Europarecht

Sittenverstoß beim Dieselabgasskandal

Aktenzeichen  44 O 1241/18

Datum:
7.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56585
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO 715/2007 Art. 3 Nr. 10
BGB § 826, § 831 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

In der Konstruktion einer Motorsteuersoftware, die dazu führt, dass das Fahrzeug in einer Prüfungssituation eine Menge an NOx produziert, die geeignet ist, die gesetzlichen Vorgaben zur Einordnung in eine bestimmte Abgasnorm einzuhalten, während der Ausstoß an NOx unter alltäglichen Fahrbedingungen auf der Straße um ein Vielfaches höher liegt, ist ein solches, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zu erblicken. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Mercedes-Benz GLC 220d 4 Matic mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … im Wege des Schadensersatzes an die Klagepartei 47.880,01 € unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.832,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2018 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 12.01.2018 mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die DE. R.-AG zur Schadennummer: … vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.706,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.08.2018 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren Schäden zu ersetzen, die dieser aus der Manipulation des Motors oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen des im Antrag zu 1 genannten Fahrzeuges erleidet.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 3 % und die Beklagte 97 % zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klagepartei jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klagepartei kann die Vollstreckung des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagtenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
7. Der Streitwert wird auf 52.784,25 € festgesetzt.

Gründe

A. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I. Der mit dem Klageantrag zu Ziff. 1 als Hauptforderung geltend gemachte Anspruch besteht im tenorierten Umfang aus § 826 BGB.
Nach § 826 BGB ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt.
1. Die Beklagte hat dem Kläger gemäß § 826 BGB in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt, indem der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeuges so konstruiert wurde, dass er nur in der Prüfungssituation NOx-Mengen ausstieß, die den Grenzwerten der Euro-6-Abgasnorm genügten und ansonsten der NOx-Ausstoß um ein Vielfaches höher lag.
a) Das Gericht konnte diesen Vortrag der Klägerseite als unstreitig zugrunde legen.
aa) Die Beklagte hat bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens diese Behauptung überhaupt nicht bestritten. Wenn die Beklagte vorträgt, es werde keine „Programmierung, insbesondere keine „Manipulationssoftware“ verwendet, die – manipulativ – so gestaltet worden wäre, dass auf der Straße unter „normalen Betriebsbedingungen“ […] ein anderes Emisionsverhalten des Emissionskontrollsystems erzielt wird, als auf dem Prüfstand (also im Prüflabor)“, deutet das zunächst darauf hin, dass die Beklagte den klägerischen Vortrag in Abrede stellen will. Tatsächlich geschieht dies aber nicht. Denn die Beklagte stellt nicht auf die tatsächliche Emission, sondern das Emissionsverhalten ab. Zur Erläuterung erklärt sie, dass sich eine Veränderung der Bedingungen, die im gesetzlichen Prüfzyklus NEFZ standardisiert werden, auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs auswirkt. Für die Unterschiede zwischen Emissionswerten im Prüfstand und im Straßenbetrieb gebe es somit auch eine Vielzahl möglicher Gründe. Daher sei für den hiesigen Rechtsstreit ohne Relevanz, welches Emissionsverhalten das Fahrzeug außerhalb der maßgeblichen gesetzlichen Prüfbedingungen habe. Damit wird deutlich, dass die Beklagte nur darstellt, dass unter gleichen Voraussetzungen die gleichen Ergebnisse erzielt werden. Das bedeutet, dass die gleichen Ergebnisse dann erzielt würden, wenn beim alltäglichen Gebrauch auf der Straße dieselben Voraussetzungen geschaffen würden, wie sie auf dem Prüfstand herrschen. Der klägerische Vortrag geht aber dahin, dass unter alltäglichen Bedingungen auf der Straße ein erhöhter NOxAusstoß zu verzeichnen sei.
bb) Auch hat die Beklage nicht ausreichend bestritten, dass das klägerische Fahrzeug einen solchen höheren Ausstoß an NOx aufweist. Die Beklagte trägt vor, dass das Fahrzeug den geltenden Grenzwerten der Euro-6-Norm entsprechen würde. Aus dem gesamten Vortrag der Beklagtenseite ist zu erkennen, dass die Beklagte sich hier lediglich auf die Werte bezieht, die unter Prüfstandbedingungen gemessen werden. Ihrem Vortrag kann nicht entnommen werden, dass sie tatsächlich behauptet, dass unter den Bedingungen im alltäglichen Gebrauch auf der Straße die Werte eingehalten würden, die nach den gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden müssen.
