Handels- und Gesellschaftsrecht

Aufhebung des Insolvenzverfahrens: Erneuter Beginn der Berufungsbegründungsfrist nach Unterbrechung des Rechtsstreits; Irrtum des Prozessbevollmächtigten über das Ende der Unterbrechung

Aktenzeichen  IX ZB 22/19

Datum:
24.9.2020
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:240920BIXZB22.19.0
Normen:
§ 85 Abs 2 ZPO
§ 233 ZPO
§ 240 ZPO
§ 249 Abs 1 ZPO
§ 522 Abs 1 ZPO
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 21. Februar 2019, Az: 23 U 4477/15vorgehend LG München II, 1. Dezember 2015, Az: 3 O 1876/15

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Februar 2019 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihrer am 26. April 2015 bei Gericht eingegangenen Klage hat die vormalige Klägerin Zahlung von 11.799,45 € nebst Zinsen, Auskunft, Erstattung vorgerichtlicher Kosten und Freistellung von weiteren Anwaltskosten verlangt. Mit Urteil vom 1. Dezember 2015 ist die Beklagte zur Zahlung von 11.799,45 € nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Kosten nebst Zinsen verurteilt worden. Das Urteil ist der Beklagten am 4. Dezember 2015 zugestellt worden. Noch am 4. Dezember 2015 hat die Beklagte Berufung eingelegt.
2
Am 7. Dezember 2015 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet. Es wurde Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte legte einen Insolvenzplan vor, der von den Gläubigern mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen und mit Beschluss vom 30. Dezember 2016 gerichtlich bestätigt wurde. Mit Beschluss vom 15. Mai 2017 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben.
3
Die Klägerin ist am 29. Januar 2017 verstorben. Mit Schriftsatz vom 18. September 2018 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Fortsetzung des Verfahrens beantragt. Die Beklagte hat dem Antrag widersprochen. Sie hat gemeint, der Klägerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil eine Zwangsvollstreckung aus außerhalb des Insolvenzverfahrens erlangten Titeln gemäß § 11 Abs. 2 des Insolvenzplans unzulässig sei. Sie hat mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2018 die ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gemäß § 88 Abs. 1 ZPO gerügt. Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2018 hat die Beklagte die Berufung für erledigt erklärt und hilfsweise wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 18. Januar 2019 eine auf den 23. August 2014 datierte und mit dem Namenszug der Klägerin unterzeichnete Vollmacht vorgelegt. Mit Beschluss vom 21. Februar 2019 hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und deren Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit welcher sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erreichen will.
II.
4
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).
5
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Berufung der Beklagten sei unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Die Berufung sei rechtzeitig eingelegt worden. Während der Begründungsfrist sei der Rechtsstreit durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten unterbrochen worden. Damit habe der Lauf der Frist gemäß §§ 240, 249 Abs. 1 ZPO aufgehört. Zwei Tage nach der Bekanntmachung der Aufhebung des Insolvenzverfahrens, am 19. Mai 2017, habe die Unterbrechung von Gesetzes wegen geendet. Gemäß § 249 Abs. 1 ZPO habe die Berufungsbegründungsfrist von neuem zu laufen begonnen. Bis zum Ende der zweimonatigen Frist am 19. Juli 2017 sei keine Berufungsbegründung eingegangen. Der Beklagten sei auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Beklagte nicht ohne ihr Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Sie müsse sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Dessen irrige Auslegung des Verfahrensrechts stelle keinen unverschuldeten Rechtsirrtum dar.
6
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
7
