IT- und Medienrecht

Dieselskandal: Nachlieferungsanspruch des Käufers bei Manipulationssoftware

Aktenzeichen  7 O 1892/16 (1)

Datum:
19.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 155243
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 133, § 157, § 212 Abs. 1 Nr. 1, § 275 Abs. 1, § 323 Abs. 5 S. 2, § 474 Abs. 5 S. 1, § 439 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1 Der Käufer eines Fahrzeugs mit installierter Software zur Beeinflussung der Schadstoffemissionen im Testbetrieb kann gem. §§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB vom Verkäufer Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Die Nachlieferung ist dem Verkäufer nicht gem. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich, wenn ein Fahrzeug aus derselben Serienproduktion mit vergleichbarer Ausstattung derselben Gattung wie das verkaufte Fahrzeug zur Verfügung steht. (Rn. 22 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ob beim Stückkauf eine Ersatzlieferung in Betracht kommt, ist nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss zu beurteilen (§§ 133, 157 BGB). Möglich ist die Ersatzlieferung nach der Vorstellung der Parteien dann, wenn die Kaufsache im Falle ihrer Mangelhaftigkeit durch eine gleichartige und gleichwertige ersetzt werden kann (Bestätigung von BGH BeckRS 2006, 9340). Unter diesen Voraussetzungen kann daher auch bei einer Gattungsschuld die Verpflichtung zur Nachlieferung auf einen nicht derselben Gattung angehörenden Gegenstand gerichtet sein. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Verkäufer kann die Nachlieferung nicht nach § 439 Abs. 3 BGB mit der Begründung verweigern, dass für die Entwicklung der Software-Updates hohe Kosten anfallen, da der Verkäufer diesen Aufwand wegen der Vorgaben des Kraftfahrtbundesamts und im Hinblick auf Kunden, die Nachbesserung verlangen, sowieso hat. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4 Handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Kaufvertrag um einen Verbrauchsgüterkaufvertrag nach § 474 Abs. 1 BGB, so schuldet der Käufer keinen Nutzungsersatz nach §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB. Auf solche Verträge ist § 439 Abs. 4 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass Nutzungen weder herauszugeben sind noch deren Wert zu ersetzen ist (§ 474 Abs. 5 S. 1 BGB). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, der Klagepartei ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug VW Polo 1,2 TDI, FIN: … Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeuges VW Polo 1,2 TDI, FIN: … nachzuliefern.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des in Ziffer I. genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.
3. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 754,83 € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6. Das Urteil ist in Ziff. 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 16.500 €, in Ziffer 3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 800,00 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 15.213,13 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
I.
1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Nachlieferungsanspruch aus §§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB zu.
a) Die im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Software zur Beeinflussung der Schadstoffemission im Testbetrieb stellt einen Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB dar.
Nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist der Kaufgegenstand frei von Sachmängeln, wenn er sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, welche bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann.
Die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaute Abschaltsoftware entspricht nicht der Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache auch erwarten kann. Die Installation und Verwendung einer sogenannten Abschaltsoftware ist bei Fahrzeugen anderer Hersteller in einer vergleichbaren Fahrzeugklasse jedenfalls nicht bekanntermaßen üblich (so auch LG Braunschweig, Urteil vom 12.10.2016, Az. 4 O 202/16). Auch erwartet ein Durchschnittskäufer nicht, dass die gesetzlich vorgegebenen Abgaswerte nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert ist, die dafür sorgt, dass der Prüflaufstand erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung nur für diesen Fall der Stickoxidausstoß reduziert wird. Insoweit resultiert die Mangelhaftigkeit nicht etwa daraus, dass die unter Laborbedingungen gemessenen Werte im alltäglichen Straßenverkehr nicht eingehalten werden. Denn für den Kläger als Käufer und Erklärungsempfänger war erkennbar, dass die Angaben zum Schadstoffausstoß auf einer objektivierenden Grundlage beruhen und nicht den Abgaswerten im realen Fahrbetrieb entsprechen werden. Die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs basiert vielmehr darauf, dass der Motor die Vorgaben im Prüflaufstand nur aufgrund der manipulierenden Software einhält (LG Münster, Urteil vom 14.03.2016, 11 O 341/15; LG Oldenburg, Urteil vom 01.09.2016, 16 O 790/16).