cc) Die Beklagte hat damit die klägerische Behauptung nicht ausdrücklich bestritten (§ 138 Abs. 3 Alt. 1 ZPO). Aus ihrem übrigen Vortrag geht auch nicht die Absicht hervor, die klägerische Behauptung zu bestreiten (§ 138 Abs. 3 Alt. 2 ZPO). Da die Beklagte die Behauptungen des Klägers nicht ausreichend bestritten hat, ist in der Folge der klägerische Vortrag als unstreitig zu behandeln (vgl. BGH, NJW 2017, 2819, 2820 Tz. 22).
b) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine ihm obliegende Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht oder einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Auch hier müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, NJW 2017, 250 Tz. 16 m.w.N.).
c) Das Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten, die an der Entwicklung der Motorsteuerungssoftware beteiligt waren, rechtfertigt ein solches Unwerturteil.
aa) Die Motorsteuerungssoftware haben Mitarbeiter der Beklagten entweder selbst programmiert oder deren Programmierung veranlasst. Es entspricht dabei der Konzeption des § 831 BGB und den allgemeinen Vorgaben des Beibringungsgrundsatzes, dass die Beklagten eine sekundäre Darlegungslast trifft, aufzuschlüsseln, inwiefern Maßnahmen ergriffen wurden, die Tatsachen begründen, die einen möglichen Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zeitigen (BGH, NJW 1973, 1602, 1603; Beck, AG 2017, 726, 737).
bb) Das Gericht setzt sich damit nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH zur Verantwortlichkeit einer juristischen Person aus § 826 BGB für das Handeln ihrer gesetzlichen Vertreter (BGH, NJW 2017, 250). Der BGH entschied, dass sich der Sittenwidrigkeitsvorwurf nicht dadurch begründen lässt, dass für die Kenntnis von bestimmten verwerflichen Umständen auf das Wissen bei namentlich nicht bekannten Mitarbeitern der beklagten juristichen Person abstellt und dieses zusammen mit dem Wissen des damaligen Vorstandes dieser juristischen Person zugerechnet wird. Denn über eine Wissenszusammenrechnung führt kein Weg zu dem zwar für das Merkmal der Arglist entbehrlichen, für das Merkmal der Sittenwidrigkeit i.S.d. § 826 BGB aber erforderlichen moralischen Unwerturteil. Insbesondere lässt sich eine die Verwerflichkeit begründende bewusste Täuschung nicht dadurch konstruieren, dass die im Hause der Beklagten vorhandenen kognitiven Elemente „mosaikartig“ zusammengesetzt werden. Eine solche Konstruktion würde dem personalen Charakter der Schadensersatzpflicht gem. § 826 BGB, die sich hierdurch von der vertraglichen oder vertragsähnlichen Haftung deutlich unterscheidet, nicht gerecht (BGH, NJW 2017, 250, 252 f. Tz. 23). Der BGH entschied in diesem Fall eine Konstellation, in der einzelne Elemente, die insgesamt betrachtet, einen Sittenwidrigkeitsvorwurf rechtfertigen könnten, nicht vereint in einer Person zusammenkamen. Vielmehr waren einzelne Elemente bei Mitarbeitern der Beklagten vorhanden und wären dieser als eigene Kenntnis möglicherweise zuzurechnen, während andere Elemente bei den organschaftlichen Vertretern der juristischen Person vorhanden waren. Letztere waren der dortigen Beklagten ebenfalls zuzurechnen. In einer solchen Konstellation erscheint es mit dem BGH ganz richtig anzunehmen, dass nicht die einzelnen Elemente, zwischen denen ein Bindeglied fehlt, „zusammengerechnet“ werden können. Wobei – wozu der BGH sich nicht äußerte – anzunehmen sein dürfte, dass eine Grenze dort verlaufen muss, wo ein arbeitsteilige Struktur dazu eingesetzt werden könnte, um gerade die Folge zu erreichen, dass bei einer gesamtheitlichen Betrachtung kein Vorwurf zu machen wäre. Indes könnte auch eine dahingehende Organisation ihrerseits als sittenwidrig zu bewerten sein. Davon unterscheidet sich jedenfalls der vorliegende Fall. Denn in dem zu entscheidenden Fall basiert der Vorwurf nicht darauf, dass innerhalb eines arbeitsteiligen Unternehmens an verschiedenen Stellen einzelne Teile eines moralischen Unwerttatbestandes verwirklicht würden. Vielmehr ist es vorliegend so, dass das gesamte Geschehen, das als sittenwidrig zu bewerten ist, in der Hand der Mitarbeiter der Beklagten lag, für die sie nach § 831 BGB einzustehen hat.
