Handels- und Gesellschaftsrecht

Umfang des Schadensersatzanspruchs im “Dieselskandal”

Aktenzeichen  41 O 576/20

Datum:
1.3.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22148
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249 Abs. 1, § 826, § 852

 

Leitsatz

Der Wert von Gebrauchsvorteilen bei Eigennutzung einer beweglichen Sache wird regelmäßig nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach dem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Wertes. Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen. Insoweit ergibt sich die mathematische Berechnungsformel: Gebrauchsvorteil = (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) ./. erwartete Gesamtleistung. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.641,55 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.10.2020 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Seat mit der Fahrgestellnummer ….
2.Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 334,75 € freizustellen.
3.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 2.641,55 € Zug-um-Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges gem. §§ 826, 31 BGB zu.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung steht es in den das vorliegend streitgegenständliche Motoraggregat der Beklagten betreffenden Fällen wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn der Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigung der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt, was bei dieser Fallkonstellation anzunehmen ist. Insoweit bestehen zudem bereits nach der unstreitigen Beschaffenheit der vom Hersteller verbauten Software zur Motorensteuerung hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines Mitglieds des Vorstandes oder Entscheidungsträgers in der betrieblichen Organisationsstruktur aus der oberen Betriebshierarchie der Beklagten, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat (Urteil des BGH vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 25 u. 34 bis 39 nach juris).
Damit ist die Beklagte der Klägerin gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (Abschluss des Kaufvertrages) bestehen würde. Dieser kann vorliegend durch die geforderte Erstattung des Kaufpreises gegen Herausgabe des Fahrzeuges und Zahlung von Wertersatz für die gezogenen Nutzungen herbeigeführt werden (BGH, a.a.O., Rdnr. 55 bis 78).
Der Wert von Gebrauchsvorteilen bei Eigennutzung einer beweglichen Sache wird regelmäßig nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach dem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Wertes (der hier mit dem vereinbarten Kaufpreis gleichgesetzt werden kann). Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen. Insoweit ergibt sich die mathematische Berechnungsformel: Gebrauchsvorteil = (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) ./. erwartete Gesamtleistung. Insoweit ist vorliegend von einer durchschnittlich zu erwartenden Laufleistung von 250.000 Kilometern auszugehen (was zum einen der allgemeinen Verkehrserwartung entspricht und zum anderen gutachterlichen Einschätzungen der zu erwartenden Gesamtlaufleistung in gerichtsbekannten vergleichbaren Fällen; vgl. insoweit auch Hinweisbeschluss des OLG Bamberg vom 20.10.2017, Az.: 3 U 96/17, Ziffer II.4. der Gründe). Im vorliegenden Fall ergibt sich damit ein zu berücksichtigender Gebrauchsvorteil in Höhe von 12.348,45 €, so dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 2.641,55 € verbleibt.
Der Durchsetzbarkeit der Klageforderung steht die beklagtenseits erhobene Verjährungseinrede nach § 214 Abs. 1 BGB nicht entgegen, da die geltend gemachten Forschungen jedenfalls nach § 852 BGB auch weiterhin durchsetzbar ist. Die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren gem. § 195 BGB beginnt gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Erforderlich ist insoweit Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen. Der Gläubiger muss diejenigen Tatsachen kennen, die die Voraussetzung der anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Dazu gehört bei Schadensersatzansprüchen die Pflichtverletzung oder die gleichstehende Handlung, der Eintritt des Schadens und die Kenntnis von der eigenen Schadensbetroffenheit. Es genügt, dass der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten oder erkennbaren Tatsachen eine hinreichend aussichtsreiche – wenn auch nicht risikolose – Klage (zumindest in Form einer Feststellungsklage) erheben kann (vgl. hierzu insgesamt Palandt-Ellenberger, BGB, 80. Auflage, § 199 Rdnr. 27, 28, jeweils m.w.N.). In diesem Zusammenhang ist es in der Regel nicht erforderlich, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht (vgl. Urteil des BGH v. 17.12.2020, Az. VI ZR 739/20, Rdnr. 9 nach juris).
