatsächlich Verstöße gegen die vorgenannten Normen vorliegen, nicht der Fall.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (EuGH-Vorlage vom 09.04.2015 – VII ZR 36/15) ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier die EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an. Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt die Richtlinie 2007/46/EG die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen (vgl. EuGH, Urteil vom 15.06.2017, Az. C-513-15). An keiner Stelle lässt sich hingegen ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 22.08.2018, Az. 15 U 76/18), OLG München, Beschluss vom 02.07.2018, Az. 8 U 1710/17). Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (S. 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – Az. VI ZR 252/19; LG Braunschweig, Urteil vom 17. Januar 2018 – 3 O 1138/16).
IV. Die Kläger haben auch keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gegen die Beklagten.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB setzt haftungsbegründend voraus, dass sämtliche objektiven und subjektiven Merkmale des Betrugstatbestands im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB (als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB) erfüllt sind.
Vorliegend scheitert ein Anspruch jedenfalls an dem erforderlichen Täuschungsvorsatz der Beklagten, den die Klagepartei nicht darlegen und beweisen konnte (vgl. obige Ausführungen).
V. Die Nebenanträge teilen das Schicksal des Hauptantrags: Weder befinden sich die Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug, noch haben die Kläger einen Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten oder Verzugszinsen.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
Der festgesetzte Streitwert entspricht dem mit der ursprünglichen Klage geltend gemachten klägerischen Begehren.


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