Europarecht

Schließung eines Gebrauchtwagenhandels aufgrund der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  20 CS 21.109

Datum:
4.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1682
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 123, § 146
IfSG § 28 Abs. 1 S. 1, § 28a Abs. 1 Nr. 14, Abs. 6 S. 3
BayVwVfG Art. 35 S. 1
11. BaylfSMV § 12 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Herausnahme des Großhandels aus dem Kreis der geschlossenen „Ladengeschäfte mit Kundenverkehr“ stellt eine nach § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG zulässige Differenzierung in einem Gesamtkonzept von Schutzmaßnahmen dar. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als Ausnahmetatbestand ist § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV grundsätzlich eng auszulegen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Filialbetrieb zum Zweck des Ankaufs von Privatfahrzeugen für den Weiterverkauf an gewerbliche Kunden fällt bei summarischer Prüfung nicht unter den Begriff des „Großhandels“. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 9 S 20.2794 2021-01-08 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine aus ihrer Sicht von der Antragsgegnerin angeordneten Schließung des Betriebs ihrer Filiale zur Abwicklung des Handels mit Gebrauchtwagen, hilfsweise die vorläufige Feststellung, dass ihr Geschäftsbetrieb in der Filiale nicht untersagt ist.
1. Die Antragstellerin betreibt ein online-basiertes Geschäftsmodell zum An- und Verkauf gebrauchter Fahrzeuge mit u.a. einer Filiale im Stadtgebiet der Antragstellerin. Das Geschäftsmodell besteht im Wesentlichen aus den folgenden Komponenten:
a) Der Ankauf erfolgt über die Plattform „www.wirkaufendeinauto.de“ (WKDA). Kunden geben auf der Seite Daten und Beschreibungen zum eigenen Fahrzeug an und laden Fotos hoch. Anschließend nennt die Antragstellerin dem Kunden einen Kaufpreis. Bei Interesse wird ein Termin in einer der Filialen der Antragstellerin vereinbart. Bei diesem Termin wird das Fahrzeug mit den Angaben, die vom Kunden online gemacht wurden, abgeglichen und bei Übereinstimmung ein Kaufvertrag geschlossen, ggf. nach Abgabe eines Alternativangebots. Kommt ein Kaufvertrag zustande, kann der Kunde sein Fahrzeug direkt in der Filiale abgeben.
Die angekauften Fahrzeuge werden über die Plattform „www.auto1.com“ (AUTO1) an gewerbliche Händler verkauft. Die Übergabe erfolgt nicht in den Filialen der Antragstellerin; auch im Übrigen werden die Geschäftsaktivitäten von AUTO1 außerhalb der Filialen der Antragstellerin abgewickelt. Die Gewinne werden von der AUTO1 Group AG (AUTO1 Konzern) generiert, zu deren Konzern auch die Antragstellerin gehört.
b) Daneben betreut die Antragstellerin Fahrzeugübergaben für die Autohero GmbH (Autohero). Autohero vertreibt Gebrauchtwagen an Letztverbraucher über die Online-Plattform „autohero.com“. Die Kaufverträge kommen ausschließlich online zustande. Die Fahrzeugübergabe erfolgt entweder mit direkter Lieferung an den Kunden oder mit Abholung durch den Käufer in einer Filiale der Antragstellerin.
2. Am 16. Dezember 2020 wurde die für den Kundenverkehr geöffnete Filiale der Antragstellerin im Stadtgebiet der Antragsgegnerin polizeilich kontrolliert. Mit Schreiben vom gleichen Tag übersandte ihr die Antragsgegnerin Kopien der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) sowie eine „Positiv-Liste“ des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP). Es sei nicht möglich, ein Auto im Internet zu bestellen und dann vor Ort abzuholen (Ausnahme seien bereits verkaufte Fahrzeuge). Zulässig sei dagegen ein (reiner) Online-Handel. Die Antragstellerin wurde gebeten, dies umgehend umzusetzen und den Autohandel einzustellen.
