IT- und Medienrecht

Diesel-Abgasskandal, Diesel, Abgasskandal

Aktenzeichen  41 O 280/21

Datum:
23.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44408
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
§ 826 BGB § 826 BGB
§ 142 ZPO § 142 ZPO
§ 427 ZPO § 427 ZPO

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.133,91 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.05.2021 Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs P. C. …, FIN … und Übertragung des dem Kläger gegenüber der finanzierenden Bank (T. F. S.) zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorbezeichneten Fahrzeugs zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den noch nicht fälligen Darlehensraten aus dem Darlehensvertrag mit der Nummer … gegenüber der T. F. S. freizustellen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, für vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten an den Kläger 1.954,46 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.05.2021 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben zu tragen:
– der Kläger 16%
– die Beklagte 84%.
6. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Für die Beklagte ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 18.133,91 € Zug um Zug gegen Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs und Übertragung bestehender Anwartsrechte gemäß §§ 826, 31 BGB zu.
Da das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig einem verbindlichen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterliegt, ist der Klagevortrag zum Vorliegen einer – im Ergebnis mit der bekannt gewordenen Motorsteuerungssoftware des Aggregats EA 1- vergleichbaren – unzulässigen Abschalteinrichtung (Motorsteuerungssoftware, die gezielt darauf ausgelegt ist, die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte nur in der Prüfstandsituation, nicht aber im Straßenverkehr zu bewirken) als ausreichend substantiiert und schlüssig zu werten. Zudem sind insoweit hinreichend konkrete Umstände dargelegt, welche einen Rückschluss auf die aufgestellte Tatsachenbehauptung zumindest nachvollziehbar plausibel erscheinen lassen. In diesem Zusammenhang waren auch die Voraussetzungen nach § 142 ZPO für die angeordnete Vorlage des verbindlichen Rückrufbescheides des Kraftfahrt-Bundesamts gegeben (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 33. Auflage, § 142 Rn. 6 und 7). Die Anordnung der Urkundenvorlegung nach § 142 ZPO kann insbesondere auch gegen jeden Besitzer der Urkunde unabhängig vom Bestehen eines materiell-rechtlichen Herausgabe- oder Vorlegungsanspruchs und unabhängig von der Beweislast ergehen (vgl. Zöller-Greger, a. a. O., § 142 Rn. 2 m. w. N.). Vorliegend ist nach den konkreten Begleitumständen davon auszugehen, dass die Vorlage des behördlichen Rückrufbescheids der Förderung der Wahrheitsfindung dienen und schutzwürdige Belange der Beklagten nicht verletzten würde. Betroffen ist ein behördlicher Bescheid mit konkreten Beanstandungen der Beschaffenheit des von der Beklagten hergestellten Motoraggregats bzw. dessen Funktionsweise aufgrund der installierten Software. Damit können die insoweit behördlich beanstandeten Beschaffenheitsmerkmale, die Gegenstand des vorzulegenden Bescheids waren (und denen zudem nach dem eigenen Vortrag der Beklagten durch Umrüstmaßnahmen entsprechend der erfolgten Beanstandung Rechnung getragen wurde) auch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt schützenswerte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse der Beklagten als Herstellerin des betroffenen Motoraggregats darstellen. Daher ist die Verweigerung der angeordneten Vorlage durch die Beklagte gemäß §§ 286, 427 S. 2 ZPO vom Gericht zu würdigen. Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass eine Förderung der Wahrheitsfindung durch den Inhalt des betroffenen Rückrufbescheids naheliegend erscheint und dieser – unstreitig – das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen hat.
Damit ist im vorliegenden Fall der Sachvortrag und das Prozessverhalten der Beklagten nach dem Rechtsgedanken der §§ 444, 427 ZPO unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung durch den Gegner des Beweisführers dahingehend zu würdigen, dass der Sachvortrag der Klägerin zur Beschaffenheit/Funktionsweise des betroffenen Motoraggregats zutreffend ist (vgl. Zöller-Greger, a. a. O., § 142 Rn. 15 sowie § 286 Rn. 14 a). Die danach vorliegende Optimierung der Stickoxidwerte (NOx), nach der die gesetzlichen Grenzwerte nur auf dem Prüfstand und nicht unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr eingehalten werden, entspricht der im Fall des Motoraggregats EA 1- bekannt gewordenen Problematik der Motorsteuerung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung steht