Auch eignet sich das Fahrzeug nicht zur gewöhnlichen Verwendung. Zwar ist der Beklagtenseite zu zugestehen, dass der Kläger derzeit das streitgegenständliche Fahrzeug uneingeschränkt nutzen kann. Allerdings muss das Fahrzeug unstreitig im Rahmen einer Rückrufaktion umgerüstet werden, um mittelfristig keine Nachteile, wie Probleme bei der Einfahrt in Umweltzonen, steuerliche Nachteile oder gar den Verlust der allgemeinen Betriebserlaubnis zu erleiden. Wenn es dem Kläger also nicht freisteht, dem Rückruf seines Fahrzeugs Folge zu leisten, um dessen Zulassung im Straßenverkehr zu erhalten, dann kann nicht von einer gewöhnlichen Verwendungsmöglichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs ausgegangen werden (LG Oldenburg, a.a.O.).
b) Der Mangel des Fahrzeugs gibt dem Kläger gem. § 437 Nr. 1 BGB das Recht Nacherfüllung zu verlangen, wobei er grundsätzlich frei wählen kann, ob er die Beseitigung des Mangels oder – wie hier – die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangt.
c) Die Nachlieferung ist der Beklagten nicht unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB).
Es spricht vieles dafür, dass Neufahrzeuge des Typs Polo aus der aktuellen Serienproduktion mit vergleichbarer Ausstattung derselben Gattung wie das streitgegenständliche Fahrzeug angehören.
Ein Pkw wird zunächst im Wesentlichen durch Marke, Baureihe, Typ, Karosserie und Motor charakterisiert (OLG Nürnberg, Entscheidung vom 15. Dezember 2011 – 13 U 1161/11 -, Rn. 53, juris). Neben dem äußeren Erscheinungsbild des Fahrzeugs kommt gerade seiner Motorisierung besonderes Gewicht zu. „Der Motor ist gewissermaßen das Herz des Fahrzeuges, prägt sein Leistungsvermögen und seine Wertschätzung“ (OLG Nürnberg, a.a.O.).
Insoweit ist festzustellen, dass es sich auch bei dem im Zeitpunkt des Nacherfüllungsverlangens und noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung von der Beklagten angebotenen Modell um einen Polo der Baureihe V handelt, der weiterhin mit einem 55 kW-Motor, wenn auch mit leicht vergrößertem Hubraum, erhältlich ist und ausweislich der beklagtenseits im Termin vorgelegten Unterlagen durch die Aktualisierung im Jahr 2014 keine wesentliche Preissteigerung (15.725 € statt bisher 15.250 €) erfahren hat.
Für die Bestimmung der Gattung ist weiterhin maßgeblich, wie der Vertragsgegenstand in dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag bestimmt wird. Insoweit weist der Kläger zutreffend darauf hin, dass sich die Beklagte in ihren Neuwagenverkaufsbedingungen weitgehende Änderungen des Leistungsgegenstandes vorbehält, etwa im Hinblick auf Konstruktions- oder Formänderungen, sofern die Änderungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind.
Die beklagtenseits angeführten optischen und technischen Veränderungen bewegen sich durchweg in diesem Bereich.
