IT- und Medienrecht

Abgasskandal

Aktenzeichen  41 O 416/20

Datum:
23.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53604
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 826
BGB § 214
BGB  § 852

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.327,69 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.08.2020 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKW V. … (140 Ps) mit der Fahrzeugidentifikationsnr. ….
2. Die Beklagten wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten des Klägers in diesem Verfahren entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 25.327,69 € Zug-um-Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges gem. §§ 826, 31 BGB zu.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung steht es in den das vorliegend streitgegenständliche Motoraggregat EA189 EU 5 der Beklagten betreffenden Fällen wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn der Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigung der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt, was bei dieser Fallkonstellation anzunehmen ist. Insoweit bestehen zudem bereits nach der unstreitigen Beschaffenheit der vom Hersteller verbauten Software zur Motorensteuerung hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines Mitglieds des Vorstandes oder Entscheidungsträgers in der betrieblichen Organisationsstruktur aus der oberen Betriebshierarchie der Beklagten, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat (Urteil des BGH vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 25 u. 34 bis 39 nach juris).
Damit ist die Beklagte dem Kläger gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (Abschluss des Kaufvertrages) bestehen würde. Dieser kann vorliegend durch die geforderte Erstattung des Kaufpreises gegen Herausgabe des Fahrzeuges und Zahlung von Wertersatz für die gezogenen Nutzungen herbeigeführt werden (BGH, a.a.O., Rn. 55 bis 78).
Der Wert von Gebrauchsvorteilen bei Eigennutzung einer beweglichen Sache wird regelmäßig nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach dem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Wertes (der hier mit dem vereinbarten Kaufpreis gleichgesetzt werden kann). Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen. Insoweit ergibt sich die mathematische Berechnungsformel: Gebrauchsvorteil = (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) ./. erwartete Gesamtleistung. Insoweit ist vorliegend von einer durchschnittlich zu erwartenden Laufleistung von 250.000 Kilometern auszugehen (was zum einen der allgemeinen Verkehrserwartung entspricht und zum anderen gutachterlichen Einschätzungen der zu erwartenden Gesamtlaufleistung in gerichtsbekannten vergleichbaren Fällen; vgl. insoweit auch Hinweisbeschluss des OLG Bamberg vom 20.10.2017, Az.: 3 U 96/17, Ziffer II.4. der Gründe). Im vorliegendem Fall ergibt sich damit ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von 25.327,69 €.
Der deliktische Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte umfasst auch die zugesprochene Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Auflage, § 249 Rdnr. 56 und 57). Insoweit ist entsprechend dem Obsiegen des Klägers von einem Gegenstandwert in Höhe von 25.327,69 € auszugehen. Hinsichtlich der Gebührenfestlegung nach § 14 Abs. 1 RVG ist zu berücksichtigen, dass eine umfangreiche Rechtsmaterie betroffen ist. Dem steht aber gegenüber, dass es sich bei Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich um ein Massenphänomen handelt, das auch durch die Verwendung bereits entwickelter und fortlaufend gepflegter Textbausteine gekennzeichnet ist, sodass sich Umfang und Schwierigkeit bezogen auf das einzelne Verfahren entsprechend relativieren und der Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr gerechtfertigt erscheint, der hier zuzüglich 20,00 € Kommunikationspauschale und 19% Umsatzsteuer zu einem schadensersatzpflichtigen Betrag in Höhe von 1.358,86 € führt.
Der Durchsetzbarkeit der Klageforderung steht die beklagtenseits erhobene Verjährungseinrede nach § 214 Abs. 1 BGB nicht entgegen, da der Anspruch nicht verjährt ist. Die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren gem. § 195 BGB beginnt gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden, Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Erforderlich ist insoweit Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen. Der Gläubiger muss diejenigen Tatsachen kennen, die die Voraussetzung der anspruchsbegründenden Norm erfüllen. Dazu gehört bei Schadensersatzansprüchen die Pflichtverletzung oder die gleichstehende Handlung, der Eintritt des Schadens und die Kenntnis von der eigenen Schadensbetroffenheit. Es genügt, dass der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten oder erkennbaren Tatsachen eine hinreichend aussichtsreiche – wenn auch nicht risikolose – Klage (zumindest in Form einer Feststellungsklage) erheben kann (vgl. hierzu insgesamt Palandt-Ellenberger, BGB, 79. Auflage, § 199 Rnr. 27 und 28, jeweils n.w.N.). Zwar wurde ab dem September 2015 durch Presseberichterstattung allgemein bekannt, dass es bei der betroffenen Motorensoftware der Beklagten zu auffälligen Abweichungen der Abgaswerte zwischen Prüfstands- und realem Fahrbetrieb kommt, worüber die Öffentlichkeit auch seitens der Beklagten informiert wurde. Dass diesem auch ein zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte auslösender Sachverhalt zugrunde lag, war diesen Veröffentlichungen aber noch nicht dergestalt zu entnehmen, dass sich eine zivilrechtliche Klage eines geschädigten Fahrzeugkäufers gegen die Beklagte als Hersteller des verbauten Motors mit der aufgespielten Motorsteuerungssoftware als hinreichend aussichtsreich im vorbezeichneten Sinne dargestellt hat oder darstellen musste. Es wurde insbesondere beklagtenseits durchgehend das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Abrede gestellt. Auch wurde diese Frage (im Sinne des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung) erst mit Beschluss des BGH vom 08.01.2019 (Az. VIII ZR 225/17, Rn. 12 nach juris) höchstrichterlich geklärt. Damit war ein anspruchsbegründender Sachverhalt, der aufgrund des Umfangs sowie der Qualität der insoweit betroffenen Eingriffe in den Produktionsablauf einen Rückschluss auf anspruchsauslösende Kenntnis bzw. Billigung von Entscheidungsträgern in der betrieblichen Organisationsstruktur der Beklagten, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat, erlaubt, für einen geschädigten Fahrzeugkäufer bis dahin noch nicht hinreichend erkennbar. Somit kommt für einen Verjährungseintritt erst der Ablauf des Kalenderjahres 2022 in Betracht.
Im Übrigen stünde die zugesprochene Klageforderung dem Kläger vorliegend gemäß § 852 BGB auch nach Eintritt der Verjährung der Schadensersatzansprüche noch zu.
Der nach § 256 ZPO zulässige Feststellungsantrag ist nicht begründet, da die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 294 ff. BGB vorliegend nicht gegeben sind. Es liegt kein ausreichendes Angebot im Sinne der §§ 294, 295 BGB vor. Der Kläger hat durchgehend die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Eine zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (BGH, a.a.O., Rn. 85).
Der Anspruch auf die zugesprochenen Zinsen resultiert aus §§ 281, 288 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich des Freistellungsanspruchs wegen der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten besteht keine Verzinsungspflicht, da Geldschulden zu verzinsen sind, zu denen ein Freistellungsanspruch nicht zählt (vgl. Urteil des OLG Bamberg vom 14.05.2020, Aktenzeichen: 1 U 114/19 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.


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