Europarecht

Vermutung eines ungenehmigten Anlagenbetriebs

Aktenzeichen  W 4 S 20.377

Datum:
9.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6091
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1
BImSchG § 20 Abs. 2 S. 1
BayAbfG Art. 31 Abs. 2
KrWG § 3 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Von einer Betriebsstilllegung nach § 20 Abs. 2 BImSchG wegen formeller Illegalität kann nur dann abgesehen werden, wenn die Genehmigungsfähigkeit evident und ohne ansatzweise Zweifel vorliegt und feststeht, dass die Erteilung der Genehmigung deswegen nur noch eine reine Formalität ist und alsbald erfolgen wird. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Eilantrag gegen zwei Stilllegungsanordnungen und die Anordnung, ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten und mit dem Landratsamt abzustimmen.
Die Antragstellerin ist ein Unternehmen, das Erd- und Aushubarbeiten, Abbruch- und Rückbauarbeiten sowie Transporte und Containerdienste anbietet. Auf ihrem Betriebsgrundstück Fl.Nr. …3, Gemarkung E…, lagert sie Abbruchmaterial, Altholz und mineralische Stoffe (Gestein). Ebenso betreibt sie eine Brecheranlage.
Durch die Wasserschutzpolizei Würzburg wurde wegen des Vorliegens des Verdachts des unerlaubten Betreibens von Anlagen am 19. Dezember 2019 eine Ortseinsicht durchgeführt. Am 20. Dezember 2019 hat der zuständige Ermittlungsbeamte das Landratsamt W. darüber informiert, dass auf der angesprochenen Anlage große Mengen Abbruchmaterial, Altholz und andere Abfälle gelagert würden.
Unter dem 24. Februar 2020 verfügte daraufhin das Landratsamt W., dass die Antragstellerin die auf dem Grundstück Fl.Nr. …3, Gemarkung E…, betriebene Anlage zur zeitweiligen Lagerung von Abfällen unverzüglich, spätestens einen Tag nach Zustellung dieses Bescheids, stillzulegen habe (Ziffer 1) und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Ziffer an (Ziffer 2). Unter Ziffer 4 wurde zudem angeordnet, dass die Antragstellerin für die Abfälle, die auf dem Grundstück Fl.Nr. …3, Gemarkung E… gelagert würden, ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten und mit dem Landratsamt W. abzustimmen habe (Ziffer 4). Auch diese Anordnung wurde für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 5). Schließlich ordnete der Antragsgegner unter Ziffer 6 an, dass die Antragstellerin die auf dem Grundstück Fl.Nr. …3, Gemarkung E…, betriebene Anlage zum Brechen von Natursteinen und mineralischen Abfällen unverzüglich, spätestens einen Tag nach Zustellung dieses Bescheids stillzulegen habe. Auch insoweit wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer 7).
Unter dem 3. März 2020 ließ die Antragstellerin Klage erheben (W 4 K 20.376), über die das Verwaltungsgericht bisher noch nicht entschieden hat. Gleichzeitig wurde im vorliegenden Verfahren beantragt,
die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Februar 2020 eingereichten Klage wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass es falsch sei, dass am 20. Dezember 2019 auf der Anlage große Mengen Abbruchmaterial, Altholz und andere Abfälle gelagert gewesen sein sollen. Es handele sich um völlig unbedenkliches und ungefährliches Material. Zudem habe die Antragstellerin eine Genehmigung aus dem Jahr 1996, so dass in keinem Fall eine quasi generell unerlaubte Gewerbeausübung erfolge. Die angefochtene Verfügung sei zudem unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. Gleiches gelte für den Betrieb des Brechers.
Mit Schriftsatz vom 16. März 2020 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 BImSchG vorlägen. Die Anlage sei immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtig. Es fehle eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Das Landratsamt habe auch sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Gleiches gilt im Hinblick auf die Vorlage eines Entsorgungskonzepts und die Stilllegung der Brecheranlage.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag einerseits gegen die Stilllegungsanordnung des Landratsamts W., soweit diese die von ihr betriebene Anlage zur zeitweiligen Lagerung von Abfällen betrifft. Des Weiteren wendet sie sich gegen den Sofortvollzug der Anordnung, ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten und mit dem Landratsamt W. abzustimmen. Schließlich wendet sie sich auch gegen den Sofortvollzug der Anordnung, die von ihr betriebene Anlage zum Brechen von Natursteinen und mineralischen Abfällen stillzulegen.
