Europarecht

Zur Frage der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von Leistungen der Sozialhilfe für EU-Bürger

Aktenzeichen  S 20 SO 109/15

Datum:
30.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU FreizügG/EU § 4, § 4a Abs. 7
SGB XII SGB XII § 23 Abs. 3 S. 1
AEUV AEUV Art. 18 Abs. 1
EFA Art. 1, Art. 11

 

Leitsatz

Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII verstößt nicht gegen höherrangiges EU-Primär- oder Sekundärrecht. (redaktioneller Leitsatz)
Die Anwendung des § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII verstößt aber gegen das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 (EFA), wenn und solange sich der Bürger eines EFA-Signatarstaates erlaubterweise im Gebiet der BRD aufhält. (redaktioneller Leitsatz)
Die im EFA geregelte “formale” Betrachtungsweise bei der Aufenthaltserlaubnis ist inzwischen überholt; abzustellen ist auf das materielle Aufenthaltsrecht bzw. die materielle Freizügigkeitsberechtigung eines Unionsbürgers. (redaktioneller Leitsatz)
Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 SGB XII schließt nur Anspruchsleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII, nicht hingegen Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII aus (ebenso BSG BeckRS 2016, 67701). (redaktioneller Leitsatz)
Nach sechs Monaten faktischer Duldung entsteht ein verfestigter tatsächlicher Aufenthalt und reduziert sich das Ermessen (§ 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII) auf Null, so dass Leistungen wie bei einem Inländer zu erbringen sind (ebenso BSG BeckRS 2016, 67701). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2015 verurteilt, den Klägern laufende Leistungen nach dem Vierten Kapitel Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in gesetzlicher Höhe zu bezahlen für den Zeitraum vom 01.11.2014 bis einschließlich 24.01.2015 und ab dem 25.04.2015 und hierüber Bescheid zu erteilen.
Für die Zeit vom 25.01.2015 bis 24.04.2015 wird die Beklagte verpflichtet, erneut nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag vom 27.10.2014 zu entscheiden und hierüber Bescheid zu erteilen.
II.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger dem Grunde nach.
III.
Gerichtskosten werden für das Verfahren nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich unter Berücksichtigung des Hilfsantrages im Ergebnis auch als begründet.
I.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, insbesondere ist das Sozialgericht N. örtlich und sachlich zuständig.
II.
Die Klage ist unter Berücksichtigung des Hilfsantrages begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 17.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.2015 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren subjektiven Rechten.
Die Beklagte hat zu Unrecht laufende Leistungen nach dem Vierten Kapitel Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) abgelehnt.
Nicht entschieden hat das Gericht über einen Anspruch auf Wohnungserstausstattung, da dies vor Gericht nicht durch die Kläger beantragt worden ist. Insofern haben die Kläger von sich aus den Streitgegenstand beschränkt; das Gericht hatte hierüber daher auch nicht zu entscheiden.
1.
Nach § 41 Abs. 1 Satz1 SGB XII ist Älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten.
Diese Voraussetzungen erfüllen die Kläger an sich unstreitig. So hat auch die Beklagte einen monatlichen Grundsicherungsbedarf errechnet, gegen dessen Höhe die Kläger auch keine Einwendungen erhoben haben.
2.
Entgegen der Auffassung der Kläger erfüllen diese aber an sich zur Überzeugung der Kammer die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausschlussnorm des § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII.
Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, sowie ihre Familienangehörige jedoch keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
Nach einhelliger Auffassung (vgl. Coseriu in Juris-PK SGB XII, 2. A. 2014, § 23 RdNr. 54ff m. w. N.) verlangt die Vorschrift einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Handelns. Hierfür genügt ein nur fahrlässiges Verhalten bei der Einschätzung der Hilfebedürftigkeit und der Möglichkeit, sich selbst helfen zu können, nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass nach den objektiven Umständen von einem Wissen und Wollen mindestens im Sinne eines Vorsatzes ausgegangen werden kann, der für den Entschluss zur Einreise von prägender Bedeutung gewesen sein muss, ohne dass hierin auch ein „unlauteres Verhalten“ gesehen werden müsste. Das Wissen und Wollen setzt nicht die Kenntnis des deutschen Sozialhilferechts mit seinen vielfältigen Möglichkeiten voraus.