d) In der Konstruktion einer Motorsteuersoftware, die dazu führt, dass das Fahrzeug in einer Prüfungssituation eine Menge an NOx produziert, die geeignet ist, die gesetzlichen Vorgaben zur Einordnung in eine bestimmte Abgasnorm einzuhalten, während der Ausstoß an NOx unter alltäglichen Fahrbedingungen auf der Straße um ein Vielfaches höher liegt, ist ein solches, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zu erblicken. Der Käufer eines Fahrzeuges darf erwarten, dass das zu erwerbende Fahrzeug nicht so konstruiert ist, dass es in einem Prüfmodus andere um ein Vielfaches geringere Schadstoffwerte ausgibt, als tatsächlich unter realen Bedingungen vom Fahrzeug verursacht werden. Es mag zwar richtig sein, dass der Käufer hinsichtlich der Laborwerte keinem Irrtum unterlag und die Laborwerte diejenigen sind, die für das Fahrzeug ausgewiesen werden. Es ist aber – worauf Oechsler (NJW 2017, 2865, 2865 f.) allgemein hinweist – im Einzelfall – und so auch hier, anzunehmen, dass der Käufer ein (nicht notwendigerweise ausdrücklich geäußertes) Interesse daran hat, dass diese Angaben auch unter realen Bedingungen vollständig oder nahezu eingehalten werden. Zwar wird dem Käufer deshalb regelmäßig bekannt sein, dass solche Laborwerte von den üblicherweise unter realen Bedingungen zu erwartenden Werten in einem beschränkten Umfang abweichen können. Das ist dem – auch für den Käufer zu erkennenden – Umstand geschuldet, dass solche Ergebnisse unter Laborbedingungen ermittelt werden und eine verallgemeinerungsfähige und deshalb belastbare Aussage darstellen sollen. Solche Abweichungen dürfen aber nur in geringem Umfang vorliegen. Gleichzeitig darf der Käufer nämlich darauf vertrauen, dass die Werte, die in einer Prüfungssituation festgestellt werden, auch weitgehend den Werten entsprechen, die unter normalen Bedingungen erreicht werden. Gerade eine Laborprüfung soll aber dazu dienen, einen Annäherungswert zu ermitteln, der dem allgemeinen Gebrauch so gut wie möglich nahekommt. Es ist gerade der Zweck einer Prüfungssituation, einen Eindruck darüber zu verschaffen, mit welchen Werten unter realen Bedingungen zu rechnen sein wird. Diese Überprüfung der Abgaswerte dient nicht allein dazu, in einem Zulassungsverfahren oder Prüfungsverfahren positiv beschieden zu werden. Vielmehr soll die Überprüfung die verlässliche Angabe darüber liefern, was der Nutzer des Fahrzeugs zu erwarten hat. Es liegt auf der Hand, dass eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasmessung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten Manipulationen jedweder Art Tür und Tor geöffnet würden und eine Bemessung und Überprüfung unter den dem realen Fahrbetrieb fernen, genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr zu besorgen wäre. Der der Beklagten hieraus zu machende Vorwurf liegt darin begründet, dass unter Missachtung dieser erkennbaren Vorstellungen des Endkunden diesem ein Produkt verschafft wird, das die an dieses Produkt erkennbar gestellten Erwartungen nicht einhält. Entscheidend ist somit, das ein Hersteller ein Produkt in den Verkehr bringt, das von vornherein nicht geeignet ist, die Interessen des späteren Käufers zu erfüllen, die er durch den Abschluss eines Kaufvertrags zum Ausdruck bringt. Denn diese Interessen liegen darin, eine Sache zu erhalten, die die Voraussetzungen erfüllt, die nach dem Vertragsinhalt zu erwarten sind. Das ist nicht der Fall, wenn das Fahrzeug zwar unter Prüfbedingungen einen NOx-Ausstoß aufweist, der den gesetzlichen Vorgaben entspricht, aber unter normalen Betriebsbedingungen diese Werte um ein Vielfaches überstiegen werden.
