IT- und Medienrecht

Ermessensausübung bei Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens

Aktenzeichen  14 W 1613/18

Datum:
11.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 29037
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 68, § 74 Abs. 3, § 148, § 569 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Voraussetzungen für die Aussetzung eines Rechtsstreits liegen vor, wenn in einem zwischen anderen Parteien geführten Rechtsstreit um dieselben Mängel eines Bauvorhabens gestritten wird und eine Entscheidung im Bezugsverfahren aufgrund von Streitverkündungen für das auszusetzende Verfahren Bindungswirkung entfalten würde. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen der gerichtlich zu treffenden Ermessensentscheidung über die Aussetzung des Verfahrens ist zu berücksichtigen, dass das Bezugsverfahren im Hinblick auf die Insolvenz der dortigen Klägerin unterbrochen ist und eine ursprünglich vorgesehene Beweisaufnahme nicht stattgefunden hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Begründetheit einer Beschwerde ist auf den Zeitpunkt der neu zu treffenden Entscheidung abzustellen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 HK O 1875/18 2018-09-14 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 14.09.2018, Az.: 1 HK O 1875/18, wird aufgehoben.

Gründe

I.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 30.05.2018 Klage gegen die Beklagte mit folgendem Antrag erhoben:
I. Die Beklagte wird verurteilt, 96.218,63 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
4.019,34 € ab dem 26.11.2016
29.906,84 € ab dem 26.11.2016
59.260,81 € ab dem 26.11.2016
2.737,- € ab dem 31.11.2016 [sic]
294,64 € ab dem 14.11.2016
an die Klägerin zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, 1.973,90 € nebst Zinsen aus diesem Betrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit an vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten an die Klägerin zu bezahlen.
Die Klägerin trägt vor:
Die B. & Co. Baugesellschaft mbH habe als Generalunternehmerin in München ein Bauvorhaben errichtet und in dessen Rahmen die M. GmbH mit dem Einbau von Fenstern beauftragt. Die M. GmbH habe den Auftrag an die Beklagte weitergegeben. Diese habe bei der R. Glas GmbH & Co. KG (der Rechtsvorgängerin der Klägerin) Glaseinheiten gekauft und verbaut, aber nicht bezahlt. Die Glaseinheiten entsprächen den zwischen den Parteien vereinbarten Vorgaben und seien voll funktionstauglich.
Die Beklagte trägt vor:
Vor dem Landgericht München I sei unter dem Az.: 8 O 19626/17 eine Klage der M. GmbH gegen die B. & Co. Baugesellschaft mbH und die B. Verwaltungs GmbH rechtshängig. In diesem Verfahren habe die M. GmbH der Beklagten den Streit verkündet. Die Beklagte habe wiederum der Klägerin den Streit verkündet. Gegenstand des Verfahrens sei u.a. die Mangelhaftigkeit der auch im gegenständlichen Verfahren streitgegenständlichen Gläser. Tatsächlich habe die Klägerin Gläser mit zu breitem Randverbund geliefert, durch deren Austausch der Beklagten erhebliche Kosten entstanden seien.
Die Beklagte meint, der gegenständliche Streit sei für den Prozess vor dem Landgericht München I vorgreiflich. Es sei ihr nicht zuzumuten, beide Prozesse parallel zu führen und das Risiko einer möglichen unterschiedlichen sachverständigen Begutachtung in beiden Prozessen zu tragen. Die Entscheidung in dem Verfahren vor dem Landgericht München I habe für den vorliegenden Streit präjudizielle Wirkung. Darüber hinaus würde die Aussetzung des Rechtsstreits auch eine doppelte Beweisaufnahme vermeiden.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 17.08.2018 beantragt, das gegenständliche Verfahren im Hinblick auf das Verfahren vor dem Landgericht München I, Az.: 8 O 19626/17, auszusetzen.