3. Das Verwaltungsgericht Augsburg hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen das Schreiben vom 16. Dezember 2020 erhobenen Anfechtungsklage der Antragstellerin mit Beschluss vom 8. Januar 2021 abgelehnt. Der Antrag sei nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unzulässig, weil das o.g. Schreiben keinen Verwaltungsakt darstelle, sondern lediglich auf geltende Bestimmungen der BayIfSMV hinweise, ohne die Schließung ihres Geschäftsbetriebs verbindlich anzuordnen. Auch ein Antrag auf vorläufige Feststellung, dass ihr Geschäftsbetrieb nicht infektionsschutzrechtlich untersagt sei, hätte keinen Erfolg. Der Geschäftsbetrieb sei als Ladengeschäft mit Kundenverkehr gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV geschlossen. Es handle sich nicht um Lieferdienste oder Online-Handel mit Liefer- oder Abholdienst, weil der Vertragsschluss in ihren Filialräumen erfolge. Der Betrieb sei auch kein Großhandel; aus infektionsschutzrechtlicher Sicht sei zwischen dem Ankauf und dem Weiterverkauf an gewerbliche Kunden zu unterscheiden. Da die Fahrzeuge von privaten Verkäufern angekauft würden, sei dieses Geschäftsmodell nicht dem Großhandel nach § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV zuzuordnen. Auch eine Folgenabwägung gehe wegen des drastischen Infektionsgeschehens zulasten der Antragstellerin aus.
4. Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtschutzbegehren weiter. Ihr Antrag sei nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig, weil das Schreiben vom 16. Dezember 2020 nach Inhalt und äußerer Form bei objektiver Auslegung als verordnungskonkretisierender Verwaltungsakt (Schließungsanordnung) anzusehen sei. Die Antragsgegnerin habe damit die generell-abstrakte Schließungspflicht des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV auf den Einzelfall ihres Betriebs konkretisiert. Die höfliche Formulierung lasse den Anordnungscharakter nicht entfallen („umgehend umzusetzen“). Die Schließungsanordnung sei materiell rechtswidrig. Selbst wenn man das Schreiben vom 16. Dezember 2020 nicht als Verwaltungsakt qualifiziere, hätte ihr Feststellungsbegehren nach § 43 Abs. 1, § 123 VwGO Erfolg. Ihr online-basiertes Geschäftsmodell, dessen Einzelkomponenten als Einheit zu betrachten seien, ziele auf den (Weiter-)Verkauf von Gebrauchtwagen an gewerbliche Händler und falle damit vollumfänglich unter den Begriff des „Großhandels“. Dass sie die an gewerbliche Kunden verkauften Gebrauchtwagen von Privatkunden beziehe, sei rechtlich unerheblich. Belange des Infektionsschutzes stünden dem nicht entgegen. Private Nutzer verkauften ihr Fahrzeug allenfalls einmal in einem mehrjährigen Zeitraum. Bei der Abwicklung in der Filiale unter strikter Befolgung ihres Hygienekonzepts käme es zu keinem längeren Kontakt. Beim Fahrzeugverkauf an private Kunden über die Plattform „Autohero“ werde der Kaufvertrag online geschlossen; die Abholung erfolge mit strikten Hygieneauflagen. Eine Untersagung ihres Filialbetriebs sei auch mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Selbst eine Interessenabwägung gehe zu ihren Gunsten aus, weil dem Betrieb nur eine sehr geringfügige Bedeutung für das Infektionsgeschehen zukomme. Demgegenüber werde sie in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) hart getroffen.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 8. Januar 2021 (Az. Au 9 S 20.2794) die aufschiebende Wirkung ihrer am 21. Dezember 2020 erhobenen Anfechtungsklage (Az. Au 9 S 20.2793) gegen die am 16. Dezember 2020 erteilte Anordnung der Schließung des Geschäftsbetriebs ihrer Filiale WDKA Automobile DE GmbH & Co. KG, Friedrich-Ebert- Straße 5, 8… K. (Allgäu) durch die Antragsgegnerin (Az. 301-KI/) anzuordnen,
hilfsweise vorläufig festzustellen, dass der Geschäftsbetrieb der Antragstellerin in der Filiale wirkaufendeinauto.de, Friedrich-Ebert- Straße 5, 8… K. (Allgäu) nicht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV in der seit 15. Januar 2021 geltenden Fassung hinsichtlich des Ankaufes von Fahrzeugen von Privaten durch WKDA sowie Anbieten von Abholung von Fahrzeugen, welche zuvor über Autohero erworben wurden, untersagt ist.
5. Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.
6. Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich als Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt. Selbst wenn man das Schreiben vom 16. Dezember 2020 als Verwaltungsakt qualifiziere, sei der Antrag insoweit unzulässig, als die Geschäftsmodelle in der geschilderten Art (AUTO1: Verkauf ausschließlich an gewerbliche Kunden; Autohero: online-Vertragsschluss mit bloßer Abholung) ohne Weiteres zulässig seien. Nicht erkennbar sei, dass die Antragsgegnerin dies untersagt hätte. Das Geschäftsmodell WKDA sei nicht als „Großhandel“ zu verstehen. Unklar sei schon, ob die über WKDA erworbenen Fahrzeuge nicht auch an Letztverbraucher (z.B. über Autohero) verkauft würden. Im Hinblick auf die Objektbezogenheit des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV sei nicht entscheidend, welches Geschäft einzelne Konzernbereiche betreiben, sondern, was in dem Ladengeschäft stattfinde. Da hier ein Vertrag mit einem Verbraucher und nicht mit einem Gewerbetreibenden abgeschlossen werde, liege kein Großhandel vor. Das Geschäftsmodell WKDA falle auch nicht unter § 12 Abs. 1 Satz 6 11. BayIfSMV (click & collect“), weil es nicht um die Abholung, sondern die Abgabe von Sachen gehe.
7. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung.
A.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Recht abgelehnt. Das Schreiben der Antragsgegnerin ist entgegen der Auffassung der Beschwerde mangels Regelungswirkung nicht als Verwaltungsakt (Betriebsschließung) nach Art. 35 Satz 1 BayVwVfG zu qualifizieren.
1. Ob eine behördliche Erklärung als Willenserklärung anzusehen ist und sie – wenn das der Fall ist – eine Regelung i.S.d. Art. 35 BayVwVfG enthält und welchen Inhalt diese hat, bestimmt sich nach den gemäß §§ 133, 157 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Rechtsvorschriften (BVerwG, B.v. 24.7.2018 – 6 B 75.17 – juris Rn. 8). Maßgebend ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte (BVerwG, B.v. 19.9.2013 – 9 B 20.13 u.a. – juris Rn. 11). Auch die Begleitumstände, unter denen die Willenserklärung abgegeben wurde, sind bei der Auslegung zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 31.5.2012 – 3 C 12.11 – NVwZ-RR 2012, 628 – juris Rn. 16).
2. Ausgehend davon ist das Schreiben der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 2020 nicht als Verwaltungsakt (Betriebsschließung) zu verstehen. Sein wesentlicher Inhalt erschöpft sich bei objektiver Betrachtung in der Mitteilung der aktuellen Rechtslage (unter Übersendung der an diesem Tag in Kraft getretenen 11. BayIfSMV i.d.F.v. 15.12.2020 und einer diesbezüglichen „Positivliste“ des StMGP), verbunden mit der „Bitte“, dies „umgehend umzusetzen und den Autohandel einzustellen“. Dass es den Verwaltungsbehörden nicht verwehrt ist, gesetzliche Verbote durch feststellenden Verwaltungsakt gegenüber den Normadressaten zu konkretisieren (BVerwG, U.v. 23.2.2011 – 8 C 50.09 – BayVBl 2012, 281 – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 28.7.2015 – 11 B 15.76 – DAR 2016, 104 – juris Rn. 39; vgl. auch Windoffer in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 35 Rn. 61), worauf sich die Antragstellerin beruft, bedeutet nicht, dass die Antragsgegnerin dies vorliegend aus objektiver Empfängersicht getan hat. Die Auffassung der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe mit dem Schreiben die generell-abstrakte Schließungspflicht des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV auf den Einzelfall ihres Betriebs verbindlich konkretisiert, teilt der Senat nicht. Das Schreiben verweist im Wesentlichen auf das Verbot des „Autohandels“, ohne sich mit den Einzelheiten des komplexen Geschäftsmodells in dem Konzern, dem die Antragstellerin angehört, auseinanderzusetzen. Noch viel weniger wurde das Schreiben mit dem Ziel erlassen, die unmittelbar geltende Betriebsuntersagung nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV für den Fall der Übertretung mit Zwangsmitteln vollziehbar zu machen (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2015 – 11 B 15.76 – DAR 2016, 104 – juris Rn. 39; B.v. 18.12.1998 – 7 ZS 98.1660 u.a. – DVBl 1999, 624 – juris Rn. 46).
