Familienrecht

Bewilligung einer Erstausstattung bei Geburt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

Aktenzeichen  L 11 AS 748/17 B ER

Datum:
22.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 86b Abs. 2, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 172 Abs. 3 Nr. 1
SGB II SGB II § 21 Abs. 6, § 24 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Ein Bedarf für eine Erstausstattung bei Geburt ist erst unmittelbar vor der Entbindung gegeben. Die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung besteht mangels drohender schwerer und unzumutbarer Nachteile vorher nicht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Übernahme von Examensgebühren stellt keine existenzsichernde Leistung dar. Bei dieser Examensgebühr handelt es sich nicht um einen unabweisbaren laufenden Bedarf, sondern allenfalls um einen einmaligen Bedarf. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 AS 1047/17 ER 2017-10-09 Bes SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.10.2017 wird hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Anhörung zur beabsichtigten Aufhebung und Erstattung vom 20.09.2017 verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Rechtmäßigkeit einer Anhörung zur beabsichtigten Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.08.2017 bis 30.09.2017 in Höhe von insgesamt 529,76 EUR, die Bewilligung einer Erstausstattung bei Geburt, die Übernahme der Kosten für eine Examensprüfung in Höhe von 80,00 EUR, die Übernahme der Kosten für eine Wohnungsvergrößerung und der höheren Miete sowie die Bewilligung eines Mehrbedarfes für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte bezüglich der Beschwerdeführerin zu 2.
Der Beschwerdegegner bewilligte dem Beschwerdeführer zu 1. mit den Bescheiden vom 03.05.2017 und 23.08.2017 Alg II für die Zeit vom 01.06.2017 bis 31.05.2018. Aufgrund seiner Mitteilung, die Beschwerdeführerin zu 2. sei ab 01.08.2017 (wieder) Mitglied der Bedarfsgemeinschaft, einer Abmeldung der Beschwerdeführerin zu 2. zum 21.08.2017 und aufgrund eines erneuten Einzuges der Beschwerdeführerin zu 2 am 04.09.2017 bewilligte der Beschwerdegegner mit bestandskräftigem Bescheid vom 20.09.2017 Alg II unter Berücksichtigung der für August anteilig und erneut ab 04.09.2017 bestehenden Bedarfsgemeinschaft. Dabei rechnete er das Einkommen der Beschwerdeführerin zu 2. aus einer Witwenrente und einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung entsprechend an. Dem Beschwerdeführer zu 1. wurde zudem ein Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte und der Beschwerdeführerin zu 2. ein Mehrbedarf für Schwangere bewilligt. Ein Mehrbedarf der Beschwerdeführerin zu 2. für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte wurde nicht anerkannt.
Zudem wurde der Beschwerdeführer zu 1. zur beabsichtigten teilweise Aufhebung seines Leistungsanspruches für August und September 2017 wegen des bei ihm auch zu berücksichtigenden Einkommens der Beschwerdeführerin zu 2. und der sich daraus ergebenen Erstattungsforderung in Höhe von 529,76 EUR mit Schreiben vom 20.09.2017 angehört. Gegen die Anhörung erhoben die Beschwerdeführer Widerspruch.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 20.09.2017 bewilligte der Beschwerdegegner zudem eine Erstausstattung für Schwangere an die Beschwerdeführerin zu 2. in Höhe von 125,00 EUR. Auf den Antrag hinsichtlich einer Erstausstattung bei Geburt (Kleidung/ Einrichtungsgegenstände etc.) teilte der Beschwerdegegner mit Schreiben vom 20.09.2017 mit, die Bewilligung einer Babyerstausstattung erfolge erst zwei Monate vor dem Entbindungstermin (voraussichtlicher Entbindungstermin: 06.03.2018). Dem Antrag auf Übernahme der Kosten für eine Examensprüfung der Beschwerdeführerin zu 2. im September 2017 in Höhe von 80,00 EUR lehnte der Beschwerdegegner mit Bescheid vom 05.10.2017 ab. Die Prüfungsgebühr könne aber als Darlehen übernommen werden; hierfür sei ein gesonderter Antrag erforderlich. Den Antrag auf Übernahme der Kosten für den Wanddurchbruch und der dann erhöhten Miete lehnte der Beschwerdegegner ebenfalls mit Bescheid vom 05.10.2017 ab. Baumaßnahmen gehörten nicht zu den Unterkunftskosten und ein Bedarf an höherer Miete bestehe derzeit nicht. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer laut Mitteilung des Beschwerdegegners jeweils Widerspruch. Nach Vorlage eines entsprechenden neuen Mietvertrages für die Zeit ab 01.12.2017 hinsichtlich der um ein Zimmer erweiterten Wohnung bewilligte der Beschwerdegegner mit Bescheid vom 16.11.2017 ab 01.12.2017 die höheren Unterkunftskosten in vollem Umfang.
Bereits am 28.09.2017 haben die Beschwerdeführer einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Nürnberg (SG) hinsichtlich des Anhörungsschreibens vom 20.09.2017 zur Aufhebung und Erstattung, hinsichtlich der Erstausstattung für das Baby, hinsichtlich der Übernahme der Kosten für die Examensprüfung in Höhe von 80,00 EUR als unerweisbaren einmaligen Sonderbedarf, hinsichtlich eines Mehrbedarfes für einen erwerbsfähigen behinderten Leistungsberechtigten (Beschwerdeführerin zu 2.) und hinsichtlich der Anmietung eines weiteren Zimmers begehrt. Das SG hat mit Beschluss vom 09.10.2017 eine Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wegen der erfolgten Anhörung und wegen der offenen Anträge gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelehnt. Eilbedürftigkeit bestehe nicht. Die Beschwerdeführer hätten keine existenzielle Notlage dargelegt, sie bezögen Alg II als laufende Leistung. Der Eintritt schwerer und unzumutbarer Nachteile drohe nicht.