Der erforderliche Zusammenhang zwischen der Einreise und der missbilligten Inanspruchnahme von Sozialhilfe besteht nicht nur, wenn der Wille, Sozialhilfe zu erlangen, der einzige Einreisegrund ist. Beruht die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven, ist das Erfordernis des finalen Zusammenhangs auch erfüllt, wenn der Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe für den Einreiseentschluss von zumindest prägender Bedeutung ist; es genügt aber nicht, dass der Sozialhilfebezug beiläufig verfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen wird.
Nach Auffassung des Gerichts ist bei den Klägern vorliegend ein solcher finaler Zusammenhang zwischen Einreiseentschluss und Inanspruchnahme von Sozialhilfe gegeben bei Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles:
Die Kläger hatten viele Jahre ihres Lebens in Deutschland verbracht. Zuletzt hielten sie sich im Bundesgebiet dauerhaft als Altersrentner auf und bezogen aufstockende Grundsicherungsleistungen, weil die Altersrenten nicht zum Lebensunterhalt ausreichten. Den Klägern war damit bekannt, dass diese Renten auch bei einer Rückkehr nach Deutschland nicht für ihren Lebensunterhalt ausreichen würden.
In den ersten, vom weiteren Verfahrensgang unbeeinflussten (und deswegen auch als sehr glaubwürdig einzustufenden) Einlassungen der Kläger und von deren Sohn und Schwiegertochter haben diese wiederholt darauf hingewiesen, dass aufgrund der Wirtschaftskrise in Griechenland die wirtschaftliche Situation sich für die Kläger dramatisch verschlechtert habe. Zunächst hätten die Kläger versucht, die Krise durch eigene Rücklagen zu überbrücken, diese seien jedoch inzwischen aufgebraucht. Zudem habe sich die gesundheitliche Versorgung verschlechtert. Daher hätten sie sich dazu entschlossen, entgegen ihrer früheren Absicht nach Deutschland zurückzukehren.
Aus Sicht des Gerichtes wird bereits aus diesen Einlassungen deutlich, dass prägendes Motiv für die Wiedereinreise die wirtschaftliche Situation der Kläger in Griechenland gewesen ist. Offenbar versprachen sich die Kläger (auch im Hinblick auf ihre früheren Erfahrungen in Deutschland) hier bessere wirtschaftliche Lebensverhältnisse. Dass diese besseren Lebensverhältnisse in Deutschland für sie aber nur durch aufstockenden Grundsicherungsbezug erreichbar sind, war den Klägern aufgrund ihrer eigenen Vorgeschichte bekannt. Die schlechter gewordene Gesundheitsversorgung in O. als prägendes Motiv anzusehen, überzeugt das Gericht nicht: Zum einen wird dieses Motiv anfangs auch nur am Rande erwähnt. Zum anderen bedingt eine schlechtere medizinische Versorgung in O. nicht zwangsläufig den Wusch einer Einreise nach Deutschland. Als Alternative wäre auch ein Umzug in Griechenland, etwa zum älteren Sohn nach Z. oder zur Schwiegertochter nach A. in Betracht zu ziehen gewesen. Die dortige medizinische Versorgung dürfte in jedem Falle besser sein als die von den Klägern in O. beschriebene. Eine Einreise vor allem aus medizinischen Gründen ist daher wenig nachvollziehbar, zumal die Kläger außer ihres zunehmenden Alters weder vorgetragen noch nachgewiesen haben, an schwerwiegenderen Erkrankungen zu leiden, die nicht in Griechenland behandelt werden könnten.
Vor diesem Hintergrund vermögen auch die späteren Einlassungen der Kläger, die Rückkehr sei aus Sorge durch den jüngeren Sohn, auch im Hinblick auf eine etwaige Pflegebedürftigkeit der Kläger, veranlasst worden, nichts an diesem Ergebnis zu ändern: Zum einen ist auch hier weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die Kläger gegenwärtig pflegebedürftig sind oder in absehbarere Zeit werden könnten. Ein aktueller konkreter (Pflege-)Bedarf diesbezüglich ist daher wohl nicht ausschlaggebend gewesen für die Einreise. Zudem hätte auch hier die Alternative bestanden, innerhalb Griechenlands zu den dortigen Verwandten zu ziehen.
Vor diesem Hintergrund darf auch nicht außer Betracht bleiben, dass die Kläger 2007 sich bewusst dafür entschieden haben, ihren Lebensabend in O. zu verbringen. Es erscheint schwer vorstellbar, wie der damals in T. in über 400 km Entfernung lebende, ältere Sohn der Kläger diese von dort aus im Pflegefall maßgeblich hätte unterstützen sollen. Das bedeutet, dass der Pflegegesichtspunkt immer eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat, auch bei der jetzt erfolgten Einreise.
