Europarecht

Verlängerung der Überstellungsfrist wegen Kirchenasyl

Aktenzeichen  B 8 S 19.50318

Datum:
18.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43695
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 S.1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 20. August 2018 (B 8 S 18.50601) wird abgelehnt.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die ihr drohende Überstellung nach Italien im Rahmen eines sogenannten „Dublin-Verfahrens“ die Änderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuths vom 20. August 2018 (B 8 S 18.50601)
Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben Staatsbürgerin Eritreas, dem Volk der Tigrinya zugehörig und orthodox-christlichen Glaubens. Sie reiste am 15. April 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 20. April 2018 einen förmlichen Asylantrag.
Aufgrund eines entsprechenden Übernahmeersuchens erklärten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 2. August 2018, dass sie dem Ersuchen nach Art. 18 Abs. 1b) Dublin-III-VO zustimmen.
Mit Bescheid vom 3. August 2018 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheids, der der Antragstellerin am 10. August 2018 ausgehändigt wurde, wird Bezug genommen.
Über die gegen diesen Bescheid zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 13. August 2018 erhobene Klage (Az: B 8 K 18.50602) wurde noch nicht entschieden. Der gleichzeitig mit der Klage gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 20. August 2018 (Az: B 8 S 18.50601) abgelehnt. Auf die Ausführungen in den Gründen wird Bezug genommen.
Zur Begründung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO hatte die Antragstellerin angegeben, dass sie in Italien keinen Asylantrag gestellt habe. Sie habe dort lediglich ihre Fingerabdrücke abgegeben. Sie wolle nicht nach Italien zurück; da es dort keinerlei Unterstützung für Flüchtlinge gebe. Zudem würden ihr Onkel sowie ihr Freund in der Bundesrepublik Deutschland leben. Im Übrigen verwies sie auf einen Arztbrief vom 6. Juli 2018, den sie ihrem Antrag beilegte.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2018 informierte SEITE AN SEITE e.V. – Wegbegleitung für Flüchtlinge – die Antragsgegnerin darüber, dass sich die Antragstellerin im Kirchenasyl in der katholischen Schwesterngemeinschaft der …, aufhalte. Als Adresse wurde „…“ benannt.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 teilte die Antragsgegnerin dem SEITE AN SEITE e.V sowie den … mit, dass spätestens am 24. November 2018 ein begründetes vollständiges Härtefalldossier über den zuständigen kirchlichen Ansprechpartner eingehen müsse. Mit E-Mail vom 23. November 2018 wurde der Mitteilungsbogen für Härtefälle/Kirchenasyl vom Katholischen Büro Bayern vorgelegt. Beigefügt war eine Schilderung der Erlebnisse in Italien durch die Antragstellerin, eine Stellungnahme des Verlobten der Antragstellerin, eine Kopie des Aufenthaltstitels des Verlobten sowie eine ärztliche Bescheinigung über Genitalverstümmelung.
Die Antragsgegnerin erklärte mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2018 gegenüber dem Gericht im Verfahren B 8 K 18.50602, dass die achtzehnmonatige Überstellungsfrist gelte. Die Antragsgegnerin begründete dies mit Verweis auf die Vereinbarung mit den Kirchen vom 24. Februar 2015 unter Annahme der „Flüchtigkeit“. Sie habe gemäß der Vereinbarung das von der zuständigen Kirchenvertreterin eingereichte Dossier geprüft, jedoch die Ausübung des Selbsteintrittsrechts abgelehnt. Da bei Ablehnung der Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Antragsteller innerhalb von drei Werktagen das Kirchenasyl verlassen müsse, sei die Kirchengemeinde gebeten worden, mitzuteilen, ob die Antragstellerin dem nachgekommen sei. Mangels entsprechender Mitteilung der Kirchengemeinde bzw. eines Kirchenvertreters gelte die Antragstellerin als flüchtig.
Mit E-Mail vom 13. Dezember 2018 informierte die Antragsgegnerin Italien, dass die Antragstellerin flüchtig sei und die Frist zur Überstellung am 20. Februar 2020 ende.
Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27. Mai 2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tage, beantragt die Antragstellerin, den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 20. August 2018 (Az: B 8 S 18.50601), nach § 80 Abs. 7 VwGO abzuändern.