Dagegen haben die Beschwerdeführer Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben und ihre Begehren weiter verfolgt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten des Beschwerdegegners sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist nur zum Teil zulässig (§§ 172, 173 SGG), im Übrigen aber nicht begründet. Lediglich im Ergebnis zu Recht hat das SG die Anträge auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Das SG nimmt weder eine Trennung der Streitgegenstände vor noch berücksichtigt es die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
Vorliegend ist zwischen den verschiedenen Streitgegenständen zu unterscheiden. Hinsichtlich des wegen der Anhörung zur beabsichtigten Aufhebung und Erstattung begehrten einstweiligen Rechtsschutzes – es handelt sich vorliegend um einen von den übrigen Begehren abtrennbaren Streitgegenstand – ist die Beschwerde gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nicht statthaft, denn in der Hauptsache bedürfte die Berufung der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Streitig ist die beabsichtigte Aufhebung und Erstattung in Höhe von 529,76 EUR. Somit wird der Wert des Beschwerdegegenstandes in Höhe von mehr als 750,00 EUR nicht erreicht. Die Beschwerde ist insoweit als unzulässig zu verwerfen. Offen gelassen werden kann daher, dass hinsichtlich des gegen die Anhörung zur beabsichtigten Aufhebung und Erstattung begehrten einstweiligen Rechtsschutzes auf § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG abzustellen ist, wobei zudem zu prüfen wäre, ob die Aufhebung selbst – nicht aber die Erstattung – nicht bereits mit bestandskräftigen Bescheid vom 20.09.2017 zur Neuberechnung der Leistungen, allerdings ohne weitere Begründung und ohne vorherige Anhörung erfolgt sein könnte. Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde es allerdings entweder am Vorliegen eines Aufhebungsbescheides fehlen oder sie würde an der Bestandkraft der eventuellen Aufhebung im Bescheid vom 20.09.2017 scheitern. Hinsichtlich des weiteren, abtrennbaren Streitgegenstandes der begehrten Leistung gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II (Bekleidung und Erstausstattung bei Geburt) stellt § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG die Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes dar, denn streitig ist die Bewilligung von Leistungen.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG, Beschluss vom 25.10.1998 – 2 BvR 745/88 – BVerfGE 79, 69 (74); Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 42/76 – BVerfGE 46, 166 (179); Beschluss vom 22.11.2002 – 2 BvR 745/88 – NJW 2003, 1236).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt – voraus. Die Angaben hierzu hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung – ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl, § 86b Rn 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.
Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist (vgl BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13); eine lediglich summarische Prüfung genügt entgegen der Auffassung des SG nicht. Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breith 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12).
Vorliegend ist hinsichtlich des Begehrens auf eine Erstausstattung bei Geburt vom Beschwerdegegner mit Schreiben vom 20.09.2017 darauf hingewiesen worden, dass eine Bewilligung erst zwei Monate vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin im März 2018 entschieden werde. Nachdem derzeit kein (existenznotwendiger) Bedarf für die Babyerstausstattung besteht – die Entbindung ist für den 06.03.2018 berechnet – und der Beschwerdegegner auch die Bewilligung der Erstausstattung bei Geburt nicht verweigert, ist vorliegend weder ein Anordnungsgrund noch (derzeit) ein Anordnungsanspruch gegeben. Ein Bedarf ist entsprechend der Auffassung des Beschwerdegegners erst unmittelbar vor der Entbindung gegeben und die Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung besteht mangels drohender schwerer und unzumutbarer Nachteile zurzeit nicht.
Die Übernahme der Examensgebühr, die der Beschwerdegegner mit Bescheid vom 05.10.2017 abgelehnt hat, wogegen die Beschwerdeführerin zu 2. Widerspruch erhoben hat, stellt auch keine existenzsichernde Leistung dar. Vielmehr kann eine eventuelle Nachzahlung im Anschluss an ein Hauptsacheverfahren die folgende Nichtzahlung ohne Nachteile beseitigen. Im Übrigen besteht diesbezüglich auch kein Anordnungsanspruch, denn bei dieser Prüfungsgebühr handelt es sich nicht um einen unabweisbaren laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II, sondern allenfalls um einen einmaligen Bedarf. Diesbzgl. hat der Beschwerdegegner jedoch bereits die Erbringung eines Darlehens gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf gesonderte Antragstellung hin angeboten, so dass es wiederum am Vorliegen eines Anordnungsgrundes, nämlich der Notwendigkeit einer einstweiligen Regelung, fehlt.
Hinsichtlich der begehrten höheren laufenden Leistungen durch Bewilligung eines Mehrbedarfes für erwerbsfähige schwerbehinderte Leistungsberechtigte (§ 21 Abs. 4 SGB II) sowie für Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II) stellt § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG ebenfalls die zutreffende Rechtsgrundlage dar. Dabei hat der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin zu 2. einen Mehrbedarf für werdende Mütter im Sinne des § 21 Abs. 2 SGB II bereits mit Bescheid vom 20.09.2017 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 05.10.2017 zugesprochen. Die Voraussetzung eines Anordnungsanspruches für einen Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte gemäß § 21 Abs. 4 SGB II liegen nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass an die Beschwerdeführerin zu 2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben etc. erbracht werden.
Nach alledem ist die Beschwerde teilweise zu verwerfen und im Übrigen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

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