Es fällt auf, dass durch die Einreise in das Bundesgebiet die Kläger sich in aller erster Linie hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Situation besser stellen im Vergleich zu einem Verbleib in Griechenland, weil in Deutschland eine signifikante Aufstockung durch Grundsicherung zu den Altersrenten hinzutreten würde, in Griechenland offenbar aber wohl nicht in diesem Umfange. Dort werden die Altersrenten selbst aber gleichermaßen wie in Deutschland ausbezahlt. Der wirtschaftliche Unterschied ergibt sich durch die aufstockende Grundsicherung in Deutschland.
Für die anderen Gesichtspunkte hätte es in Griechenland ebenfalls Alternativen zur Verbesserung der Umstände der Kläger gegeben, nur eben nicht auf der wirtschaftlichen Seite.
In Würdigung aller Gesamtumstände ist das Gericht daher davon überzeugt, dass der erforderliche finale Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss der Kläger und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Handelns zweifelsfrei gegeben ist. Dafür spricht auch die sofortige Anmietung einer Wohnung nebst unverzüglichem Leistungsantrag bei der Beklagten. Hätten entsprechend der Behauptung der Kläger andere Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden, wäre die Aufnahme einer ärztlichen Behandlung oder ein Antrag auf Feststellung einer Pflegestufe oder dergleichen wesentlich naheliegender gewesen. Derartiges ist weder vorgetragen, noch nachgewiesen oder sonst ersichtlich. Die im weiteren Verfahrensgang von den Klägern vorgebrachten Gründe für die Wiedereinreise vermögen daher nicht zu überzeugen im Sinne eines diese prägenden Motivs.
Damit sind aus Sicht der Gerichts aber die Tatbestandsvoraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 1. Alternative SGB XII erfüllt.
3.
Die Kläger haben gleichwohl wie Inländer Anspruch auf laufenden Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) in voller gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.11.2014 bis einschließlich 24.01.2015 (hierzu unter a) und erneut ab dem 25.04.2015 (hierzu unter c.). Für den dazwischen liegenden Zeitraum haben die Kläger zumindest einen Anspruch auf eine Entscheidung der Beklagten nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts (hierzu unter b.)
a)
Die Anwendung der Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII ist entgegen der Ansicht der Beklagten vorliegend aber durch vorrangiges Recht ausgeschlossen, soweit dies den Zeitraum der ersten drei Monate des Aufenthaltes betrifft:
Zwar steht die Anwendung der Vorschrift im hier konkreten Fall im Einklang mit dem höherrangigen und somit vorrangigen EU-Primär- und -Sekundärrecht (hierzu unter aa), allerdings ergibt sich in der hier vorliegenden Fallkonstellation eine Kollision mit dem auf der Grundlage des Europarates abgeschlossenen Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) (hierzu unter bb).
aa)
Der von der Beklagten bei den Klägern zur Anwendung gebrachte Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII verstößt nicht gegen höherrangiges EU-Primär- oder Sekundärrecht.
In der hier zu entscheidenden Fallkonstellation geht es um die Inanspruchnahme der Freizügigkeitsrechte nicht erwerbstätiger Unionsbürger, die über nicht ausreichende Existenzmittel verfügen, und die Frage, ob ihnen wegen des Diskriminierungsverbotes des Art. 18 Abs. 1 AEUV und des Sekundärrechts mit dem prinzipiellen Gebot der Inländergleichbehandlung ein Anspruch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, zu denen auch die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach deutschem Recht zählt, wie einem Inländer zustehen oder nicht.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 11.11.2014 in der Rechtssache „Dano“ (Az.: C-333/13) eine grundlegende Entscheidung dahingehend getroffen, dass ein Leistungsausschluss nach mitgliedstaatlichem Recht für Unionsbürger, die nicht erwerbstätig sind und über keine ausreichenden Existenzmittel verfügen, mit dem EU-Recht vereinbar ist.
Zunächst verweist der EuGH darauf, dass das in Art. 18 Abs. 1 AEUV formulierte Diskriminierungsverbot nach Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV nicht schrankenlos besteht, sondern unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen besteht, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind. Auch die Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte des Art. 21 AEUV gelten nicht schrankenlos, sondern nur vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.
Die Konkretisierung des allgemeinen Diskriminierungsverbots erfolge durch die Richtlinie (EG) 2004/38, insbesondere Art. 24, sowie durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004, insbesondere Art. 4 und 70, nebst Durchführungsverordnung.