Hinsichtlich des vorliegend betroffenen Motoraggregats wurde durch umfangreiche Presseberichterstattung (ab September 2015) bereits im Jahr 2015 allgemein bekannt, dass es bei der betroffenen Motorensoftware der Beklagten zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstand und realem Fahrbetrieb kommt, worüber die Öffentlichkeit auch seitens der Beklagten informiert wurde (wie im unstreitig gebliebenen Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung auf Seite 17 bis 26 bzw. Bl. 69 bis 78 der Akte im Detail dargelegt). Vor diesem Hintergrund ist entsprechend der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen im sogenannten Dieselskandal betreffend das Motoraggregat von einer ausreichenden Kenntniserlangung der Klägerin noch im Jahr 2015 auszugehen (Urteil des BGH vom 17.12.2020, Az. VI ZR 739/20).
Damit kommt vorliegend zwar ein Verjährungseintritt mit Ablauf des Kalenderjahres 2018 in Betracht. Allerdings ist die Klageforderung nach § 852 BGB weiterhin durchsetzbar. Danach besteht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch – beschränkt auf die Höhe des durch die unerlaubte Handlung Erlangten – von seiner Entstehung an 10 Jahre lang fort. Die Beklagte ist durch den Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs bereichert in Höhe des ihrerseits durch den Neuwagenverkauf erzielten Kaufpreises (Händlereinkaufspreis). Diesen schätzt das Gericht auf mindestens 80% des Listenpreises des betroffenen Fahrzeugs als Neuwagen (§ 287 ZPO), wodurch der im vorliegenden Fall der Klägerin zustehende Schadensersatzanspruch in voller Höhe abgedeckt ist. Dieser mindert sich im Rahmen des § 852 BGB auch nicht durch zu berücksichtigende Aufwendungen der Beklagten nach Bekanntwerden des „…Abgasskandals“, da der Beklagten im Hinblick auf ihre Bösgläubigkeit die Berufung auf eine entsprechende Entreicherung gemäß § 819 Abs. 1 BGB verwehrt ist.
Die gesetzliche Regelung des § 852 BGB ist auch im vorliegend gegebenen Fall des Gebrauchtwagenkaufs ohne Einschränkung anwendbar. Zwar hat die Beklagte den Kaufpreis nur durch das Neuwagengeschäft vereinnahmt, getäuscht hat die Beklagte aber auch die nachfolgenden Gebrauchtwagenkäufer, die ebenso wie der Neuwagenkäufer davon ausgingen, dass das von der Beklagten hergestellte Motoraggregat in dem Fahrzeug den geltenden gesetzlichen Bestimmungen entsprach. Damit ging die sittenwidrige Täuschung auch zu Lasten der Gebrauchtwagenkäufer. Auf eine Unmittelbarkeit des Geldflusses kommt es insoweit nicht an, auch sind aufgrund der Rechtsfolgenverweisung in § 852 BGB die §§ 812 ff. BGB nur als Beschränkung der Haftung der Höhe nach von Relevanz (vgl. Urteil des BGH vom 14.02.1978, Az.: X ZR 19/76, Rdnr. 61 bis 63 nach juris sowie Palandt-Sprau, BGB, 80. Auflage, § 852 Rdnr. 2 m.w.N.).
Der nach § 256 ZPO zulässige Feststellungsantrag ist nicht begründet, da die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 294 ff. BGB vorliegend nicht gegeben sind. Es liegt kein ausreichendes Angebot im Sinne der §§ 294, 295 BGB vor. Die Klägerin hat durchgehend die Zahlung eines deutlich höheren Betrages verlangt, als sie hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (Urteil des BGH vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 85 nach juris).
Der Anspruch auf die zugesprochenen Zinsen resultiert aus §§ 291, 288 Abs. 1 ZPO. Ein weitergehender Zinsanspruch nach § 286 BGB ergibt sich auch nicht aus dem als Anlage der Klagepartei vorgelegten vorgerichtlichen Schreiben der Klägervertreter vom 09.06.2020, da darin nicht die Leistung eines konkreten Zahlbetrags gefordert wird, sondern lediglich die Anerkennung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, sodass mangels ausreichender Aufforderung zur Leistung keine Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 S. 1 BGB gegeben ist (vgl. auch Palandt-Grüneberg, BGB, 80. Auflage, § 286 Rdnr. 16 und 17).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO


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