Handels- und Gesellschaftsrecht

Bestellung eines Kurventreppenlifts mit individuell gefertigter Schiene als Werkliefervertrag

Aktenzeichen  1 O 862/19

Datum:
1.10.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27039
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 312g Abs. 2 Nr. 1, § 434, § 631, § 648, § 648a Abs. 1, § 650

 

Leitsatz

1. Bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts mit individuell gefertigter Schiene handelt es sich um den Abschluss eines Werkliefervertrages im Sinne von § 650 BGB über eine nicht vertretbare Sache.  (Rn. 13 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts mit individuell gefertigter Schiene besteht kein Widerrufsrecht.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.693,95 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.03.2019 sowie weitere 805,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.03.2019 zu zahlen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 10.693,95 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 648 S. 2 BGB in Höhe von 10.693,95 €.
1) Die Beklagte hat den zwischen den Parteien geschlossenen Werklieferungsvertrag gemäß §§ 650 S. 3, 648 S. 1 BGB ordentlich gekündigt.
1) Der zwischen den Parteien spätestens am 05.02.2018 durch „Bestätigung der Rücknahme der Auftragsstornierung“ geschlossene Vertrag ist ein Werklieferungsvertrag über eine nichtvertretbare Sache iSv. § 650 BGB. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich nicht um einen Werkvertrag iSv. § 631 BGB.
Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz, liegt ein Kauf- oder Werklieferungsvertrag vor. Liegt der Schwerpunkt des Vertrags dagegen nicht auf dem Warenumsatz, sondern schuldet der Unternehmer die Herstellung eines funktionstauglichen Werks, ist ein Werkvertrag anzunehmen (BGH, Urteil v. 30.08.2018, NJW 2018, 3380 Rn. 25; BGH, Urt. v. 19.7.2018 – VII ZR 19/18, BeckRS 2018, 17582 Rn. 19; BauR 2016, 1478 Rn. 11 = NZBau 2016, 558; NJW 2013, 1431 = BauR 2013, 946 Rn. 18).
Nach dem Vertragsinhalt lag der Schwerpunkt des Vertrags vorliegend in der Lieferung einer herzustellenden unvertretbaren beweglichen Sache. Im Vordergrund stand demnach die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz, nicht dagegen ein über die bloße technische Herstellung der beweglichen Sache hinausgehender Gesamterfolg, den den Schwerpunkt der Verpflichtung des Unternehmers bildet (Palandt/Sprau, 79. Aufl. 2020, § 650 Rn. 4). Die Montage eines Treppenlifts ist entgegen der Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.02.2019 (Az. 7 O 5463/18, ZVertriebsR 2020, 81) nicht mit dem vom Bundesgerichtshof in dem Urteil v. 30.08.2018, NJW 2018, 3380 entschiedenen Fall der Planung und Errichtung eines den örtlichen Verhältnissen angepassten Senkrechtlifts an der Außenfassade vergleichbar. Der Bundesgerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Werkvertrag handelte, denn die Herstellerin des Anbaulifts hatte in den Planungsunterlagen ausgeführt: „Die Montage solcher Anlagen ist ein komplexer Vorgang. Die einzelnen Teile des Liftes sind an die jeweilige Einbausituation angepasste Maßanfertigungen. Ein reibungsloser Montageablauf erfordert, dass alle bauseitigen Leistungen, exakt wie vorher abgestimmt, vor Montage fertiggestellt sind“. Vorliegend steht jedoch die Lieferung des Treppenlifts A. im Vordergrund, der nur durch die Schiene, deren technisches Aufmaß anhand von Lichtbildern durch ein Softwareprogramm erstellt wird, an die individuelle Einbausituation angepasst wird (vgl. S. 2 des Angebots vom 31.01.2018, Anl. K1; Konstruktion- und Fertigungszeichnung, Anl. K3 und K6). Aufgrund der individuellen Anfertigung der Schiene ist der Vertrag allerdings als Werklieferungsvertrag über eine vertretbare Sache zu werten.
