IT- und Medienrecht

Kassenartzrecht: Bagatellgrenze und Ordnungsfristen bei der sachlich-rechnerische Richtigstellung

Aktenzeichen  L 12 KA 1/19

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17143
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 83 Abs. 1, § 106a Abs. 5, § 106d Abs. 6

 

Leitsatz

1. Die spezialgesetzliche Regelungskompetenz des § 106a Abs. 5 und 6 SGB V hat zur Folge, dass die auf der bisherigen Generalermächtigung des § 83 Abs. 1 SGB V beruhenden Regelungen in die spezialgesetzlich vorgesehenen Normwerke zu transformieren sind (vgl. BSG, Urteil v. 23.03.2016, – B 6 KA 8/15 R). (Rn. 39)
2. Sowohl bei der Antragsfrist nach § 13 Abs. 1 GesamtV-Ärzte/EK als auch nach der des § 18 Abs. 4 Nr. 8 der zum 11.05.2019 in Kraft getretenen Abrechnungssprüfungsrichtlinien gem. § 106d Abs. 6 SGB V handelt es sich um eine Ordnungs- und nicht um eine Ausschlussfrist. (Rn. 41)
3. Die Bagatellgrenze des § 13 Abs. 2 GesamtV-Ärzte/EK findet in den streitigen Quartalen mangels Transformation in das spezialgesetzliche Normengefüge keine Anwendung. (Rn. 44 – 45)

Verfahrensgang

S 38 KA 301/16 2018-10-02 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 2.Oktober 2018, Az: S 38 KA 301/16, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt auch die Kosten für das Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 12.03.204 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 03.02.2016 zu Recht aufgehoben und die Beklagte zur neuen Entscheidung über das Korrekturbegehren der Klägerin auf sachlich-rechnerische Richtigstellung wegen fehlender Leistungspflicht verpflichtet.
A. Der Senat entscheidet wie schon das SG in der sich aus § 40 Satz 1, § 33 Abs. 1 Satz 2 und § 12 Abs. 3 Satz 1 SGG ergebenden Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und der Krankenkassen. Streitgegenstand ist hier der auf § 106a Abs. 3 SGB V beruhende Anspruch der Krankenkasse, dass die beklagte KÄV das Korrekturbegehren der Klägerin umsetzt und damit für die Korrektheit der Abrechnungen der Vertragsärzte sorgt. Der auf der Anspruchsgrundlage des § 106a Abs. 3 SGB V (aF) basierende Streit wurzelt in den Rechtsbeziehungen zwischen einer Krankenkasse und der KÄV, mithin dem Vertragsarztrecht im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 1 SGG, was zur Folge hat, dass an dem Rechtsstreit zwei ehrenamtliche Richter je aus den Kreisen der Vertragsärzte und der Krankenkasse mitwirken müssen (vgl. auch Urteil des BSG vom 11.02.2015, – B 6 KA 15/94 R).
B. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die einmonatige Klagefrist nach § 87 Abs. 1 SGG gewahrt. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung ausgeführt.
