Handels- und Gesellschaftsrecht

Beweiserhebung bei Schiedsgutachtenabrede zur Ermittlung des Abfindungsguthabens

Aktenzeichen  40 O 19818/17

Datum:
2.1.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18733
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 317, § 318, § 319, § 738
ZPO § 356

 

Leitsatz

1. Eine Schiedsgutachtenabrede enthält in der Regel die stillschweigende Vereinbarung, dass die Begleichung der betroffenen Forderung für die Dauer der Erstattung des Gutachtens weder gerichtlich durchgesetzt noch außergerichtlich verlangt werden kann, mit der Folge dass die Forderung in diesem Zeitraum noch nicht fällig ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Undurchführbarkeit der Einholung eines vereinbarten Schiedsgutachtens ist schon dann gegeben, wenn die hierzu verpflichtete Partei den Schiedsgutachter nicht innerhalb angemessener Zeit benennt, ohne dass es dabei auf ihr Verschulden ankommt. Dies gilt entsprechend für den Fall, in dem nicht eine Partei den Gutachter zu benennen hat, sondern die Parteien über seine Person eine Einigung herbeizuführen haben. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Falle einer Verzögerung durch Schiedsgutachter oder Partei erlischt die Bindung des Gerichts, so dass gem. § 319 Abs. 1 BGB das Schiedsgutachten durch ein Urteil ersetzt werden kann. Allerdings sind an eine rechtserhebliche Verzögerung strengste Anforderungen zu stellen, weil sonst der von den Parteien mit der Schiedsgutachterabrede verfolgte Zweck in Frage gestellt würde. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hat der Beweisführer das Hindernis geschaffen, indem er das Schiedsgutachten nicht beauftragte, dann kann ihm kein schutzwürdiges Interesse daran zugebilligt werden, die Entscheidung des Rechtsstreits aufzuschieben, um die derzeit nicht mögliche Beweisaufnahme später nachholen zu können. Dem Zweck der Vorschrift würde es widersprechen, in derartigen Fällen eine Frist nach § 356 ZPO zu setzen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird als derzeit unbegründet abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 19.441,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist derzeit unbegründet.
1. Der Klägerin steht derzeit kein Anspruch auf Zahlung eines negativen Auseinandersetzungsguthabens gegen den beklagten Treugeberkommanditisten zu, weil über die Höhe des Abfindungsguthabens entgegen § 23 Ziffer 6 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages (Anlage K 6) kein Schiedsgutachten durch ein von der Wirtschaftsprüferkammer … zu benennenden Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater eingeholt worden ist.
2. Vorliegend geht das Gericht von einer Schiedsgutachtenabrede im engeren Sinne aus. Diese enthält in der Regel die stillschweigende Vereinbarung, dass die Begleichung der betroffenen Forderung für die Dauer der Erstattung des Gutachtens weder gerichtlich durchgesetzt noch außergerichtlich verlangt werden kann, mit der Folge dass die Forderung in diesem Zeitraum noch nicht fällig ist (BGH, Urteil vom 04.07.2013, III ZR 52/12). Der Gutachter soll im vorliegenden Fall Tatsachen – nämlich den Verkehrswert des Kapitalanteils der Beklagten – verbindlich feststellen. Bei einem Schiedsgutachten, durch das wie vorliegend der Wert eines Abfindungsguthabens ermittelt werden soll, handelt es sich um ein Schiedsgutachten im engeren Sinne (Palandt, 76. Auflage 2017, § 317 Rn. 6, Münchener Kommentar, BGB, 7. Auflage 2016, § 317 Rn. 32), auf welches die §§ 317 bis 319 BGB mangels einer anderen Vereinbarung der Parteien entsprechend anzuwenden sind (BGH, Urteil vom 04.07.2013, III ZR 52/12).
Die Klagepartei ist beweispflichtig für die rechtserhebliche Tatsache, deren Feststellung dem Schiedsgutachter übertragen ist (BGH, Urteil vom 08.06.1988, VIII ZR 105/87; BGH, Urteil vom 04.07.2013, III ZR 52/12). Vorliegend hat die Klägerin bislang hierfür kein Schiedsgutachten vorgelegt.
3. Der Beklagte beruft sich ausdrücklich auf die Schiedsgutachterklausel, so dass das Gericht die Höhe der Abfindung nicht in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB bestimmen kann.
Eine Einholung eines Gutachtens zur Feststellung des Verkehrswerts des Kapitalanteils der Beklagten durch das Gericht gem. § 319 I 2 BGB analog kommt nur dann in Betracht, wenn sich die von den Vertragsparteien in erster Linie gewollte Bestimmung durch einen Dritten als nicht durchführbar erweist. Eine Undurchführbarkeit ist schon dann gegeben, wenn die hierzu verpflichtete Partei den Schiedsgutachter nicht innerhalb angemessener Zeit benennt, ohne dass es dabei auf ihr Verschulden ankommt. Dies gilt entsprechend für den Fall, in dem nicht eine Partei den Gutachter zu benennen hatte, sondern die Parteien über seine Person eine Einigung herbeizuführen hatten (BGH, Urteil vom 04.07.2013, III ZR 52/12).