e) Die Beklagte handelte vorsätzlich.
aa) Die Mitarbeiter der Beklagten sind deren Verrichtungsgehilfen iSv § 831 BGB. Ein solcher Gehilfe ist, wer von den Weisungen seines Geschäftsherrn abhängig ist. Ihm muss von einem anderen, in dessen Einflussbereich er allgemein oder im konkreten Fall ist und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, eine Tätigkeit übertragen worden sein. Das dabei vorausgesetzte Weisungsrecht braucht nicht ins Einzelne zu gehen. Entscheidend ist, dass die Tätigkeit in einer organisatorisch abhängigen Stellung vorgenommen wird. Es genügt, dass der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann (BGH, NJW 2013, 1002 Tz. 15). Diese Voraussetzungen sind bei den Mitarbeitern der Beklagten gegeben.
bb) Die Mitarbeiter der Beklagten handelten vorsätzlich. Für die Feststellung eines vorsätzlichen Handelns i.R.d. § 826 BGB kann sich aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt wurde (BGH, NJW-RR 2012, 404, 404 f. Tz. 11 m.w.N.). Für die Mitarbeiter der Beklagten war bei lebensnaher Betrachtung klar, dass der vernünftige Durchschnittskäufer, wenn er ein für den Betrieb im Straßenverkehr vorgesehenes Fahrzeug erwirbt, davon ausgeht, dass das betreffende Fahrzeug weitgehend die zu erwartenden Abgaswerte einhalten wird. Den Mitarbeitern der Beklagten war daher erkennbar, dass es sich bei der vorgenommenen Konstruktion um einen Umstand handelt, der für die Kaufentscheidung von ausschlaggebender Bedeutung ist. Kein vernünftiger Durchschnittskäufer würde sich, wenn er darüber aufgeklärt würde, dass in dem ihm angebotenen Fahrzeug eine Motorsteuerungssoftware eingesetzt wurde, die dafür sorgt, dass die NOxWerte andere sind, als zu erwarten wäre, auf das Risiko eines Kaufs des Fahrzeugs einlassen, wenn er die daraus resultierenden Folgen nicht aufgeklärt wurde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 20.12.2017, 18 U 112/17, Tz. 38). Hierzu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2019 auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts auch überzeugend ausgeführt, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass in dem Fahrzeug auch „so eine Software über Abgasrückführung verbaut ist“.
cc) Die Mitarbeiter der Beklagten rechneten auch zumindest mit diesem Erfolg und nahmen ihn billigend in Kauf. Das zeigt sich darin, dass die unter normalen Fahrbedingungen zu erzielenden Ausstoß-Werte nicht offengelegt werden.
f) Die Mitarbeiter der Beklagten handelten gerade, um der Beklagten einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, weil sie entweder nicht in der Lage war, die erforderliche Technik zu entwickeln, um die gesetzlichen Abgasvorschriften einzuhalten, oder weil sie aus Gewinnstreben den Einbau der ansonsten notwendigen Vorrichtungen unterließ. Die daraus zu entnehmende Gesinnung, aus Unfähigkeit oder Gewinnstreben massenhaft die Käufer der so produzierten Fahrzeuge bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen, die Wettbewerber zu benachteiligen und den hinter den umgangenen Regelungen stehenden Umweltschutzgedanken zu konterkarieren, lässt erkennen, dass ihr Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheint (vgl. LG Krefeld, BeckRS 2017, 127360).
g) Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob man den Schwerpunkt des Handelns der Mitarbeiter der Beklagten in einem Tun oder in einem Unterlassen sieht und daher eine Aufklärungspflicht für erforderlich hält. Eine solche würde sich hier nämlich aus dem vorangegangenen gefährdenden Tun (Ingerenz) in Form der Entwicklung der Motorsteuerungssoftware ergeben (vgl. BGH, NJW 2017 Tz. 26).
h) Der Beklagten ist es nicht gelungen, sich gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB für das Verhalten ihrer Mitarbeiter zu exkulpieren. Hierzu fehlt jeder Vortrag.