a) Die Klägerin hat gegen den Ausgangsbescheid vom 12.03.2014 zutreffend Widerspruch eingelegt und nicht unmittelbar Klage erhoben, sodass für die Einhaltung der Klagefrist das Datum der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides und nicht das Datum der Bekanntgabe des Ausgangsbescheides maßgeblich war (BSG Urteil vom 29.01.1976 – 10 RV 171/75 – SozR 1500 § 81 Nr. 1; BSG Urteil vom 20.10.1977 – 12 RK 18/76 – SozR 1500 § 92 Nr. 3; BSG Urteil vom 23.6.1994 – 4 RK 3/93 – SozR 3-1500 § 87 Nr. 1). Die Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG, nach der es eines Widerspruchsverfahrens nicht bedarf, wenn ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will, greift hier entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ein. Insbesondere war die Beklagte befugt, gegenüber der Klägerin durch Verwaltungsakt zu entscheiden. Es entspricht langjähriger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass Kassen(zahn)ärztliche Vereinigungen trotz des prinzipiellen Gleichordnungsverhältnisses zu den Kassen bei der Durchführung von Schadensregressen sowie sachlich-rechnerischen Abrechnungsberichtigungen einer antragstellenden Kasse gegenüber durch Verwaltungsakt entscheiden. Zur Begründung verweist das BSG darauf, dass die K(Z)ÄV nach den bundesmantelvertraglichen Regelungen die allgemeine Vertragsinstanz ist, der (auch) die Feststellung obliegt, ob Vertrags(zahn)ärzte ihre vertrags(zahn)ärztlichen Pflichten verletzt und dadurch der betroffenen Krankenkasse des Versicherten einen Schaden verursacht haben (BSG SozR 3-5555 § 12 Nr. 1 S. 3; BSG SozR 3-5555 § 12 Nr. 2 S. 8; BSG SozR 3-5555 § 12 Nr. 3 S. 13, jeweils im Hinblick auf die Befugnis der KZÄV, Schadensersatzansprüche einer Vertragskasse gegen den Vertragszahnarzt wegen Verletzung von Pflichten aus dem Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte durch Verwaltungsakt geltend zu machen; für sachlich-rechnerische Berichtigungen BSG SozR 4-5555 § 21 Nr. 2 RdNr. 16 ff).
Dies gilt auch für den Fall der Prüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V. Hier steht zwar der KÄV keine umfassende Honorarprüfungs- und Berichtigungskompetenz zu wie bei Berichtigungsanträgen nach § 106a Abs. 4 SGB V. Die KÄV hat insoweit keine Entscheidungskompetenz. Allerdings obliegt ihr weiterhin die verwaltungsmäßige Umsetzung. Hierbei ist sie auf die Prüfung beschränkt, ob der Umsetzung des Prüfungsergebnisses der Krankenkasse gegenüber dem Vertragsarzt Begrenzungen der Richtigstellungsbefugnis entgegenstehen, wie etwa eine Versäumung der vierjährigen Ausschlussfrist oder (andere) Vertrauensschutzgesichtspunkte (siehe hierzu BSG SozR 4-2500 § 106a Nr. 13 RdNr. 14). Ist dies nicht der Fall, erlässt die KÄV sowohl gegenüber der Krankenkasse als auch gegenüber dem Vertragsarzt einen entsprechenden Bescheid, wobei dem Bescheid gegenüber der Krankenkasse – anders als in den Fällen nach § 106a Abs. 4 SGB V – allein deklaratorische Bedeutung zukommt (BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az.: B 6 KA 8/15 R, Juris, Rn 27). Hieraus ist im Umkehrschluss eine Entscheidung der KÄV gegenüber der KK hinsichtlich der Ablehnung des Korrekturbegehrens ebenfalls im Wege des Verwaltungsaktes – nur eben nicht nur deklaratorisch – zu treffen mit der Konsequenz der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens.
Nicht gefolgt wird daher der Auffassung der Beklagten, aufgrund der gesamtvertraglichen Regelung des § 13 Abs. 4 GesamtV-Ärzte/EK sei eine Entscheidung gegenüber der Klägerin durch Verwaltungsakt mit anschließendem Widerspruchsverfahren ausgeschlossen, da im Gesamtvertrag allein die Möglichkeit eines Beanstandungsrechts binnen eines Monats geregelt sei. Unabhängig davon, ob die Regelungen des § 13 EKV überhaupt noch Anwendung finden, unterscheidet § 13 GesamtV-Ärzte/EK schon nicht zwischen den sachlich-rechnerischen Richtigstellungen nach den Abs. 2 bis 4 des § 106a SGB V. Hinsichtlich der Prüfung nach § 106 Abs. 2 und 4 SGB V hat sich das BSG aber – wie oben dargelegt – schon klar positioniert. Gleiches gilt für das Korrekturbegehren nach § 106a Abs. 3 SGB V, denn sachliche Gründe für eine andere Behandlung als im Zusammenhang mit einer Prüfung nach § 106a Abs. 2 oder 4 SGB V liegen nicht vor.