Letztlich kann auch dahinstehen, ob es sich bei einem ähnlichen Fahrzeug aus der aktuellen Produktion um ein Fahrzeug derselben Gattung oder um ein sog. aliud handelt, weil der Nachlieferungsanspruch nicht nur mit Gegenständen erfüllt werden kann, die derselben Gattung angehören. Das ergibt sich schon daraus, dass nach zutreffender Ansicht eine Nachlieferung auch beim Stückkauf in Frage kommt, wo der Anspruch notwendig auf die Lieferung eines aliuds gerichtet ist. Ob beim Stückkauf eine Ersatzlieferung in Betracht kommt, ist nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss zu beurteilen (§§ 133, 157 BGB). Möglich ist die Ersatzlieferung nach der Vorstellung der Parteien dann, wenn die Kaufsache im Falle ihrer Mangelhaftigkeit durch eine gleichartige und gleichwertige ersetzt werden kann (BGH, Urteil vom 7.6.2006 – VIII ZR 209/05, beck-online). Unter diesen Voraussetzungen kann daher auch bei einer Gattungsschuld die Verpflichtung zur Nachlieferung auf einen nicht derselben Gattung angehörenden Gegenstand gerichtet sein. Das ist hier aus den genannten Gesichtspunkten der Fall.
d) Die Beklagte kann die Nachlieferung nicht nach § 439 Abs. 3 BGB verweigern. Insbesondere ist die Nachlieferung nicht nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich. Die Kosten der Nachlieferung sind auch im Verhältnis zu den Kosten einer Nachbesserung nicht unverhältnismäßig (sog. relative Unverhältnismäßigkeit).
Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit sind nach § 439 Abs. 3 S. 2 BGB insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden kann.
Während dem Wert der Sache in mangelfreiem Zustand bei der hier im Vordergrund stehenden relativen Unverhältnismäßigkeit keine besondere Bedeutung zukommt, sind die beiden zuletzt genannten Aspekte im Sinne des Klägers zu beantworten.
Im Rahmen der bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung gebotenen Interessenabwägung ist zunächst der gesamte Aufwand der Kosten für die Nachbesserung einerseits und für die Nachlieferung andererseits im Wege einer Schätzung gegenüberzustellen. Dabei sind nach Ansicht des Gerichts an dieser Stelle die Kosten nicht miteinzubeziehen, die für die Entwicklung der Software-Updates anfallen, wenngleich die Entwicklung des Updates auch von der Beklagten – und sei es wegen der Vorgaben des KBA – als äußerst aufwändig beschrieben wird. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte diesen Aufwand sowieso hat – schon wegen der Vorgaben des KBA und im Hinblick auf die Kunden, die Nachbesserung verlangen. Abgesehen von den Kosten für das Aufspielen der Software auf das Fahrzeug des Klägers handelt es sich also bei den Kosten der Nachlieferung um Kosten die zusätzlich anfallen. Damit ist festzustellen, dass die Kosten der Nachlieferung die Kosten der Nachbesserung um ein Vielfaches übersteigen, ohne dass es darauf ankäme, welchen Wert der zurückgenommene PKW für die Beklagte hat und welche Kosten bei ihr oder dem Hersteller für das nachzuliefernde Neufahrzeug im Einzelnen anfallen.
Andererseits ist der Mangel von erheblicher Bedeutung. Selbst wenn man zugrunde legt, dass derzeit keine Verwendungseinschränkung besteht, droht im Fall einer unterbliebenen oder gescheiterten Nachbesserung der Entzug der Zulassung des Fahrzeugs. Die Bedeutung des Mangels wird nicht durch die Behauptung der Beklagten in Frage gestellt, dass er – im Wege der Nachbesserung – mit einem Aufwand von weniger als 100 € und damit weniger als 0,7 % des Kaufpreises beseitigt werden könnte. Selbst wenn man in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Erheblichkeit eines Mangels – genauer der Pflichtverletzung – im Sinne von § 323 Abs. 5 S. 2 BGB auf die Höhe des Mangelbeseitigungsaufwandes abstellen wollte (BGH, Urteil vom 28. Mai 2014 – VIII ZR 94/13 -, BGHZ 201, 290-310) ergäbe sich nicht anderes. Denn dort, wo der Beseitigungsaufwand indizielle Bedeutung für das Gewicht eines Mangels haben soll, müssten die erheblichen Kosten für die Entwicklung des Software-Updates mit einbezogen werden. Denn in diesen Kosten spiegelt sich das technische Defizit wider, welches den mit der streitgegenständlichen Abgassteuerungssoftware ausgerüsteten Fahrzeugen anhaftet.