2. Der Schaden eines über wesentliche Eigenschaften des erworbenen Fahrzeugs getäuschten Käufers besteht bereits darin, dass er den Kauf getätigt hat. Er wird mit den Pflichten aus einem von ihm ungewollten Vertragsschluss belastet. Hiervon muss er sich – durch Schadensersatz – befreien können (BGH, NJW-RR 2015, 275, 276 Tz. 19). Es kommt dafür nicht darauf an, ob der Vertrag nach seinem Gesamtinhalt für den Kläger nützlich oder sinnvoll ist. Der Kläger wird so in seiner Dispositionsfreiheit geschützt (vgl.. BGH, NJW 2014, 383, 386 Tz. 28). Diese Schädigung haben die Mitarbeiter der Beklagten zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen. Dies zeigt ihr planmäßiges Vorgehen bei einer Mehrzahl von Fahrzeugen (vgl. BGH, NJW 2014, 1098 Tz. 27).
3. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger den Kaufvertrag über das Fahrzeug in Kenntnis der realen Abgasproduktion nicht geschlossen hätte. Es sind keine nachvollziehbaren Gründe dafür ersichtlich, weshalb der Kläger sich in Kenntnis der Umstände anders entschieden hätte, als der vernünftige Durchschnittskäufer. Dessen Interesse kann nur dahin gehen, ein Fahrzeug zu erhalten, über dessen Abgasverhalten er eine eindeutige Kenntnis hat.
4. Der Kläger kann von der Beklagten daher gemäß § 249 Abs. 1 BGB verlangen, so gestellt zu werden, als ob sie den Kaufvertrag über das Fahrzeug nie geschlossen hätte.
a) Die Beklagte hat dem Kläger daher den Kaufpreis zu erstatten.
b) der Kläger muss sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihm gezogenen Nutzungen gegen den Schadensersatzanspruch anrechnen lassen. Den Gebrauchsvorteil, den der Kläger sich anrechnen lassen muss, beziffert das Gericht unter Berücksichtigung der gefahrenen Kilometer von 40.897 km und einer insgesamt anzunehmenden möglichen Gesamtlaufleistung von 250.000 km im Rahmen des § 287 Abs. 2 ZPO auf 7.832,60 € (47.880,01 € x (40.897 km: 250.000 km) = 7.832,60 €).
II. Die geltend gemachten Zinsen stehen dem Kläger gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4, 288 Abs. 1 ab Verzugsbeginn in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu, nachdem der Kläger die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 21.12.2017 zur Rückzahlung des Kaufpreises nach Abzug des Gebrauchsvorteils unter Fristsetzung bis zum 11.01.2018 aufgefordert hatte und die Beklagte die dem Grunde nach berechtigte Forderung bis heute nicht ausglich. Außerdem ist wegen der von der Beklagten vorgenommenen vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung des Klägers der sofortige Eintritt des Verzuges ohne Mahnung auch nach Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt. In entsprechender Anwendung des § 187 BGB geriet die Beklagte einen Tag später, somit am 12.01.2018 in Verzug. Da das Gericht nicht ultra petita entscheiden darf (§ 308 Abs. 1 BGB), können dem Kläger die Zinsen aber erst seinem dahingehend verstandenen Antrag entsprechend ab dem 01.04.2018 zugesprochen werden. Die Zinsen stehen dem Kläger auch nur aus dem ihm zugesprochenen Betrag zu.
Deliktszinsen gemäß § 849 BGB sind dagegen nicht zu gewähren. Das Fahrzeug wurde dem Kläger weder entzogen noch wurde dies beschädigt. Aber auch der vom Kläger zunächst an die Beklagte entrichtete Geldbetrag wurde dem Kläger nicht entzogen, sondern war die vom Kläger an die Beklagte zu entrichtende Leistung für den Erhalt des Fahrzeuges. Insoweit erhielt der Kläger von der Beklagten für den entrichteten Geldbetrag eine zumindest annähernd gleichwertige Gegenleistung in Form des Fahrzeugs, welches lediglich aufgrund der verwendeten Software und des daraus resultierenden „Dieselskandals“ mit einem Minderwert bemakelt ist.
