Handels- und Gesellschaftsrecht

Kein Anscheinsbeweis für Kartellbefangenheit und Schadenseintritt bei Konditionenkartell

Aktenzeichen  3 U 1876/18

Datum:
14.10.2019
Fundstelle:
WuW – 2020, 48
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2
GWB § 1

 

Leitsatz

1. Aus der Tatsache, dass ein praktizierter Informationsaustausch der beteiligten Unternehmen zum Stand und Inhalt von Konditionsverhandlungen mit bestimmten Handelspartnern eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i.S.v. § 1 GWB darstellt, kann nicht automatisch geschlossen werden, dass eine Typizität des Sachverhalts oder – auf gesicherter Basis – eine Lebenserfahrung dahingehend besteht, dass der Wettbewerb hinsichtlich der jeweiligen konkreten Einzelprodukte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit durch diesen Kartellverstoß ausgeschlossen oder eingeschränkt wurde. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das europarechtliche Gebot der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) verpflichtet es bei einem Informationsaustausch zwischen Kartellanten nicht zur Anwendung des Anscheinsbeweises. Vielmehr kann das Gebot auch über eine tatsächliche Vermutung – dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprachen fallen, von diesen erfasst werden und damit kartellbefangen sind – gewährleistet werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

3 U 1876/18 2019-07-08 Hinweisbeschluss OLGNUERNBERG OLG Nürnberg

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.08.2018, Aktenzeichen 19 O 9571/14, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 350.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.08.2018 und auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 08.07.2019 Bezug genommen.
Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin, unter Abänderung des (klageabweisenden) Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.08.2018:
I. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die der Klägerin und/oder der G… R… Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG aus eigenem und abgetretenem Recht aufgrund Warenbezügen der Beklagten in den Jahren 2005 bis 2010 entstandenen Schäden einschließlich des der Klägerin oder G… R… Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG entgangenen Gewinns jeweils einschließlich der Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Eintritt des jeweiligen Schadens zu ersetzen, die auf dem Sachverhalt beruhen, der Gegenstand des Bußgeldverfahrens beim Bundeskartellamt mit dem Aktenzeichen B11-12/08 war, insbesondere in Form des Bußgeldbescheides des Bundeskartellamtes gegenüber der Beklagten zu 5) vom 22.03.2013, wie als Anlage K 20 vorgelegt, sowie des Aktenauszuges aus der Bußgeldakte des Bundeskartellamtes, wie er mit Protokoll der Kammer vom 13.07.2017 übermittelt worden ist, insbesondere darauf, dass die Beklagten Informationen ausgetauscht haben, oder die auf anderen kartellrechtswidrigen Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen der Beklagten beruhen.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die der Klägerin und/oder der G… R… Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG aus eigenem und abgetretenem Recht aufgrund Warenbezügen der Beklagten in den Jahren 2005 bis 2010, wie sie im Schriftsatz der Klägerin vom 13.11.2017 auf Seiten 9 bis 89 und im Schriftsatz vom 30.06.2015 dargestellt worden sind, entstandenen Schäden einschließlich des der Klägerin oder G… R… Stiftung & Co. Lebensmittelfilialbetrieb KG entgangenen Gewinns jeweils einschließlich der Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Eintritt des jeweiligen Schadens zu ersetzen, die auf dem Sachverhalt beruhen, der Gegenstand des Bußgeldverfahrens beim Bundeskartellamt mit dem Aktenzeichen B11-12/08 war, insbesondere in Form des Bußgeldbescheides des Bundeskartellamtes gegenüber der Beklagten zu 5) vom 22.03.2013, wie als Anlage K 20 vorgelegt, sowie des Aktenauszuges aus der Bußgeldakte des Bundeskartellamtes, wie er mit Protokoll der Kammer vom 13.07.2017 übermittelt worden ist, insbesondere darauf, dass die Beklagten Informationen ausgetauscht haben, oder die auf anderen kartellrechtswidrigen Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen der Beklagten beruhen.
II. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.200,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 16.08.2018, Aktenzeichen 19 O 9571/14, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
1. Die im Schriftsatz der Klägerin vom 02.10.2019 vorgebrachten Einwände gegen die Auffassung des Senats zur materiellen Rechtslage – insbesondere zur Kartellbetroffenheit der Klägerin und der Zedentin – können nicht durchdringen.
Wie bereits im Hinweisbeschluss ausgeführt, kann aus der Tatsache, dass ein praktizierter Informationsaustausch der beteiligten Unternehmen zum Stand und Inhalt von Konditionsverhandlungen mit bestimmten Handelspartnern eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung i.S.v. § 1 GWB darstellt, nicht automatisch geschlossen werden, dass eine Typizität des Sachverhalts oder – auf gesicherter Basis – eine Lebenserfahrung dahingehend besteht, dass der Wettbewerb hinsichtlich der jeweiligen konkreten Einzelprodukte mit sehr großer Wahrscheinlichkeit durch diesen Kartellverstoß ausgeschlossen oder eingeschränkt wurde.
Der Leitsatz der Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Schienenkartell“ (Urteil vom 11.12.2018 – KZR 26/17) lautet: „Bei einem Quoten- und Kundenschutzkartell sind die Voraussetzungen für einen Anscheinsbeweis weder hinsichtlich des Eintritts eines Schadens noch hinsichtlich der Kartellbefangenheit einzelner Aufträge erfüllt.“ Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass die Klagepartei meint, durch diese Entscheidung würden keine höheren Anforderungen an das Beweismaß betreffend die Kartellbefangenheit gestellt werden. Im übrigen wird auf die ausführlichen Ausführungen des Senats im Hinweisbeschluss Bezug genommen.
Dem Senat ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 23.01.2019 − VI-U (Kart) 18/17 – Schienenkartell) bekannt. Sie ändert an seiner im Hinweisbeschluss eingehend geschilderten Auffassung zum Beweismaß nichts. Auch das Oberlandesgericht Stuttgart hat für das Tatbestandsmerkmal der Kartellbetroffenheit einen Anscheinsbeweis verneint (Urteil vom 04.04.2019 − 2 U 101/18 – LKW-Kartell).
Es kann dahinstehen, ob bei rein nationalen Sachverhalten das europarechtliche Gebot der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) anwendbar ist. Denn jedenfalls verpflichtet es bei einem Informationsaustausch nicht zur Anwendung des Anscheinsbeweises. Vielmehr kann es auch über eine tatsächliche Vermutung – dass Aufträge, die sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprachen fallen, von diesen erfasst werden und damit kartellbefangen sind – gewährleistet werden.
2. Der Senat sieht sich auch nicht gehindert, nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zu entscheiden. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche – über den Streitfall hinausgehende – Bedeutung. Vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Die der tatrichterlichen Würdigung des Senats zugrunde liegenden Rechtsfragen sind im Wesentlichen höchstrichterlich – insbesondere durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs „Schienenkartell“ – geklärt. Der Senat hat die darin aufgestellten Grundsätze auf den streitgegenständlichen Fall angewandt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung dieses Beschlusses ergibt sich aus § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgt gemäß §§ 708 Nr. 10 S. 2, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt und entspricht der erstinstanzlichen Festsetzung, gegen die sich die Parteien nicht gewandt haben.


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