1. Der Antrag ist zulässig.
Hinsichtlich der Stilllegungsanordnungen und der Anordnung, ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten und mit dem Landratsamt abzustimmen, entfällt die aufschiebende Wirkung der Klage vom 3. März 2020 (W 4 K 20.376), weil das Landratsamt insoweit unter den Ziffern 2, 5 und 7 des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Februar 2020 nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung angeordnet hat. In diesem Fall kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 2 VwGO die aufschiebende Wirkung wiederherstellen.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Anordnungen ist gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage abzuwägen. Hierbei sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl 1988, 369; Schmidt in Eyermann, VwGO 15. Aufl., § 80 Rn. 86). Die Anordnungen sind dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig sind und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen sind, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs abzuwägen.
3. Das Landratsamt W. hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. Danach ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss mit einer auf den konkreten Fall abgestellten und nicht lediglich formelhaften, schriftlichen Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts versehen werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 80 Rn. 84). Aus der besonderen Begründung für den Sofortvollzug muss hinreichend deutlich hervorgehen, dass und warum die Behörde aus Gründen des zu entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält (vgl. BayVGH v. 25.12.2010 – 6 CS 10.2697 – juris). In diesem Sinn ist eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts nicht ausreichend. Allerdings dürfen andererseits nicht allzu hohe Anforderungen an die Begründung gestellt werden (Schmidt in Eyermann, VwGO, Rn. 43 zu § 80). Die Begründungspflicht soll u.a. der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (vgl. BayVGH v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl 1999, 465). Je nach Fallgestaltung können die Gründe für das Bedürfnis des sofortigen Vollzugs mit den für den Erlass des Verwaltungsakts weitgehend identisch sein (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 86 m.w.N.). Bei einer immissionsschutzrechtlichen Stilllegungsanordnung, mit der die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden soll, decken sich typischerweise die Gründe für den Erlass des Verwaltungsakts oft mit den Gründen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung. In einem solchen Fall ist die Behörde nicht gezwungen, bei der Grundverfügung Gründe „zurückzuhalten“, um sie als besondere Erwägungen bei der Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung verwenden zu können.
Das Landratsamt W. hat im streitgegenständlichen Bescheid vom 24. Februar 2020 die Anordnungen des Sofortvollzugs unter den Ziffern 2, 5 und 7 damit begründet, dass die Behörde aufgrund der erfolgten Ermittlungen und der bisherigen Einlassungen des Adressaten in dieser Angelegenheit davon ausgehen müsse, dass die Antragstellerin erneut Abfälle in einer hierfür nicht zugelassenen Anlage ablagere. Der Schutz von Mensch und Umwelt vor Gefahren durch den nicht genehmigten Betrieb dieser Anlage müsse umgehend und wirksam unterbunden werden können. Insbesondere könne sonst nicht ausgeschlossen werden, dass durch weitere Lagerung und Umschlag von Abfällen eine Verschlimmerung des derzeitigen Zustands oder sogar eine mögliche Bodenverunreinigung erfolgen könne. Auch der weitere unkontrollierte Betrieb der Brecheranlage in einem Gewerbegebiet sei geeignet, durch Entstehen der erheblichen Emissionen wie Staub, Lärm und Erschütterungen, die Nachbarschaft erheblich beeinträchtigen zu können.
Diese im Bescheid besonders hervorgehobene Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs entspricht den vorgenannten gesetzlichen Anforderungen. Sie zeigt, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und lässt zugleich die Erwägungen erkennen, die er für die Anordnung des Sofortvollzugs für maßgeblich erachtet hat. Von einer lediglich „formelhaften“ Begründung oder davon, dass die Sofortvollzugsanordnung mit sich selbst begründet werde, kann daher keine Rede sein. Ob die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs in inhaltlicher Hinsicht zu überzeugen vermag, ist keine Frage der Begründungspflicht, sondern des Vollzugsinteresses.
