Familienrecht

keine Pflicht des Prozessgerichts zur Übersetzung des grenzüberschreitenden Prozesskostenhilfeantrags von Amts wegen

Aktenzeichen  5 W 40/20

Datum:
17.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39994
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 184
ZPO § 115, § 117 Abs. 4, § 1076, § 1078 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Jedenfalls dann, wenn sich ein im Ausland wohnhafter Staatsangehöriger eines anderen EU-Staats bei der Einreichung eines PKH-Antrags eines im Inland zugelassenen Rechtsanwalts bedient, besteht keine Notwendigkeit, die Erklärung des Antragstellers zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen samt Anlagen von Amts wegen in die Gerichtssprache übersetzen zu lassen. (Rn. 15)
2. Eine Übersetzung von Amts wegen ist auch dann nicht veranlasst, wenn auf den ein- oder mehrmaligen Hinweis des Gerichts auf die Lückenhaftigkeit der in der Gerichtssprache vorgelegten Unterlagen hin nur noch Schriftstücke in ausländischer Sprache nachgereicht werden. (Rn. 15)

Verfahrensgang

91 O 1699/19 2020-02-11 Bes LGWUERZBURG LG Würzburg

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 11.02.2020, Az. 91 O 1699/19, wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 127 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 567 Abs. 1 Satz 1 ZPO) und wurde auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 127 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 569 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO).
2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Das Erstgericht hat mit knapper, aber letztlich uneingeschränkt zutreffender Begründung die Bewilligung von beantragter Prozesskostenhilfe wegen wiederholt unzureichender Einreichung erforderlicher Nachweise für die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers versagt.
a) Der Senat erinnert zunächst an das Folgende (vgl. BGH, Beschluss vom 27.08.2019 – VI ZB 32/18 -, juris, Rn. 14 ff.):
aa) Der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren verpflichtet das Gericht zur Rücksichtnahme auf die Parteien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 -, juris, Rn. 8; BGH, Beschluss vom 29.08.2017 – VI ZB 49/16 -, juris, Rn. 13; jew. m. w. N.). So sind die Gerichte beispielsweise gehalten, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen ist; dies kann die Weiterleitung der Rechtsmittelschrift an das zuständige Gericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs gebieten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 -, juris, Rn. 8; BGH, Beschluss vom 12.10.2011 – IV ZB 17/10 -, juris, Rn. 14). Dem Gericht ist es untersagt, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Versäumnissen Verfahrensnachteile abzuleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2006 – 1 BvR 2558/05 -, juris, Rn. 8; BGH, Beschluss vom 29.08.2017 – VI ZB 49/16 -, juris, Rn. 13).
bb) Das Gebot der Rücksichtnahme gilt im Prozesskostenhilfeverfahren in besonderem Maße (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4.10.2003 – 1 BvR 901/03 -, juris, Rn. 19 f.; BVerfG, Beschluss vom 08.01.1996 – 2 BvR 306/94 -, juris, Rn. 6; jew. m. w. N.). In diesem Verfahren ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Prozesskostenhilfe das aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Rechtsschutzgleichheit verwirklichen soll, indem Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.12.2018 -2 BvR 2257/17 -, juris, Rn. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2003 – 1 BvR 901/03 -, juris, Rn. 15; vom 5. Dezember 2018 – 2 BvR 2257/17 -, juris, Rn. 14; jew. m. w. N.). Da dieses Verfahren den grundgesetzlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen – sowohl an den Vortrag der Beteiligten als auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse – nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.12.2018 – 2 BvR 2257/17 -, juris, Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 14.102003 – 1 BvR 901/03 -, juris, Rn. 15, 17; BGH, Beschluss vom 03.07.2013 – XII ZB 106/10 -, juris, Rn. 13). Das gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Wahrnehmung aller Instanzen, die eine Prozessordnung vorsieht (BVerfG, Beschluss vom 08.01.1996 – 2 BvR 306/94 -, juris, Rn. 6).
cc) Dementsprechend ist es in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass das Gericht einen Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht wegen unterlassener Einreichung des in § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordrucks ablehnen darf, wenn es die Partei nicht zuvor erfolglos auf die Unvollständigkeit ihres Antrags hingewiesen und ihr eine Frist gesetzt hat, innerhalb der der Vordruck einzureichen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27.08.2019 – VI ZB 32/18 -, juris, Rn. 16, m. w. N.).
b) Nach diesen Maßstäben kann die sofortige Beschwerde keinen Erfolg haben, weil das Erstgericht in hinreichender Weise seine Fürsorgepflicht gegenüber dem sich bereits bei der Antragstellung einer anwaltlichen Beratung und Vertretung Bedienenden wahrgenommen hat.
