IT- und Medienrecht

Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz aus einem Kaufvertrag über ein Diesel-Fahrzeug, Marke VW

Aktenzeichen  3 O 18922/18

Datum:
30.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 57387
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 123, § 142, § 166, § 241 Abs. 2, § 280, § 288, § 291, § 293, § 294, § 295, § 311, § 322, § 323 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 S. 2, § 326, § 346 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 348, § 433, § 434 Abs. 1 S. 1 u. 2 Nr. 2, § 437 Nr. 2, § 440, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
HGB § 377 Abs. 5
ZPO § 130a Abs. 4, § 138 Abs. 3, § 287

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 20.565,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.01.2019 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des … Zug um Zug gegen Zahlung von 3.128,89 €.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in der Ziff. 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.171,20 freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 20.565,58 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I. Kaufrechtliche Ansprüche
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückabwicklung dem Grunde nach zu, da sie wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist, so dass ein Rückgewährverhältnis entstanden ist (§§ 323, 326, 433, 434, 437 Nr. 2, 440 BGB). Er war Zugum-Zug gegen Rückgabe des Pkw und Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von € 3.128,89 zuzusprechen.
Die Klagepartei ist vom Kaufvertrag mit der Beklagten wirksam zurückgetreten, da das streitgegenständliche Fahrzeug durch die eingebaute sog. „Manipulationssoftware“ mangelbehaftet ist, dieser Mangel nicht unerheblich und eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gesetzt wurde bzw. entbehrlich war.
1. Bei dem streitgegenständlichen Pkw liegt ein Sachmangel vor gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB, da der Pkw schon angesichts der Notwendigkeit, das betroffene Fahrzeug einem SoftwareUpdate zu unterziehen, um die Auflagen des Kraftfahrtbundesamtes zu erfüllen und den Entzug der allgemeinen Betriebserlaubnis zu vermeiden, eine negative Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Kraftfahrzeuge aufweist (einen Sachmangel ebenfalls bejahend: OLG München, 03.07.2017, 21 U 4818/16, Rn. 21; instruktiv BGH Beschluss v. 8.1.2019 VIII ZR 225/17)).
Der durchschnittliche Käufer darf objektiv erwarten, dass die gesetzlich vorgegebenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und insbesondere der Stickoxidaustausch reduziert wird (so auch Witt, NJW 2017, S. 2682 m. w. N). Der vernünftige Durchschnittskäufer muss, wenn er ein für den Betrieb im Straßenverkehr vorgesehenes Fahrzeug erwirbt, davon ausgehen, dass das betreffende Fahrzeug entweder zu Recht zugelassen oder zulassungsfähig ist. Dementsprechend muss er ferner nicht nur davon ausgehen, dass das Fahrzeug die technischen und die rechtlichen Voraussetzungen der Zulassung erfüllt, sondern er muss auch annehmen, dass der Hersteller die für den Fahrzeugtyp erforderlichen Erlaubnisse und Genehmigungen nicht durch Täuschung erwirkt hat. Der Käufer kann gesetzeskonformes Verhalten der Hersteller und aller übrigen Beteiligten erwarten, und das gilt auch dann, wenn seitens eines oder mehrerer Hersteller in so großer Zahl rechtswidrig manipuliert wird, dass im Ergebnis die Anzahl der durch Täuschung erwirkten diejenige der rechtmäßig zustande gekommenen Zulassungen, Erlaubnisse und Genehmigungen übersteigt (OLG Köln, 18 U 112/17, 20.12.2017, Rn. 39).