1) Der zwischen den Parteien geschlossene Werklieferungsvertrag ist auch nicht durch Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums gemäß §§ 119 Abs. 2, 143 Abs. 1 BGB erloschen. Die Erklärung der Beklagten vom 20.03.2019 (Anlage K 16) kann schon nicht als Anfechtungserklärung nach § 143 Abs. 1 BGB ausgelegt werden. Voraussetzung für eine Anfechtungserklärung ist, dass der Erklärende unzweideutig seinen Willen zum Ausdruck bringt, das Rechtsgeschäft wegen eines Willensmangels endgültig nicht mehr gelten lassen zu wollen (MüKoBGB/Busche, § 143 Rn. 2). Die Beklagte hat jedoch nicht erklärt, der Vertrag solle wegen eines eigenen Willensmangels nicht gelten, sondern sie hat mitgeteilt, dass sie den geschlossenen Vertrag wegen des nicht parallelen Schienenverlaufs stornieren wolle (vgl. Anl. K16). Zudem liegt kein Anfechtungsgrund im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB vor, denn bei der Parallelität des Schienenverlaufs handelt es sich nicht um eine verkehrswesentliche Eigenschaft eines Treppenlifts. Verkehrswesentlich ist eine Eigenschaft dann, wenn die Eigenschaft einen unmittelbaren Einfluss auf die Brauchbarkeit oder den Wert des Gegenstandes hat (MüKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, BGB § 119 Rn. 138). Dies ist nicht der Fall.
1) Die „Stornierung“ des Auftrags durch Erklärung vom 20.03.2016 (vgl. Anl. K16) ist als Kündigung iSv. §§ 650 S. 3, 648 S. 1 BGB auszulegen. Aus der Erklärung der Beklagten geht unzweifelhaft ihr Wille hervor, den gelieferten Treppenlift nicht zu akzeptieren. Die Beklagte fordert darin die Klägerin unmissverständlich auf, den gelieferten Lift abzuholen. Gleichzeitig bestellt sie den Lifta Esprit Air und bittet um ein Kostenangebot.
1) Ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund iSv. § 648a BGB stand der Beklagten nicht zu. Zum einen ist § 648a BGB nicht auf Werklieferungsverträge anwendbar (vgl. § 650 S. 3 BGB). Zum anderen ist auch kein wichtiger Grund iSv. § 648a Abs. 1 BGB ersichtlich.
1) Die Beklagte konnte den streitgegenständlichen Vertrag auch nicht durch Erklärung vom 21.03.2018 (vgl. K18) widerrufen, da aufgrund des Umstands, dass die Schiene des Treppenlifts an die individuelle Treppensituation der Beklagten zugeschnitten wurde, ihr kein gesetzliches Widerrufsrecht zustand (vgl. § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB).
1) Der Beklagten stand auch kein Rücktrittsrecht iSv. § 323 BGB. Der gelieferte Treppenlift, dessen Annahme die Beklagte als nicht vertragsgemäß verweigert hat, war nicht mangelhaft iSv. § 434 BGB.
Insbesondere wies der Treppenlift zwischen den Parteien vereinbarte Beschaffenheit auf, denn eine Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend, dass die Parallelität der Schienen des Treppenlifts Vertragsbestandteil wurde, wurde nicht getroffen. Vereinbart ist die Beschaffenheit, wenn der Inhalt des Kaufvertrags von vorneherein oder nachträglich die Pflichten des Verkäufers bestimmt, die gekaufte Sache in dem Zustand zu übereignen und zu übergeben, wie ihre Beschaffenheit im Vertrag festgelegt ist (Palandt/Weidenkaff, § 434 Rn. 15).