b) Die Beklagte ist verpflichtet, erneut über das Begehren der Klägerin, die von ihr beanstandeten Abrechnungen hinsichtlich der Mehrfachabrechnung der Ziffer 01740 EBM sachlich richtigzustellen, zu entscheiden. Dabei hat sie die streitgegenständlichen Abrechnungen im von der Klägerin geforderten Umfang sachlich-rechnerisch richtigzustellen; ein Recht zur eigenständigen Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen steht der Beklagten insoweit nicht zu. Da es sich bei der „unzulässige Mehrfachabrechnung von Beratung zur Krebsfrüherkennung“ um eine in die Prüfkompetenz der Krankenkasse nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB V fallende Konstellationen handelt, beschränkt sich der Umfang der von der Beklagten vorzunehmenden Prüfung auf die formellen Voraussetzungen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung.
aa) Zur Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V hat sich das BSG ausführlich mit Urteil vom 23.03.2016, Az.: B 6 KA 8/15 R, geäußert und wie folgt ausgeführt:
„aa. Die Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V ist mit Wirkung ab dem 1.1.2004 als eigenständige Aufgabe der Krankenkasse neben die der KÄV nach § 106a Abs. 2 SGB V obliegende Abrechnungsprüfung getreten. Gemäß § 106a Abs. 3 Satz 1 SGB V prüfen die Krankenkassen die Abrechnungen der Vertragsärzte (jetzt: „der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen“) insbesondere hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht (Nr. 1 aaO), der Plausibilität von Art und Umfang der abgerechneten Leistungen in Bezug auf die angegebene Diagnose (Nr. 2 aaO) sowie der Plausibilität der Zahl der in Anspruch genommenen Ärzte (Nr. 3 aaO); gemäß § 106a Abs. 3 Satz 2 SGB V haben sie die KÄVen unverzüglich über die Durchführung der Prüfungen und deren Ergebnisse zu unterrichten. Durch § 106a Abs. 3 SGB V werden die Krankenkassen in die Prüfung der Abrechnungen einbezogen und ihnen eine eigenständige Überprüfungspflicht auferlegt (Hess in Kasseler Kommentar, SGB V, Stand September 2015, § 106a RdNr. 11). Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, den Krankenkassen eine weitergehende Verantwortung hinsichtlich der Prüfung der ärztlichen Leistungserbringung zu übertragen (Gesetzentwurf der Fraktionen zum GMG, BT-Drucks 15/1525 S. 118).

bb. Gegenstand der von den Krankenkassen durchzuführenden Abrechnungsprüfung nach § 106a Abs. 3 SGB V ist – unter anderem – die Prüfung der Abrechnungen hinsichtlich des Bestehens und des Umfangs ihrer Leistungspflicht (§ 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB V):

(2) Ebenfalls Gegenstand der den Krankenkassen nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB V übertragenen Abrechnungsprüfung ist die Prüfung der Abrechnungen hinsichtlich des Umfangs ihrer Leistungspflicht. Dies präzisiert § 16 Abs. 2 Nr. 3 der PrüfRL § 106a dahingehend, dass die Prüfungen nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB V auch die Feststellung der Voraussetzungen der Leistungspflicht bei Maßnahmen der Krankheitsfrüherkennung betreffen. Gegenstand einer die Voraussetzungen der Leistungspflicht betreffenden Prüfung ist auch die Frage, ob eine innerhalb eines bestimmten Zeitraums nur einmal abrechenbare Leistung bereits einmal erbracht wurde.“
Dies bildet den Gegenstand der von der Klägerin in Bezug auf die streitgegenständlichen Leistungen zur Krebsfrüherkennung nach Ziffer 01740 EBM-Ä durchgeführten Prüfung, bei der sie festgestellt hat, dass die Leistungen entgegen der Vorgabe in der Leistungsziffer nicht nur einmal nach Vollendung des 55. Lebensjahres des Versicherten, sondern mehrmals abgerechnet wurden.
