IT- und Medienrecht

Bescheid über das Nichtbestehen einer Hochschulprüfung

Aktenzeichen  7 B 18.1945

Datum:
4.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32497
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 68 Abs. 1, 75 S. 1, S. 2
BayAGVwGO Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 6
BayHSchG Art. 49 Abs. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Nach Unanfechtbarkeit eines Bescheids einer Hochschule über das Nichtbestehen einer Hochschulprüfung fehlt der Anfechtungsklage gegen einen Exmatrikulationsbescheid das Rechtsschutzbedürfnis. (Rn. 33)

Verfahrensgang

M 3 K 16.3424 2017-12-19 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 19. Dezember 2017 wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im vorliegenden Berufungsverfahren in erster Linie darüber, ob der Bescheid der Beklagten zu 1 (im Folgenden als „Nichtbestehensbescheid“ bezeichnet) vom 8. Juli 2016 trotz Klageerhebung bestandskräftig geworden ist.
Nachdem die Klägerin zum ersten Prüfungstermin der Modulteilprüfung „Italienisch“ am 10. Februar 2016 nicht erschienen war und ihr die Beklagte zu 1 – die Hochschule für Musik und Theater M. – am 5. Juli 2016 telefonisch mitgeteilt hatte, dass die am 30. Juni 2016 abgelegte Wiederholungsprüfung mit „nicht bestanden“ bewertet worden sei, legte die Klägerin am 5. Juli 2016 ein ärztliches Attest vom 4. Juli 2016 vor, dem u.a. zu entnehmen war, dass sie krankheitsbedingt am 30. Juni 2016 nicht prüfungsfähig gewesen sei.
Die Beklagte zu 1 erließ daraufhin den von ihr als „Nichtbestehensbescheid“ bezeichneten Bescheid vom 8. Juli 2016: Die Modulteilprüfung „Italienisch (Modul ‚Grundlagen musikalischer Bildung III‘)“ sei in der Wiederholung mit der Note 4,8 („nicht ausreichend“) bewertet worden. Eine weitere Wiederholungsmöglichkeit bestehe nach § 21 Abs. 1 Satz 1 der Prüfungsordnung der Hochschule für Musik und Theater M. für Studiengänge mit der Abschlussbezeichnung „Bachelor of Arts – B. A.“ nicht, weil die von der Klägerin nachträglich geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit einen Rücktritt von der Prüfung nicht rechtfertigen könne. Die Modulteilprüfung sei daher endgültig nicht bestanden. In der Rechtsbehelfsbelehrung:des Bescheids wurde darauf hingewiesen, dass sowohl Widerspruch eingelegt als auch Klage erhoben werden könne.
Mit Bescheid vom 8. Juli 2016 exmatrikulierte der Beklagte zu 2 die Klägerin daraufhin wegen des endgültigen Nichtbestehens der Modulteilprüfung nach Art. 49 Abs. 2 Nr. 3 BayHSchG.
Gegen den Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 legte die Klägerin mit Schreiben vom 13. Juli 2016 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2016 zurückgewiesen und der Klägerin am 16. September 2016 zugestellt wurde.
Über die bereits am 2. August 2016 von der Klägerin erhobene Klage, die das Verwaltungsgericht als Klage sowohl gegen den Nichtbestehens- als auch gegen den Exmatrikulationsbescheid auslegte, entschied dieses mit Urteil vom 19. Dezember 2017. Es hob den Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 in Gestalt des Widerspruchsbescheids sowie den Exmatrikulationsbescheid des Beklagten zu 2 auf und verpflichtete die Beklagte zu 1, den Rücktritt der Klägerin von der Wiederholungs-Modulteilprüfung „Italienisch“ am 30. Juni 2017 aus wichtigem Grund zu genehmigen, diese Modulteilprüfung zu annullieren und das Prüfungsverfahren fortzusetzen. Im Hinblick auf den Antrag, die Beklagte zu 1 zu verpflichten, auch den Rücktritt von der Modulteilprüfung am 10. Februar 2016 zu genehmigen, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Das Vorverfahren gegen den Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 sei nicht statthaft gewesen, weil es sich nicht um eine personenbezogene Prüfungsentscheidung gehandelt habe. Damit komme es auf die Einhaltung der Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gegen den Widerspruchsbescheid vom 13. September 2016 nicht an. Abgesehen davon sei die dem Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:unrichtig gewesen, so dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs innerhalb Jahresfrist seit Zustellung zulässig gewesen sei. Da die Klage gegen den Bescheid der Beklagten zu 1 bereits erhoben gewesen sei, sei mit Schreiben der Klägerin vom 18. Oktober 2016 lediglich klargestellt worden, dass die Klage gegen den Nichtbestehensbescheid fortgeführt werden solle.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit den vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufungen. Sie beantragen,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2017 abzuweisen.