Die berechtigten Erwartungen eines vernünftigen durchschnittlichen Käufers erstrecken sich auch auf die Erwirkung aller letztendlich für den Betrieb des erworbenen Fahrzeugs im Straßenverkehr erforderlichen Zulassungen, Erlaubnisse und Genehmigungen, mag der Käufer sich auch bis zum Bekanntwerden von Manipulationen keine konkreten Vorstellungen von den einzelnen technischen Einrichtungen, rechtlichen Voraussetzungen und Zulassungs- bzw. Genehmigungsverfahren gemacht haben. Denn eine Täuschung in dem für den erlaubten Betrieb und die Zulassung des Fahrzeugs bedeutsamen Bereich gefährdet auch aus der Sicht eines vernünftigen Durchschnittskäufers eventuell die für seine Nutzung des Pkws im Straßenverkehr maßgebende Zulassung (so OLG Köln, 18 U 112/17, 20.12.2017, Rn. 41).
Der streitgegenständliche Pkw erfüllte im Straßenbetriebsmodus (Modus 0) wegen der gegenüber dem Testlaufmodus geringeren Abgasrückführungsrate unstreitig nicht die Abgasnorm Euro-5 und hat somit einen Sachmangel im Sinne des § 434 I 2 Nr. 2 BGB.
2. Der Rücktritt ist nicht gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ausgeschlossen.
Die in der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs liegende Pflichtverletzung ist nicht unerheblich. Die Unerheblichkeit ist auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und wird i.d.R. bejaht, wenn der betreffende Mangel behebbar ist und die Kosten der Mängelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis gering sind (BGH NJW 2013, 1365; BGH NJW 2014, 3229). Wie aus den Ausführungen der Beklagtenseite hervorgeht, war eine Behebung des Mangels nicht ohne weiteres möglich, sondern bedurfte der Entwicklung und Genehmigung eines Software-Updates. Vor diesem Hintergrund ist der Mangel – selbst wenn er, wie die Beklagtenseite vorträgt, durch das Aufspielen einer Software innerhalb kurzer Zeit für geringe Kosten behoben werden könnte – nicht unerheblich (so auch OLG Köln, aaO, Rn. 46).
In der erforderlichen Gesamtabwägung ist hier auch zu berücksichtigen, dass der Mangel als solcher, der in der Gefahr eines Entzuges der Typengenehmigung oder in der Anordnung von Fahrverboten aufgrund der Nichteinhaltung der Umweltstandards liegt, besonders gravierende Auswirkungen auf die Fahrzeugnutzung hat, wobei nicht maßgeblich sein kann, dass die Klagepartei das Fahrzeug tatsächlich nutzen konnte. Demgegenüber ist die Behauptung der Beklagten, der Mangel sei mit einem Software-Update zu beheben, gerade bestritten. Angesichts der komplexen Fragestellungen zur technischen Eignung, zur Zulassung und zur Einhaltung von Umweltnormen kommt hier die Annahme eines unerheblichen Mangels unter Wertungsgesichtspunkten nicht in Betracht.
3. Eine Fristsetzung zur Mangelbeseitigung war gemäß §§ 437 Nr. 2, 440, 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich.
Die Bestimmung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung bedarf es nicht, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt des Käufers rechtfertigen (BGH NJW 2007, 835).
Die Klagepartei musste sich nicht auf eine Nachbesserung seitens der Beklagten durch Aufspielen des Software-Updates einlassen, sondern konnte sogleich vom Kaufvertrag zurücktreten. Hierfür spricht der massive Verlust des Vertrauens der Klagepartei in die Beklagtenseite zum Zeitpunkt des Rücktritts. Die Typenzulassung wurde durch objektiv gesetzwidriges Verhalten der Beklagten, d.h. durch Täuschung erlangt. Dadurch wurde das Vertrauen des Klägers in das gesetzmäßige Verhalten der Beklagten erschüttert. Das Vertrauensverhältnis des Klägers zu der Beklagten war demnach zum Zeitpunkt des Rücktritts nachhaltig beeinträchtigt.