4. Im vorliegenden Verfahren ist die Kammer aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Auffassung, dass die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage gegen die Stilllegungsanordnungen sowie gegen die Anordnung, ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten und mit dem Landratsamt abzustimmen, im Bescheid vom 24. Februar 2020 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, da sich die streitgegenständlichen Anordnungen des Landratsamts als rechtmäßig erweisen und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
5. Das Landratsamt hat die unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Februar 2020 verfügte Stilllegungsanordnung betreffend die von der Antragstellerin betriebene Anlage zur zeitweiligen Lagerung von Abfällen auf die Rechtsgrundlage des § 20 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BImSchG gestützt. Nach dieser Vorschrift soll die zuständige Behörde anordnen, dass eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen ist.
Tatbestandsvoraussetzung von § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist somit, dass eine genehmigungsbedürftige Anlage ohne die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird. Anknüpfungspunkt für die Anordnung der Stilllegung ist somit allein die formelle Illegalität. Es kommt daher nicht darauf an, ob von der ungenehmigten Anlage schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen können, ob gefährliche Stoffe gelagert werden oder auf welchen Gründen die Nichteinholung der Genehmigung beruht, ob die zuständige Behörde den illegalen Betrieb länger geduldet hat oder ob der Anlagenbetreiber davon ausgehen konnte, dass die Genehmigung alsbald erteilt wird. Vielmehr ist allein entscheidend, dass die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung fehlt. Dies ist dann der Fall, wenn
– die Genehmigung noch nicht wirksam erteilt worden ist,
– wenn die Anlage nicht entsprechend der Genehmigung errichtet oder betrieben wird oder
– wenn die Genehmigung später wieder weggefallen ist.
Rechtsfolge ist gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG in diesem Fall, dass die zuständige Behörde die Anlage stilllegen soll. Das bedeutet, entgegen der Auffassung der Antragstellervertreterin in ihren diversen Schriftsätzen, dass nur in atypischen Fällen von der Betriebsstilllegung abgesehen werden kann. Voraussetzung für einen solchen atypischen Fall ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG v. 15.12.1989 – 7 C 35/87 – juris, m.w.N.) die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit, da Zweifel zu Lasten des Betreibers der ungenehmigten Anlage gehen. Die Behörde braucht daher nicht erst umfangreiche und zeitraubende Ermittlungen zur Genehmigungsfähigkeit anzustellen oder aber umfangreiche Untersuchungen durchzuführen und darf dies auch nicht bei Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen. Es ist auch nicht so, dass der Betreiber einer Anlage diese weiterbetreiben darf, bis die fehlende Genehmigungsfähigkeit abschließend geklärt ist. Vielmehr entspricht es der Gesetzeslage, die der Sollregelung des § 20 Abs. 2 BImSchG zugrunde liegt, dass eine Anlage nur und erst dann betrieben werden darf, wenn die Genehmigungsfähigkeit zuvor abschließend geprüft worden ist. Demzufolge kann von einer Betriebsstilllegung wegen formeller Illegalität nur dann abgesehen werden, wenn die Genehmigungsfähigkeit evident und ohne ansatzweise Zweifel vorliegt und feststeht, dass die Erteilung der Genehmigung deswegen nur noch eine reine Formalität ist und alsbald erfolgen wird. Alles andere würde im Übrigen auch zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung desjenigen führen, der vor Errichtung und Betrieb einer nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungspflichtigen Anlage den Abschluss des Genehmigungsverfahrens abwartet.
6. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe spricht im vorliegenden Fall, in dem das Gericht die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs nur summarisch zu überprüfen hat, sehr viel dafür, dass die vom Landratsamt W. in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Februar 2020 angeordnete Betriebsstilllegung betreffend die Anlage zur zeitweiligen Lagerung von Abfällen zu Recht erfolgt ist.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und 3 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 4. BImSchV bedarf die Errichtung und der Betrieb einer Anlage, welche im Anhang 1 der 4. BImSchV genannt ist und länger als zwölf Monate an demselben Ort betrieben wird, einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Macht der Anhang 1 der 4. BImSchV die Genehmigungspflicht vom Erreichen oder Überschreiten einer bestimmten Leistungsgrenze oder Anlagengröße abhängig, ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 4 4. BImSchV auf den rechtlich und tatsächlich möglichen Betriebsumfang der durch denselben Betreiber betriebenen Anlage abzustellen. Nicht relevant ist insofern die tatsächliche Nutzung i.S.d. tatsächlich genutzten Kapazität (vgl. VGH Mannheim v. 25.11.2014 – 10 S 1920/14 – juris Rn. 10). Zur Bestimmung des rechtlich möglichen Betriebsumfangs ist vor allem auf den Inhalt von eventuell schon bestehenden Genehmigungen und sonstigen rechtsverbindlichen Beschränkungen abzustellen. Zur Bestimmung des tatsächlich möglichen Betriebsumfangs i.S. einer Kapazität ist nicht auf die abstrakt denkbare Leistungsfähigkeit der Anlage, sondern auch auf den konkreten Zuschnitt des Gesamtbetriebs abzustellen (vgl. BayVGH v. 23.10.1997 – 22 B 97.565 – juris).
Ob eine Anlage einer Ziffer im Anhang 1 zur 4. BImSchV unterfällt, ist danach zu beurteilen, ob sich ein entsprechender Betriebszweck feststellen lässt. Ein solcher lässt sich annehmen, wenn es sich bei der infrage stehenden Tätigkeit um eine bestimmungsgemäße und auf gewisse Dauer ausgelegte Tätigkeit handelt, welcher die Anlage dienen soll (Jarass, BImSchG, § 4 Rn. 20). Nicht entscheidend ist, ob es sich bei diesem Betriebszweck um einen Haupt- oder Nebenzweck der Anlage handelt, denn eine Genehmigungspflicht besteht auch dann, wenn die Anlage lediglich einen untergeordneten Teil einer umfassenderen, nicht genehmigungsbedürftigen Anlage darstellt (vgl. Landmann/Rohmer, BImSchG, § 4 Rn. 45). Auch ist unstreitig, dass eine Anlage mehrere Betriebszwecke haben kann (vgl. Jarass, BImSchG, § 4 Rn. 22).
Unter Berücksichtigung dessen sieht das Gericht vorliegend den Genehmigungstatbestand der Nr. 8.12.2 des Anhangs 1 4. BImSchV als erfüllt an, denn bei der Anlage der Antragstellerin handelt es sich um eine Anlage zur zeitweiligen Lagerung von nichtgefährlichen Abfällen mit einer Gesamtlagerkapazität von 100 t oder mehr. Ob dies vorliegend der Hauptzweck der Anlage ist, kann nach dem oben Gesagten dahinstehen.
Merkmal des Genehmigungstatbestandes ist nach dem Wortlaut zunächst das Vorliegen von Abfall.
Zur Definition des Abfallbegriffs kann in diesem Zusammenhang auf die Definition des § 3 Abs. 1 KrWG zurückgegriffen werden. Abfälle i.d.S. sind Stoffe oder Gegenstände, deren sich ihr Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Im Falle der Entledigung oder des Willens zur Entledigung ist der sogenannte subjektive Abfallbegriff einschlägig, da das Vorliegen von Abfällen vom subjektiven Willen des Besitzers abhängt (vgl. Jarass, KrWG, § 3 Rn. 33). Der Wille zur Entledigung ist nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrWG i.S. einer Fiktion hinsichtlich solcher Stoffe und Gegenstände anzunehmen, deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt. Gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 KrWG ist für die Beurteilung der Zweckbestimmung die Auffassung des Erzeugers oder Besitzers unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung zugrunde zu legen. Für die Frage des Vorliegens einer neuen Zweckbestimmung/eines neuen Verwendungszwecks ist bei Sachgesamtheiten oder komplexen Gegenständen auf den Gegenstand als solchen und nicht auf seine individuellen Bauteile abzustellen (vgl. BayObLG v. 17.4.1998 – 3 ObOWi 43/98 – juris Rn. 5; Jarass, KrWG, § 3 Rn. 84, m.w.N.).