Insofern formuliert Art 24 Abs. 2 der Richtlinie (EG) 2004/38 eine Ausnahme vom allgemeinen Diskriminierungsverbot. Die Vorschrift lautet:
„(2) Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet,
anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten
bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls
während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch
auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich
Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.“
Diese Vorschrift trifft exakt die Fallkonstellation der Kläger: Bei den Klägern handelt es sich um nicht erwerbstätige Unionsbürger, die nach den unbestrittenen Feststellungen der Beklagten nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen und auch kein Recht auf Daueraufenthalt (mehr oder noch nicht wieder) haben. Anzumerken ist, dass die nach der Rechtsprechung des EuGH zulässige Schwelle bei der Beurteilung der Frage, ob ausreichende Existenzmittel vorhanden sind, nicht über der der Grundsicherung liegen darf. Diese Schwelle hat die Beklagte bei ihrer Prüfung zutreffend zugrunde gelegt.
Die Umsetzung der an sich nicht unmittelbare Individualrechte verschaffenden Richtlinie (EG) 2004/38 ist in Deutschland durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizüG/EU) vom 30.07.2004 erfolgt.
Der Anwendungsbereich des § 1 FreizügG/EU ist bei den Klägern unstreitig eröffnet. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU sind nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht auf Einreise und Aufenthalt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Demnach sind die Kläger nicht auf der Grundlage des § 4 FreizügG/EU aufenthaltsberechtigt aufgrund ihrer Wiedereinreise im Oktober 2014.
Ihnen steht aber auch kein Daueraufenthaltsrecht aufgrund früherer Aufenthalte mehr zu: Zwar hatten die Kläger bis zu ihrer Ausreise nach Griechenland im Jahre 2007 ein solches Daueraufenthaltsrecht unzweifelhaft nach § 4a Abs. 1 FreizügG/EU, weil sie sich über mehr als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet als Erwerbstätige aufgehalten hatten.
Dieses Daueraufenthaltsrecht haben sie jedoch inzwischen nach den Bestimmungen des § 4a Abs. 7 FreizügG/EU wieder verloren. Die Vorschrift lautet:
„Eine Abwesenheit aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund von mehr als zwei aufeinander folgenden Jahren führt zum Verlust des Daueraufenthaltsrechts.“
Diese Voraussetzungen haben die Kläger zwei Jahre nach ihrer Ausreise 2007 erfüllt. Nach eigenen Angaben sind die Kläger 2007 nach Griechenland gezogen, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Die Finalität war daher nicht auf Rückkehr gerichtet und der Umzug auch nicht nur vorübergehender Natur. Damit haben die Kläger aber ihr früher erworbenes Daueraufenthaltsrecht verloren.
§ 4a Abs. 7 FreizügG/EU ist eine konforme Umsetzung des Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie (EG) 2004/38. Die Vorschrift lautet:
„(4) Wenn das Recht auf Daueraufenthalt erworben wurde, führt nur die Abwesenheit vom
Aufnahmemitgliedstaat, die zwei aufeinander folgende Jahre überschreitet, zu seinem Verlust.“
Die Umsetzung ist insbesondere deswegen auch richtlinienkonform, als sie nicht hinter den Vorgaben der Richtlinie zurückbleibt, sondern sogar über deren Mindestfestlegung der zweijährigen Abwesenheit im Sinne einer Begünstigung der Unionsbürger hinausgeht, indem die einschränkende zusätzliche Voraussetzung des seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Abwesenheitsgrundes eingefügt ist. Demzufolge stellt die innerstaatliche Umsetzung Unionsbürger sogar besser als nach den Vorgaben der Richtlinie gefordert.
Nach Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b) der Richtlinie (EG) 2004/38 soll nach der Rechtsprechung des EuGH der nicht erwerbstätige Unionsbürger daran gehindert werden, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes in Anspruch zu nehmen (EuGH, a. a. O..). Ein Mitgliedstaat müsse daher die Möglichkeit gemäß dieser Vorschrift haben, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaates zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügen, Sozialleistungen zu versagen.
Insgesamt hat der EuGH festgestellt, dass eine Regelung wie § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII, nach der Unionsbürger vom Bezug bestimmter beitragsunabhängiger Geldleistungen im Sinne des Art. 70 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, nicht EU-rechtlichen Vorgaben widerspricht, wenn den betreffenden Unionsbürgern im Aufenthaltsmitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der Richtlinie (EG) 2004/38 zusteht. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die zitierte Entscheidung des EuGH ausdrücklich Bezug genommen (m.w.N).