Die von Beklagtenseite als mögliche Abhilfemaßnahme angebotene Softwarelösung wurde allein durch die Beklagte entwickelt. Angesichts des vorangegangenen rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten bei Erlangung der Typengenehmigung und der Einhaltung der Umweltstandards, ist der Klägerin nicht zuzumuten, sich hierauf zu verlassen. Auch die von der Beklagtenseite vorgetragenen Bescheinigungen und vertrauensbildende Maßnahme vermochten das zerrüttete Vertrauensverhältnis der Klageseite zu der Beklagtenseite – insbesondere aufgrund des Ausmaßes und Umfangs der Manipulationen insgesamt – nicht ausreichend wiederherzustellen.
In der Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen lagen daher besondere Umstände vor, die eine Fristsetzung für die Nacherfüllung entbehrlich machten. Es kann demnach offen bleiben, ob eine Nachbesserung überhaupt technisch möglich ist.
4. Die Klagepartei muss sich aus diesen Erwägungen heraus auch nicht entgegenhalten lassen, dass sie das Software Update bereits im Mai 2016 aufgespielt hat. Die Klägerin hat das Update nach Aufforderung aufspielen lassen. Es ist gerichtsbekannt, dass im Falle des Nichtaufspielens des Updates die Gefahr des Entzugs der Zulassung in der Diskussion stand. Dass die Klagepartei quasi gezwungenermaßen eine ihr nach dem oben Gesagten nicht zumutbare Maßnahme hat durchführen lassen, kann ihr im Rahmen der Mängelgewährleistung nicht zum Nachteil gereichen.
5. a. Die Beklagte kann sich nicht erfolgreich auf § 377 HGB berufen. Die Reichweite der Untersuchungspflicht bemisst sich nach der „Tunlichkeit“ Bei einem Dieselmotor bzw. Manipulationen an der Software sind hierbei besondere, spezifische Kenntnisse erforderlich, die bei der Klagepartei nicht vorausgesetzt werden können. Hinzu kommt, das die Verbreitung dieser Ware im Rahmen vorsätzlich sittenwidrig schädigender Handlungen (vgl. Unten II.) erfolgte, so dass sich die Beklagte gem. § 377 V HGB nicht auf eine vermeintliche Verletzung der Rügepflicht berufen könnte.
b. Im Übrigen bedeutet die explizite Bezeichnung eines Motortyps im Kaufvertrag nicht, das ein Käufer von Art, Inhalt oder Ausmass von Mängeln in einem komplizierten technischen System zureichend Kenntnis gehabt hätte. Auch kann von einer einsetzenden öffentlichen Berichterstattung über Vorgänge nicht auf eine zureichende Individualkenntnis geschlossen werden.
6. Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von EUR 20.565,58 war gem. §§ 348, 322 BGB Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw und Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 3.128,89 zuzusprechen. Die Beklagte hat sich insoweit ausdrücklich auf ihren Gegenanspruch berufen.
Der Wert der vom Käufer gezogenen Nutzungen ist im Fall der Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs nach der Formel: Kaufpreis durch Restlaufleistung multipliziert mit den gefahrenen Kilometern zu berechnen (vgl. KG Berlin 23.05.2013, 8 U 58/12, Rn. 14). Der von der Klagepartei gezahlte Kaufpreis beläuft sich auf EUR 20.565,85. Die voraussichtliche Restlaufleistung ist nach § 287 ZPO ausgehend von der zu erwartenden Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs sachgemäß zu schätzen. Dabei genügt es dem Schätzungsermessen und entspricht allgemeiner Rechtspraxis, sich an der typspezifischen Gesamtfahrleistung zu orientieren. Pkw moderner Bauart erreichen aufgrund des hohen – gerade von der Beklagtenseite beschriebenen – Qualitätsstandards Gesamtfahrleistungen von 300.000 km oder auch mehr. Dem Vortrag es werde auch eine Laufleistung von 400.000 erreicht ist zudem nicht mit Substanz widersprochen.