Die Frist zur Überstellung sei mit Ende 20. Februar 2019 abgelaufen. Der Ablauf der Überstellungsfrist stelle einen veränderten Umstand dar, da sich der streitgegenständliche Bescheid aufgrund dieser veränderten Umstände als rechtswidrig erweise, so dass der Beschluss abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sei.
Die Antragstellerin sei zu keinem Zeitpunkt unbekannten Aufenthalts bzw. flüchtig gewesen. Die Antragstellerin sei am 24. Oktober 2018 in das Kirchenasyl eingetreten. Die diesbezügliche Mitteilung an die Antragsgegnerin sei am gleichen Tag erfolgt. Der Begriff „flüchtig“ werde in der Dublin-III-VO nicht definiert. Nach dem Wortsinn setze ein Flüchtigsein voraus, dass die betreffende Person der Möglichkeit des staatlichen Zugriffs entzogen sei. Grundvoraussetzung sei mithin eine Form des unbekannten Aufenthalts. Dies bestätige der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache Jawo gegen Deutschland. Der EuGH stelle darauf ab, dass die zuständigen Behörden nicht über die Abwesenheit informiert gewesen seien und dass es dem ersuchenden Mitgliedstaat aufgrund Flucht tatsächlich unmöglich sei, die Überstellung durchzuführen. Die seitens der Beklagten erfolgte Verlängerung der Überstellungsfrist sei rechtswidrig.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 29. Mai 2019,
den Antrag gemäß § 80 Abs. 7 VwGO abzulehnen.
Ein Flüchtigsein sei dann gegeben, wenn sich der Asylbewerber durch die Änderung seines Aufenthaltsortes staatlichen Zugriffs bewusst zu entziehen versucht, um die Überstellung zu vereiteln. Der Wortlaut setze nicht voraus, dass der Aufenthaltsort unbekannt sein müsse. Hingegen sei das räumliche Element des Wegbewegens entscheidend. In diesem Fall sei die Antragstellerin am 24. Oktober 2018 in die Kirche geflüchtet. Ein Härtefall im Sinne der Vereinbarung zwischen Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche mit dem Bundesamt habe nicht festgestellt werden können. Obwohl das Kirchenasyl kein eigenständiges, neben dem Rechtsstaat stehendes Institut sei, stelle das Bundesamt die christlich humanitäre Tradition des Kirchenasyls nicht in Frage. Deshalb sei von einer Vollstreckung abgesehen worden. Auf das Schreiben vom 13. Dezember 2018 werde Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Behördenakten, die Gerichtsakte des Klage- und Eilverfahrens (Az. B 8 K 18.50602 sowie B 8 S 18.50601) sowie auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
a) Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO können die Beteiligten die Aufhebung oder Änderung von Beschlüssen nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Dies umfasst neben der Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- oder Rechtslage auch die Veränderung der Prozesslage, insbesondere wenn für die Entscheidung neue Beweismittel zur Verfügung stehen, die ergeben, dass die bisherige Entscheidung überholt ist oder jedenfalls neu überdacht werden muss (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Auflage, § 80 Rn. 197). Abgesehen von den Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist der Streitgegenstand im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO derselbe wie im Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, d.h. auch der Prüfungsmaßstab ist insoweit der Gleiche (vgl. Hoppe in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage, § 80 Rn. 134).
b) Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO liegen hier aber nicht vor.
Insbesondere ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens gemäß Art. 29 Abs. 1 und 2 Satz 1 Dublin-III-VO durch Ablauf der Überstellungsfrist nicht auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil die Überstellungsfrist Mitte Februar 2019 noch nicht abgelaufen ist. Damit ist Italien nach wie vor zuständig, das Asylverfahren der Antragstellerin durchzuführen.
Die Überstellungsfrist beträgt nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Satz 1 Dublin-III-VO grundsätzlich sechs Monate ab dem Tag der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedsstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder einer Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 1 AsylG) unterbricht den Lauf der Frist für eine Überstellung nach den Regelungen der Dublin-III-VO. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen solchen Antrag wird die Frist auch dann neu in Lauf gesetzt, wenn – wie hier mit Beschluss vom 20. August 2018 (Az. B 8 S 18.50601) – der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt wurde (BVerwG, U.v. 26.5.2016 – 1 C 15/15 – juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 29.3.2017 – 15 B 16.50080 – juris).