Zwar stellt die mehrfache Abrechnung einer nur einmalig abrechenbaren Leistung zugleich auch einen klassischen Fall einer sachlich fehlerhaften Abrechnung iS des § 106a Abs. 2 SGB V dar. Daher ist eine K(Z)ÄV grundsätzlich nicht gehindert, entsprechende Abrechnungen von sich aus sachlich richtigzustellen. Macht allerdings eine Krankenkasse von der ihr durch § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB V iVm § 16 Abs. 2 Nr. 3 PrüfRL § 106a zugewiesenen Kompetenz Gebrauch, muss die K(Z)ÄV die sich hieraus ergebenden Beschränkungen ihrer Prüfkompetenz beachten (BSG, Urteil vom 23.03.2016, Az.: B 6 KA 8/15 R., Juris, Rn. 22)
bb) Dem Korrekturbegehren der Klägerin auf sachlich-rechnerische Richtigstellung (und der hieraus erfolgenden Erstattung) stehen auch weder eine Antragsfrist (hierzu unter (1.)) noch eine Bagatellgrenze (hierzu unter (2.)) entgegen.
(1.) Die Klägerin hat den Antrag auf sachlich-rechnerische Richtigstellung fristgerecht gestellt.
Soweit in Umsetzung von § 45 Abs. 4 Satz 2 BMV-Ä auf gesamtvertraglicher Ebene eine Antragsgrenze in § 13 Abs. 1 Satz 2 GesamtV-Ärzte/EK vereinbart war, ist, basiert diese auf der Generalermächtigung des § 83 SGB Abs. 1 SGB V. Danach waren in der Vergangenheit auf Bundeswie auch auf Landesebene die Vertragspartner berechtigt, das Nähere zu den Abrechnungsprüfungen zu normieren. Eine derartige Regelungskompetenz ist den Vertragspartnern aber nunmehr durch § 106a Abs. 5 und 6 SGB V spezialgesetzlich zugewiesen worden. Faktisch hat sich damit allein die Benennung des Regelwerks, in dem die Regelungen enthalten sind, geändert (BSG, Urteil vom 23.03.2016, B 6 KA 8/15 R, Juris, Rn. 46). Nach der Rechtsprechung des BSG (aaO, Rn 47) hat diese spezialgesetzliche Ausformung zur Folge, dass die auf der bisherigen Generalermächtigung beruhenden Regelungen in die spezialgesetzlich vorgesehenen Normwerke zu transformieren sind. Es spreche viel dafür, dass § 106a SGB V zusammen mit den nach seinen Absätzen 5 und 6 zu treffenden Regelungen ein in sich geschlossenes Regelwerk darstellt, außerhalb dessen grundsätzlich keine die Abrechnungsprüfungen betreffenden Normsetzungskompetenzen der Vertragspartner auf Bundes- oder Landesebene bestehen (im Sinne eines Wegfalls der Regelungskompetenz nach Inkrafttreten des § 106a SGB V: SG Mainz Urteil vom 30.7.2014 – S 16 KA 100/13 -). Dafür, alle den Inhalt und die Durchführung der Abrechnungsprüfungen betreffenden Regelungen in dem durch § 106a Abs. 5 und 6 SGB V vorgesehenen Normwerk zu treffen, spricht nicht zuletzt der Gesichtspunkt, dass jedenfalls das Zustandekommen der bundeseinheitlichen PrüfRL § 106a eigenen Regeln unterliegt, weil insoweit – anders als beim BMV-Ä – besondere Einwirkungsmöglichkeiten des Bundesministeriums für Gesundheit bestehen (siehe § 106a Abs. 6 Satz 2 bis 4 SGB V). Dementsprechend wäre auch die Ermächtigungsnorm in § 51 Satz 2 BMV-Ä seit Inkrafttreten des § 106a SGB V so zu lesen, dass entsprechende Regelungen der Gesamtvertragspartner nicht im Gesamtvertrag, sondern in der – von denselben Vertragspartnern – nach § 106a Abs. 5 SGB V zu schließenden Prüfvereinbarung zu treffen sind.
Eine Umsetzung der Antragsfristen in die Abrechnungsprüfungsrichtlinien gem. § 106d Abs. 6 SGB V ist aber in deren § 18 Abs. 4 Nr. 8 erst mit Wirkung zum 11.05.2019 erfolgt.