Dem Angebot der Klägerin vom 31.01.2018 ist nicht zu entnehmen, dass die Parteien vereinbart haben, dass die Schienen des Treppenlifts parallel zueinander verlaufen müssen. Die Beklagte trägt zwar vor, dass vereinbart war, dass der Treppenlift dem Treppenlift auf Seite 15 des ihr vorliegenden Prospekts der Klägerin entsprechen sollte. Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich bei dem Lift auf Seite 15 um das Modell L. handelt. Bestellt hat die Beklagte jedoch das Modell Kurventreppenlift A., das wie das Modell Kurventreppenlift L. mit einem Zweischienensystem ausgestattet ist. Außerdem handelt es sich bei der Treppe auf Seite 15 des Prospekts um eine gerade Treppe mit einem um die Kurve gehenden Einstieg. Bei der Treppe der Beklagten handelt es sich dagegen um eine Wendeltreppe, so dass eine dem Treppenlift auf Seite 15 des Verkaufsprospekts der Klägerin identische Ausführung wegen der Art der Treppe der Beklagten ausscheidet.
Dass die Parteien ausdrücklich vereinbart haben, dass der Treppenlift die Beschaffenheit mit zwei parallelen Schienen aufweisen müsse, behauptet die Beklagte nicht und auch der Zeuge R. gab an, die Beklagte habe zu ihm nie gesagt, dass es ihr wichtig sei, dass die Schienen parallel zueinander verlaufen sollten. Zwar ist mittlerweile offensichtlich, dass sie davon ausgegangen ist, die zwei Schienen würden parallel zueinander laufen und dass diese Eigenschaft für sie von großer Wichtigkeit war und ist. Eine einseitig gebliebene Vorstellung der Beklagten genügt jedoch für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung nicht (Palandt/Weidenkaff, § 434 Rn. 17).
Der Zeuge R. musste die Beklagte auch nicht darauf hinweisen, dass bei dem von ihr bestellten Treppenlift die beiden Schienen anders, nämlich nicht parallel, zueinander verlaufen würden, da regelmäßig weniger die Parallelität des Schienenverlaufs als die Funktionalität und die Sicherheit eines Treppenlifts im Vordergrund stehen. Dass es für den Zeugen R. erkennbar war, dass die Beklagte auf die Parallelität der Schienenwert legte, ist nicht ersichtlich. Im Vordergrund des Schriftwechsels, der dem Vertragsschluss folgte, stand die Art und Optik des Sitzbezugs. Lediglich in dem Schreiben vom 01.02.2018 (Anlage K4) führte die Beklagte aus, die Schienen müssten aus zwei einzelverlaufenden Rohren bestehen. Dass sie darüber hinaus Wert darauf legt, dass die Rohre zudem parallel zueinander laufen, teilt die Beklagte dagegen nicht mit. Schließlich war der Beklagten auch die Fertigungs- und Konstruktionszeichnung des Treppenlifts (Anl. K3 und K6), auf der der nicht parallele Verlauf der Schienen eindeutig erkennbar ist, bekannt und sie hat diese Ausführung auch freigegeben. Auch wenn sie im Schreiben vom 12.02.2018 (Anlage K 10) mitteilte, sie könne nicht erkennen, ob die Konstruktion so ausgeführt werde wie mit dem Zeugen R. besprochen, bestand seitens der Klägerin keine Verpflichtung, nachzufragen, welcher Punkt der Beklagten nach wie vor unklar war. Dazu kommt, dass aus Sicht der Klägerin der Treppenlift so ausgeführt wurde, wie besprochen, da ihr ja die einseitig gebliebene Vorstellung der Beklagten, dass der Schienenverlauf parallel sei, nicht bekannt war.
Ein Mangel des Treppenlifts ergibt sich auch nicht aus § 434 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 BGB. Insbesondere hat die Klägerin auch nicht die Parallelität des Schienenverlaufs des Treppenlifts A. als bestimmte Eigenschaft beworben (§ 434 Abs. 1 S. 3 BGB).