Zwar wäre die Sechs-Monats-Frist Mitte Februar 2019 abgelaufen, die Antragsgegnerin hat jedoch mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 die Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO in zulässiger Weise auf 18 Monate, bis zum 20. Februar 2020, verlängert.
Gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO kann die Überstellungsfrist auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Die im Falle des Flüchtigsein verlängerte Überstellungsfrist auf höchstens 18 Monate gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO ist im Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgelaufen. Für die Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate genügt es, dass der ersuchende Mitgliedstaat vor Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist den zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass die betreffende Person flüchtig ist, und zugleich die neue Überstellungsfrist benennt (EuGH U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 75 in der Rechtssache Jawo). Dies geschah hier mit E-Mail der Antragsgegnerin vom 13. Dezember 2018, mit der sie Italien über die Flüchtigkeit der Antragstellerin informierte und als neues Fristende zur Überstellung den 20. Februar 2020 benannte.
Die Antragstellerin ist vorliegend flüchtig. Flüchtig ist ein Antragsteller, wenn er sich den für die Durchführung seiner Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln (EuGH U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 56, 70 in der Rechtssache Jawo).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerin befand sich seit dem 24. Oktober 2018 im Kirchenasyl. Durch das Begeben in das Kirchen-„Asyl“ hat sich die Antragstellerin zielgerichtet dem staatlichen Zugriff entzogen und ist damit flüchtig im Sinne der Dublin-III-VO. Unerheblich dabei ist, dass den Behörden der Aufenthalt der Antragstellerin jederzeit bekannt war. Der Antragstellerin ist nämlich geläufig, dass die bayerischen Ausländerbehörden – wenngleich ohne jede Rechtsgrundlage – aufgrund entsprechender Abreden mit den Kirchen und der bereits jahrelangen Praxis gegen vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer im Kirchenasyl nicht vorgehen. Aufgrund der politischen Entscheidung zur Respektierung des Kirchenasyls besteht jedenfalls ein faktisches Vollzugshindernis für die Ausländerbehörden (BayLSG, B.v. 11.11.2016 – L 8 AY 28/16 B ER – juris). Obwohl die Ausländerbehörden rechtlich nicht gehindert sind, auch aus dem Kirchenasyl abzuschieben, hat die Antragstellerin de facto die (nahezu) hundertprozentige Sicherheit, dass sie während des illegalen Kirchenasyls nicht überstellt wird. Ihr Status gegenüber der Ausländerbehörde ist damit kein anderer, als der eines „unbekannt“ Untergetauchten, da sie sich ebenfalls vorsätzlich dem Zugriff der Ausländerbehörde entzieht (vgl. auch VG Ansbach, B.v. 7.12.2016 – AN 14 S 16.50339 – juris; VG Bayreuth, GB.v. 7.6.2017 – B 3 K 17.50070; VG Regensburg, U.v. 20.02.2015 – RN 3 K 14.50364 – juris; VG Augsburg, B.v. 8.10.2014 – Au 7 K 14.30121 – juris; VG Ansbach, U.v. 21.12.2015 – AN 3 K 15.50498 – juris; VG Saarland, U.v. 6.3.2015 – 3 K 832/14 – juris; VG Bayreuth, U.v. 7.3.2016 – B 3 K 15.50293 – juris; a.A. beispielsweise VG München, B.v. 6.6.17- M 9 S 17.50290 – juris und VG Hannover, U.v. 31.5.2017 – 10 A 6796/16 – juris).
Das Kirchen-„Asyl“ dient ausschließlich dazu, den Ausländer entgegen der geltenden Rechtsordnung und ungeachtet der grundsätzlichen Strafbarkeit eines solchen Verhaltens nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Dies wird umso augenscheinlicher, wenn ein Ausländer entgegen § 47 Abs. 1a Satz 1 AsylG seinen zugewiesenen Aufenthaltsort aufgibt, um durch den Aufenthaltsortswechsel Abschiebemaßnahmen zu verhindern.