a) Die Berufung der Beklagten musste als unzulässig verworfen werden, weil sie nicht fristgerecht begründet worden war (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten war der Rechtsstreit gemäß § 240 ZPO unterbrochen. Die Unterbrechung endete ipso jure mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 1975 – VII ZR 220/73, BGHZ 64, 1 f; Beschluss vom 28. September 1989 – VII ZR 115/89, NJW 1990, 1239; jeweils zur Einstellung des Konkursverfahrens nach §§ 202 ff KO; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 240 Rn. 32; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 240 Rn. 19). Nach Beendigung der Unterbrechung begann die Frist zur Begründung der Berufung gemäß § 249 Abs. 1 ZPO von neuem zu laufen. Einer besonderen Fristsetzung bedurfte es nicht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 1975, aaO, S. 3; Beschluss vom 28. September 1989, aaO). Innerhalb dieser vom Berufungsgericht zutreffend berechneten Frist hat die Beklagte keine Berufungsbegründung vorgelegt.
8
b) Der Beklagten war keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn die irrige Auffassung des Prozessbevollmächtigten, die Unterbrechung des Berufungsverfahrens habe nicht nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens geendet, stellt einen vermeidbaren Rechtsirrtum dar. Der gängigen Kommentarliteratur, die durch einen Rechtsanwalt zur Prüfung heranzuziehen ist (vgl. Musielak/Voit/Grandel, ZPO, 17. Aufl., § 233 Rn. 44), war dies ohne weiteres zu entnehmen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 240 Rn. 15; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 240 Rn. 32 f; Hk-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 240 Rn. 9).
9
3. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Zulässigkeitsgründe (§ 574 Abs. 2 ZPO) liegen sämtlich nicht vor.
10
a) Die Rechtsbeschwerde meint, die Beklagte sei in ihrem Anspruch auf die Gewähr rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil der Rechtsstreit in Folge des Versterbens der Klägerin noch immer unterbrochen sei. Der Unterbrechung nach § 239 Abs. 1 ZPO stehe § 246 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO nicht entgegen, denn die Klägerin sei in dem Berufungsverfahren nicht wirksam durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten worden. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung sei gerügt worden.
11
Der Prozessbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 18. Januar 2019 eine auf den 23. August 2014 datierte und mit dem Namenszug der Klägerin unterzeichnete unbeschränkte Vollmacht vorgelegt. Damit hat er die Vollmacht gemäß § 80 ZPO schriftlich zu den Gerichtsakten eingereicht und den gerügten Mangel beseitigt. Im Hinblick auf die Regelung in § 246 Abs. 1 ZPO trat mit dem Tod der Klägerin am 29. Januar 2017 eine Unterbrechung des Rechtsstreits nicht ein.
12
b) Die Rechtsbeschwerde hält ferner die Klage für unzulässig, weil die Klageforderung für beide Parteien verbindlich im Insolvenzplan geregelt worden sei. Dazu beruft sie sich auf den Zulässigkeitsgrund der grundsätzlichen Bedeutung. Wie in einem vor Insolvenzeröffnung begonnenen Rechtsstreit zu verfahren sei, wenn die Klageforderung und ihre Durchsetzung in einem Insolvenzplan umfassend geregelt worden seien, sei ungeklärt.
13
Die Frage der fehlenden Zulässigkeit der Klage im Hinblick auf den Insolvenzplan hätte im Berufungsverfahren geklärt werden können. Nachdem die Beklagte die Frist zur Begründung der Berufung versäumt hatte, konnte die Berufung jedoch nur als unzulässig verworfen werden (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
14
c) Die Rechtsbeschwerde rügt eine weitere Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht sei auf die Frage nach dem Entgegenstehen der in dem Insolvenzplan getroffenen Regelungen – trotz des ausführlichen Vortrags der Beklagten in den Schriftsätzen vom 26. September 2018, 14. November 2018 und 27. Dezember 2018 – überhaupt nicht eingegangen. Die Rechtsbeschwerde beruft sich insoweit auf den Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
15
Nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn es an einem der in § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO genannten Erfordernisse fehlt. Bereits zum Zeitpunkt des ersten durch die Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Schriftsatzes vom 26. September 2018 war die Berufungsbegründungsfrist abgelaufen. Der dort gehaltene Vortrag war durch das Berufungsgericht deshalb nicht mehr zu berücksichtigen.
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