Zudem handelt es sich sowohl bei der Antragsfrist nach § 13 Abs. 1 GesamtV-Ärzte/EK als auch bei § 18 Abs. 4 Nr. 8 Abrechnungsprüfungs-Richtlinie um eine Ordnungsfrist und nicht um eine Ausschlussfrist. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung und im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG ausgeführt. Das BSG hat Antragsfristen im nicht antragsgebundenen Verfahren nach § 106 Abs. 2 SGB V, insbesondere solchen, die als Ausschlussfristen zu verstehen seien, eine klare Absage erteilt (BSG, Urteil vom 23.03.2016, B 6 KA 14/15 R, Juris, Rn. 18) und dies auch für das antragsabhängige Prüfverfahren nach § 106a Abs. 4 SGB V bestätigt. Nichts Anderes gilt für Prüfungen nach § 106a Abs. 3 SGB V. Angesichts der ohnehin bestehenden Prüfverpflichtung der K(Z)ÄV kann sich – wie hier – ein Anlass für die Stellung eines Antrags daraus ergeben, dass die Krankenkasse über Erkenntnisse verfügt, die Anlass für eine Prüfung geben und der K(Z)ÄV nicht vorliegen. Ebenso wie bei antragsgebundenen Prüfungen nach § 106a Abs. 4 SGB V wäre es nicht gesetzeskonform, wenn eine von Amts wegen zur Prüfung verpflichtete Körperschaft im Zusammenhang auch mit § 106a Abs. 3 SGB V bestehende Antrags- und (ggf.) Ausschlussfristen zum Anlass nähme, den Umfang der von Amts wegen durchgeführten Prüfungen zurückzufahren und „die Initiative“ der antragsberechtigten Gegenseite zu überlassen (zur entgegenstehenden Auffassung von Clemens in jurisPK-SGB V, § 106a Rn. 48 unter Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 106a Nr. 13 RdNr. 18 – verweist das BSG darauf, dass an der zitierten Stelle der Senat jedoch lediglich den Ablauf des damals zu beurteilenden Verfahrens beschreibt, ohne auf die Notwendigkeit eines Prüfantrags einzugehen und sich zu den Folgen einer etwaigen Versäumung der Antragsfrist zu äußern). Ein Verstreichen vertraglich vereinbarter Antragsfristen kann daher kein Hindernis für eine Sachentscheidung sein. Es ist im Übrigen nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber der Abrechnungsprüfung nach § 106a SGB V einen geringeren Stellenwert beimessen will als der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106a SGB V, denn es war ausdrückliches Ziel der Kodifizierung, Effektivität und Effizienz der Verfahren der Abrechnungsprüfung durch die K(Z)ÄVen zu verbessern (Begründung zum GMG, BT-Drucks 15/1525 S. 119 zu § 106a SGB V, vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, B 6 KA 14/15 R, Rn. 20.).
Für die Qualifizierung der Antragsfrist als Ordnungsfrist spricht auch die Protokollnotiz zu §§ 18 Abs. 4 Nr. 8 und 19 Abs. 1 Nr. 6 der neuen Abrechnungsprüfungs-Richtlinien nach § 106d Abs. 6 SGB V. Dort wird ausgeführt, die Partner der Abrechnungsprüfungs-Richtlinien seien sich einig, dass die Fristenregelungen dazu dienen, der kassenärztlichen Vereinigung eine Bearbeitung innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist nach § 106d Abs. 5 Satz 3 SGB V zu ermöglichen. Die Nichteinhaltung der Frist dürfe nicht zu einem automatischen Ausschluss der Annahme der Lieferung führen. Die Partner der Abrechnungsprüfungs-Richtlinien gingen davon aus, dass eine Fristüberschreitung bei der Datenübermittlung durch die Krankenkassen nicht der Regelfall und deshalb der Ausnahmefall zu begründen sei.
(2) Der sachlich-rechnerischen Richtigstellung stehen auch keine Bagatellgrenzen entgegen.