Im Falle einer Verzögerung durch Schiedsgutachter oder Partei erlischt die Bindung des Gerichts, so dass gem. § 319 I BGB das Schiedsgutachten durch ein Urteil ersetzt werden kann. Allerdings sind an eine rechtserhebliche Verzögerung strengste Anforderungen zu stellen, weil sonst der von den Parteien mit der Schiedsgutachterabrede verfolgte Zweck in Frage gestellt würde (OLG München, Urteil vom 27.10.1999, 7 U 3147/99; BGH, NJW 1990, 1231). So hat beispielsweise der BGH im Verfahren BGH NJW 1990, 1231/2 eine Verzögerung von 3 Jahren ab Aufnahme der schiedsgutachterlichen Tätigkeit ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes als hinreichend im Sinne des § 3191 BGB angesehen.
Soweit die Klägerin meint, dass die Schiedsgutachterklausel nicht anwendbar sei, weil im Hinblick auf die in § 167 Abs. 3 HGB geregelte Beschränkung der Verlustbeteiligung des Kommanditisten auf den Betrag der rückständigen Einlage bereits dem Grunde nach streitig sei, ob der Beklagte ein negatives Abfindungsguthaben zu bezahlen habe, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Der Beklagte bestreitet zwar, dass die Einlage noch nicht vollständig erbracht worden sei. Dies ändert aber nichts daran, dass darüber hinaus die Höhe der Abfindung zwischen den Parteien streitig ist, weil die Höhe des Abfindungsguthabens nicht nachvollziehbar sei.
4. Von der Setzung einer Frist zur Einholung des Schiedsgutachtens sieht das Gericht ab, weil das Gutachten bislang nicht beauftragt worden ist und mit seiner Fertigstellung angesichts der Komplexität der Materie auch nicht alsbald gerechnet werden kann (vgl. OLG München, Urteil vom 27.10.1999 – 7 U 3147/99, BeckRS 1999 30079301). Zudem stellt sich die Frage, ob § 356 ZPO auch bei einem von der beweisführungsbelasteten Partei selbst verschuldeten Hindernis angewendet werden kann. Hat der Beweisführer das Hindernis geschaffen, indem er das Schiedsgutachten nicht beauftragte, dann kann ihm nach Überzeugung des Gerichts kein schutzwürdiges Interesse daran zugebilligt werden, die Entscheidung des Rechtsstreits aufzuschieben, um die derzeit nicht mögliche Beweisaufnahme später nachholen zu können. Dem Zweck der Vorschrift würde es widersprechen, in derartigen Fällen eine Frist nach § 356 ZPO zu setzen (vgl. zum Diskussionsstand MüKoZPO/Heinrich, 5. Aufl. 2016, ZPO § 356 Rn. 3-9).
5. Soweit die Klagepartei meint, dass das Gericht aus einer Auslegung des Klageantrags zumindest die Feststellung zu treffen habe, dass die zu leistende Einlage (Liquiditätsreserve) als unselbständiger Rechnungsposten zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen ist, ist eine entsprechende Umdeutung des Zahlungsantrags der Klägerin nicht möglich. Das Gericht kann aufgrund des Vortrags der Parteien nicht abschließend beurteilen, ob der Beklagte tatsächlich zur Leistung einer Liquiditätsreserve verpflichtet ist. Erwirtschaftete und zur Ausschüttung stehende Gewinne hätten nach näherer Maßgabe von § 4 des Gesellschaftsvertrages zur Zahlung der Pflichteinlagen verwendet werden sollen. In Anbetracht dieser Umstände oblag der Klägerin eine sekundäre Darlegungslast, näher darzulegen, wie die sich aus den Quartalsberichten unstreitig ergebenden Quartalsgewinne verwendet wurden und inwieweit diese nicht zur Ausschüttung anstanden und zur Zahlung der Pflichteinlagen verwendet werden konnten. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Klägerin mit dem pauschalen Hinweis auf die Re-Investitionen und Darlehenstilgungen auf Gesellschafterebene nicht nachgekommen. Die Feststellung, dass die Pflichteinlage noch nicht vollständig bezahlt worden sei, hat die Klägerin im Übrigen nicht beantragt. Eine Umdeutung des eindeutig auf Zahlung eines Abfindungsguthabens gerichteten Klageantrags kommt nicht in Betracht. Es stand der Klagepartei frei einen solchen Antrag zumindest hilfsweise zu stellen. Die Erklärung der Klagepartei, das Gericht habe den Antrag entsprechend auszulegen, ersetzt nicht die erforderliche Antragsstellung. Im Zivilprozess besteht Parteihoheit. Das Gericht ist an die eindeutigen Anträge der Parteien gebunden.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.


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