es in derart gelagerten Fällen wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn der Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwickelung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigung der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt, was bei dieser Konstellation anzunehmen ist. Insoweit bestehen zudem bereits nach der Beschaffenheit der vom Hersteller verbauten Software zur Motorensteuerung hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines Mitglieds des Vorstands oder Entscheidungsträgers in der betrieblichen Organisationsstruktur aus der oberen Betriebshierarchie der Beklagten, für deren Verhalten diese nach § 31 BGB einzustehen hat (Urteil des BGH vom 25.05.2020, Az: VI ZR 252/19, Rn. 25, 34 und 39 nach juris).
Damit ist die Beklagte dem Kläger gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet und hat nach § 249 Abs. 1 BGB den wirtschaftlichen Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis (Abschluss des Kaufvertrags) bestehen würde. Dieser kann vorliegend durch die geforderte Erstattung der Anschaffungskosten gegen Herausgabe des Fahrzeugs sowie Übertragung des Anwartschaftsrechts und Zahlung von Wertersatz für die gezogenen Nutzungen herbeigeführt werden (BGH, a. a. O., Rn. 55 bis 78).
Der Wert von Gebrauchsvorteilen bei Eigennutzung einer beweglichen Sache wird regelmäßig nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach dem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Wertes (der hier mit dem vereinbarten Kaufpreis zzgl. der angefallenen Finanzierungskosten gleichgesetzt werden kann; vgl. Urteil des BGH vom 13.04.2021, Az: VI ZR 274/20, Rn. 14 sowie Urteil des OLG München vom 15.07.2020, Az: 20 U 2914/19, Rn. 36, jeweils nach juris; sodass vorliegend angefallene Erwerbskosten in Höhe von 140.107,30 € zu berücksichtigen sind). Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen. Insoweit ergibt sich die mathematische Berechnungsformel: Gebrauchsvorteil = (Erwerbskosten x gefahrene Kilometer) ÷ erwartete Gesamtleistung. Insoweit ist vorliegend von einer durchschnittlich zu erwartenden Laufleistung von 250.000 km auszugehen. Weiterhin wurde vorliegend dem Kläger mit Beschluss vom 01.07.2021 (Ziffer 1.; Bl. 104 d. A.) aufgegeben, für den anstehenden Verhandlungstermin sicherzustellen, dass ein den aktuellen Tachostand zum Zeitpunkt des Verhandlungstermins wiedergebendes aktuelles Lichtbild an den Klägervertreter übermittelt werden kann und der Klägervertreter in der Lage ist, Angaben zum aktuellen Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs in der Verhandlung zu machen. Hierzu hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung am 23.08.2021 einen Kilometerstand von 102.734 vorgetragen und auf eine unter dem Datum 20.08.2021 erstellte Lichtbildaufnahme des Tachos Bezug genommen (Seite 2 des Protokolls bzw. Bl. 116 d. A.). Damit ist nach den Gesamtumständen eine ausreichende Grundlage für die vom Gericht vorzunehmende Schätzung der Höhe des anzusetzenden Wertersatzes für gezogene Nutzungen (Vorteilsausgleich bezogen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) gegeben. Im vorliegenden Fall ergibt sich daraus ein zu berücksichtigender Gebrauchsvorteil in Höhe von 42.781,44 € sodass ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Rückzahlung der bisher durch geleistete Ratenzahlungen aufgewendeten Anschaffungskosten (60.915,35 €) in Höhe von 18.133,91 € verbleibt.
Der deliktische Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte umfasst auch die zugesprochene Freistellung der weiteren fälligen Raten aus dem Finanzierungsdarlehen sowie die zugesprochenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 80. Auflage, § 249, Rn. 56 und 57). Insoweit ist entsprechend dem Obsiegen des Klägers von einem Gegenstandswert in Höhe von 104.107,30 € – 42.781,40 € = 61.325,86 € auszugehen. Unter Ansatz einer angemessenen 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. 20,00 € Kommunikationspauschale und 19% Umsatzsteuer resultiert hieraus ein schadensersatzpflichtiger Betrag in Höhe von 1.954,46 €.
Der nach § 256 ZPO zulässige Feststellungsantrag ist nicht begründet, da die Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 294 ff. BGB vorliegend nicht gegeben sind. Es liegt kein ausreichendes Angebot im Sinne der §§ 294, 295 BGB vor. Der Kläger hat durchgehend die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Eine zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (Urteil des BGH vom 25.05.2020, Az: VI ZR 252/19, Rn. 85).
Der Anspruch auf die zugesprochenen Zinsen resultiert aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO sowie §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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