Der Pkw war als Neuwagen mit gekauft worden und hatte am Tag der mündlichen Verhandlung vom 19.3.2019 einen Kilometerstand von 39.615 km. Bei einer angenommenen Gesamtlaufleistung von 300.000 km ergibt sich ein Betrag von EUR 3.128,89 für die gezogenen Nutzungen.
II. Schadensersatzanspruch
Die Klägerin hat gegen die Beklagte jedenfalls einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 249 ff. iVm 31 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung Zugum-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
1. Die Beklagte hat gegen die guten Sitten verstoßen und der Klageseite vorsätzlich einen Schaden zugefügt.
a. Die schädigende Handlung der Beklagten liegt in dem Inverkehrbringen – unter Verschweigen der gesetzwidrigen Softwareprogrammierung – des streitgegenständlichen Fahrzeuges mit einem Dieselmotor, dessen Motorsteuerungssoftware so programmiert ist, dass sie den Betrieb im NEFZ erkannte und hierfür aus dem regulären Betriebsmodus 0 in den Betriebsmodus 1 mit erhöhter Abgasrückführung wechselte.
b. Die Klagepartei hat hierdurch einen Schaden erlitten. Vorliegend ist die Klagepartei – in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Manipulationssoftware – durch Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges mit einer ungewollten Verpflichtung belastet, da das Fahrzeug nicht ihren Erwartungen entspricht. Ein Schaden iSv § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses oder Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (BGH Urt. v. 28.10.2014 – VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 275 Rn.19; MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 826 Rn. 42). Danach stellt auch der Abschluss eines Geschäfts, das nicht den Erwartungen und Zielen des Geschädigten entspricht, einen Schaden im Rahmen des § 826 BGB dar, ohne dass es darauf ankommt, ob die erhaltene Leistung in wirtschaftlicher Hinsicht hinter der Gegenleistung zurückbleibt (LG Düsseldorf, Urt.v. 09.02.2018, Az.7 O 212/16).
Eine Kaufentscheidung beruht zwar häufig auf einem Bündel von Motiven. Oftmals ist fraglich, ob ein Käufer tatsächlich Wert auf ein umweltschonendes Fahrzeug legte. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass jeder Käufer – so auch die hiesige Klagepartei – sowohl auf einen sachmangelfreien Motor als zentrales Element eines Fahrzeuges sowie auf eine ordnungsgemäß Zustande gekommene Zulassung als Voraussetzung der uneingeschränkten Nutzbarkeit im Straßenverkehr Wert legt. Hinzu kommt gerade im Ballungsraum München die fast schon stigmatisierende Wirkung eines übermäßig schadstoffprozuzierenden Diesel-Fahrzeugs. Dies führt gerade im großstädtischen Raum zu Debatten um Verantwortlichkeiten und Fahrverbote.
Die Klagepartei durfte beim Erwerb des Fahrzeuges davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nicht nur aufgrund einer Software mit Umschaltlogik eingehalten werden, die dafür sorgt, dass die Werte auf dem Prüfstand eingehalten werden. Zwar ist allgemein bekannt, dass die Werte im realen Fahrzeugbetrieb von denen unter Laborbedingungen abweichen. Jedoch darf ein Käufer davon ausgehen, dass dies nur in geringem Maße und aufgrund weitere Faktoren wie beispielsweise Umwelteinwirkungen auftritt, und nicht aufgrund einer gesetzeswidrigen „Umschaltlogik“. Außerdem muss ein Käufer beim Erwerb eines Fahrzeuges nicht davon ausgehen, dass er sein Fahrzeug einer Umrüstungsmaßnahme unterziehen muss, um nicht zu riskieren, die Betriebserlaubnis zu verlieren.