Zur Begründung tragen die Beklagten im Wesentlichen vor, der Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 sei eine personenbezogene Prüfungsentscheidung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO, so dass der von der Klägerin erhobene Widerspruch gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft gewesen, die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO aber nicht eingehalten worden sei. Die nach Erlass des am 16. September 2016 zugestellten Widerspruchsbescheids am 20. Oktober 2016 bei Gericht eingegangene Klage sei verfristet. Die am 2. August 2016 erhobene Klage sei aufgrund des zuvor eingelegten Widerspruchs unzulässig; die Voraussetzungen des § 75 Satz 1 und 2 VwGO seien nicht gegeben. Insbesondere sei nicht aufgrund besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist zur Entscheidung über den Widerspruch geboten gewesen. Die Klägerin könne sich nicht auf gravierende, nicht wiedergutzumachende Nachteile berufen, da die Projektarbeit nicht derartig termingebunden gewesen sei und ihr auch kein endgültiger Rechtsverlust gedroht habe. Der Widerspruch sei nicht wirksam mit E-Mail vom 1. August 2016 zurückgenommen worden. Ein Rechtsbehelf könne nur ausdrücklich und nur in der Form zurückgenommen werden, wie sie für die Einlegung zu beachten sei. Die Rücknahme hätte somit schriftlich (nicht per E-Mail) oder zur Niederschrift erklärt werden müssen. Da der Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 somit bestandskräftig geworden sei, fehle der Anfechtungsklage gegen den Exmatrikulationsbescheid des Beklagten zu 2 das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Klägerin tritt dem entgegen und beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Die Klägerin weist insbesondere darauf hin, eine Entscheidung über den Widerspruch gegen den Nichtbestehensbescheid sei im Hinblick auf die von ihr bereits lange bearbeitete Bachelorarbeit – Aufführung der Oper „Einstein on the Beach von Philipp Glass“ im Oktober 2016 – dringlich gewesen. Hierauf habe sie einen Mitarbeiter der Beklagten zu 1 bereits mit E-Mail vom 19. Juli 2016 vergeblich aufmerksam gemacht. Mit E-Mail vom 1. August 2016 habe sie gegenüber dem Vertreter des Kanzlers ausdrücklich erklärt, die Klagefrist laufe ab und da sie nicht wisse, was aus dem Widerspruch werde, beabsichtige sie, gegen beide Bescheide zu klagen. Diese Mitteilung enthalte konkludent die Rücknahme ihres Widerspruchs. Art. 15 Abs. 1 Nr. 6 AGVwGO eröffne dem Betroffenen die Möglichkeit, gegen einen an ihn gerichteten Verwaltungsakt Widerspruch oder Klage zu erheben. Damit müsse dem Betroffenen auch die Möglichkeit gegeben sein, einen erhobenen Widerspruch zurückzunehmen, um dann ein Klageverfahren durchführen zu können. Den in der E-Mail vom 1. August 2016 zum Ausdruck gebrachten Willen, ihren Widerspruch zurückzunehmen, habe die Beklagte zu 1 auch entsprechend zur Kenntnis genommen. Dies ergebe sich aus deren Reaktion nach Eingang der E-Mail. Zudem sei die Untätigkeitsklage nach § 75 Satz 2 Halbs. 2 VwGO wegen des Vorliegens besonderer Umstände bereits vor Ablauf von 3 Monaten zulässig gewesen. Die Dringlichkeit der Entscheidung über den Widerspruch ergebe sich aus dem drohenden Verlust des Abschlusses der bereits in großen Teilen erbrachten Bachelorarbeit. Der Einwand der Beklagten zu 1, es handle sich bei der Entscheidung über das endgültige Nichtbestehen der Prüfung um eine personenbezogene Prüfungsentscheidung, sei für den vorliegenden Fall nicht „ergebniskausal“.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beteiligten mit Schreiben vom 17. September 2019 nach § 130a VwGO zu der Möglichkeit angehört, im vorliegenden Fall durch Beschluss über die Berufung zu entscheiden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Senat kann vorliegend durch Beschluss entscheiden, da er die Berufungen einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).