Durch den Gang der Antragstellerin ins Kirchenasyl wollte die Antragstellerin sich der für die Durchführung ihrer Überstellung zuständigen Ausländerbehörde gezielt entziehen. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass bei der Antragstellerin keine zwingenden humanitären Gründe ersichtlich sind, die das Kirchenasyl als „ultima ratio“ rechtfertigen würden. Die Antragstellerin führt in ihrer Stellungnahme im Rahmen der Einreichung eines Härtefalldossiers aus, dass eines Abends, als sie mit einer Freundin unterwegs war, sie beide vergewaltigt worden seien. Diese knappe, nicht weiter präzisierte Mitteilung ohne Angabe weiterer schlüssiger Details oder Umstände, unter denen sich die Vergewaltigung ereignet haben soll, erfolgt erstmals in der Stellungnahme zur Einreichung des Härtefalldossiers im November 2018. Bei ihrer Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrages am 24. April 2018 durch das Bundesamt äußerte die Antragstellerin sich nicht zu einer etwaigen Vergewaltigung. Sie machte vielmehr nur Angaben zu ihrem Verlobten. Die Aussage über die Vergewaltigung erscheint nicht glaubhaft, da davon auszugehen ist, dass dies ein relevanter Umstand dafür ist, dass die Antragstellerin nicht nach Italien rücküberstellt werden möchte. Die Tatsache, dass der Verlobte der Antragstellerin, den sie bereits aus Eritrea kennt, in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt lebt, ist für das Vorliegen zwingender humanitärer Gründe irrelevant. Stichhaltige andere Gründe für den Gang ins Kirchenasyl, mit denen die Antragstellerin bewiesen hätte, dass sie nicht beabsichtigte, sich den Behörden zu entziehen (EuGH U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 65 in der Rechtssache Jawo) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Aus der Zusammenschau der Begründung der Antwort der ersten Vorlagefrage in der Rechtssache Jawo – auch unter Heranziehung der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes „Flucht“, das in den meisten Sprachfassungen verwendet wird, sowie der Beantwortung der ersten Vorlagefrage an den EuGH (U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 56, 70 in der Rechtssache Jawo) ergibt sich, dass das Merkmal der Flüchtigkeit lediglich eine subjektive Komponente der betroffenen Person voraussetzt. Ein objektives Moment ist dem Wort weder immanent, noch wird ein solches (explizit) verlangt. Ein objektives Moment lässt sich für die Tatbestandsalternative der Flüchtigkeit auch nicht unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH in Rn. 60 in der Rechtssache Jawo begründen. Dort heißt es, dass in diesem Kontext Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin-III-Verordnung ausnahmsweise eine Verlängerung der sechsmonatigen Frist gestattet, um zu berücksichtigen, dass es dem ersuchenden Mitgliedstaat aufgrund der Inhaftierung oder Flucht der betreffenden Person tatsächlich unmöglich ist, die Überstellung durchzuführen. Dem lässt sich kein (obligatorisches) objektives Moment für die Bejahung des Vorliegens einer „Flucht“ entnehmen. Eine objektive Komponente ist damit auch nicht aufgrund des EuGH-Urteils in die Tatbestandsvoraussetzung der Flüchtigkeit hineinzulesen.
Auch wenn der Wortlaut der Rn. 60 des Urteils des EuGH in der Rechtssache Jawo das zusätzliche Erfordernis einer tatsächlichen Unmöglichkeit der Überstellung sowohl im Hinblick auf die Alternative der Inhaftierung als auch der der Flucht nahe legen mag, so findet dies in einer Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe und Beantwortung der Vorlagefrage ebenso wenig wie im Verordnungstext des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO eine Stütze. Ziffer 1 des Tenors des Urteils (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris), die der Beantwortung der relevanten Vorlagefrage entspricht, erwähnt die tatsächliche Unmöglichkeit der Überstellung gerade nicht. Hinzu kommt, dass die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage samt dem zugrundeliegenden Sachverhalt bereits den Umstand der tatsächlichen Unmöglichkeit der Überstellung für den konkreten Fall vorgab (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 48 in der Rechtssache Jawo). Ob eine tatsächliche Unmöglichkeit der Überstellung zwingend auch in der Tatbestandsalternative der Flucht, Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO, vorliegen muss, stand mithin nicht zur Entscheidung des EuGH an und war vielmehr unveränderbare Prämisse der Beantwortung der Vorlagefrage durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Jawo.
Ebenso wenig fordert der Verordnungstext für die Tatbestandsalternative des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO neben dem Merkmal der Flüchtigkeit eine weitere Voraussetzung. Ein Vergleich der englischen und französischen Formulierung (in englischer Sprache: „This time limit may be extended up to a maximum of one year if the transfer could not be carried out due to imprisonment of the person concerned or up to a maximum of eighteen months if the person concerned absconds.“ sowie in französischer Sprache: „Ce délai peut être porté à un an au maximum s’il n’a pas pu être procédé au transfert en raison d’un emprisonnement de la personne concernée ou à dix-huit mois au maximum si la personne concernée prend la fuite.“) mit der deutschen Übersetzung ergibt eine Übereinstimmung des Wortlauts des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO in allen Sprachen dahingehend, dass die Überstellungsfrist auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Damit verlangt der Verordnungstext für die Alternative der Flucht in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO nicht – wie für die Alternative der Inhaftierung in Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 Dublin-III-VO – das Erfordernis der tatsächlichen Unmöglichkeit. Die Passage „wenn die Überstellung aufgrund der … nicht erfolgen konnte“ findet sich nur bzgl. der ersten Alternative der Inhaftierung. Ein Erfordernis einer tatsächlichen Unmöglichkeit im Hinblick auf die Alternative der Flucht ist nicht ausdrücklich normiert.
Diese aufgezeigte Diskrepanz zwischen Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO und den Ausführungen des EuGH in Rn. 60 des Urteils in der Rechtssache Jawo (Az.: C-163/17) besteht in englischer und französischer Sprache ebenso. Dies ergibt ein Vergleich der Übersetzungen des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO in deutscher mit den oben aufgeführten in englischer und französischer Sprache sowie mit denen der Rn. 60 des EuGH-Urteils in der Rechtssache Jawo (Rn. 60 des EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 lautet in englischer Sprache: „It is in that context that the second sentence of Article 29(2) of the Dublin III Regulation authorises, exceptionally, the extension of that six-month time limit, in order to take account of the fact that it is not practically possible for the requesting Member State to carry out the transfer of the person concerned because he has been imprisoned or has absconded.” sowie in französischer Sprache: „C’est dans ce contexte que l’article 29, paragraphe 2, seconde phrase, du règlement Dublin III permet, à titre exceptionnel, la prolongation de ce délai de six mois, afin de tenir compte du fait qu’il est matériellement impossible pour l’État membre requérant de procéder au transfert de la personne concernée en raison de l’emprisonnement ou de la fuite de celle-ci.”).
Dem Verordnungstext folgend ist damit das Merkmal der tatsächlichen Unmöglichkeit nicht zu fordern (entgegen VG Lüneburg, B.v. 4.6.2019 – 8 B 105/19 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 13.5.2019 – 15 L 1184/19.A – juris).
Die Einreichung eines Härtefalldossiers, verspätet oder nicht, lässt die Einschätzung „flüchtig“ nach obigen Kriterien unberührt. Findet sich für ein „Kirchenasyl“ schon keine rechtliche Grundlage – weder im Kirchenrecht noch im Recht der Bundesrepublik Deutschland – so kann eine Ausgestaltung eines solchen auch keine rechtlich verbindlichen Folgen zur Subsumtion dieses gesetzlichen Begriffes nach sich ziehen.
Letztlich wird noch darauf hingewiesen, dass es für die Rechtmäßigkeit der Verlängerung der Überstellungsfrist völlig unerheblich ist, ob Italien den Eintritt in das Kirchenasyl ebenfalls als Verlängerungsgrund i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO erachtet. Das Erfordernis der Information des Zielstaates vor Ablauf der Überstellungsfrist folgt aus Art. 9 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 in der Fassung von Art. 1 Nr. 5 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 i.V.m. Art. 29 Abs. 4 Dublin-III-VO. Dem hat die Antragsgegnerin mit ihrem Schreiben an die italienischen Behörden genügt. Weitere Voraussetzungen, insbesondere die Zustimmung oder das Einverständnis des Zielstaats, sind gesetzlich nicht vorgesehen (EuGH U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 71 ff. in der Rechtssache Jawo).