Die Kläger haben auch kein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Ziff. 6 FreizügG/EU als Familienangehörige ihres in N. wohnhaften selbstständigen Sohnes, weil sie zwar Verwandte in gerader aufsteigender Linie ihres Sohnes sind, der ihnen aber keinen (dauerhaften) Unterhalt gewährt im Sinne des § 3 Abs. 2 Ziff. 2 FreizügG/EU. Insbesondere sei der Sohn der Kläger hierzu nach ihrem eigenen Sachvortrag auch nicht in der Lage.
Der Leistungsausschluss verstößt auch nicht in den ersten drei Monaten des Aufenthaltes gegen Gemeinschaftsrecht:
Zwar räumen Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie (EG) 2004/38 bzw. § 2 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU grundsätzlich jedem Unionsbürger ein dreimonatiges Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen ein, wohingegen erst ein längerer Aufenthalt als drei Monate an das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des Art. 7 der Richtlinie (EG) 2004/38 geknüpft ist. Damit steht die Frage im Raume, ob die Kläger zumindest während ihrer ersten drei Monate nach Wiedereinreise sich berechtigt im Bundesgebiet aufgehalten haben und somit zumindest in diesem Zeitraum einen Grundsicherungsanspruch hätten haben müssen, weil insofern andere EU-rechtliche Vorgaben zu beachten wären.
Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies aber nicht der Fall. Zwar könnte die Differenzierung der Art. 6 und 7 der Richtlinie (EG) 2004/38 und die Voraussetzung des EuGH, dass auch tatsächlich kein Aufenthaltsrecht dem Unionsbürger zusteht, eine andere Sicht für die ersten drei Monate nahe legen; durch die eindeutige Bestimmung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie (EG) 2004/38 sind jedoch die Mitgliedstaaten von der Verpflichtung der Erbringung von Sozialhilfe ausdrücklich auch während der ersten drei Monate entbunden. Diese lex specialis ist aus Sicht des Gerichts vorrangig zu den vorstehenden Überlegungen.
Insgesamt ist daher festzuhalten, dass der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alternative SGB XII nicht gegen EU-Recht verstößt, sondern mit diesem im Einklang steht. EU-Recht steht daher entgegen der Auffassung der Kläger der Anwendung des Leistungsausschlusses nicht entgegen.
bb)
Die Anwendung des § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB XII verstößt in der hier vorliegenden Fallkonstellation aber gegen die Bestimmungen des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.12.1953 nebst Zusatzprotokoll (EFA), soweit die ersten drei Aufenthaltmonate der Kläger in der Bundesrepublik betroffen sind.
Die Bundesrepublik Deutschland und Griechenland sind Signatarstaaten des EFA, einem völkerrechtlichen Vertrag auf der Grundlage des Europarates. Es findet daher auf ihre Staatsangehörigen Anwendung.
Mangels eines entsprechend von der Bundesregierung erklärten völkerrechtlichen Vorbehalts ist das EFA grundsätzlich auf Leistungen nach dem SGB XII anwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015, Az.: B 4 AS 59/13 R).
Innerstaatliche Geltung hat das EFA in Deutschland erlangt durch Transformationsgesetz des Deutschen Bundestages und des Deutschen Bundesrates vom 15.05.1956. Es handelt sich hierbei nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) um ein Bundesgesetz wie § 23 Abs. 3 Satz1 1. Alt. SGB XII und somit um eine gleichrangige Norm. Aus dieser Rangzuweisung folgt, dass deutsche Gerichte das EFA wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BSG, Urteil vom 19.10.2010, Az.: B 14 AS 23/10 R, RdNr. 25, zitiert nach juris, m. w. N. hinsichtlich der Rechtsprechung des BVerfG zu dieser Frage). Innerstaatliches Recht sei grundsätzlich so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entgegensteht. Dies entspreche dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (BSG, a. a. O..). In diesem Sinne sei auch § 30 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zu verstehen.
Das bedeutet im Ergebnis, dass die Anwendung des § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB XII nur dann rechtskonform erfolgen kann, wenn sie den Bestimmungen des EFA nicht widerspricht (so auch im Ergebnis: BSG a. a. O..; LSG Niedersachsen-Bremen, 23.05.2014, Az.: L 8 SO 129/14 B ER und 08.01.2015, Az.: L 8 SO 314/14 B ER), sofern Bürger der Signatarstaaten betroffen sind. Die frühere anderslautende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, nach der der Leistungsausschluss durch das EFA nicht berührt werde, ist durch die inzwischen zum SGB XII ergangene Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit (s.o.) überholt. Auch erkennt das BSG im EFA keinen Ansatzpunkt dafür, dass dessen Anwendbarkeit sich nur auf Fälle erstreckt, die einen erlaubten Aufenthalt vor Eintritt der Bedürftigkeit voraussetzen. Auf die vorgenannten Entscheidungen wird daher hier verwiesen (BSG, a. a. O..).