B.
Der auf vorläufige Feststellung gerichtete Hilfsantrag, dass der Geschäftsbetrieb in der Filiale der Antragstellerin im Stadtgebiet der Antragsgegnerin nicht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV untersagt ist, soweit dort Fahrzeuge angekauft (WKDA) und zur Abholung angeboten werden (Autohero), bleibt ebenfalls erfolglos.
1. Soweit die Antragstellerin die vorläufige Feststellung begehrt, dass ihr das Anbieten von Fahrzeugen zur Abholung von Fahrzeugen, welche zuvor über Autohero erworben wurden, nicht nach § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV untersagt ist, fehlt ihr das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 43 Abs. 1 VwGO). Dass dies inzwischen nach § 12 Abs. 1 Satz 6 11. BayIfSMV in der Fassung vom 28. Januar 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 75) – anders als zum Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle am 16. Dezember 2020 (vgl. § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV i.d.F.v. 15.12.2020, BayMBl. 2020 Nr. 737) – erlaubt ist, bestreitet weder die Antragsgegnerin (vgl. Schriftsatz vom 29.1.2021 S. 3, Nr. 3b – die gegenteilige Aussage im zweiten Satz bezieht sich nur auf den Ankauf durch WKDA) noch der Vertreter des öffentlichen Interesses (vgl. Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 2.2.2021 S. 1 f.). Die frühere anderslautende Aussage der Antragsgegnerin in deren Schreiben vom 16. und 23. Dezember 2020 (Abholung nur möglich bei zum 16.12.2020 bereits verkauften Fahrzeugen) ist inzwischen überholt.
2. Im Übrigen ist der Hilfsantrag zulässig. Zwar scheidet eine Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren regelmäßig aus, weil diese nach der Intention des Gesetzgebers (vgl. § 146 Abs. 4 S. 3 und S. 6 VwGO) nur der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung dient (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 20 CE 20.960 – juris Rn. 12; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 91 Rn. 92). Vorliegend führt die Antragserweiterung aber zu keiner wesentlichen Änderung der zu prüfenden Gesichtspunkte. Sie ist auch sachdienlich, da sie dazu beiträgt, den zwischen den Beteiligten bestehenden Streit zur Anwendung des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV – wenn auch nur im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes – einer Klärung zuzuführen. Die dabei auftretenden Rechtsfragen sind identisch mit denjenigen, die sich im Fall einer angeordneten Betriebsschließung stellen würden (vgl. BayVGH, B.v. 21.7.2016 – 15 CE 16.1279 – juris Rn. 35; B.v. 3.3.2016 – 11 CE 16.219 – juris Rn. 17). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht das im Hilfsantrag nun explizit zur Entscheidung gestellte vorläufige Feststellungsbegehren – unter Auslegung des Rechtschutzziels trotz anwaltlicher Vertretung (§ 88 VwGO) – inhaltlich verbeschieden (vgl. UA Rn. 21 ff.).
3. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Öffnung der Filiale der Antragstellerin im Stadtgebiet der Antragsgegnerin zum Ankauf von Gebrauchtfahrzeugen von Privatpersonen unter Nutzung der Online-Plattform WKDA sei durch § 12 Abs. 1 Satz 1 11. BayIfSMV untersagt, erweist sich bei summarischer Prüfung als zutreffend.
Die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr ist hiernach untersagt. Die Auffassung der Antragstellerin, der Ankauf in ihren Filialen sei als „Großhandel“ unter Hygieneauflagen erlaubt (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 und 4 11. BayIfSMV), geht fehl.
a) Maßgebend für die Auslegung einer Norm ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfG, U.v. 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01 u.a. – BVerfGE 110, 226 – juris Rn. 91; BVerwG, U.v. 25.1.2017 – 9 C 30.15 – BVerwGE 157, 203 – juris Rn. 14). Für die Erfassung dieses objektiven Willens sind alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, d.h. die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung. Diese Methoden ergänzen sich gegenseitig, wobei keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen hat (vgl. BVerfG, B.v. 31.03.2016 – 2 BvR 1576/13 – NVwZ-RR 2016, 521 – juris Rn. 63 m.w.N.). Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Dieser ergibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Normgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfG, B.v. 26.8.2014 – 2 BvR 2172/13 – EuGRZ 2014, 646 – juris Rn. 16).
b) Der Begriff „Großhandel“ ist weder in § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG noch in § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV legaldefiniert. Weder in den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drs. 19/23944 S. 33) des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BGBl. 2020, 2397) noch in der Begründung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung in der Fassung vom 15. Dezember 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 738, S. 4) lassen sich unmittelbare Erkenntnisse zur Auslegung des Begriffs gewinnen. Dasselbe gilt für den Beschluss der Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 13. Dezember 2020 (abrufbar unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1827366/69441fb68435a7199b3d3a89bff2c0e6/2020-12-13-beschluss-mpk-data.pdf), den der Verordnungsgeber mit dem Maßnahmenpaket der 11. BayIfSMV umgesetzt hat (vgl. Begründung, BayMBl. 2020 Nr. 738, S. 1).
c) Die Herausnahme des Großhandels aus dem Kreis der geschlossenen „Ladengeschäfte mit Kundenverkehr“ stellt eine nach § 28a Abs. 6 Satz 3 IfSG zulässige Differenzierung in einem Gesamtkonzept von Schutzmaßnahmen dar. Hiernach können einzelne soziale, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Bereiche, die für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind, von den Schutzmaßnahmen ausgenommen werden, soweit ihre Einbeziehung zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) nicht zwingend erforderlich ist. Wichtige Gründe des Gemeinwohls können solche Ausnahmen rechtfertigen; insbesondere können die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten berücksichtigt werden (vgl. BT-Drs. 19/24334 S. 74).
Der Verordnungsgeber hat von dieser Differenzierungsmöglichkeit Gebrauch gemacht, indem er die für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte und den Großhandel offengehalten hat (vgl. Begründung, BayMBl. 2020 Nr. 738 S. 4). Der Großhandel gewährleistet insbesondere, dass der Einzelhandel – soweit er für die tägliche Versorgung mit unverzichtbaren Gütern geöffnet bleibt – die zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung der Bevölkerung nötigen Waren weiter beziehen kann.
d) Als Ausnahmetatbestand ist § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV grundsätzlich eng auszulegen (vgl. BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 20 CE 20.725 – juris Rn. 7 f.; vgl. auch BVerwG, U.v. 10.12.2014 – 1 C 15.14 – NVwZ-RR 2015, 313 – juris Rn. 20). Dafür streiten auch der Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV. Mit dem Erlass der 11. BayIfSMV und der Regelung in § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV verfolgt der Verordnungsgeber aufgrund des erheblichen Infektionsgeschehens eine weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens. Dazu gehört neben den strikten Kontaktbeschränkungen (§ 4 11. BayIfSMV) u.a. auch die weitgehende Schließung von „Ladengeschäften mit Kundenverkehr“, um die Kontakte in der Bevölkerung stärker zu reduzieren.
e) Unter Anwendung der angeführten Maßstäbe fällt der Filialbetrieb der Antragstellerin zum Zweck des Ankaufs von Privatfahrzeugen für den Weiterverkauf an gewerbliche Kunden bei summarischer Prüfung nicht unter den Begriff des „Großhandels“.
Zwar ist der Weiterverkauf der erworbenen Gebrauchtwagen an gewerbliche Händler unstreitig dem Großhandel zuzuordnen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Fahrzeugankauf von Privatkunden in Filialen ebenfalls unter den Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 11. BayIfSMV fallen müsste. Soweit die Antragstellerin geltend macht, bei An- und Verkauf handle es sich um einen einheitlichen Geschäftsvorgang innerhalb ihres (verzweigten) Geschäftsmodells, der insgesamt dem Großhandel zuzuordnen sei, kann sie nicht durchdringen. § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV entscheidet nicht über die infektionsschutzrechtliche (Un-)Zulässigkeit von (ggf. komplexen) Geschäftsmodellen, sondern regelt – einrichtungsbezogen – die Schließung oder Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr. Die Abwicklung von (ggf. auch nur abschließenden) Vertragsverhandlungen mit privaten Verkäufern in eigenen Geschäftsräumen kann deshalb nicht als privilegierter „Großhandel“ im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 2 1. BayIfSMV verstanden werden, auch wenn die angekauften Fahrzeuge anschließend ausschließlich an gewerbliche Händler weiterveräußert werden sollen. Die Bezugnahme der Beschwerde auf die rein absatzorientierten Definitionen des Großhandels (Statistisches Bundesamt, Jahrbuch 2019 und „Gabler Wirtschaftslexikon“, vgl. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/grosshandel-35927), die sie für ihr komplettes Geschäftsmodell des An- und Verkaufs von Gebrauchtwagen in Anspruch nehmen will, bleibt deshalb im Rahmen der infektionsschutzrechtlichen Betrachtung ohne Erfolg.
Diese Interpretation entspricht offenbar auch derjenigen des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, das den Begriff mit „Großhandel inklusive Lebensmittelgroßhandel für Gewerbetreibende mit Gewerbeschein“ umschreibt (vgl. FAQ Corona-Krise und Wirtschaft, Stand: 26.1.2021, abrufbar unter https://www.stmgp.bayern.de/wp-content/uploads/2021/01/2021_01_26-positivliste_final.pdf). Eine solches Begriffsverständnis wird auch der Regelungskonzeption des § 12 Abs. 1 11. BayIfSMV am ehesten gerecht. Mit der Vorschrift sollen infektionsgefährdende Kontakte im Bereich des Handels – jenseits der privilegierten täglichen Versorgung der Bevölkerung mit unverzichtbaren Gütern – nur zwischen gewerblich tätigen Personen zugelassen werden. Die Öffnung von Geschäftsräumen für Vertragsverhandlungen mit Privatpersonen, die über die Online-Plattform vorbereitet sein mögen, fällt nicht hierunter. Dass es bei der Vergabe von Einzelterminen nicht zu besonders infektionsgefährdenden Wechselkontakten zwischen Kunden untereinander kommen kann und dass Privatpersonen in der Regel nur einmal in mehreren Jahren ihr Fahrzeug verkaufen, ändert daran nichts.
f) Auch aus der vorgelegten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. Januar 2021 (Az. 1 S 139/21) kann die Antragstellerin keine Zulassung ihres streitgegenständlichen Filialbetriebs zum Ankauf privater Gebrauchtwagen herleiten. Ihr Vorbringen zu Art. 3 Abs. 1 GG ist unbehelflich, weil es sich bei dem hier in Rede stehenden Ankauf von Fahrzeugen in der Filiale (Vertragsschluss) nicht um ein „Abholangebot“ handelt (vgl. zum Angebot Autohero aber oben Rn. 23).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GKG und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Da das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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