Vor allem aber ist die Nachbesserung im Vergleich zur Nachlieferung im konkreten Fall für den Kläger erheblich nachteilhafter. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass jedenfalls in dem wegen ihrer Gestaltungswirkung (Palandt/Weidenkaff, BGB, 2017, § 439 Rn. 6) maßgeblichen Zeitpunkt der Erklärung des Nachlieferungsverlangens ungewiss war und sogar derzeit noch ungewiss ist, ob das von der Beklagten angebotene Software-Update nachteilige Folgen haben wird. Der Kläger behauptet, dass eine folgenlose Nachbesserung gar nicht möglich ist, die Beklagte behauptet das Gegenteil. Zwar bieten beide zum Beweis ihrer Behauptung Sachverständigenbeweis an. Die Erholung eines dahingehenden Gutachtens ist aber nicht erforderlich, denn zweifellos wurde und wird die Möglichkeit einer folgenlosen Nachbesserung derzeit in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Schon die in der Öffentlichkeit bestehende Unsicherheit hinsichtlich des Erfolgs einer Nachbesserung führt dazu, dass diese Form der Nacherfüllung für den Kläger als erheblich nachteilig anzusehen ist. Denn die Unsicherheit des Erfolges der Nachbesserung kann den Weiterverkaufswert des Fahrzeuges beeinträchtigen. Negative Äußerungen in der Öffentlichkeit über mögliche Folgen des vom VW-Konzern angeboten Software-Updates beeinflussen den Fahrzeugwert auch dann, wenn sie sich aus technischer Sicht als unzutreffend darstellen sollten.
Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass bei mangelhafter Nachbesserung nach einer weit verbreiteten Meinung die Verjährung der Gewährleistungsrechte nur dann von neuem beginnt, wenn aus den Umständen anzunehmen ist, dass der Verkäufer den Mangel anerkennt (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB; vgl. auch Palandt/Weidenkaff, BGB, 2016, § 438 Rn. 16 a). Das macht die Beklagte ausdrücklich nicht, sondern betont, dass sie das Update nur im Wege der Kulanz zur Verfügung stellt. Dadurch wird das Risiko des Scheiterns der Nachbesserung insofern auf den Käufer verlagert, als dieser seinen Anspruch auf Nachbesserung des Software-Updates möglicherweise im Klagewege durchsetzen muss, und er riskiert, dass seinem dahingehenden Anspruch der Verjährungseinwand entgegen gehalten wird.
Der Kläger hat daher Anspruch auf Nachlieferung eines Neufahrzeuges aus der aktuellen Serie, Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung (§§ 439 Abs. 4, 348 BGB) des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
2. Nutzungsersatz nach §§ 439 Abs. 4, 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB schuldet der Kläger nicht, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Kaufvertrag um einen Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 BGB handelt. Auf solche Verträge ist § 439 Abs. 4 BGB mit der Maßgabe anzuwenden, dass Nutzungen weder herauszugeben sind noch deren Wert zu ersetzen ist (§ 474 Abs. 5 S. 1 BGB).
Der seitens des Beklagten vertretenen Ansicht, § 474 Abs. 5 BGB sei nicht anwendbar, weil das zurück zu gebende Fahrzeug „sicher und fahrbereit“ sei, folgt das Gericht nicht.