Zumindest im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin – unter Anwendung des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin-III-VO – die Überstellungsfrist rechtmäßig verlängert. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist daher voraussichtlich kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin gegeben.
c) Es besteht auch kein Anlass, nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen von der Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO abzuweichen.
Dass im Falle der Antragstellerin keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO begründen oder möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine Selbsteintrittspflicht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO sprechen könnten, hat darüber hinaus das Verwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 20. August 2018 (Az. B 8 S 18.50601) entschieden. Daran hat sich auch grundsätzlich durch die Informationen aus dem eingereichten Härtefalldossier nichts geändert. Die Überstellung der Antragstellerin nach Italien erweist sich nicht als unmöglich, weil es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen.
(1) Die Überstellung nach Italien ist nicht rechtlich unmöglich. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem zu überstellenden Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-GR-Charta mit sich bringen. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO beruht auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass das in Art. 4 der EU-GR-Charta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung ist und aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 der EU-GR-Charta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch in Dublin-Verfahren vollumfänglich beachtet werden muss (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 5.4.2016 – C-404/15, C-659/15 – NJW 2016, 1709 Rn. 85, 86; U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – NVwZ 2017, 691 Rn. 59).
Das gemeinsame Europäische Asylsystem fußt auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll von 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 82). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-GR-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Hierbei handelt es sich zwar um eine widerlegliche Vermutung. Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin-III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaats mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 der EU-GR-Charta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH Mannheim, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Diese Schwelle wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92; OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem zu überstellenden Mitgliedstaat nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihnen dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Dublin-Überstellung stünden nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen. Auch der EuGH führt aus, dass der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen können, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der EU-GR-Charta verstoßende Behandlung zu erfahren (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 97).
Entsprechend vorstehender Ausführungen geht das Gericht auf Basis einer Gesamtwürdigung nach dem aktuellen Erkenntnisstand und im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 EU-GR-Charta gewährleisteten Rechte führen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Das Asylverfahren soll zwar grundsätzlich nicht länger als sechs Monate dauern (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Münster vom 23. Februar 2016). Der Umstand, dass diese Verfahrensdauer aufgrund der aktuellen Belastungssituation nicht immer eingehalten werden kann, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines unzureichenden Asylverfahrens, zumal diesbezügliche Schwierigkeiten wegen des enormen Zustroms an Schutzsuchenden nicht nur in Italien, sondern in vielen europäischen Ländern bestehen.
Weiterhin erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien Leistungen für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung. Dies gilt auch nach den aktuellen gesetzlichen Änderungen der asylrechtlichen Vorschriften durch das sog. Salvini-Dekret. Zwar wird das bisherige Unterbringungssystem völlig neu geordnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Dublin-Rückkehrer eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren würden. Künftig wird zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden. Die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung) sowie ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt sei. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor: Unterbringung, Verpflegung, Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation, notwendige Transporte, medizinische Betreuung (Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst), Hygieneprodukte, Wäschedienst oder Waschprodukte, Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte), Taschengeld (2,50 €/Tag/Person bis zu 7,50 €/Tag für eine Kernfamilie), Schulbedarf usw. Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Gesamtaktualisierung am 27.9.2018; letzte Kurzinformation 26.2.2019, VS, S. 6 ff. m.w.N.). Nach alledem ist auch die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden („residenza“) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“. Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert, welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte („tessera sanitaria“) möglich, mit welcher sie Zugang zu allen medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Gesamtaktualisierung am 27.9.2018; letzte Kurzinformation 26.2.2019, VS, S. 8 f. m.w.N.). Auch wenn Italien hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem kennt, so begründet dies entsprechend der obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel. Einzelne defizitäre Umstände können nicht als generelle systemische Mängel in Italien qualifiziert werden, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung von European Asylum Support Office der Europäischen Union (EASO) geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO Special Support Plan to Italy, 11. März 2015). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist. Auch unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und auf Basis vorstehender Ausführungen schließt sich das Gericht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz bestehender Mängel als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. VG Bayreuth, B.v. 23.4.2019 – B 8 S 19.50215; VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; VG Augsburg, B.v. 1.3.2018 – Au 5 S 18.50329 – juris; VG München, B.v. 6.6.2018 – M 11 S 18.51151 – BeckRS 2018, 15962; B.v. 9.8.2018 – M 26 S 18.52225, BeckRS 2018, 19472; VG Ansbach, U.v. 1.8.2018 – AN 14 K 17.50567 – juris; VG Bayreuth, B.v. 3.4.2019 – B 4 S 19.50191; VG Karlsruhe, U.v. 22.3.2018 – A 5 K 15921/17 – BeckRS 2018, 7260; OVG Lüneburg, B.v. 13.6.2018 – 10 LB 204/18, BeckRS 2018, 22826; B.v. 2.7.2018 – 10 LB 249/18, BeckRS 2018, 24922; BayVGH, U.v. 18.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG Münster, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris).