Soweit die Beklagte vorgetragen hat, der gelieferte Treppenlift entspreche auch nicht nach seinem optischen Bild dem in der Fertigungs- und Konstruktionszeichnung dargestellten Treppenlift, so ist dieser Vortrag unsubstantiiert, denn sie teilt nicht mit, inwiefern sich der gelieferte Treppenlift von dem Treppenlift gemäß Anlage K3 unterscheidet. Unklar ist auch, welche Rechtsfolgen die Beklagte aus diesem Vortrag herleiten will, da sie mitgeteilt hat überhaupt keinen Treppenlift mehr zu wollen und der Klägerin bei – unterstellter – Mangelhaftigkeit des Treppenlifts ein Recht der zweiten Andienung zustehen würde.
Schließlich ist ein Rücktritt der Beklagten von dem Vertrag auch deshalb gemäß § 323 BGB ausgeschlossen, weil die Beklagte der Klägerin keine Nacherfüllungsfrist gemäß § 323 Abs. 1 BGB gesetzt hat. Stattdessen hat sie den Auftrag durch Schreiben vom 20.03.2018 (Anlage K 16) sofort storniert und einen anderen Treppenlift bestellt. Auch war eine Fristsetzung durch die Beklagte nicht ausnahmsweise entbehrlich (§ 323 Abs. 2 BGB), da die Beklagte mit Schreiben vom 20.03.2018 (Anlage K 16) nicht die Nacherfüllung im Hinblick auf den geschlossenen Vertrag, sondern die Lieferung des Treppenlifts L. mit nur einer Schiene forderte und somit eine andere Sache bestellte.
1) Der Klägerin steht gemäß § 648 Satz 2 BGB die vereinbarte Vergütung zu, wobei sie sich dasjenige anrechnen lassen muss, was infolge der Aufhebung des Vertrages an Aufwendungen erspart hat. Die Klägerin hat konkret dazu vorgetragen, welcher Anteil der vertraglichen Vergütung auf die erbrachten und die nicht erbrachten Leistungen (Montage) entfällt. Außerdem hat sie schlüssig dargelegt, welche Kosten sie sich hinsichtlich der nicht erbrachten Leistung erspart hat. Darüber hinaus lässt sie sich die angeschafften, aber nicht mehr verwendeten Materialien, die sie anderweitig verwenden kann, anrechnen (vgl. dazu MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2020, BGB § 648 Rn. 25).
Die Beklagte hat weder dargelegt, noch beweisen, dass die Klägerin höhere Ersparnisse hatte. Soweit die Beklagte auf die vertraglich geschuldete Garantie und Wartung verweist, so ist ihr Vortrag unsubstantiiert, vor allem danach unbestrittenen Vortrag der Klägerin ein Wartungsvertrag gar nicht geschlossen wurde. Der Vergütungsanspruch der Klägerin scheidet auch nicht aufgrund der von der Beklagten behaupteten Mängel aus. Zwar lassen Mängel der erbrachten Leistung den Zahlungsanspruch des Unternehmers grundsätzlich nicht unbeeinflusst, da er sich durch die Kündigung die Kosten ihrer Beseitigung erspart. Diese Ersparnis hat der Besteller darzutun, also jedenfalls die Mängel zu beweisen (Staudinger/Peters, 2019, § 648, Rn. 28).
Dass die gelieferten Schienen nicht parallel zueinander sind, stellt jedoch keinen Mangel dar. Soweit die Beklagte weiterhin vorträgt, der gelieferte Lift entspreche auch nicht dem optischen Bild der Fertigungs- und Konstruktionszeichnung, so ist dieser Vortrag unsubstantiiert und nicht der Beweiserhebung zugänglich (vgl. zu der Frage des Vorliegens eines Mangels Ziffer b)).
1) Der Vergütungsanspruch der Klägerin ist auch fällig, denn die Beklagte hat den Vertrag mit der Klägerin nicht nur gekündigt, sondern auch ernsthaft und endgültig zum Ausdruck gebracht, den gelieferten Treppenlift nicht als die geschuldete Leistung zu akzeptieren.
2. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 805,20 € aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB sowie auf Prozesszinsen aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 291 BGB.
II.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 2 ZPO.


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