Nach Art. 1 EFA haben Bürger der Signatarstaaten Anspruch auf Fürsorge, wie ein deutscher Staatsangehöriger, der sich im Inland gewöhnlich aufhält, wenn der Aufenthalt erlaubt ist.
Unzweifelhaft fallen laufende Geldleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII unter den in Art. 1 und 2 EFA gefassten Begriff der Fürsorge.
Nach Art. 11 Abs. a) EFA gilt:
„Der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragsschließenden gilt solange als erlaubt im Sinne dieses Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Die Fürsorge darf nicht deswegen versagt werden, weil die Verlängerung einer solchen Erlaubnis lediglich infolge einer Nachlässigkeit des Beteiligten unterblieben ist.“
So hat das BSG (a. a. O..) in der von ihm entschiedenen Konstellation es als erlaubten Aufenthalt im Sinne des EFA angesehen, dass der dortige Kläger über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU verfügte. Dass diese nur deklaratorischer Natur sei, ändere aus Sicht des BSG nichts. Es entspreche der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen.
In seinem Urteil vom 03.12.2015 hat das BSG (Az.: B 4 AS 59/13 R) darauf hingewiesen, dass die im EFA geregelte „formale“ Betrachtungsweise bei der Aufenthaltserlaubnis inzwischen überholt sei. Abzustellen sei darauf, ob sich der Bürger eines EFA-Signatarstaates erlaubterweise im Bundesgebiet aufhalte. Dies beruhe darauf, dass die ein Aufenthaltsrecht begründenden Urkunden in dieser Form gar nicht mehr existieren würden. Die im Anhang III des EFA für die Bundesrepublik erfassten Urkunden seien nicht mehr aktuell, Die Bundesrepublik habe es bislang versäumt, den Generalsekretär des Europarates über eine Änderung der nationalen Gesetzgebung zu unterrichten und diesem mitzuteilen, welche Urkunden nach der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG durch das FreizügG/EU als Nachweis eines erlaubten Aufenthaltes im Sinne des EFA anzusehen seien.
Das BSG (a. a. O..) hat daher in klassischer, völkergewohnheitsrechtlicher, anpassender Völkervertragsauslegung („clausula rebus sic stantibus“) das EFA dahingehend ausgelegt, dass an das materielle Aufenthaltsrecht /an die materielle Freizügikeitsberechtigung eines Unionsbürgers anzuknüpfen sei.
Wie bereits dargelegt, haben die Kläger während der ersten drei Monate eine materielle Aufenthaltberechtigung nach § 2 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU.
Danach halten sich die Kläger während der ersten drei Monate seit ihrer Einreise erlaubtermaßen im Sinne des Art. 11 Abs. a) EFA in der Bundesrepublik auf.
Somit findet das EFA auf die Kläger Anwendung. Sie haben daher das Recht nach Art. 1 EFA, wonach sie auch in sozialhilferechtlicher Hinsicht mit Inländern gleich zu behandeln sind.
Demzufolge steht das EFA auch der Anwendung des Leistungsausschlusses des § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB XII im Falle der Kläger in den ersten drei Monaten ihres Inlandsaufenthaltes entgegen. Der Leistungsausschluss ist aus den oben dargestellten Gründen völkerrechtskonform einschränkend auszulegen.
Daher haben die Kläger während der ersten drei Monate ihres Aufenthaltes, der materiell rechtmäßig ist, Anspruch auf Gleichstellung mit deutschen Staatsbürgern im Inland hinsichtlich laufender Leistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Die Beklagte hat daher während der ersten drei Monate des Aufenthaltes, also bis 24.01.2015, laufende Leistungen in gesetzlicher Höhe wie einem deutschen Staatsbürger gegenüber zu erbringen. Da die Kläger jedoch nur Leistungen ab dem 01.11.2014 beantragt und somit den Streitgegenstand eingeschränkt haben, hat das Gericht nicht auf das Antragsdatum vom 27.10.2014 abgestellt, so dass Leistungen erst ab dem 01.11.2014 zuzusprechen sind.
Hinsichtlich der Höhe ergeben sich im Hinblick auf die Bedarfsberechnung der Beklagten nach Aktenlage keine Bedenken.
b)
Anders liegen die Verhältnisse für den Zeitraum ab dem 25.01.2015 bis zum 24.04.2015.
