Handels- und Gesellschaftsrecht

Berufung, Rechtsmittel, Form, Darlegung, Sicherung, Bedeutung, Beurteilung, Hinweis, Vorlage, Rechtsprechung, Feststellung, Rechtssache, Auseinandersetzung, Verhandlung, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  14 U 767/19

Datum:
7.7.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48798
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

14 U 767/19 2020-04-02 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15.01.2019, Aktenzeichen 081 O 4399/16, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 213.715,80 € festgesetzt.

Gründe

Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15.01.2019 und Punkt I. des hiesigen Hinweises vom 02.04.2020 (Bl. 203/218 d. A.) Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger:
1. Das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15.01.2019, Aktenzeichen 081O 4399/16, wird aufgehoben, soweit der Beklagte verurteilt wurde.
2. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15.01.2019, Aktenzeichen 081 O 4399/16, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung gemäß Schriftsatz vom 01.07.2020 (Bl. 225/229 d. A.) geben zu einer Änderung keinen Anlass. Zu den Ausführungen des Beklagten im Einzelnen:
1. Zu Ziffer 1 der Gegenerklärung:
Der Senat hat keine übermäßigen, nicht von der ZPO gedeckten, Anforderungen an den Sachvortrag des Beklagten gestellt.
Der Kläger hat – entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (s. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 – II ZR 88/16 -, BGHZ 217, 129 -153) – hinreichend substantiiert durch Vorlage einer geordneten Gegenüberstellung der zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel der Schuldnerin in Form eines Liquiditätsstatus dargelegt, dass zum 30.09.2012 eine Liquiditätslücke von mehr als 10% vorlag, und auch nicht zu erwarten war, dass diese demnächst geschlossen werden könnte. Wegen der Einzelheiten wird auf Punkte II. 1 des Hinweises vom 02.04.2020 (Bl. 209/211) verwiesen.
Dem ist der Beklagte nur unsubstantiiert entgegen getreten, indem er behauptet, dass mit von ihm nicht genannten Lieferanten nicht näher benannte Zahlungsziele vereinbart worden seien, ohne konkret darzulegen, auf welche Forderungen sich diese Vereinbarungen bezogen hätten. Auf die diesbezüglichen Ausführungen unter Punkt II. 2. des Hinweises vom 02.04.2020 (Bl. 211/212 d. A.) wird verwiesen. Dort ist auch bereits erörtert worden, warum sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, keine Erinnerung mehr an die einzelnen Geschäftsvorfälle zu haben (S. 10 des Hinweises = Bl. 212 d. A.).
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Standpunkt des Senats findet in der Gegenerklärung nicht statt, weswegen zur Begründung auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen wird.
2. Zu Ziffer 2 der Gegenerklärung:
Aufgrund der eben dargestellten Prozesskonstellation war kein Sachverständigengutachten zur behaupteten Zahlungsunfähigkeit zum 30.09.2012 zu erholen.
Die Tatsachen, aufgrund derer eine Zahlungsunfähigkeit festzustellen war, hat der Beklagte nicht substantiiert bestritten.
Der objektive Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kann anhand dieses Sachverhalts festgestellt werden. Hierfür bedurfte es keiner besonderen Sachkunde, da lediglich darüber zu befinden war, ob die liquiden Mittel zur Deckung von mindestens 90% der fälligen Verbindlichkeiten genügten. Dabei handelt es sich um einen einfachen Rechenvorgang, der keine speziellen mathematischen oder betriebswirtschaftlichen Fähigkeiten erfordert.
Eine Beweisaufnahme zur Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit und zum Verschulden hatte mangels diesbezüglichen Vortrags des Beklagten nicht zu erfolgen. Das Verschulden des Geschäftsführers wird vermutet. Er muss also insbesondere darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Eintritt des Insolvenzgrundes trotz hinreichender organisatorischer Vorkehrungen für ihn nicht erkennbar war (MüKoGmbHG/H.-F. Müller, 3. Aufl. 2018, GmbHG § 64, Rn. 158).
Wegen der Einzelheiten wird auf Punkt II. 8 des Hinweises vom 02.04.2020 (Bl. 215/216 d. A.) verwiesen; mit den dortigen Argumenten setzt sich die Gegenerklärung nicht auseinander.
3. Zu Ziffern 3. bis 7. der Gegenerklärung:
Weder das Landgericht noch das Berufungsgericht stützen die von ihnen getroffenen Entscheidungen auf ein ihnen vom Privatsachverständigen vermitteltes Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen. Vielmehr ist durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt, dass es für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit lediglich einer geordneten Gegenüberstellung der zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel des Schuldners, etwa in Form einer Liquiditätsbilanz bedarf, und dass von einer Zahlungsunfähigkeit regelmäßig dann auszugehen ist, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10% oder mehr beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 – II ZR 88/16 -, BGHZ 217, 129-153, Rn. 10). Bei der Prüfung der Frage, ob die fälligen Verbindlichkeiten nur zu weniger als 90% aus den liquiden Mitteln beglichen werden konnten, handelt es sich um einen einfachen Rechenvorgang, der keiner besonderen Sachkunde bedarf, weswegen – ausgehend von dem unstreitigen Zahlenwerk – das Gericht mit eigener Sachkunde (Beherrschen der Prozentrechnung) die Richtigkeit der Behauptung der Zahlungsunfähigkeit überprüfen konnte.
Dem Beklagten wurde nicht angesonnen, ein Parteigutachten erstellen zu lassen. Es hätte ihm vielmehr freigestanden, (ggf. nach eigener Einsicht oder Einsicht durch einen Dritten in die beim Kläger befindlichen Buchhaltungsunterlagen) substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen, welche der in der Buchhaltung vorhandenen Buchungen in welcher Hinsicht unrichtig sein sollen. Ebenso wäre es dem Beklagten möglich gewesen, darzulegen, weswegen der Kläger rechnerisch zu Unrecht von einer Liquiditätslücke von 10% ausgehe. Ergänzend wird auf Punkt II. 2. des Hinweises vom 02.04.2020 (Bl. 211/212 d. A.) verwiesen.
4. Zu Ziffer 8 der Gegenerklärung:
Eine Beweiserhebung hat nur dann stattzufinden, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen (substantiiert) bestritten werden. Weder hat der Beklagte zu bestimmten von der Klageseite im Liquiditätsstatus dargelegten Forderungen deren Berechtigung oder Fälligkeit bestritten, noch hat er das Vorhandensein zusätzlicher, von Klageseite nicht berücksichtigter liquider Mitteln substantiiert behauptet. Ebenso wenig hat die Beklagtenseite dargelegt, dass, anders als von Klageseite dargelegt, mehr als 90% der fälligen Forderungen aus liquiden Mitteln hätten bedient werden können. Irgendein streitiger Sachvortrag, zu dem Beweis zu erheben gewesen wäre, lag damit nicht vor. Im Übrigen wird auf die Punkte II. 4. und II. 5. des Hinweises vom 02.04.2020 (Bl. 213 d. A.) verwiesen.
5. Zu Ziffer 9 der Gegenerklärung:
Auch hier erfolgt wieder nur unsubstantiierter Vortrag, indem der Beklagte, ohne Bezug zu einer oder mehreren bestimmten Forderungen, vorträgt, es seien die Besonderheiten eines Streckengeschäftes zu beachten. Ob eine bestimmte Betrachtungsweise angesichts bestimmter Umstände zu einem „absurden“ oder vielleicht auch nur unrichtigen Ergebnis führt, ist nur bei entsprechend substantiiertem Vortrag zu diesen Umständen zu prüfen.
6. Zu Ziffer 10 der Gegenerklärung:
Wie bereits im Hinweisbeschluss unter Punkt II. 8. dargelegt, wird die Pflichtwidrigkeit der Zahlung sowie das Verschulden (einschließlich Erkennbarkeit der Insolvenzreife) vermutet. Will sich der Geschäftsführer entlasten, hat er darzulegen, dass und wie er sich um die finanzielle Situation der Gesellschaft gekümmert hat bzw. aus welchen Gründen er die Insolvenzreife der Gesellschaft nicht erkennen konnte oder dass die Zahlungen mit den Grundsätzen eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar waren (Baumbach/Hueck/ Haas, 22. Aufl. 2019, GmbHG § 64 Rn. 119). Ein entsprechender substantiierter Vortrag des Beklagten ist nicht erfolgt.
7. Zu Ziffer 11 der Gegenerklärung:
Die multiplen und vielfältigen Einwendungen des Beklagten sind, wie eingehend dargelegt, nur unsubstantiiert erfolgt. In der Gegenerklärung geht der Beklagte weder inhaltlich auf die Hinweise des Senats oder die insoweit zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein, und legt nicht konkret dar, inwiefern die Erläuterungen des Senats unrichtig seien. Er weist auch nicht auf erfolgten substantiierten, aber durch den Senat nicht berücksichtigten Vortrag hin. Die bloße Bezeichnung der erteilten Hinweise oder des vom Landgericht gefundenen und Senat geteilten Ergebnisses als absurd oder grotesk kann die Richtigkeit der erteilten Hinweise, mit denen sich die Gegenerklärung inhaltlich nicht auseinandersetzt, nicht entkräften.
8. Zu Ziffer 12 der Gegenerklärung:
Die Entscheidung eines Rechtsstreits hat nicht losgelöst von Details, sondern gerade aufgrund konkreten Sachvortrags bzw. konkreten Bestreitens zu erfolgen. Der Senat gibt mit dem gefundenen Ergebnis auch nicht jedem Insolvenzverwalter ein praktikables Instrument an die Hand, beklagte Geschäftsführer rechtlos zu stellen. Vielmehr erlegt es – entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2017 – II ZR 88/16 -, BGHZ 217, 129-153) – dem Geschäftsführer die Pflicht zu substantiiertem Bestreiten auf.
Wegen der Einzelheiten wird auf Punkt II. 2 des Hinweises vom 02.04.2020 (Bl. 211/212 d. A.) verwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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