Dies zugrunde gelegt, lagert die Antragstellerin zunächst, wie sie selbst vorträgt, Altholz (Eichen-, Kiefern- und Fichtenholz), welches aus dem Abbruch eines Hauses der Gemeinde B… stamme, und zudem Steinmaterial. Zweifellos erfüllt zunächst das gelagerte Altholz den oben dargestellten Abfallbegriff. Der Besitzer des Fachwerkhauses in B… wollte sich offensichtlich des Holzes entledigen. Aber auch das – unstreitig – gelagerte Steinmaterial (Haufwerke 1 und 6) fällt nach Überzeugung des Gerichts unter den Begriff des Abfalls i.S.v. § 3 Abs. 1 KrWG. So ergibt sich der Entledigungswille bereits aus dem Schreiben der K… Kalksteinwerke vom 20. Dezember 2019, in der die Antragstellerin beauftragt wurde, den Steinbruch in K… zu räumen und das natürliche Gestein unentgeltlich abzutransportieren. Nichts Anderes gilt für die Haufwerke 2 bis 5, die nach Angaben der Antragstellerin aus Bauschutt und „Recyclingschotter“ bestehen. Entgegen der Auffassung der Antragstellervertreterin ist auch bei dem „Recyclingschotter“ die Abfalleigenschaft nicht beendet, denn nach § 5 Abs. 1 KrWG endet diese erst, wenn der Abfall ein Verwertungsverfahren durchlaufen hat und so beschaffen ist, dass 1. er üblicherweise für bestimmte Zwecke verwendet wird, 2. ein Markt für ihn oder eine Nachfrage nach ihm besteht, 3. er alle für seine jeweilige Zweckbestimmung geltenden technischen Anforderungen sowie alle Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllt sowie 4. seine Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt. Gemäß § 3 Abs. 25 KrWG ist Recycling i.S.d. Gesetzes jedes Verwertungsverfahren, durch das Abfälle zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden. Das entsprechende Verwertungsverfahren ist aber erst dann durchlaufen, wenn der Bauschutt für den neuen Zweck so aufbereitet worden ist, dass er die weiteren Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 KrwG erfüllt. An dem dazu erforderlichen Nachweis fehlt es vorliegend schon angesichts der andauernden formellen Illegalität der Anlage, denn dadurch ist eine ordnungsgemäße, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Behandlung des Bauschutts gerade nicht gewährleistet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Stoffe nunmehr ohne weitere Aufbereitungsschritte verwendet werden können, insbesondere da die Antragstellerin bisher auch keine Möglichkeit nachgewiesen hat, dass eine Verwertung in Aussicht stehe.
7. Nach alldem handelt es sich sowohl bei dem Altholz, wie auch bei den Haufwerken 1 bis 6 um Abfall i.S.d. KrWG. Die von der Antragstellerin gelagerten Abfälle überschreiten auch die Schwelle der im Genehmigungstatbestand Nr. 8.12.2 normierten 100 t. Die vom Antragsgegner im streitgegenständlichen Bescheid durchgeführte Berechnung ist plausibel, für die Kammer nachvollziehbar und wird von der Antragstellerin auch nicht substantiiert in Frage gestellt.
Die Antragstellerin verfügt unstreitig auch nicht über die erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung, so dass der Antragsgegner zu Recht, soweit dies das zeitweilige Lagern von Abfällen betrifft, von einem ungenehmigten Anlagebetrieb ausgehen durfte.
Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG war das Landratsamt W. daher befugt, die Stilllegung anordnen, zumal vorliegend von einer evidenten Genehmigungsfähigkeit nicht einmal im Ansatz ausgegangen werden kann. Da somit die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG vorliegen, kommt es auch nicht auf die von den Beteiligten diskutierte Frage an, ob die Antragstellerin Inhaberin einer gültigen Baugenehmigung ist und welchen Inhalt diese hat.
8. Im Rahmen der vorliegend gebotenen summarischen Überprüfung hat die Kammer auch keine rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Anordnung des Antragsgegners, dass die Antragstellerin ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten habe und dieses mit dem Landratsamt abzustimmen habe (Ziffer 4). Der Antragsgegner weist im streitgegenständlichen Bescheid in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass sich diese Anordnung auf Art. 31 Abs. 2 BayAbfG stützen lässt, wonach die zuständige Behörde die erforderlichen Anordnungen erlassen kann, die zur Durchsetzung der in Abs. 1 der genannten Vorschrift geregelten Verpflichtung erforderlich sind.