In diesem Zeitraum haben die Kläger keinen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen, sondern nur auf Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen nach § 23 Abs. 1 Satz SGB XII. Insoweit kommt der klägerische Hilfsantrag zum Tragen.
Dies beruht darauf, dass die Kläger nach drei Monaten kein Aufenthaltsrecht mehr haben. Wie bereits oben ausgeführt, haben die Kläger weder ein Daueraufenthaltsrecht aus früheren Aufenthalten mehr inne, noch können sie sich auf ein Aufenthaltsrecht als nicht erwerbstätige Unionsbürger stützen, weil sie nicht über ausreichende Eigenmittel verfügen, noch sind sie aufenthaltsberechtigte Familienangehörige eines aufenthaltsberechtigten Unionsbürgers, weil ihr im Inland befindlicher Sohn ihnen keinen Unterhalt gewährt. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
Nach Ablauf von drei Monaten entfällt aber die materielle Aufenthaltsbefugnis als Unionsbürger nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU bzw. Art. 6 Richtlinie 2004/38/EG.
An dieser Stelle sei auch noch darauf hingewiesen, dass die Kläger auch kein Aufenthaltsrecht nach Art. 14 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG haben: Zum einen können Individuen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nur unter ganz engen Voraussetzungen unmittelbare Rechte aus an sich an die Mitgliedstaaten gerichteten Richtlinien herleiten; eine solche Ausnahmekonstellation u. a. liegt vor, wenn die Richtlinie inhaltlich hinreichend klar und bestimmt ist, und die Regelungen der Richtlinie durch den Mitgliedstaat nicht, nicht zutreffend oder nicht fristgerecht umgesetzt worden ist.
Zum anderen missverstehen die Kläger bereits den Regelungsgehalt des Art. 14 selbst, wenn sie irrig davon ausgehen, dass das nach Art. 6 der Richtlinie gewährte, nur einen gültigen Ausweis voraussetzende dreimonatige Aufenthaltsrecht unter den weiteren Voraussetzungen des Art. 14 beliebig in zeitlicher Hinsicht ausgeweitet werden könnte. Dies widerspricht dem klaren Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie, der ausdrücklich auf Art. 6 der Richtlinie Bezug nimmt, der aber nur das Aufenthaltsrecht von bis zu drei Monaten regelt. Eine andere Sichtweise würde die gesamte Regelung des Art. 7 der Richtlinie überflüssig machen. Vielmehr ist Art. 14 Abs. 1 in systematischem Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 3 zu sehen, wonach die Inanspruchnahme von Sozialleistungen nicht automatisch zu einer Ausweisung führen dürfe, auch während der ersten drei Monate nicht, sondern nur dann, wenn Sozialleistungen unangemessen in Anspruch genommen werden.
In Ermangelung eines materiellen Aufenthaltsrechts ab dem 25.01.2015 ist daher ab diesem Tage wiederum das EFA nicht mehr auf die Kläger anwendbar. Das bedeutet, dass dieses nicht mehr der Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB XII entgegensteht.
Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, 03.12.2015, Az.: B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 59/13 R sowie vom 20.01.2016, Az.: B 14 AS 35/15 R) schließt der Leistungsausschluss aber nur Anspruchsleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz SGB XII, nicht hingegen auf die Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Das BSG begründet seine Entscheidung mit dem eindeutigen Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII, wonach ausdrücklich nur ein Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen sei.
Danach haben die Kläger aber Anspruch darauf, dass die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen erneut über den Antrag vom 27.10.2014 entscheidet. Der angefochtene Bescheid enthält insoweit keinerlei Ermessensausübung und ist insoweit bereits wegen Ermessensnichtgebrauchs aufzuheben.
Das Gericht kann das fehlende Verwaltungsermessen nicht ersetzen.