Dass das BSG Bagatellgrenzen grundsätzlich für zulässig hält, hat es im Urteil vom 23.03.2016, B 6 KA 8/15 R, Juris, Rn 43 ff ausführlich dargestellt:
„Gegen die vertragliche Normierung einer Bagatellgrenze bestehen keine grundsätzlichen Bedenken. Die Auffassung der Klägerin, § 106a SGB V ordne eine ausnahmslose Korrektur von Abrechnungsfehlern an, überzeugt nicht. Derartiges lässt sich den maßgeblichen Bestimmungen nicht entnehmen. Nach der gesetzlichen Konzeption werden die Vorgaben des § 106a SGB V zum einen durch die gemäß § 106a Abs. 6 Satz 1 SGB V auf Bundesebene zu vereinbarenden Richtlinien, zum anderen durch die nach § 106a Abs. 5 SGB V auf regionaler Ebene zu vereinbarenden Prüfvereinbarungen ergänzt und vervollständigt: Gemäß § 106a Abs. 5 Satz 1 SGB V haben die KÄVen und die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich Inhalt und Durchführung der Prüfungen nach § 106a Abs. 2 bis 4 SGB V zu vereinbaren; gemäß § 106a Abs. 6 Satz 1 1. Halbsatz SGB V vereinbaren die KÄBVen und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Prüfungen nach § 106a Abs. 2 und 3 SGB V.
Gegenstand beider untergesetzlicher Normwerke ist der „Inhalt“ und die „Durchführung“ der Prüfungen. Der Senat hat keine Bedenken dagegen, hiervon auch die Bestimmung von Bagatell- bzw Geringfügigkeitsgrenzen mitumfasst zu sehen. Im Übrigen ist die Normierung von Bagatellgrenzen der Rechtsordnung keineswegs fremd. So sieht § 110 Satz 2 SGB X („Pauschalierung“) eine – vorliegend allerdings nicht einschlägige (siehe hierzu BSG Urteil vom 25.10.1989 – 6 RKa 20/88 – USK 89131) – Bagatellgrenze vor, indem dort bestimmt wird, dass Leistungsträger untereinander keine Erstattung begehren können, wenn ein Erstattungsanspruch im Einzelfall voraussichtlich weniger als 50 Euro beträgt.
Auch kompetenziell ergeben sich grundsätzlich keine Bedenken gegen eine Normierung von Bagatellgrenzen durch die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Bundes- bzw Landesebene. Die Vertragspartner auf Bundesebene wie auch auf regionaler Ebene waren in der Vergangenheit aufgrund der ihnen erteilten Generalermächtigungen (§ 82 Abs. 1 Satz 1, § 83 Satz 1 SGB V) berechtigt, das Nähere zu den Abrechnungsprüfungen zu normieren. Eine derartige Regelungskompetenz ist ihnen nunmehr durch § 106a Abs. 5 und 6 SGB V spezialgesetzlich zugewiesen worden. Faktisch hat sich damit allein die Benennung des Regelwerks, in dem die Regelungen enthalten sind, geändert.“
Allerdings fehlt es vorliegend ebenso wie bei den Antragsfristen an der erforderlichen Transformation des § 13 GesamtV-Ärzte/EK in das neue Normengefüge. Erklärtes Anliegen des Gesetzgebers war es, Vereinbarungen über die Abrechnungsprüfungen, einschließlich der Plausibilitätsprüfungen, nach bundesweit abgestimmten Kriterien durchzuführen und insoweit auch eine Gleichbehandlung aller Vertragsärzte zu gewährleisten (Gesetzentwurf der Fraktionen zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S. 119). Vorliegend wären sowohl die Bagatellgrenze als auch die Antragsfristen aus dem BayGesamtvertrag-Ärzte/EK und insoweit das vom Gesetzgeber missbilligte Nebeneinander verschiedener kassenartspezifischer Normen nicht für die streitgegenständlichen Prüfquartale ausgeräumt gewesen. Eine Umsetzung ist für die Bagatellgrenze ebenfalls erst durch die Neufassung der Abrechnungsprüfungsrichtlinie zum 11.05.2019 erfolgt, hier in § 18 Abs. 4 Satz 1.
Die Bagatellgrenze des § 13 Abs. 2 des GesamtV-Ärzte/EK findet mangels Transformation damit ebenfalls keine Anwendung.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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