Die zulässigen Berufungen sind begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 vom 8. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2016 sowie den Exmatrikulationsbescheid des Beklagten zu 2 vom 8. Juli 2016 zu Unrecht aufgehoben. Selbst dann, wenn man – mit dem Verwaltungsgericht – zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass sich die am 2. August 2016 von ihr erhobene Klage nicht nur gegen den Exmatrikulationsbescheid, sondern auch gegen den Nichtbestehensbescheid gerichtet hat, ist die Klage in Bezug auf den letztgenannten Bescheid unzulässig (nachfolgend A.). Dies hat die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage gegen den Exmatrikulationsbescheid zur Folge (nachfolgend B.). Das Urteil des Verwaltungsgerichts war somit abzuändern und die Klage abzuweisen.
A.
Die von der Klägerin gegen den Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 am 2. August 2016 erhobene Klage ist unzulässig.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei dem Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 um eine personenbezogene Prüfungsentscheidung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO, so dass der von der Klägerin gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch statthaft war (nachfolgend 1.). Die Klägerin hat diesen Widerspruch nicht zurückgenommen (nachfolgend 2.). Die von ihr vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens erhobene Klage ist nicht während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach § 75 VwGO zulässig geworden (nachfolgend 3.).
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. statt aller BayVGH, U.v. 8.10.2018 – 7 B 17.2437 – BayVBl 2019, 276, Rn. 13 m.w.N.) fallen unter den Begriff der „personenbezogenen Prüfungsentscheidung“ i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO nicht nur Examina im herkömmlichen Sinne, bei denen ein oder mehrere „Prüfer“ einen „Prüfling“ in einem normativ geregelten Verfahren schriftliche, mündliche oder praktische Leistungen erbringen lassen, die sie alsdann einer Beurteilung unterziehen, als deren Ergebnis dem Kandidaten eine Prüfungsnote oder eine sonstige Bewertung mitgeteilt wird. Eine „personenbezogene Prüfungsentscheidung“ i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO liegt auch bei strikt gebundenem Verwaltungshandeln vor, bei dem der Behörde kein Ermessens- (und erst recht kein Beurteilungs-)Spielraum zusteht. Um eine „personenbezogene Prüfungsentscheidung“ handelt sich somit auch dann, wenn sich eine Behörde allein anhand der Aktenlage (etwa auf der Basis von Zeugnissen über durchlaufene Ausbildungen) über die Eigenschaften einer Person unterrichtet oder ihre Entscheidung gleichsam „arbeitsteilig“ trifft, d.h. anhand oder aufgrund der Einschätzung anderer eingeschalteter Personen. Nicht unter den Begriff der „personenbezogenen Prüfungsentscheidung“ fallen hingegen Akte reiner Rechtsanwendung oder Entscheidungen, die zwar im Zusammenhang mit Prüfungsverfahren ergehen, die jedoch nicht die eigentliche personenbezogene Beurteilung von Leistungen, Fähigkeiten, Wissen, Können oder Dispositionen auf der Grundlage einer Prüfung zum Gegenstand haben (BayVGH, U.v. 8.10.2018 – 7 B 17.2437 – BayVBl 2019, 276, Rn. 13 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 5.2.2019 – 6 B 1.19 – juris).
Gemessen daran ist der Nichtbestehensbescheid eine personenbezogene Prüfungsentscheidung i.S.v. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO. Mit den dort enthaltenen Feststellungen – die Modulteilprüfung „Italienisch (Modul ‚Grundlagen musikalischer Bildung III‘)“ sei in der Wiederholung mit der Note 4,8 („nicht ausreichend“) bewertet worden und eine weitere Wiederholungsmöglichkeit bestehe nach § 21 Abs. 1 Satz 1 der Prüfungsordnung der Hochschule für Musik und Theater München für Studiengänge mit der Abschlussbezeichnung „Bachelor of Arts – B. A.“ nicht, weil die von der Klägerin nachträglich geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit einen Rücktritt von der Prüfung nicht rechtfertigen könne, sodass die Modulteilprüfung endgültig nicht bestanden sei – werden die Leistungen in der Modulteilprüfung „Italienisch“ der Klägerin gegenüber förmlich benotet und als nicht bestanden bewertet.