III. Im Übrigen ergibt sich der Anspruch des Käufers gegen die Beklagte nicht nur aus Delikt, sondern auch aus §§ 346 I iVm 433, 434 I 2, 437 Nr. 2, 323 I, 323 II Nr. 3 BGB, da die Beklagte nicht nur die Motorsteuerungssoftware in das Fahrzeug eingebaut hat, sondern auch als Verkäuferin gegenüber dem Kläger aufgetreten ist.
B. Das mit dem Klageantrag zu Ziff. 2 verfolgte Feststellungsbegehren ist zulässig und begründet.
Die Beklagte geriet gemäß §§ 293, 298, 295 BGB spätestens mit Ablauf der ihr im vorprozessualen Schreiben der jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 21.12.2017 (Anlage K 17) gesetzten Frist in Annahmeverzug. In diesem Schreiben forderte der Kläger die Beklagte nämlich zur Zahlung des als Hauptforderung geltend gemachten Betrages auf und bot Zug um Zug die Bereitstellung des streitgegenständlichen Fahrzeuges zur Abholung an. Die Beklagte lehnt bis heute die Zahlung der vom Kläger verlangten Gegenleistung ab. Da Frist jedoch bis 11.01.2018 gesetzt wurde, kann insoweit Annahmeverzug erst ab 12.01.2018 eingetreten sein.
C. Dem Kläger steht der begehrte Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten an seine Rechtsschutzversicherung ebenfalls aus § 826 BGB zu, der Höhe nach jedoch nur im tenorierten Umfang.
I. Die Kosten der Rechtsverfolgung sind als Teil des aus § 826 BGB folgenden deliktischen Schadensersatzanspruchs dem Grunde nach ohne Weiteres ersatzfähig (vgl. nur Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Auflage 2019, § 249 Rn. 56 m.w.N.), weil in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig war.
II. Ersatzfähig in der Höhe sind dabei die Rechtsanwaltsgebühren, die nach der gesetzlichen Berechnung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz für die zur Rechtsverfolgung erforderliche Tätigkeit angefallen sind. Dies sind dem Grunde nach – wie abgerechnet – eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG, die Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG sowie auf beide Positionen Umsatzsteuer i.H.v. 19% gemäß Nr. 7008 VV RVG.
1. Die vom Rechtanwalt festgesetzte 1,8-fache Geschäftsgebühr ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, weil sie unbillig ist. Gemäß der gesetzlichen Beschreibung zu Nr. 2300 VV RVG kann eine den Faktor 1,3 übersteigende Geschäftsgebühr nur dann verlangt werden, wenn es sich um eine umfangreiche oder schwierige Tätigkeit handelt. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Letztlich handelt es sich um die Verfolgung eines gewöhnlichen deliktischen Anspruchs mit Berührungspunkten zu herkömmlichem Kaufrecht. Weder der Umstand, dass der auch diesem Einzelfall zu Grunde liegende Grundsachverhalt große mediale Beachtung findet, noch die Tatsache, dass aufgrund der bei vielen verschiedenen Gerichten in Masse anhängig gemachten Verfahren teils divergierende erstinstanzliche Entscheidungen getroffen wurden, begründet eine Schwierigkeit im Hinblick auf den hier zu entscheidenden Fall. Der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Sachverhalt ist auch keineswegs umfangreich, wenn dies auch die Schriftsätze der Parteivertreter sein mögen. Die tatsächlichen Gegebenheiten sind überaus überschaubar.
2. Unter Berücksichtigung eines Gegenstandswertes i.H.v. 40.047,41 € ergibt sich damit ein insgesamt erstattungsfähiger Anspruch auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.706,94 €.
3. Die Verzugszinsen hierauf ergeben sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 seit Rechtshängigkeit, somit in analoger Anwendung des § 187 BGB seit dem Tag der Zustellung der Klage am 31.07.2018, also seit dem 01.08.2018.
4. Ein weitergehender Freistellungsanspruch besteht nicht, da Rechtsanwaltskosten nach dem Vortrag der Klagepartei bereits in Höhe von 1.965,88 € gezahlt worden sind und lediglich ein Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.706,94 € besteht.
D. Auch der Feststellungsantrag ist begründet.
I. Zum einen kann nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest eine nicht unerhebliche Wertminderung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verbleibt. Eine solche lässt sich freilich schwer zuverlässig beziffern, weil es – dies ist offenkundig – an geeigneten Vergleichsmaßstäben fehlt. Zu bedenken ist nämlich, dass nicht nur einzelne Fahrzeuge oder eine Gruppe von Fahrzeugen aus einer Produktionsserie mangelhaft waren bzw. sind – in einem solchen Fall könnte die Wertentwicklung der betroffenen Fahrzeuge mit den nicht betroffenen, im Übrigen identischen Fahrzeugen verglichen werden -, sondern alle Fahrzeuge der gesamten Serie sowie teilweise auch Vergleichsfahrzeuge anderer (Konzern-) Serien. Losgelöst von der Frage, wie sich eine solche Wertminderung in Zahlen bemisst, erscheint es dem Gericht aber sehr naheliegend, dass sich der Makel, der dem streitgegenständlichen wie auch allen anderen von dem Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen anhaftet, ähnlich wie bei einem Unfallgeschehen, selbst durch eine ordnungsgemäße Reparatur nicht beseitigen lässt und zu einer dauerhaften Wertminderung führt. Hierzu trägt nicht zuletzt bei, dass aufgrund der Vielzahl der zu dem Sachverhalt ergangenen Entscheidungen der Zivilgerichte die Rechtslage als bislang nicht abschließend geklärt anzusehen ist. Diese Wertminderung erscheint dem Gericht auch nicht nur unerheblich, wozu das Verhalten der Beklagten bei der Aufklärung des Gesamtsachverhaltes sowie im Umgang mit den betroffenen Kunden einen entscheidenden Beitrag geleistet haben dürfte.
Zum anderen kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass durch das Software-Update Beeinträchtigungen am Fahrzeug des Klägers verbleiben. Der Kläger hat hierzu in der Sitzung vom 12.03.2019 angegeben, dass seiner Meinung nach seit dem Software-Update das Fahrzeug „Sprit ohne Ende“ verbraucht. Er habe auch das Gefühl, dass das Fahrzeug seit dem SoftwareUpdate lauter ist. Auch dem Gericht erscheint es plausibel, dass das Software-Update am Fahrzeug des Klägers nicht durchgeführt werden konnte, ohne dass im Nachhinein Beeinträchtigungen am Fahrzeug des Klägers verbleiben. Andererseits ist nicht vorstellbar, warum die Beklagte Unmengen von Zeit und Kosten auf die Entwicklung einer speziellen Software hätte verwenden sollen, wenn im Nachhinein ein einfaches Software-Update zum gleichen Ergebnis geführt hätte. Dies erscheint praxisfern und wenig nachvollziehbar. Wenn von vornherein die Vorgaben für den Stickoxidausstoß ohne Beeinträchtigungen des Motors, des Treibstoffverbrauchs usw. hätten erzielt werden können, hätte die Beklagte sich nicht die Mühe machen müssen, die oben beschriebene Motorsteuerungssoftware zu entwickeln, da sie dann auch ohne Markteinbußen ihr Ziel hätte auf leichterem Wege erreichen können. Stattdessen das Risiko einer Gesetzesverfehlung in Kauf zu nehmen, zur Erzielung von Marktvorteilen durch Entwicklung der Motorsteuerungssoftware, wenn ein einfaches Software-Update zum gleichen Ziel geführt hätte, erscheint dem Gericht auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten abwegig. Im Gegenzug ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das durchgeführte Software-Update in irgendeiner Art und Weise, in welcher Form auch immer, zu weiteren Beeinträchtigungen am Fahrzeug geführt hat, die der Käufer beim Kauf des Fahrzeuges so nicht haben wollte.
E. Da der Klage, insbesondere in Bezug auf die Zinsen, nicht in vollem Umfang stattgegeben werden konnte, war sie im Übrigen abzuweisen.
F. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Anspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 708 Nr. 11, 709 S. 1 und 2, 711 S. 1 und 2 ZPO.
G. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 48 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG. Für den Feststellungsantrag zu Ziff. 4 wurden 5.000 € bemessen.


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