In diesem Zusammenhang hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015,127 ff. – Tarakhel/Schweiz) entschieden, dass die Überstellung vulnerabler Personen nach Italien der vorherigen Zusicherung der italienischen Behörden bedarf. In Reaktion darauf hat die Republik Italien in mehreren Rundschreiben an die Dublin-Einheiten der Mitgliedsstaaten mitgeteilt, dass man die allgemeine Garantie abgebe, Familien mit minderjährigen Kindern bei Überstellungen im Dublin-Verfahren nach Italien dort in familiengeeigneten Unterkünften unter Wahrung der Familieneinheit unterzubringen. Insbesondere unter Bezug auf diese Erklärungen (vom 2. Februar 2015, vom 15. April 2015 und vom 8. Juni 2015) hat der EGMR in späteren Entscheidungen, in denen es um die Zulässigkeit einer Überstellung in Dublin-Verfahren von Familien mit minderjährigen Kindern ging, eine Verletzung von Artikel 3 EMRK verneint (vgl. EGMR, Entscheidung v. 4.10.2016 – 30474/14 – Jihana Ali u.a./Schweiz und Italien; Entscheidung v. 15.5.2018 – 67981/16 – H u.a./Schweiz; vgl. auch OVG Münster, B.v. 7.1.2019 – 13 A 888/18.A – juris Rn. 14. ff). Auch nach den gesetzlichen Änderungen im italienischen Asylrecht Ende 2018 hat Italien am 8. Januar 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Salvini-Dekret gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller im Rahmen der Erstaufnahme untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien, Gesamtaktualisierung am 27.9.2018; letzte Kurzinformation 26.2.2019, VS, S. 9 m.w.N.). Unter diesen Umständen ist die Vorlage einer individuellen Zusicherung nicht notwendig (im Ergebnis ebenso VG Frankfurt, B.v. 17.1.2019 – 3 L 50/19.F.A. – juris Rn. 6 ff.; a.A. VG Würzburg, B.v. 3.12.2018 – W 10 S 18.50528 – juris Rn. 30).
(2) Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Hierzu wird zunächst auf die Ausführungen des bereits ergangenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth im einstweiligen Rechtsschutz vom 20. August 2018 (B 8 S 18.50601) verwiesen.
Dass hinsichtlich eines Abschiebungsverbotes für Italien eine Abänderung des Beschlusses vom 20. August 2018 im Verfahren B 8 S 18.50601 erforderlich wäre, lässt sich auch dem Härtefalldossier nicht entnehmen.
Auch eine Reiseunfähigkeit ist nicht dargelegt.
Eine solche ist dann gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche außerhalb des Transportvorgangs eine erhebliche, konkrete Gesundheitsgefährdung für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn, BayVGH, B.v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484).
Legt der Ausländer ärztliche Fachberichte vor, sind diese zum Beweis der Reiseunfähigkeit nur geeignet, wenn sie nachvollziehbar die Befundtatsachen angeben, gegebenenfalls die Methodik der Tatsachenerhebung benennen und nachvollziehbar die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes sowie die Folgen daraus darlegen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich in Zukunft ergeben (prognostische Diagnose), wobei sich Umfang und Genauigkeit der erforderlichen Darlegung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles richten (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2013 – 10 CE 13.1890 und 10 CE 13.1891).
Solches ist den Akten nicht zu entnehmen und wurde auch nicht vorgetragen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.


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