Der von der Klägerin mit Schreiben vom 13. Juli 2016 gegen den Nichtbestehensbescheid eingelegte Widerspruch war somit nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AGVwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
2. Der Widerspruch wurde nicht mit E-Mail der Klägerin vom 1. August 2016 zurückgenommen. Ob diese E-Mail nach ihrem objektiven Erklärungswert überhaupt als Rücknahme des Widerspruchs vom 13. Juli 2016 verstanden werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn die E-Mail genügt jedenfalls nicht dem Formerfordernis des § 70 Abs. 1 VwGO.
Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben. Für die Rücknahme eines Widerspruchs gelten dieselben Formvorschriften wie für dessen Einlegung (vgl. OVG NW, U.v. 15.3.2007 – 10 A 998/06 – DVBl 2008, 791 Rn. 37 m.w.N.; BayVGH, B.v. 8.11.1974 – 260 IV 74 – BayVBl 1975, 21; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 69 Rn. 3 m.w.N.). Damit das Schriftstück dem Unterzeichner zuverlässig zugeordnet werden kann, erfordert die von § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangte Schriftlichkeit grundsätzlich, dass der Widerspruch bzw. dessen Rücknahme eigenhändig unterschrieben ist. Auch wenn das Schriftformerfordernis im Hinblick auf den Einsatz moderner Telekommunikationsmedien zunehmend gelockert wird (vgl. etwa § 55a VwGO für das gerichtliche Verfahren und Art. 3a BayVwVfG für das behördliche Verfahren), kommt eine wirksame Rücknahme des Widerspruchs durch einfache E-Mail nicht in Betracht.
3. Die vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens am 2. August 2016 gegen den Nichtbestehensbescheid erhobene Klage ist nicht nach § 75 VwGO zulässig (geworden).
a) Nach § 75 VwGO ist eine Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Zeit sachlich nicht entschieden worden ist. Eine vor Ablauf der Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO erhobene Klage – die sog. verfrühte (vorzeitige) Untätigkeitsklage – ist zunächst unzulässig. Denn die Durchführung des Verwaltungsvorverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO vor Erhebung der Anfechtungsklage ist keine notwendige Voraussetzung für das gerichtliche Tätigwerden schlechthin, sondern eine „Prozessvoraussetzung“ im Sinne einer „Sachentscheidungsvoraussetzung“. Es genügt deshalb, wenn diese Prozessvoraussetzung im Zeitpunkt der für die gerichtliche Sachentscheidung maßgeblichen mündlichen Verhandlung oder – sofern eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet – im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts erfüllt ist. Es entspricht dem Sinn des Verwaltungsvorverfahrens, zunächst der Verwaltungsbehörde nochmals Gelegenheit zur gründlicheren Prüfung und weiteren Aufklärung des Falles zu geben und dadurch das Gericht bezüglich seiner Sachentscheidung zu entlasten (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 20.1.1966 – I C 24.63 – BVerwGE 23, 135).
b) Die Klägerin konnte somit zwar vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens Klage gegen den Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 erheben. Da zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO noch nicht abgelaufen war, war die Untätigkeitsklage jedoch zunächst unzulässig. Sie ist auch nicht während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zulässig geworden.
Weist die Behörde – wie vorliegend – den eingelegten Widerspruch zurück, kann die Untätigkeitsklage als Anfechtungsklage fortgesetzt werden. Dies setzt voraus, dass der Widerspruchsbescheid innerhalb der Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO zugestellt (nachfolgend aa) und innerhalb der Frist des § 74 VwGO in das Klageverfahren einbezogen wird (nachfolgend bb). Letzteres ist vorliegend nicht erfolgt.
aa) Die Beklagte zu 1 hat mit am 16. September 2016 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 13. September 2016 und damit unzweifelhaft vor Ablauf der bis 13. Oktober 2016 laufenden Sperrfrist von drei Monaten (§ 75 Satz 2 Halbs. 1 VwGO) über den Widerspruch der Klägerin gegen den Nichtbestehensbescheid entschieden. Eine kürzere Entscheidungsfrist war vorliegend nicht wegen besonderer Umstände des Falles nach § 75 Satz 2 Halbs. 2 VwGO geboten.