Die Neufassung des § 474 Abs. 5 BGB greift eine Rechtsprechung des BGH (NJW 2009, 427) und vorausgehend des EuGH (NJW 2008, 1433) auf, wonach die Verpflichtung Nutzungsersatz zu leisten mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie nicht vereinbar sei, weil die Ersatzlieferung nach der Richtlinie „unentgeltlich“ zu erfolgen habe. Die Unentgeltlichkeit soll den Verbraucher vor drohenden finanziellen Belastungen schützen, die ihn, in Ermangelung eines solchen Schutzes davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen. Diese vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewollte Garantie der Unentgeltlichkeit bedeute, dass jede finanzielle Forderung des Verkäufers im Rahmen der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Herstellung des vertragsmäßigen Zustands des Verbrauchsguts, auf das sich der Vertrag bezieht, ausgeschlossen ist (EuGH, Urteil vom 17. April 2008 – C-404/06 -, juris).
Diese Erwägungen werden nicht dadurch in Frage gestellt, dass der aus den oben dargelegten Gründen mangelhafte PKW „sicher und fahrbereit“ ist.
3. Die Beklagte befindet sich gem. § 293 BGB in Verzug mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Mit Schreiben vom 29.12.2015 (Anl. K 2) hat der Kläger der Beklagten angeboten, den dort mit der Fahrzeugidentifikationsnummer näher bezeichneten PKW gegen Lieferung des Neuwagens zurückzugeben.
Leistungsort für die Rückgabe der mangelhaften Sache ist nach § 269 Abs. 1 BGB der Wohnsitz des Schuldners. Das vorgenannte Schreiben stellt daher ein tatsächliches Angebot nach § 294 BGB dar, weil die Beklagte nur noch zuzugreifen braucht.
4. Ein Anspruch des Klägers auf Freistellung von den seinen Prozessbevollmächtigten geschuldeten vorgerichtlichen Anwaltskosten ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 439 Abs. 2 BGB, denn der Kläger durfte zur Durchsetzung seiner Mängelrechte anwaltlichen Beistand in Anspruch nehmen. Den dadurch entstehenden Aufwand hat die Beklagte gem. § 439 Abs. 2 BGB zu tragen (BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 – X ZR 40/96 -, juris).
Soweit der Kläger nur die Freistellung der gesetzlich von ihm geschuldeten Gebühren verlangt, war weiterer Vortrag nicht erforderlich.
Allerdings erachtet das Gericht im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und der Bedeutung der Angelegenheit (§ 14 Abs. 1 RVG) lediglich eine 1,7 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG für angemessen. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass die den Sachverhalt zugrunde liegenden tatsächlichen Aspekte und teilweise auch die rechtlichen Fragen überdurchschnittlich schwierig und komplex sind. Entgegen der Ansicht des Klägers und mit der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 28.5.2013, XI ZR 420/10 – juris Rz. 46) muss die durch die Parallelität der Sachverhalte bedingte ganz erhebliche Verringerung des zeitlichen Aufwands für das einzelne Mandat im Rahmen der nach § 14 Abs. 1 RVG erforderlichen Gesamtwürdigung aber maßgeblich berücksichtigt werden.
Die Gebühr war daher nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB vom Gericht durch Urteil zu bestimmen (BGH, a.a.O., Rz. 45). Im Rechtsstreit mit einem erstattungspflichtigen Dritten musste kein Gutachten gem. § 14 Abs. 2 RVG eingeholt werden (Mayer, Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG § 14 Rn. 65-90, beck-online).
Die ersatzfähigen vorgerichtlichen Anwaltskosten berechnen sich daher wie folgt:
•1,7 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG abzgl. 0,75 Anrechnung = 0,95 Gebühr aus 15.213,13 €: 617,50 €;
•Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG: 20,00 €
•MWSt. gem. Nr. 7008 VV RVG aus 911,10 €: 117,33 €;
•insgesamt: 754,83 €.
Soweit der Kläger einen weitergehenden Freistellungsanspruch geltend macht, war die Klage abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 709 S. 1, 2 ZPO.

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