Das Verhältnis der Befugnisnormen des Landesabfallrechts und der Befugnisnormen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ist höchstrichterlich geklärt (VG Ansbach, U.v. 28.1.2015 – AN 11 K 14.00032 – juris Rn. 34). Die Normen des Landesabfallrechts sind insofern anwendbar, als es nicht primär um die ordnungsgemäße Verwertung oder Beseitigung von Abfall geht, sondern Gefahren für die Umwelt, die sich zum Beispiel aus der Lagerung/Ablagerung von Abfällen ergeben, bekämpft werden sollen (BVerwG v. 5.11.2012 – 7 B 25/12 – Rn 10 ff.; BVerwG v. 18.10.1991 – 7 C 2/91 – BVerwGE 89, 138).
In diesem Fall zielt die Verpflichtung, ein Entsorgungskonzept zu erarbeiten, nach dem Inhalt des Bescheids primär darauf ab, eine (potentielle) Gefahr für Mensch und Umwelt zu bekämpfen.
Auch liegen die Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 1 BayAbfG vor, da, wie oben gezeigt, das betreffende Material die Abfalleigenschaft i.S.v. § 3 KrWG aufweist. Es ist als Bauschutt angefallen. Seine Besitzer wollten sich des Materials entledigen. Dass in diesem Zusammenhang vorliegend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht genüge getan ist, wird von der Antragstellervertreterin nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich.
9. Schließlich begegnet auch die unter Ziffer 6 angeordnete Stilllegungsanordnung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG keinen rechtlichen Bedenken.
Unstreitig betreibt die Antragstellerin gemäß der von ihr vorgelegten Unterlagen einen Brecher vom Typ Rubbelmaster, der laut Beschreibung in der Lage ist, rasch sowie effizient jegliche mineralischen Stoffe wie Bauschutt, Beton, Asphalt, Glas, Kohle, Naturstein und selbst Stahlbeton aufzubereiten.
Das Gericht sieht aufgrund dessen den Genehmigungstatbestand der Nr. 8.11.2.4 des Anhangs 1 4. BImSchV als erfüllt an, denn bei dem Hochleistungsbrecher handelt es sich um eine Anlage zur Behandlung (hier: Brechen) von nicht gefährlichen Abfällen, insbesondere Bauschutt, von 10 t oder mehr je Tag. Nicht hingegen findet vorliegend der Genehmigungstatbestand Nr. 2.2 des Anhangs 1 4. BImSchV Anwendung, da dieser nur für Anlagen zum Brechen von natürlichem oder künstlichem Gestein gilt, nicht jedoch bei Abfällen i.S.d. KrWG. Deshalb bedarf es auch keines Eingehens auf die von der Antragstellervertreterin vorgetragene Problematik, die Anlage werde nicht mehr als 10 Tage im Jahr betrieben.
Unter Berücksichtigung dessen und der vorliegend durchzuführenden summarischen Überprüfung spricht demnach viel dafür, dass die vom Antragsgegner unter Ziffer 6 angeordnete Stilllegungsanordnung ebenso rechtmäßig ist, da jedenfalls die notwendige immissionsschutzrechtliche Genehmigung fehlt.
Von einer evidenten Genehmigungsfähigkeit, die eine atypische Situation rechtfertigen könnte, kann vorliegend ebenso nicht ausgegangen werden.
10. Nach alldem spricht nach einer summarischen Prüfung anhand des derzeitigen Verfahrensstands viel mehr gegen als für einen Erfolg der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren. Selbst wenn aber offene Erfolgsaussichten unterstellt würden, was nach Auffassung der Kammer, wie gezeigt, nicht der Fall ist, würde im vorliegenden Fall das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Stilllegungsanordnungen das Suspensivinteresse der Antragstellerin überwiegen. Zu Recht weist das Landratsamt in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gerade im Bereich des Umweltschutzes ein gesteigertes öffentliches Interesse daran bestehen muss, dass alsbald rechtmäßige Zustände hergestellt werden.
11. Der Antrag konnte deshalb keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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