Maßgebend für das Vorliegen besonderer Umstände sind grundsätzlich die Belange des jeweiligen Klägers. Der für eine kürzere Entscheidungsfrist der Widerspruchsbehörde geltend gemachte Grund, die Entscheidung über die Prüfungsanfechtung sei „wegen des drohenden Verlustes des Abschlusses der von der Klägerin bereits zu großen Teilen erbrachten Bachelorarbeit – Aufführung der Oper ‚Einstein on the Beach‘ von Philipp Glass“ besonders dringlich gewesen, vermag bereits deshalb nicht zu überzeugen, da die Klägerin die Aufführung mit der in den Akten befindlichen E-Mail vom 11. Juli 2016 abgesagt hatte. Diese E-Mail wurde vom Künstlerischen Direktor der „Theaterakademie August Everding“ an den Vertreter des Kanzlers mit dem Hinweis weitergeleitet, „Diese Absage ging an einige der vorgesehenen Mitwirkenden“. Ungeachtet dessen lassen sich Gründe, aus denen sich konkret eine gebotene kürzere Entscheidungsfrist der Widerspruchsbehörde ergeben könnten, auch nicht aus den Gesamtumständen herleiten. Hiergegen spricht insbesondere, dass die Klägerin aufgrund des lediglich fakultativen Widerspruchsverfahrens unmittelbar Anfechtungsklage gegen den Nichtbestehensbescheid hätte erheben können. Hierauf war sie in der Rechtsbehelfsbelehrung:hingewiesen worden. Sie hatte es demnach selbst in der Hand, das Verfahren abzukürzen und eine zeitlich schnellere gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.
bb) Eine Einbeziehung des Widerspruchsbescheids in das bereits anhängige Klageverfahren ist nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolgt.
Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Hierauf war die Klägerin in der ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:des Widerspruchsbescheids hingewiesen worden. Die Einbeziehung des Widerspruchs hätte somit – ausdrücklich oder konkludent – innerhalb dieses Zeitraums erfolgen müssen. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin ausweislich ihrer auf dem Rückschein befindlichen Empfangsbestätigung am 16. September 2016 zugestellt (vgl. § 73 Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO i.V.m. § 4 VwZG). Die Klagefrist endete demnach am Montag, dem 17. Oktober 2016, 24 h (vgl. § 57 Abs. 1 und 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Selbst dann, wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, dass ihr Schreiben vom 18. Oktober 2016 – entgegen seinem ausdrücklichen Wortlaut – nicht als erneute Klageerhebung, sondern als Einbeziehung des Widerspruchsbescheids in die bereits erhobene Untätigkeitsklage anzusehen war, ist diese Einbeziehung nicht fristgerecht (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 11 ZB 08.1495 – juris Rn. 14). Die Untätigkeitsklage gegen den Nichtbestehensbescheid ist demnach endgültig unzulässig, eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Der Senat hat daher nicht zu prüfen, ob die Beklagte zu 1 inhaltlich richtig entscheiden hat.
B.
Die Bestandskraft des Nichtbestehensbescheids der Beklagten zu 1 hat die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage gegen den Exmatrikulationsbescheid des Beklagten zu 2 zur Folge.
Nach Art. 49 Abs. 2 Nr. 3 BayHSchG sind Studierende von der Hochschule u.a. zu exmatrikulieren, wenn sie eine nach der Prüfungsordnung erforderliche Prüfung endgültig nicht bestanden haben. Die Exmatrikulation stellt insoweit eine Folgeentscheidung des Prüfungsbescheids dar, deren Rechtmäßigkeit allein an dessen Existenz, nicht dagegen an dessen Bestandskraft anknüpft (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 7 C 14.17 – juris Rn. 2 m.w.N.). Ist der Prüfungsbescheid – wie vorliegend der Nichtbestehensbescheid der Beklagten zu 1 – bestandskräftig geworden, fehlt der (Anfechtungs-)Klage gegen einen Exmatrikulationsbescheid das Rechtsschutzbedürfnis. Denn die Rechtsstellung der Klägerin kann durch die Anfechtungsklage gegen den Exmatrikulationsbescheid nicht mehr verbessert werden. Somit ist auch diese unzulässig geworden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.


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