Dieses Risiko hat sich vorliegend durch die Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes vom 14.10.2015 verwirklicht. Der Käufer befindet sich demnach in einem Dilemma: Zur Erhaltung der Betriebserlaubnis ist er gezwungen das Software-Update durchführen zu lassen, während er unsicher ist, ob mit diesem nicht nachteilige Folgen einhergehen. Das Fahrzeug ist für den Käufer somit auch nicht für seine Zwecke voll brauchbar, da aufgrund des drohenden Entzugs der Betriebserlaubnis schon keine uneingeschränkte Nutzbarkeit gewährleistet ist.
Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin vom Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges Abstand genommen hätte, hätte sie von der Softwaremanipulation Kenntnis gehabt. Im Übrigen belegt die Bezeichnung eines Motortyps im Kaufvertrag nicht eine ausreichende umfassende Kenntnis des Käufers der Tragweite und Folgen schwieriger Softwarevorgänge. Hinzu kommt das Softwareänedrungen im Zuge von Rückrufaktionen erst später eingespüielt wurden. Deren Wirkungsweise ist strittig. Dies trägt zur weiteren Verunsicherung bei.
c. Die schädigende Handlung ist der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen. Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter iSd § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklichen muss (BGH Urt. v.28.06.2016 – VI ZR 536/15). Es erscheint dem Gericht, wie vielen weiteren Landgerichten, fernliegend, dass der millionenfache Einbau der Motorsteuerungssoftware ohne Wissen und Wollen des seinerzeitigen Vorstandes erfolgt sein soll. Insbesondere die hohe Relevanz der Optimierung von Dieselmotoren zur Reduzierung von Emissionen bei gleichzeitiger Leistungssteigerung spricht dafür, dass so weitreichende Entscheidungen mit Wissen und Wollen der Vorstandsebene gefällt werden. Eine etwaige mangelnde Kenntnis einer derart weitreichenden Entscheidung kann zudem nur auf einem Organisationsverschulden beruhen, das dazu führt, dass sich die Beklagte die Kenntnis der ausführenden Mitarbeiter zurechnen lassen müsste (LG Düsseldorf, Urt.v. 09.02.2018, Az.7 O 212/16).
aa. Der klägerische Vortrag ist diesbezüglich gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu behandeln, da die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist.
Die Klagepartei hat unter Nennung der Personen, die nach ihrer Einschätzung von der Softwaremanipulation Kenntnis hatten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten substantiiert vorgetragen. Die Klageseite hat keine Kenntnis über innerbetriebliche Abläufe bei der Beklagten. Wohl aber die Beklagte selbst. Die Beklagte hat jede Möglichkeit die unternehmensinternen Abläufe im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der Motorsteuerungssoftware offenzulegen. Sie hat darzulegen, wie es zu einer Planung und millionenfachen Implementierung der Software ohne Kenntnis des Vorstandes kommen konnte.
bb. Die Beklagte trifft insoweit die sekundäre Darlegungslast. Eine solche besteht in Fällen, in denen der Kläger außerhalb des betreffenden Geschehensablaufs steht und deshalb keine genaue Kenntnis der interessierenden Tatsachen hat, während die Beklagtenpartei über Kenntnis verfügt und ohne weiteres Auskunft erteilen könnte.
Die Beklagte selbst trägt vor, sie kläre die genaue Entstehung der in den EA189-Motoren zum Einsatz kommende Software, welche Werte auf dem Prüfstand optimiert, gerade auf (Bl. 120). Der Vortrag der Beklagten, nach dem „derzeitigem“ Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinne an der Entwicklung beteiligt waren oder Verwendung der Software seinerseits in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten (S.29 d. Schriftsatzes vom 20.9.2018, Bl.120 der Akte, Schriftsatz v. 30.10.18, S. 10f, Bl. 175f d.A.) ist unzureichend:
Die Beklagte zieht sich darauf zurück, der Klägervortrag zum Vorsatz des Vorstandes sei unschlüssig. Ihrer sekundären Darlegungslast kommt die Beklagte jedoch nicht nach, zumal nach längeren und umfangreichen internen Ermittlungen zumindest Zwischenergebnisse vorliegen müssten.
d. Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten.
aa. Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt und Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender verstößt (MüKO/Wagner, BGB, § 826, Rn.9). Hinzu kommen müssen Umstände, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als ‚anständig‘ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urt.v. 20.11.2012 – VI ZR 2698/11; Palandt, BGBKomm, 76.Aufl., 2017, § 826, Rn.4).
bb. Durch Einsatz der Manipulationssoftware zur Einhaltung der gesetzlich Umweltstandards hat die Beklagte den Verbrauchern „vorgespielt“, der von der Beklagten entwickelte Dieselmotor halte die gesetzlichen Emissionswerte – auf dem Prüfstand – im regulären Fahrmodus ein, während es hierfür tatsächlich eines speziellen Betriebsmodus mit erhöhter Abgasrückführung bedurfte. Die Beklagte hat dadurch nicht nur eine gesetzeswidrige Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht, sondern hat durch ebendiese Software zugleich ein System planmäßigen Verschleierns gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen (LG Offenburg, Urt. v. 12.05.2017 – O 119/16).
cc. Die besondere Verwerflichkeit ist gegeben. Die Softwaremanipulation diente nicht zuletzt dazu der Herausforderung gerecht zu werden, die Einhaltung sinkender Schadstoffemissionswerte aufgrund verschärfter Umweltschutzvorschriften mit der Entwicklung kraftstoffsparender und gleichzeitig leistungsstarken Dieselmotoren zu vereinbaren. Die Beklagte verfolgte also das Ziel, Fahrzeuge mit Dieselmotoren auf den Markt zu bringen und in großem Umfang abzusetzen, die den gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltverträglichkeit befriedigen, die diesbezüglichen gesetzlichen Normwerte einhalten und gleichzeitig wettbewerbsfähig hinsichtlich Kraftstoffverbrauch, Motorleistung und Langlebigkeit sind, und all dies möglichst kosteneffizient. Die Beklagte bediente sich also der unzulässigen Abschalteinrichtung für den Prüfstand, um die gesetzlich einzuhaltenden Messwerte zu erreichen ohne die Dauerhaltbarkeit des Motors im eigentlichen Fahrbetrieb durch dauerhaft erhöhte Abgasrückführung – derer es aber zur Einhaltung der Emissionswerte bedurfte – aufs Spiel zu setzen. Der „heimliche“ Einsatz der Software – entweder aus Kostengründen und/oder zur Überwindung technischer Hindernisse – zur Vermeidung eine rechtlich und technisch einwandfreie Lösung der Abgasreinigung, um mit Hilfe scheinbar umweltfreundlicher Technologie Wettbewerbsvorteile zu erzielen widerspricht auch der allgemeinen Geschäftsmoral. Gerade den Einsatz einer Motorsteuerungssoftware, die auf den Motor als Herzstück des Fahrzeuges einwirkt, welche für den technischen Laien keinesfalls und für den Fachmann nur mit Mühe aufzudecken ist, zu verschweigen, so dass die Manipulation jahrelang unentdeckt bleiben konnte, ist als besonders verwerflich anzusehen.
d. Die Beklagte handelte vorsätzlich. Zumindest nahm die Beklagte billigend in Kauf, dass sich ihr Verschweigen der implementierten Manipulationssoftware nachteilig auf die Kunden auswirken würde. Der Kunde sollte zum Kauf eines Fahrzeuges bewegt werden, obwohl dieses mit einer gesetzeswidrigen Abschalteinrichtung versehen war. Die Verantwortlichen nahmen billigend in Kauf, dass die Verbraucher ihre Kaufentscheidung auf einer fehlerhaften beziehungsweise unvollständigen Tatsachengrundlage trafen, die sie bei Kenntnis gar nicht oder zu anderen Konditionen getroffen hätten.
2. Die Beklagte hat der Klägerin den Kaufpreis unter Anrechnung eines Nutzungswertersatzes Euro Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges zu erstatten.