Die Beklagte wird bei ihrer Entscheidung aber folgende Gesichtspunkte bei der Ermessensausübung zugrunde zu legen haben:
Die Kläger haben ab dem 25.01.2015 keine materielle Aufenthaltsbefugnis. An sich haben sie auch nach der Berechnung der Beklagten einen Aufstockungsbedarf im Rahmen der Grundsicherung. Grundsätzlich gebietet die Verfassung nach Art. 1 und Art. 20 Grundgesetz (GG) das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BSG, Urteil vom 20.01.2016, Az.: B 14 AS 35/15 R, m. w. N.). Insbesondere dürfen die Kläger nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.01.2016 (Az.: B 14 AS 35/15 R) nicht auf eine Rückkehrmöglichkeit in ihr Heimatland zum Zwecke der Bedarfsdeckung durch dortige Beantragung von Leistungen verwiesen werden. Trotz Kenntnis der Umstände, die erkennen lassen, dass die Kläger zumindest nach drei Monaten keinen erlaubten Inlandsaufenthalt haben, haben die Behörden den Aufenthalt der Kläger faktisch geduldet. Besteht ein solcher faktisch geduldeter Aufenthalt über sechs Monate, entsteht ein verfestigter tatsächlicher Aufenthalt. Letzterer führt nach der Rechtsprechung des BSG (a. a. O..) zu einer Ermessensreduzierung auf Null, so dass Leistungen dann in voller Höhe zu erbringen sind. Die Tatsache, dass sich der Aufenthalt der Kläger über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten verfestigt hat, nicht zuletzt, weil auch im Zeitraum vom 25.01.2015 bis 24.04.2015 der Aufenthalt der Kläger faktisch geduldet worden ist, muss von der Beklagten berücksichtigt werden (ausländerrechtliches Vollzugsdefizit, BSG, Urteil vom 03.12.2015, Az.: B 4 AS 44/15 R). Zwar liegt keine Ermessensreduzierung auf Null wie im Anschlusszeitraum vor; es spricht aber auch – wie dargestellt – insbesondere unter Berücksichtigung der Vorgaben durch das Grundgesetz viel gegen eine völlige Leistungsablehnung. Dies wird die Beklagte bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen haben.
Ihre Ermessensentscheidung hat die Beklagte rechtsbehelfsfähig unter Beachtung der dargestellten Rechtsauffassung des Gerichts zu verbescheiden, § 131 Abs. 3 SGG.
c)
Für die Zeit ab dem 25.04.2015 ergibt sich bis auf weiteres wiederum ein Anspruch der Kläger auf laufende Leistungen der Grundsicherung nach den gesetzlichen Vorschriften, und zwar in voller Höhe wie bei einem Inländer.
Die Kläger haben weiterhin keine materielle Aufenthaltserlaubnis inne, so dass das EFA keine Anwendung auf sie findet. Damit greift grundsätzlich der Leistungsausschluss des Art. 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB XII ein. Dieser betrifft jedoch nicht Ermessensleistungen im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, 03.12.2015, Az.: B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 59/13 R sowie vom 20.01.2016, Az.: B 14 AS 35/15 R) reduziert sich aber das Ermessen nach sechs Monaten faktischer Duldung – wie vorliegend – auf Null, so dass Leistungen wie bei einem Inländer zu erbringen sind.
Die Kammer hält die genannten Entscheidungen des BSG ausdrücklich für nachvollziehbar und schließt sich der Auffassung des BSG an:
Zwar mag es der politischen Zielsetzung der Europäischen Union zuwiderlaufen, wenn – wie vorliegend – Unionsbürger in einem anderen Mitgliedstaat einreisen und dann Sozialhilfe beziehen, obwohl deren Ausschluss in einem solchen Fall gemeinschaftsrechtlich zulässig ist. Andererseits stellt es keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht dar, wenn das Recht eines Mitgliedsstaates einem Unionsbürger sogar mehr Rechte einräumt, als vom Gemeinschaftsrecht vorgeschrieben.
In einem Fall wie dem vorliegenden beruht das Ergebnis aber zum einen darauf, dass die Bundesregierung – anders als zum SGB II – hinsichtlich des EFA keinen völkerrechtlichen Vorbehalt hinsichtlich Leistungen nach dem SGB XII formuliert hat. Zum anderen ergeben sich die Konsequenzen direkt aus dem SGB XII, weil dieses Ermessensleistungen seinem Wortlaut nach gerade nicht ausschließt, sowie aus dem Grundgesetz, das als Menschenrecht die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums grundsätzlich für jeden vorschreibt, der sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhält. Besteht danach ein ausländerrechtliches Vollzugsdefizit, oder bestehen sonstige Ausweisungshindernisse, die hier nicht zu erörtern sind, verbleiben daher Menschen im Inland auch ohne materielles Aufenthaltsrecht. Dann ist ihnen aber auch von Verfassungs wegen das Existenzminimum als Menschenrecht zu gewährleisten, solange und soweit sie sich hier aufhalten.
Danach stehen den Klägern (zwischen den Beteiligten der Höhe nach unstrittige) Aufstockungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII zu.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 193, 183 SGG und § 64 SGB X.


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