aa) Es begegnet weder verfassungsrechtlichen noch einfach-gesetzlichen Bedenken, dass von einem im Geltungsbereich des Grundgesetzes zugelassenen Rechtsanwalt, der etwa die Postulationsbefugnis nach § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu vermitteln vermag, auch im Prozesskostenbewilligungsverfahren dem Grunde nach erwartet werden darf, dass dieser um die Existenz und Bedeutung des § 184 GVG und etwaige Folgen eines – wiederholten – Verstoßes hiergegen weiß (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 10.02.2020 – 2 BvR 336/19 -, juris, Rn. 6; Sächsisches OLG, Beschluss vom 16.11.2018 – 3 D 71/18 -, juris, Rn. 6).
bb) Das Erstgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme der zuständigen Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Würzburg mit Verfügung 12.12.2019 auf das Fehlen zahlreicher Unterlagen hingewiesen. Der Umstand, dass in diesem Hinweis – noch – kein Hinweis auf die auch im Prozesskostenhilfeprüfverfahren geltende Vorgabe des § 184 GVG erfolgt war – dies folgte erst in der Verfügung vom 03.04.2020 -, steht der Annahme einer ausreichenden Wahrung der Fürsorgepflicht, namentlich bei einem sich bereits anwaltlicher Beratung und Vertretung Bedienenden, in keiner Weise entgegen.
cc) Dem steht der Umstand einer grenzüberschreitenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Maßgabe der §§ 1076-1078 ZPO, über deren Heranziehung und Beachtung die erstgerichtlichen Entscheidungen schweigen, namentlich auch in Ansehung von der Vorgabe des § 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach eingehende Anträge in deutscher Sprache ausgefüllt und die Anlagen von einer Übersetzung in die deutsche Sprache begleitet sein müssen, gerade nicht entgegen, nachdem sich der im EU-Ausland wohnansässige Antragsteller bereits eines im Geltungsbereich des Grundgesetzes zugelassenen und vor Gericht auftretenden Rechtsanwalts bedient.
dd) Es ist zudem nicht ansatzweise ersichtlich, dass das Erstgericht einen jedenfalls nie zur Akte gelangten Antrag auf Gewährung von „Prozesskostenhilfe“ für die notwendige Übersetzung eines Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nebst den notwendigen Anlagen hierzu unbeachtet gelassen hat (vgl. EuGH, Urt. v. 26.07.2017 – C-670/15 -, juris, Rn. 29, 43, 47; BGH, Beschluss vom 03.07.2018 – VIII ZR 229/17 -, juris, Rn. 37 ff., m. w. N.).
ee) Schließlich musste sich, insoweit abweichend von dem Ausgangssachverhalt der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur gebotenen richtlinienkonformen Auslegung von § 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO, das Erstgericht bei gebotener Gesamtschau aller Umstände nicht – mehr – veranlasst sehen, die im Ansatz zutreffend als fehlend angesehenen Übersetzungen von Amts wegen zu erholen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.07.2018 – VIII ZR 229/17 -, juris, Rn. 66, m. w. N.), nachdem der Antragsteller, wenn auch eher sukzessive, seinerseits bereits verschiedentlich deutsche Übersetzungen oder Bescheinigungen in deutscher Sprache vorgelegt hatte.
ff) Im Ergebnis ist der Begründung des Erstgerichts unter Würdigung aller vorliegenden Umstände auch deshalb darin beizutreten, dass mangels einer hinreichenden Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse jedenfalls der vorliegende Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Ermangelung einer ausreichenden Erfüllung der Voraussetzungen des § 117 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 115 ZPO auch dann erfolglos bleiben müsste, wenn hypothetisch die vorhandenen Unterlagen alle in der Gerichtssprache vorlägen, weil unverändert keine Vollständigkeit gegeben ist.
Das Beschwerdegericht sieht sich insoweit, auch ohne Kenntnisse in der Landessprache des Antragstellers, hinreichend in der Lage, die in lateinischer Schrift angegebenen Zeiträume und Beträge auf den eingereichten Kontoauszügen als solche zu würdigen. Daraus lässt sich unweigerlich die Annahme ableiten, dass auch diese nicht vollständig sein können, sondern lediglich einzelne Zahlungsvorgänge, konkret stets geringfügige Gutschriften im einstelligen Grosz-Bereich, dem polnischen Pedant zum Eurocent, umfassen, ohne dass irgendwelche erwartbaren Zahlungseingänge, namentlich auch des in Gestalt eines privatrechtlichen und -schriftlichen Schreibens vorliegenden „Einkommensnachweises“, einsehbar wären. Ebenso sind die mit den behaupteten Unterhalts- und Mietzahlungsverpflichtungen naturgemäß verbundenen Zahlungsvorgänge nicht abgebildet oder anderweitig ersichtlich.
III.
Eine Erstattung von außergerichtlichen Auslagen findet im Prozesskostenbewilligungsverfahren, auch im Beschwerdeverfahren, nicht statt (vgl. Kratz, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO, § 127 Rn. 60 ).
Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 ZPO ist nicht geboten.


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