In der Rechtsfolge der bedingt vorsätzlichen Schädigung gem. § 826 BGB hat die Klagepartei einen Anspruch auf Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens. Das „negatives Interesse“ geht dabei nicht nur auf den möglicherweise eingetretenen Wertverlust, sondern nach §§ 249ff. BGB auf Herstellung des Zustandes, der ohne den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges bestünde.
a. Die Beklagte hat der Klagepartei analog § 346 Abs. 1 BGB den Kaufpreis Zugum-Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs (§ 348 BGB analog), unter Anrechnung einer Nutzungswertentschädigung (analog § 346 Abs. 2 Nr.1 BGB) zu erstatten, da vorliegend davon auszugehen ist, dass die Klägerin bei Kenntnis des Sachverhaltes aufgrund der mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis von einem Erwerb abgesehen hätte.
b. Für die Berechnung des Nutzungswertersatzes gilt das bereits unter I.6. Ausgeführte.
III. Feststellung Annahmeverzug
Darüber hinaus kann die Klägerin die Feststellung des Annahmeverzugs verlangen.
1. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges ist zulässig. Die Klagepartei hat ein Interesse daran, dass der Annahmeverzug zur Vereinfachung der Zwangsvollstreckung festgestellt wird.
2. Die Beklagte befindet sich gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug mit der Rücknahme des Fahrzeuges. Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.12..2018 forderte die Klagepartei die Beklagte unter Fristsetzung zum 2012.2018 Rückabwicklung des Kaufvertrags über das Fahrzeug auf. Dieses Schreiben ist als wörtliches Angebot iSd § 295 BGB zu werten. Ein solches war auch nach § 295 Abs. 1 S. 1 2.Alt. BGB ausreichend. Die Rücknahme wurde von der Beklagten endgültig abgelehnt, sodass auch ein weiteres Angebot iSv § 294 BGB überflüssig.
IV. Nebenforderungen Zinsen
Deliktische Zinsen gem. § 849 BGB waren nicht zuzusprechen. Der PKW war der Klägerin übergeben und konnte jederzeit von ihr genutzt werden.
Die Zinsentscheidung beruht im Übrigen auf §§ 288, 291 BGB. Das Schreiben v. 23.12.2018 führte im Übrigen noch nicht zu einer Verzugssituation, so dass die Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit zuzusprechen waren.
V. Nebenforderung vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte aus § 826 BGB einen Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten iHv.1.171,20 Euro.
Die außergerichtlichen Kosten für einen Rechtsanwalt fallen unter den Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB.
Für die Berechnung ist eine 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Pauschale und Mehrwertsteuer aus einem Gegenstandswert von 20.565,58 € zuzusprechen, somit 964,20 Euro.
Zuzurechnen sind die Pauschale iHv 20,00 € sowie die gesetzliche Mehrwertsteuer von 187,00 €. Die Angelegenheit ist nicht überdeutlich schwierig. Zudem ist gerichtsbekannt, dass fast wortgleiche Klagen vielfach erhoben wurden, was den individuellen Vorbereitungsund Betreuungsaufwand deutlich mindert.
VI. Nebenentscheidungen
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO. Das Teilunterliegen der Klagepartei betraf einerseits Nebenforderungen wie Zinsen und die Höhe der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, andererseits war über die Frage einer gegenzurechnenden Nutzungsentschädigung zu entscheiden. Hier hat die Klagepartei das Gegenrechnen nie bestritten und einen nachvollziehbaren und richtigen Rechenweg zugrundegelegt, welchem das Gericht gefolgt ist. Die Höhe hing letztendlich von einer richterlichen Schätzung ab. Die Differenz beträgt zudem nur ca. 15% vom Streitwert (Situation Zöller, ZPO, 32. Aufl. § 92 Rn 12 aE).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 1, 2 ZPO.


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