Das Landgericht Augsburg hat der Klägerin mit Verfügung vom 29.08.2018 eine Frist zur Stellungnahme bis 14.09.2018 eingeräumt.
Mit Beschluss vom 14.09.2018, Az.: 1 HKO 1875/18, hat das Landgericht Augsburg entschieden:
Die Verhandlung wird bis zur Erledigung des Rechtsstreits 8 O 19626/17 Landgericht München I ausgesetzt.
Zur Begründung hat das Landgericht Augsburg ausgeführt:
Die Entscheidung beruhe auf § 148 ZPO.
Der hiesigen Klägerin sei durch die hiesige Beklagte wegen behaupteter Mängel von Gläsern, bezüglich derer im streitgegenständlichen Verfahren Vergütungsansprüche geltend gemacht würden, im Verfahren 8 O 19626 LG München I der Streit verkündet. Eine doppelte Beweisaufnahme gelte es zu vermeiden.
Am selben Tag ist ein Antrag des Klägervertreters auf Verlängerung der Stellungnahmefrist bis 01.10.2018 eingegangen.
Gegen den dem Klägervertreter am 20.09.2018 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 04.10.2018, eingegangen beim Landgericht Augsburg am 08.10.2018, sofortige Beschwerde eingelegt und diese wie folgt begründet:
Das Verfahren vor dem Landgericht München I, Az.: 8 O 19626/17, betreffe eine Vielzahl von Mängeln. Es sei davon auszugehen, dass es sich in erster Instanz über mehrere Jahre hinziehen werde. Für die Klägerin sei es in Ansehung der Höhe der ausstehenden Forderungen nicht zumutbar, diesen Zeitraum abzuwarten. Ob eine Beweiserhebung über die Fenster vor dem Landgericht München I für das gegenständliche Verfahren von Bedeutung sei, sei fraglich, weil im Rahmen der zwischengeschalteten Vertragsverhältnisse möglicherweise unterschiedliche Beschaffenheitsvereinbarungen getroffen worden seien. Falls das Verfahren durch Vergleich beendet würde, gäbe es möglicherweise überhaupt keine Beweisaufnahme zu der hier relevanten Frage. Die Beweisaufnahme über die Qualität der von der Klägerin gelieferten Glaseinheiten sei überschaubar und lasse sich im Verfahren vor dem Landgericht Augsburg in kurzer Zeit bewältigen. Im Übrigen rechtfertige nicht einmal der Umstand, dass dieselbe Tatfrage in zwei Prozessen für die jeweils geltend gemachten Ansprüche von Bedeutung sei, die Aussetzung nach § 148 ZPO.
Die Klägerin beantragt,
die Aussetzung aufzuheben und das Verfahren fortzuführen.
Das Landgericht Augsburg hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 17.10.2018 nicht abgeholfen.
Das Landgericht München I hat im Verfahren Az. 8 O 19626/17 mit Beweisbeschluss vom 27.12.2018 Termin zur Beweisaufnahme und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf 29.05.2019 bestimmt. Im Rahmen des Beweisbeschlusses ist u.a. die Vernehmung mehrerer Zeugen und die mündliche Gutachtenerstattung des Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) Martin G. im Zusammenhang mit der Lieferung bzw. dem Einbau von Fenstern bzw. Gläsern angeordnet worden.
Hierzu trägt die Klägerin vor, nach ihrem Kenntnisstand habe sie zahlreiche Gläser, aber nicht sämtliche Verglasungen für das streitgegenständliche Bauvorhaben geliefert. Inwieweit es sich bei den im o.g. Beweisbeschluss aufgeführten „Fenstern“ um solche mit Verglasungen handele, die von ihr oder Dritten geliefert worden seien, sei für sie nur sehr begrenzt nachvollziehbar.
Die Beklagte erwidert, die o.g. Beweisgegenstände beträfen die im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Fenster und Gläser.
Sie ist der Ansicht, Gründe, die eine Aufhebung der angeordneten Aussetzung rechtfertigen würden, lägen nicht vor.
Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 08.05.2019, Az.: 8 O 19626/17, festgestellt, dass das dortige Verfahren wegen Insolvenz der dortigen Klägerin M. GmbH unterbrochen sei.
II.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Der angefochtene Beschluss war aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung des Bezugsverfahrens aufzuheben.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 252 ZPO (vgl. Thomas/Putzo/Reichold, § 148 ZPO, Rdnr. 13) und entspricht der Form des § 569 Abs. 2 ZPO und der Frist des § 569 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO.
2. Der angefochtene Beschluss war aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung des Bezugsverfahrens aufzuheben.
a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 148 ZPO sind erfüllt. Das Bezugsverfahren vor dem Landgericht München I, Az.: Az. 8 O 19626/17 betrifft ein für die Entscheidung im gegenständlichen Verfahren vorgreifliches Rechtsverhältnis i.S.d. § 148 ZPO.
(1) Rechtsverhältnis i.d.S. ist die Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder einer Sache, die ein (mit materieller Rechtskraftwirkung feststellbares) subjektives Recht enthält oder aus der solche Rechte entspringen können (Zöller/Greger, § 148 ZPO, Rdnr. 5; § 256 ZPO, Rdnr. 3). Die Frage des Vorliegens von Sachmängeln betrifft im Hinblick auf die daran anknüpfenden gewährleistungsrechtlichen Folgen ein Rechtsverhältnis i.d.S. (vgl. BGH, NJW-RR 2010, 750, Rdnr. 10 bzgl. eines Werkvertrags; NJW 2019, 507, Rdnr. 17 bzgl. eines Mietvertrags; BeckOK ZPO/Bacher, § 256 ZPO, Rdnr. 3.2, 6).
(2) Im vorliegenden Fall betreffen – anders als in dem dem Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 10.11.1995 – 7 W 2800/95 (NJW-RR 1996, 766) zugrunde liegenden Sachverhalt – auch beide Rechtsstreitigkeiten dasselbe Rechtsverhältnis, nämlich die Mangelhaftigkeit der streitgegenständlichen Glaseinheiten. Die Parteien des gegenständlichen Verfahrens sind zwar nicht Parteien des Bezugsverfahrens; aufgrund der dort erfolgten Streitverkündungen würde aber ihnen gegenüber eine Entscheidung im Bezugsverfahren die Bindungswirkung der §§ 74 Abs. 3 i.V.m. 68 ZPO entfalten.
b) Damit stand die Aussetzung des gegenständlichen Verfahrens im Ermessen des Landgerichts, Das Gericht hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung allerdings zu prüfen, ob die gebotene Prozessförderung auf andere Weise besser zu erreichen ist. Die Aussetzung kann sich im Hinblick auf geringe Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und Prozessverzögerung verbieten, ebenso, wenn das andere Verfahren seinerseits ausgesetzt ist (Zöller/Greger, § 148 ZPO, Rdnr. 7).
Da die Beschwerdeinstanz gemäß § 571 Abs. 2 ZPO eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz ist und §§ 513, 529 ZPO nicht entsprechend gelten, ist die Begründetheit der sofortigen Beschwerde bezogen auf den Zeitpunkt der neu zu treffenden Entscheidung zu prüfen (BGH, NJW 2010, 1002, Rdnr. 9). Damit ist nunmehr zu berücksichtigen, dass das Bezugsverfahren im Hinblick auf die Insolvenz der dortigen Klägerin unterbrochen ist und die ursprünglich für den 29.05.2019 vorgesehene Beweisaufnahme nicht stattgefunden hat.
Unter diesen Umständen entspricht es nicht mehr der gebotenen Prozessförderung, den – derzeit nicht absehbaren – Fortgang bzw. Ausgang des Bezugsverfahrens abzuwarten.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weit auch die Ausgangsentscheidung als Teil der Hauptsache keine Kostenentscheidung enthält (BGH, BeckRS 2006, 08636, Rdnr. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 252 ZPO, Rdnr. 7; Thomas/Putzo/Seiler, § 148 ZPO, Rdnr. 13).


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben